Guerillakämpfer und Überläufer, Opportunist, Propagandaschreiber und Orakeldeuter: Flavius Josephus war eine schillerndsten und in sich widersprüchlichsten Figuren der römischen Kaiserzeit. Sein literarischer Ruhm sollte erst Jahrhunderte nach seinem Tod einsetzen und bis in die Neuzeit fortdauern durch sein Monumentalwerk „Jüdische Altertümer“. An ihm versuchte sich auch einer von Frankreichs besten Übersetzern des 17. Jahrhunderts, Arnauld d’Andilly. Sein geschliffenes Französisch nobilitierte den etwas schlichten Stil des Josephus. Doch d’Andilly hatte sich den Text ohnehin aus ganz anderen Gründen vorgenommen.
Artikeltext:
Flavius Josephus: Vom Widerstandskämpfer zum Mainstream-Autor
Gerade einmal dreißig Jahre jung sah sich der Jerusalemer Priester Flavius Josephus im Frühjahr 67 n. Chr. im sogenannten Ersten Jüdischen Krieg vor eine gewaltige Herausforderung gestellt. Er sollte Galiläa gegen das übermächtige 60.000 Mann starke Heer der Römer verteidigen. Natürlich scheiterte Josephus und geriet in Gefangenschaft. Dem Feldherrn Vespasian prophezeite er die Kaiserwürde. Damit hatte der Guerillero genau auf das richtige Pferd gesetzt. Nach Kriegsende erstritt sich Vespasian den Kaiserthron und Flavius Josephus kam zwar als Kriegsgefangener, aber doch in Ehren nach Rom.
Dort begann seine Karriere als Schriftsteller, finanziert durch Hinwendungen der neuen Herrscherfamilie. Entsprechend gut kamen die Flavier in seinem „Jüdischen Krieg“ weg. Flavius Josephus schrieb Griechisch, seine Muttersprachen waren Aramäisch und Hebräisch. Stilistisch mithalten konnte er bei weitem nicht mit der Dichterelite Roms. Sein zweites Werk, die „Jüdischen Altertümer“ fielen in ihrer Sprache noch einmal deutlich ab und scheinen bei den Zeitgenossen keinen bleibenden Eindruck hinterlassen zu haben.
Das verwundert nicht. In seinem Titel lehnten sich die „Jüdischen Altertümer“ an die „Römischen Altertümer“ des Dionysios von Halikarnassos, der die römische Geschichte mit der griechischen verband und enorm wirkmächtig war. Flavius Josephus hingegen erzählt in der ersten Hälfte der zwanzig Bücher getreu die biblische Darstellung der Weltgeschichte nach. Für Nichtjuden dürfte das bestenfalls amüsant, jedenfalls nicht intellektuell anregend gewesen sein. Wie so viele Schriftsteller sollte er den Erfolg seines Werkes nicht mehr miterleben, doch er kam.
{{gallery-01}}
Die „Jüdischen Altertümer“ als Bibelersatz
Unter den antiken Historikern waren in den ersten Jahrhunderten nach dem Beginn des Buchdrucks die lateinischen beliebter als die griechischen. Das hing schlichtweg mit der Sprachkompetenz der Leser zusammen. Unter den griechischen Autoren allerdings belegten die Werke des Flavius Josephus gleich die ersten beiden Plätze. Warum?
Ganz einfach, zum einen konnte die erste Hälfte der „Jüdischen Altertümer“ als „Ersatzbibel“ durchgehen. Ab 1559 benötigten Bibelübersetzungen nämlich eine Freigabe durch das Heilige Offizium der Inquisition, Josephus’ Werke konnte jeder jederzeit drucken. Und auch an Übersetzungen in die Volkssprachen mangelte es nicht.
In der zweiten Hälfte der „Jüdischen Altertümer“ widmet sich Josephus auch der Zeit, in der Jesus lebte. Damit konnte er als einzige etwa zeitgenössische historische Quelle gelten. Die christlichen Theologen hüteten sich davor, Flavius Josephus postum zum Christen umzuformen, wie es zum Beispiel Vergil ergangen war. Als Nicht-Christ hatte seine Beschreibung viel größeres Gewicht.
