Alles begann damit, dass der Kölner Drucker und Verleger Johann Gymnich (*1547, +1606) nach einem vielversprechenden neuen Manuskript für ein Buch suchte. Nun, Münz- und Geldfragen, das war Ende des 16. Jahrhunderts ein ganz heißes Thema. Fürsten und Städte begannen, ihre Geldpolitik zu hinterfragen und wissenschaftlich zu untermauern. Münzmeister, Wechsler und Bankiers wurden zu gesuchten Ratgebern. Und auch die brauchten anregende Lektüre, um sich zusätzliches Wissen zu erarbeiten. Wie wäre es also, mag Johann Gymnich überlegt haben, wenn er den lange vergriffenen Traktat von Matthäus Boyß aus dem Jahre 1574 wieder auflegen würde? Nachdrucken war billig, es gab ja noch kein Urheberrecht. Oder vielleicht sollte man diesen Traktat auf den neuesten Stand bringen? Einen passenden Autor kannte Gymnich: Den umstrittenen Münzmeister des Kölner Bischofs.
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Reiner Budel (*nach 1540, +nach 1602)
Wir haben einige Informationen über das Leben dieses Münzmeisters. Er nannte sich Reiner Budel, Reynair Van Budel oder – als Autor in lateinischer Sprache – Renerus Budelius. Budel wurde vor 1540 in Roermond geboren, damals eine Stadt in den spanischen Niederlanden. Sein Vater verdiente sein Geld bereits als Münzmeister. Er sorgte dafür, dass alle seine vier Söhne ebenfalls in diesem Beruf Arbeit fanden; seine einzige Tochter verheiratete er an einen Kollegen.
Münzmeister zu sein, war damals ein einträgliches Geschäft. So konnte es sich Vater Budel leisten, seinen Sohn Reiner auf die Universität zu schicken. An der Kölner Universität studierte der junge Mann seit 1563 die Juristerei, damals „das“ Fach, wenn man eine Karriere in einer fürstlichen Verwaltung machen wollte. Reiner Budel schloss mit dem Lizenziat ab, womit in der frühen Neuzeit die Lehrerlaubnis verbunden war. Dieses Lizenziat war darüber hinaus die Eintrittskarte, um es in der Finanzverwaltung irgendeines hohen Herren ganz nach oben zu schaffen.
Bereits 1572 amtierte Reiner Budel als Münzmeister des Kölner Erzbischofs in der Münzstätte von Deutz. Dies war ein vielversprechendes Amt. Schließlich gehörte der Kölner Erzbischof zu den wichtigsten Reichsfürsten. Doch Reiner Budel lebte in unruhigen Zeiten. Zu gerne hätten einige Domherren – die für die Wahl des Erzbischofs zuständig waren – mit Unterstützung des Kölner Stadtrats einen Protestanten berufen, um die kirchlichen Territorien für die Stadt Köln oder ein anderes weltliches Fürstentum zu annektieren. Wie der Skandal von 1578, in den Budel irgendwie verwickelt war, in diese politisch explosive Lage hineinpasst, können wir heute nicht mehr nachvollziehen: Irgendwie und auf höchst zweifelhaften Wegen war Silber aus der Münzstätte Deutz an eine illegale Münzstätte auf niederländischem Territorium geliefert worden. Budel wurde jedenfalls befragt, kurzfristig sogar gefangengesetzt. Das bittere Ergebnis war Budels Entlassung als Münzmeister. Damit war seine Karriere vorerst gescheitert.
Vielleicht war das gar nicht so schlecht. Damit musste Budel nicht entscheiden, ob er für den umstrittenen Erzbischof Gebhard von Waldburg, der heiratete und selbst zum Calvinismus konvertierte, weiterhin tätig sein wollte. Nach dem Sieg des katholischen Gegenkandidaten auf das Kölner Bischofsamt wurde Reiner Budel jedenfalls wieder in Amt und Würden eingesetzt. Damit bot sich ihm erneut die Aussicht auf eine Karriere im gehobenen Staatsdienst.
Und wie machte man um 1600 einen bedeutenden Fürsten auf die eigenen Fähigkeiten aufmerksam? Man veröffentlichte ein gelehrtes Buch. Und damit vereinten sich die geschäftlichen Interessen des Verlegers Johann Gymnich mit den ehrgeizigen Ambitionen des Reiner Budel.
Zwei Bücher über Münzen und Geldfragen
Budel verfasste ein Werk, das in der gebildeten Welt Furore machte. Er subsummierte sein Wissen, seine Erfahrung, seine Studien und tat das in der Form, die ein Antiquar, ein Mitglied eines fürstlichen Beratergremiums und jeder gebildete Politiker von einem wissenschaftlichen Werk erwartete. Budel schrieb in elegantem Latein, also in der Sprache, die damals jeder europäische Wissenschaftler UND jeder europäische Politiker beherrschte! Nur die wenigsten Münzmeister wären Ende des 16. Jahrhunderts in der Lage gewesen, sich dieser Sprache so gewandt zu bedienen. Nur die wenigsten von ihnen hatten an einer Universität studiert und sich die Sprache der gelehrten Welt erschlossen. Damit zeigte Budel, dass er eben weit mehr als ein einfacher Münzmeister war und jeder fürstlichen Verwaltung hätte Ehre machen können.
