„Dieses Werk erscheint aus zweifachen Gründen: Erstens, um Denen, die sich mit den Wundern der Weltausstellung vertraut gemacht haben und ihr Andenken nicht verlöscht sehen möchten, ein geeignetes Erinnerungszeichen darzubieten und zweitens, um die mehr als sechzig Millionen Bewohner der Vereinigten Staaten, welche die Ausstellung nicht gesehen haben, mit einer Reihe von Bildern zu beglücken.“
Mit diesen Worten beginnt der im Jahr 1893 von der Chicagoer Druckerei Rand, McNally & Co. herausgegebene Bildband über die zweite Weltausstellung, die je in den Vereinigten Staaten von Amerika stattfand. Er enthält über 100 Tafeln, die Attraktionen der World's Columbian Exposition von 1893 zeigen. Das MoneyMuseum konnte ein Exemplar dieses hochrangigen historischen Zeugnisses im Mai 2021 vom Antiquariat Rezek in München erwerben. Das Buch ist ein gutes Beispiel dafür, warum die vielen Weltausstellungen zwischen 1851 und dem Beginn des Ersten Weltkriegs im Jahr 1914 so ein internationaler Erfolg waren.
Artikeltext:
Die Welt zu Gast - oder - Was ist eine Weltausstellung?
Was aber soll das eigentlich sein, eine Weltausstellung? Als ihr Erfinder gilt Prince Albert, Gemahl der englischen Königin Victoria. Er organisierte 1851 im Londoner Kristallpalast die erste internationale Leistungsschau aller Nationen. Seine Idee war es, die neuesten Entwicklungen hinsichtlich Handel, Kommunikation und Produktion weltweit bekannt zu machen, um so den internationalen Handel zu fördern und den Wohlstand aller Nationen zu heben. Fortschritt galt vor dem Ersten Weltkrieg nämlich nicht als Schimpfwort, sondern als Hoffnungsträger, mit dessen Hilfe alle Übel - Krankheit, Armut und Hunger - ausgerottet werden sollten.
Doch nicht nur das Fachpublikum strömte in die Weltausstellungen. Sie wurden zu einem echten Publikumsmagneten, der Millionen von Menschen in eine Stadt lockte. Gewiefte Unternehmer boten den Schaulustigen Attraktionen der besonderen Art. Einige von ihnen haben sich bis heute erhalten. Die bekannteste davon ist wohl der Pariser Eifelturm. Doch auch andere Attraktionen haben überlebt, so zum Beispiel das Palais des Mirages, ein illuminiertes Spiegelkabinett, heute Teil des Pariser Wachsfigurenkabinetts, oder der Maurische Kiosk von Schloss Linderhof, der 1867 als offizieller Beitrag Preußens ebenfalls in Paris zu sehen war.
Natürlich wurde auch während der 19. Weltausstellung in Chicago, der World's Columbian Exposition, so einiges geboten: So zum Beispiel das erste Riesenrad der Geschichte, das im Englischen nach seinem Erfinder George Washington Gale Ferris benannt wurde. Das für 250.000 $ erbaute Ferris Wheel spielte 725.000 $ an Eintrittsgeldern ein.
Die World's Columbian Exposition
Wie ihr Name schon sagte, sollte diese Ausstellung an den vierhundertsten Jahrestag der Landung des Kolumbus in Amerika erinnern. Man plante eine Leistungsschau, um zu demonstrieren, wie weit es die jungen Vereinigten Staaten seit damals gebracht hatten. Vier amerikanische Städte bewarben sich um die Ausrichtung. Chicago erhielt unter hohen finanziellen Auflagen den Zuschlag.
Wie gigantisch die Columbian Exposition war, das demonstrieren wohl am besten ein paar Zahlen: Das Ausstellungsgelände maß ingesamt 278 Hektar und war damit mehr als doppelt so groß wie die Hannover-Messe, heute das größte Messegelände der Welt. 81 Hektar Ausstellungsfläche waren überdacht. Das entspricht der doppelten Fläche, die heute das größte Volksfest der Welt belegt, das Münchner Oktoberfest. Rund 70.000 Aussteller aus 46 Ländern präsentierten ihre Erfindungen. 27,3 Millionen Besucher - Das entsprach fast einem Drittel der gesamtamerikanischen Bevölkerung! - kamen zur Leistungsschau, um Schiffe in Originalgröße, Eisenbahnzüge mit den ersten Schlafwagen, den Phonographen von Edison und Hagenbecks Menagerie zu besichtigen. Genfer Uhren waren genauso zu bewundern wie eine Kanone von Krupp, die erste Geschirrspülmaschine oder die neuesten Schmuckkreationen von Tiffany.
