Kann man tote Hühnchen länger frisch halten, wenn man sie mit Schnee ausstopft? Lachen Sie nicht! Diese Frage kostete den Philosophen Francis Bacon sein Leben. Im April 1626 trieb dieses Problem den mittlerweile 65-jährigen Verfechter des Empirismus um. Denken alleine versprach keine Antwort, also ging er das Problem praktisch an. Obwohl er stets für wissenschaftliche Experimente eingetreten war, war dies – soweit wir wissen – das erste, das er in seinem Leben durchgeführt hat – und auch sein letztes. Von seinem Forschergeist umgetrieben achtete Bacon offenbar zu wenig auf die klirrende Kälte und fing sich eine Erkältung ein, die zu einer Lungenentzündung mit tödlichem Ausgang führte.
Mit Werken wie „Über die Würde und den Fortgang der Wissenschaften“ von 1605 begründete Francis Bacon den Empirismus und kann geradezu als Vater der modernen Naturwissenschaft gelten. Damit trampelte er den im Wissenschaftsbetrieb tonangebenden Scholastikern erheblich auf den Füßen herum; die meinten nämlich, im Prinzip habe Gott dafür gesorgt, dass wir schon alles wüssten …
Nach Bacons Tod erschien 1662 eine wundervolle Ausgabe seiner Wissenschaftsanalyse auf Latein, die wir hier betrachten. Gewissermaßen als Bonus für treue Leser wird darin eine hochmoderne Verschlüsselungsmethode erläutert, die sich noch heute kaum knacken lässt. Aber der Reihe nach.
Artikeltext:
Francis Bacon: skrupelloser Staatsmann und philosophierender Visionär
Francis Bacon wurde 1561 in London geboren. Sein Vater hielt eines der höchsten juristischen Ämter inne und damit war klar, in welche Fußstapfen der kleine Francis zu treten hatte. In Cambridge konnte der begabte Junge nichts mit der scholastischen Methodik des ewigen Diskutierens über Nichtigkeiten und das Geschlecht der Engel anfangen. Der mittelalterliche Mief erstickte ihn und quälte seinen kritischen Geist. Er wollte hinterfragen und nicht glauben. Als der Vater starb, musste der Junge schnell einen Beruf ergreifen und wurde Jurist.
Doch unter Elisabeth I. verstrickte Bacon sich in Hofintrigen und sah sich gezwungen, einen guten Freund anzuklagen, was seinem Ruf bis heute geschadet hat. Opportunist und skrupelloser Machtmensch sind da noch die sachlichsten Etiketten, die sich von dem Namen Francis Bacon nicht mehr lösen lassen.
Das Blatt wendete sich, als Jakob I. 1603 Englands Thron bestieg. Bacon erlebte einen meteorhaften Aufstieg und häufte Ehren und Titel an: Knight Bachelor, Generalstaatsanwalt, Generalfiskal und Lordkanzler. Viel höher ging es eigentlich nicht mehr. Aufgenommen unter die Peers, also unter den erblichen Hochadel, wurde er Baron Verulam und 1621 zum Viscount St. Albans. Dann passierte es: Kurz danach stürzte er über einen angeblichen Korruptionsskandal, wurde vom Hof verbannt und verbrachte seine letzten fünf Lebensjahre als Schriftsteller auf seinem Landsitz.
Und in diesem politisch brisanten Leben musste Francis Bacon bei der hochpotenten Dampfmaschine seines ruhelos nach Erkenntnis dürstenden Verstandes immer wieder die Klappe heben und Dampf ablassen.
Jenseits von Aristoteles: Wie beherrschen wir die Natur?
Ein ständiger Wetzstein für Bacons Geist war Aristoteles. Der „Vater der Scholastik“ hatte mit seinem „Organon“ die Grundzüge des logischen Denkens gelegt, die den nachfolgenden Denkern als unverzichtbarer, ja alleiniger Handwerkskasten galten. Vor allem wollte man in den hohen Hallen der Universitäten nichts von Experimenten wissen. Zur Erkenntnis hatte man bitte schön grübelnd in der Denkerklause zu kommen, ähnlich wie Edgar Allen Poes Detektiv Dupin den ersten Kriminalfall der Literaturgeschichte rein deduktiv löste.
Dem stellte Francis Bacon 1620 sein „Neues Organon“ entgegen. Hier finden wir die Vorstellung, dass Wissen Macht sei. Der Mensch muss die Natur verstehen, um sie mithilfe dieses Wissens beherrschen zu können.
Wenn man in Venedig überlegt, mit welchen technischen Megaprojekten sich das Acqua alta beherrschen lässt und wie wir in den Alpen Lawinen vorhersagen können, dann geht die Vorstellung, dass wir so etwas vielleicht eines Tages können, auf Francis Bacon zurück. Durch Neugier und Fragen, erweitern wir unser Wissen, durch Experimente gelangen wir zu Erkenntnis.
Eine Einladung an alle Forscher: Schauen Sie mal rein, ob Sie sich in einer der vier „Masken“ wiederfinden. Jede dieser Masken steht in Bacons scharfsinniger Analyse für eine Form von Vorurteil und Angewohnheiten, die wir täglich mit uns herumtragen – und die uns vom Erkenntnisgewinn abhalten. Wir finden hier eine frühe Sprachkritik und den nachdrücklichen Rat, unsere Ideen selbstkritisch zu hinterfragen.
