Tristan und Isolde sind womöglich das berühmteste Liebespaar des Mittelalters. Naja gut, vielleicht das zweitbekannteste, nach Lancelot und Guinevere. Verständlich, denn die Legende erfüllt alle Voraussetzungen einer richtig guten Geschichte: Ein mystisches Setting, blutige Kämpfe, ein bisschen Magie, leidenschaftliche Liebe, Loyalität und Verrat, und ein tragisches Ende. Kein Wunder, dass sie über Jahrhunderte in Europa tradiert und in unzähligen Versionen niedergeschrieben wurde. Historisch lässt sich kaum beweisen, ob der Ursprung jetzt keltisch, englisch oder französisch ist. Trotzdem meinen Forscher wie Joseph Bédier manchmal, so einen Ur-Tristan gefunden zu haben…
Artikeltext:
Ritter aus Cornwall trifft Prinzessin aus Irland
Die Geschichte ist ganz schön lang und verwickelt, wir wollen uns deshalb hier auf das Notwendigste beschränken. Wir befinden uns auf den britischen Inseln, irgendwann zwischen etwa 500 und 1000 n. Chr. Marke, der König von Cornwall, soll Isolde, die Tochter des irischen Königs, heiraten. Er schickt seinen Neffen Tristan nach Irland, um dort in seinem Namen um ihre Hand zu bitten. Die Mutter der schönen Isolde, die ebenfalls Isolde heißt, will ganz sichergehen, dass ihre Tochter auch eine glückliche Ehe führt und gibt ihr deswegen einen Liebestrank für sie und Marke mit. Und das ist der erste große Fehler. Der zweite große Fehler ist, dass Tristan und Isolde den Trank auf der Überfahrt von Irland nach England aus Versehen trinken und sich unsterblich verlieben. Ups.
Die beiden führen dann lange eine heimliche Affäre, bis König Marke ihnen schließlich auf die Schliche kommt und Tristan nach Deutschland fliehen muss. Wo er – halten Sie sich fest – die dritte Isolde trifft, Isolde Weißhand. Er heiratet sie, um Isolde von England zu vergessen, bis er eines Tages in einer Schlacht von einem giftigen Speer verwundet wird und nur eine nach irischem Geheimrezept gebraute Salbe ihn noch retten kann. Die Rezeptur kennen nur Isolde Senior und Isolde Junior. Isolde Junior macht sich also mit der Salbe auf den Weg, um ihren geliebten Tristan zu retten, was jedoch durch eine List der deutschen Isolde verhindert wird. Tristan stirbt im Glauben, es gäbe keine Rettung mehr für ihn. Als Isolde von England kurz darauf doch mit der rettenden Medizin auftaucht, findet sie ihren Geliebten tot vor. Sie wird schwer krank und stirbt ebenfalls vor Trauer.
Ein europäisches Gemeinschaftswerk
Der genaue Ursprung des Stoffs lässt sich trotz umfangreicher Bemühungen der Forschung nicht mit Sicherheit bestimmen. Was wir wissen ist, dass es eine Reihe mündlicher Überlieferungen und keltischer Legenden gab, die die Geschichte gespeist haben. Seit dem Mittelalter gibt es dann zwar auch verschriftlichte Quellen, diese sind aber in der Regel nur Fragmente, also unvollständig. Zu den ersten uns überlieferten Manuskripten gehören die Fragmente eines gewissen Thomas, einem altfranzösischen höfischen Autor, bei dem nicht geklärt ist, ob sein Beiname korrekterweise von England, von Bretagne oder von Britannien sein müsste. Wir wissen einfach nicht genug über sein Leben. Nach dieser Vorlage verfasste dann der mittelalterliche Dichter Gottfried von Straßburg († um 1215) seinen Tristan. Allerdings starb er bevor er den Versroman beenden konnte, sodass wiederum andere mittelalterliche Autoren dazu verschiedene Fortsetzungen schrieben.
Ein angeblich französischer „Ur-Tristan“
Sie sehen also, anhand der schwierigen Quellenlage, der oft nur fragmentarischen Manuskripte und den vielen verschiedensprachigen Bearbeitungen des Tristan-Stoffs ist es extrem schwierig, eine „richtige“ Version oder eine eindeutige Traditionslinie zu bestimmen. Trotzdem behauptete im 20. Jh. Joseph Bédier, ein französischer Mediävist, dass es eine einzige Quelle für alle Varianten des Tristan-Stoffs geben müsse, einen „Ur-Tristan“ sozusagen. Die vorliegende Ausgabe von 1926 ist eine Nacherzählung Bédiers und der Versuch, diesen Ur-Tristan zu rekonstruieren. Besonders interessant ist hierbei der kultur-patriotische Ansatz, mit dem er versucht, den Stoff als ursprünglich Französisch zu beanspruchen und die nicht-französischen Bearbeitungen des Stoffes – wie z.B. die mittelhochdeutsche Gottfried von Straßburgs – als „imitations“ also Nachahmungen abtut. Dazu passt, dass das Buch den Zusatz „ausgezeichnet von der l’Académie Française“ trägt. Die Académie, in der übrigens auch Bédier Mitglied war, ist ja bekanntermaßen so etwas wie der selbsternannte Wächter zur Bewahrung der französischen Sprache und Literatur.
Das Buch ist eine deutlich modernisierte Fassung des Stoffs, die aber trotzdem auf seine mittelalterlichen Ursprünge verweist. So sind den einzelnen Kapiteln jeweils kurze Zitate der mittelalterlichen Versepen vorangestellt, z.B. von Béroul und Gottfried von Straßburg. Die Anfangsbuchstaben der Kapitel sind stilisierte, modernisierte Initialen und erinnern damit an die farbprächtigen Illuminationen mittelalterlicher Manuskripte.
Was Sie sonst noch interessieren könnte:
Ein Digitalisat der ältesten erhaltenen Handschrift von Gottfried von Straßburgs Tristan stellt die Bayerische Staatsbibliothek zur Verfügung.
Wenn Sie mehr über die Geschichte von Tristan und Isolde erfahren möchten, empfehle ich wie so häufig den BBC Podcast In Our Time, die Folge „Tristan and Iseult“ (auf Englisch).
Der Tristan-Stoff gehört zum erweiterten Sagenkreis der Artussage, genau wie der Ritterroman „Iwein“ von Hartmann von Aue, den Sie im Archiv des MoneyMuseums finden.
Historisch etwas später entsteht Miguel de Cervantes Parodie auf das Rittertum. Den Roman Don Quijote haben wir Ihnen auf Bookophile vorgestellt.