Architektur aus der ganzen Welt
Leider sind keine dieser Exponate im großen Album abgebildet, und das aus einem guten Grund: Die Fotographie steckte zum Zeitpunkt der Publikation dieses Buches zwar nicht mehr in ihren Kinderschuhen, aber es war trotzdem noch eine Herausforderung, Innenräume abzubilden oder gar diffizile Objekte zu fotographieren. Deshalb dominieren die Außenansichten unter den Tafeln und deshalb sehen wir zumeist nur dann Menschen, wenn sie in das Bild hineinretuschiert wurden. Für menschliche Bewegungen waren die Belichtungszeiten einfach noch viel zu lang.
Aber schon die Außenansichten legen eindruckvoll Zeugnis dafür ab, wer sich alles von seiner besten Seite präsentieren wollte. Da waren zunächst die verschiedenen Teilstaaten der USA, die eigene Gebäude errichteten. Dazu kamen ausländische Nationen, wie Norwegen, Japan und Deutschland, um nur die zu nennen, deren Pavillons wir abbilden.
Elektrizität: Tesla gegen Edison
Natürlich wollten die Veranstalter das damals so innovative elektrische Licht für ihre Ausstellung einsetzen. Edison hatte angeboten, das Gelände für 1,8 Mio. $ zu illuminieren. Doch auch wenn er sein Angebot später auf fast ein Viertel des ersten Kostenvoranschlags reduzierte, erhielt die wesentlich kostengünstigere Offerte der Westinghouse Electric Corporation den Zuschlag. Sie verlangte pauschal 399.000 $. Dieses günstige Angebot konnte sie nur dank der Nutzung des von Nikola Tesla entwickelten Wechselstroms machen. Damit wurde die Columbian Exposition zu dem entscheidenden Ereignis, durch das sich der Wechselstrom als Basis der industriellen und häuslichen Nutzung der Elektrizität weltweit durchsetzte.
Überhaupt war die Elektrizität das beherrschende Thema der Weltausstellung. Für sie wurde ein eigener Pavillon errichtet, dessen Inneres zwei Tafeln im Bildband abgebildet ist. Damit wird ihm mehr Aufmerksamkeit zuteil als jedem anderen Pavillon.
Wofür brauchte es eine Völkerschau im Rahmen der Weltausstellung?
Auf uns wirkt es heute eher merkwürdig, wenn nicht nur Bauten, sondern auch Menschen aus aller Welt sich auf dieser Colombian Exposition wie Ausstellungsstücke präsentierten. Da konnten sich Zuschauer eine Karawane in einer ägyptischen Straße ansehen, im deutschen Dorf zeigten Menschen in „deutscher“ Tracht die Ausstellungstücke und verkauften „deutsche“ Spezialitäten. Aber auch andere Nationen schickten bunt kostümierte Vertreter, ähnlich wie sich Trachten heute noch im Gastgewerbe als Berufskleidung erhalten haben.
Wir müssen aber deutlich zwischen zwei Funktionen dieser Maskeraden unterscheiden. Touristendestinationen wie Deutschland und Ägypten warben so um Besucher. Deutschland demonstrierte gleichzeitig mit Krupp-Kanone und eigenem Ausstellungsgebäude, wie fortgeschritten es als Handels- und Industrienation war. Die Vergangenheit diente lediglich als eine Art Folie, um so die Gegenwart noch heller glänzen zu lassen.
Ähnliches sollten auch all die „unterentwickelten“ Bewohner Afrikas und Asiens, nicht zu vergessen die Ureinwohner Nordamerikas demonstrieren. Sie wurden als Menschen vorgestellt, die durch die Wunder der Zivilisation nur gewinnen konnten. Dass wir das heute anders sehen, sollte uns nicht blind dafür machen, dass viele Menschen im 19. Jahrhundert ehrlich glaubten, den „Wilden“ mit westlichen Werten und westlicher Industrie einen Gefallen zu tun.
Und warum publiziert eine Druckerei in Chicago ein deutsches Buch?
Wundern wir uns zum Schluss noch darüber, dass eine amerikanische Druckerei anlässlich dieser Ausstellung ein Buch in deutscher Sprache herausgab! Wir werden dadurch daran erinnert, wie viele deutschsprachige Menschen in die Vereinigten Staaten ausgewandert waren. Chicago verfügte auch über eine große deutsche Community, da es als eine Stadt galt, in der jeder einen Job bekam, der harte Arbeit nicht scheute. Vielen der Einwanderer gelang es, sich eine bürgerliche Existenz aufzubauen, die sie mit den Mitteln versorgte, nicht nur ein Tagesticket für die ganze Familie zu erwerben, sondern auch zum Andenken an den Besuch einen dieser in hohen Auflagen erscheinenden Bildbände zu erwerben.
Leider kann dieses hochinteressante Buch nicht im Internet angesehen werden. Dafür müssen Sie ins MoneyMuseum kommen.
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Erworben wurde das Buch im Antiquariat Rezek in München.
1914 fand in Leipzig die Weltausstellung des Buches stat. Dort wurden u.a. Objekte aus der Welt des traditionellen chinesischen Gelehrtentums präsentiert.
Eine ausführliche Geschichte der ersten Weltausstellung in London erzählt der Zweiteiler „The story of the Great Exhibition“ auf YouTube (auf Englisch).