Wird die Welt eine bessere durch die Wissenschaft?
1605, als Francis Bacons politischer Aufstieg am Hof des frischgebackenen Königs Jakob I. begann, veröffentlichte er seine Abhandlung „Über die Würde und den Fortgang der Wissenschaften“. Auf Englisch wohlgemerkt! Bacon konnte sich schon denken, dass die etablierten sogenannten Forscher, die Scholastiker, ohnehin nur die Nase rümpfen und den Wälzer im Papierkorb versenken würden. Deswegen gab Bacon seinem Buch die Gestalt eines Briefs an seinen neuen König.
Das war ein sehr geschickter Schachzug, denn so ganz nebenbei erläuterte Bacon gleich zu Beginn, warum gebildete Könige (und ganze Königreiche, in denen Bildung einen hohen Stellenwert hat!) weit über ungebildeten Monarchen stehen. Ein Wink mit dem Zaunpfahl! Nicht eine flotte Klinge, sondern ein rasiermesserscharfer Verstand und Bildung waren die königliche Währung der Zeit. Und um seiner Argumentation auch den Anstrich einer religiösen Autorität zu geben, zitierte Bacon als vorbildhaftes Beispiel den weisen König Salomon.
Bacon unterteilt in seinem Buch das Wissen der Menschheit in Geschichtswissenschaft, Poesie und Philosophie. Diese wiederum werden gelehrt in weitere Unterbereiche getrennt, in denen er gesichertes Wissen seiner Zeit darlegt. Doch auch neue Felder skizziert er in visionärer Kraft: Psychologie, eine Geschichte der Krankheiten oder eine Handelsgeschichte. Eine grandiose Darstellung, auf die jeder zurückgreifen konnte, der sich fragte, wo es noch etwas zu erforschen gab.
Bacon wandte sich auch hier gegen die vorherrschende Idee seiner Zeit von Wissenschaft. Auf der einen Seite meinten die Scholastiker, alles Wissen stecke in der Bibel oder einigen wenigen Schriften wie denen des großen Aristoteles. Auf der anderen Seite gab es moderne Empiriker, die zwar Versuche anstellten, ihre Ergebnisse aber methodisch unsauber mit allem möglichen Hokuspokus aufluden und so magische Elemente durch die Hintertür einführten. Bacon wies beides deutlich zurück. Experimente mussten wiederholbar sein – ein unerhört moderner Gedanke. Nebenbei begründete Bacon die Vorstellung der Falsifikation: Alle Erkenntnisse sind zunächst einmal Arbeitshypothesen, die noch nicht widerlegt sind. Allerdings glaubte Bacon daran, dass eine objektive Erkenntnis möglich sei. Ebenso modern war Bacons Überzeugung, dass die naturwissenschaftliche Arbeit der geisteswissenschaftlichen nicht untergeordnet sei. Das hören wir mittlerweile doch alle Tage – außer von vielen Geisteswissenschaftlern …
Warum es gut war, dass Francis Bacons Werke wertlos waren
Wie kam es nun zu unserer lateinischen Ausgabe? Bei seinem Tod 1626 war Bacon hoch verschuldet. Seine Schuldner versuchten seine Hinterlassenschaft zu Geld zu machen, ihr gutes Recht. Er hatte auch unzählige Seiten Gedanken hinterlassen, oft noch nicht einmal publikationsreif. Die taugten in den Augen seiner Schuldner höchsten für den Kamin. So gestatteten sie Bacons Beichtvater William Rawley, den Papierwust mitzunehmen. Rawley überarbeitete und publizierte dieses geistige Erbe fleißig über Jahrzehnte hinweg. Dass Bacons Gedanken im Lauf der Jahre auch den Wissenschaftsbetrieb erreichten, zeigt unsere Ausgabe von 1662. Rawley legte sie auf Latein vor, der Wissenschaftssprache ihrer Zeit.
Ach ja, Bacons Bonus! In der lateinischen Ausgabe enthalten ist ein überaus praktisches Werkzeug, das Bacon wohl während seiner extrem gefährlichen politischen Tätigkeit nutzen konnte: ein Verschlüsselungssystem, das Sie hier selbst testen können. Wenn Sie es schaffen, das Ergebnis in einem Text unauffällig zu verstecken, wie schon Bacon es tat, dann lässt sich das auch heute kaum knacken …
Abgesehen von diesem nützlichen Gadget können wir in dieser lateinischen Ausgabe den Beginn der modernen Naturwissenschaften und einen Meilenstein in der Erkenntnistheorie mit Händen greifen. Ein Blick darauf lohnt sich allemal.
Was Sie sonst noch interessieren könnte:
Das Buch selbst ist als Digitalisat verfügbar über den Hathi Trust.
Etwa zu der Zeit erregte ein anderer großer Denker für Aufsehen mit seinen streng wissenschaftlichen Experimenten: Galileo Galilei.
Zu der Zeit, als die lateinische Ausgabe von Bacons Buch gedruckt wurde, publizierte fleißig der nächste geniale Kopf Englands seine modernen Schriften: Thomas Hobbes, der unbequeme Pessimist.
Bis heute gibt es übrigens eine ganze Gesellschaft, die meint, nicht Shakespeare habe seine Werke geschrieben, sondern Francis Bacon. Genial genug wäre er dafür vielleicht wirklich gewesen …