Darüber hinaus präsentierte Budel ein Wissen, wie es damals die besten Antiquare ihrer Zeit hatten. Sich mit antiker Numismatik und den alten Autoren zu beschäftigen, war ein moderner Zeitvertreib der frühneuzeitlichen Oberschicht. Es hat also durchaus einen Zweck, wenn Budel in einem Buch über die zeitgenössische Münzprägung historisches Wissen darbietet und antike Quellen genauso wie antike Münzen zitiert. Besonders vielsagend ist eine Seite, auf der er in seinem lateinischen Text einen Schekel mit hebräischer Aufschrift und griechischen Schriftquellen präsentiert. Nur die besten Wissenschaftler beherrschten damals neben ihrer Muttersprache die drei kanonischen Sprachen: Latein, Griechisch und Hebräisch!
Ein praktischer Ratgeber für Wechsler, Bankiers und Finanzbeamte
Nachdem der Autor sich gebührend als Kenner eingeführt hat, widmet er sich den Fragen, die damals alle umtrieben – und das waren keine numismatischen Probleme. Es ging um die Praxis im damaligen Geldbetrieb. Budel beschäftigt sich mit Fragen des Feingehalts der einzelnen Münzsorten, mit ihrem Gewicht und ihrer Umrechnung. Natürlich geht es auch darum, wie ein Feingehalt verbindlich und einfach festgestellt werden kann, dazu kommt die aktuelle Geldtheorie. Und natürlich bietet der Jurist die gesetzlichen Grundlagen der Münzprägung, gibt die wichtigsten kaiserlichen Edikte in Originalsprache wieder.
Von zentraler Bedeutung für den täglichen Gebrauch aber sind seine Umrechnungstabellen. Dort stellt er zusammen, welche Geldsorte bei vollem Gewicht und richtigem Feingehalt welchen Wert hat. Er richtet sich dabei nach dem, was im Normalfall auf dem Tisch der Kölner Wechsler landete. Wir können seinem Buch also die wichtigsten Münzsorten entnehmen, die zu Budels Zeiten am Rhein kursierten.
Interessanterweise schreibt Budel hier nicht in lateinischer, sondern in deutscher Sprache. Budel wusste, dass der durchschnittliche Wechsler, der einfache Münzmeister und der Finanzbeamte im niederen Dienst eben nicht so gut Latein sprach wie er. Sobald es aber theoretisch wird, verfällt Budel sofort wieder ins gelehrte Latein.
Gesammeltes Wissen über das Geldwesen
Wer Budels Werk aufmerksam studiert, stellt fest, dass in der Seitennummerierung eine Lücke von fast 70 Seiten klafft. Das ist ein gutes Argument dafür, dass der Verleger Gymnich parallel, während Budel seinen Text verfasste, bereits den Druck des zweiten Teils des Buchs vorbereitete und durchführte. Schon das Vorgängerwerk von Matthäus Boyß, das Gymnich zu seinem Thema inspiriert haben mag, enthielt Texte verschiedener Autoren, die sich in irgendeiner Form zu Geldfragen geäußert hatten. Gymnich vermehrte sie, so dass der Käufer seines Buch neben Budels Werk die Erkenntnisse von 25 verschiedenen Autoren lesen konnte. Ein gutes Verkaufsargument!
Ein großer Erfolg
Das Werk von Reiner Budel wurde tatsächlich zu einem vollen Erfolg, das Jahrhunderte lang immer wieder zitiert werden sollte. Wir haben zu seinem Buch eine ganz besondere Quelle, wie man sie nur selten findet. Der Kölner Patrizier Hermann von Weinsberg hielt in seiner bemerkenswerten Autobiographie fest, dass er Budels Buch kaufte: „Am 2. September habe ich das Buch des Reiner Budel „De monetis et re numaria“ beim Drucker Johann Gymnich im Haus zum Einhorn kaufen lassen. ... Dieser Budel stammt aus Roermond, ist ein Kölner Bürger, ein Lizenziat der juristischen Fakultät und ein Münzmeister des Kölner Erzbischofs, der mit seiner Frau hinter dem Franziskanerkloster lebt. Er hat dieses Buch im Jahr 1591 publizieren und drucken lassen.“
Reiner Budel schuf sich mit seinem Buch tatsächlich einen hervorragenden Ruf, den er allerdings nicht in ein höheres Amt ummünzen konnte. Als er wohl kurz nach 1602 starb, war er immer noch Münzmeister von Deutz, weiter war er in der Hierarchie des Kölner Erzbistums nicht aufgestiegen.
Was Sie sonst noch interessieren könnte:
Das gesamte Buch können Sie in digitalisierter Form lesen.
Wir haben für die Recherche zu diesem Artikel einen Beitrag aus der Feder von Jos Benders sehr hilfreich gefunden. Sein Titel lautet „Der Kölner Münzmeister und Präfekt Renerus Budelius“.
Wenn Sie mehr darüber erfahren möchten, wie Geld in der Vergangenheit funktionierte, empfehlen wir die Buchvorstellung „Gerechtes Geld in einer ungerechten Zeit“.