Arnauld d’Andilly: Finanzjongleur und Sprachmagier
Nicht weniger schillernd als Flavius Josephus ist auch sein Übersetzer Robert Arnauld d’Andilly (1589-1674). Als Spross aus gutem Haus schaffte er es 1611 bis in den Staatsrat am französischen Hof. Diesen Aufstieg verdankte er einem besonderen Umstand. Im Jahr zuvor war König Heinrich IV. ermordet worden. Seine Witwe, Maria von Medici, übernahm daraufhin die Regentschaft im Namen ihres gerade einmal neunjährigen Sohnes, Ludwigs XIII. Als Finanzexperte beriet Robert Arnauld d’Andilly die Regentin im Staatsrat und war bei Hof ebenso bekannt für seine Schwäche für schöne Frauen wie für seine feinsinnigen Verse.
Dann kam eine Wende: Der Tod seiner Frau und eines engen Freundes ließen ihm das Hofleben fad erscheinen. 1644 zog sich d’Andilly als eine Art Eremit zurück in das Zisterzienserkloster Port-Royal des Champs in der Nähe von Versailles. Das Kloster stand unter der Leitung seiner Schwester Angélique. Als ein Zentrum einer besonders strengkatholischen Richtung, des sogenannten Jansenismus zog der Ort große Denker an wie Blaise Pascal und Jean Racine. Sie zogen sich als sogenannte Messiers de Port-Royal oder Soliaires (Einsiedler) dorthin zurück, wo auch Robert Arnaud d'Andilly die Muße für seine Übersetzungstätigkeit fand.
Neben theologischen Traktaten wählte er die „Jüdischen Altertümer“ des Flavius Josephus aus. 1667 erschien die Erstausgabe. Wir haben hier eine Neuauflage von 1681 vor uns, in der erstmals zahlreiche Illustrationen aufgenommen wurden, wie das Titelblatt stolz betont. Tatsächlich ziehen die Bilder uns in ihren Bann, sie ergänzen den Text und öffnen einen wahren Bilderreigen gleich zu Beginn. Wenn sich alles um die Schöpfung von Himmel und Erde dreht, verschwindet der eher belanglose Text nahezu zwischen Bildern, die an Cinemascope-Aufnahmen erinnern, und lässt die ersten Seiten fast wie eine Graphic Novel wirken. In den späteren Illustrationen sehen wir Kämpfe, dramatische Szenen und große biblische Figuren wie Salomo oder Herodes. Ein fast verschwenderischer Reichtum an Bildern macht deutlich, dass diese Ausgabe sich nicht an Philologen wandte und nicht für wissenschaftliche Zwecke gedruckt wurde. Dies ist ein Stück Literatur, das sich zwischen erbauender Bibellektüre und bildender Historiografie einreiht. Die biblische Tradition und die Geschichte Palästinas in der Antike werden hier pompös als buntes Tableau präsentiert.
Entsprechend unbescheiden präsentiert Arnaud d'Andilly seine Übersetzung. In der Einleitung streicht er heraus, dass man, „um sich eine Vorstellung von der Stärke und Reinheit seines (also des Flavius Josephus) Stils zu machen, nichts weiter tun muss, als diese Übersetzung zu lesen, die vollkommen der Erhabenheit und Anmut der Formulierungen im Original entspricht“. Nun ja, da tut der Einsiedler dem hellenistischen Schriftsteller wohl etwas zu viel der Ehre, aber seine eigene Arbeit war in der Tat exzellent. Bemerkenswert übrigens. Während für uns heute der „Jüdische Krieg“ des Josephus besonders wichtig ist, weil der Autor als Augenzeuge berichtet, erwähnt ihn Arnaud d'Andilly mit keinem Wort auf dem Titelblatt, doch auch dieses Werk ist in der Übersetzung enthalten. Allerdings eben ohne Jesus … Außerdem runden die Zusammenstellung noch die Autobiographie des Josephus ab und die Beschreibung einer Gesandtschaft des Philon an den Hof Kaiser Caligulas. Die Leser konnten sicher sein, dass sich die Lebenswelt des Heilands in prächtigen Bildern und blutigen Sittengemälden auftat.
Was Sie sonst noch interessieren könnte
Sie finden zwar nicht diese ergänzte Auflage online, aber eine etwas spätere Auflage mit diesen Stichen von 1700.