Was ist Bildung? Bildung und Ausbildung seit der Antike

Willkommen zu unserer neuen Ausstellung mit dem Titel „Was ist Bildung? Bildung und Ausbildung seit der Antike.“ In ihr beschäftigen wir uns mit der Frage, was Bildung eigentlich leisten soll. Geht es darum, Wissen zu erwerben, oder soll Bildung gar den idealen Menschen hervorbringen? Mit Hilfe von Büchern aus der Sammlung des MoneyMusems illustrieren wird unterschiedliche Bildungsideale und -ansätze, von der Antike bis ins 19. Jahrhundert.

Zu den Stationen
Was ist Bildung? Bildung und Ausbildung seit der Antike

von

Ursula Kampmann

Bildung kommt vom althochdeutschen bilidunga für Abbild und Widerschein: Das führt uns dorthin zurück, wo Bildung ihren Anfang genommen hat, nämlich in der Großfamilie: Jedes Kind lebte mit seiner Sippe und half, wo es schon helfen konnte. Es lernte durch Nachahmung, was es brauchte. Diese Form der Bildung dürfte bis zum Beginn der Menschheitsgeschichte zurückreichen. Sie begann, als es die Sprache den Älteren ermöglichte, ihre Erfahrungen mündlich an die Jüngeren weiterzugeben.
Dann kam die Schrift, und seither ist Bildung nicht mehr das, was wir von unseren Eltern abschauen, sondern das, was wir aus Büchern lernen. Bücher ermöglichen es, auf die Erkenntnisse aller Menschen zurückzugreifen, die ihre Erfahrungen niedergeschrieben haben. Damit steht uns ein gewaltiger Schatz an Wissen zur Verfügung, der schon in der Antike als wesentlich wertvoller galt als alles, was wir durch Nachahmung lernen können.
Aber damit stellte sich das nächste Problem: Die Zahl der in Schriften gelehrten Fähigkeiten ist unendlich. Welche muss ein Mensch beherrschen, um sein Leben zu bewältigen? Das beantwortet jede Gesellschaft, jede Zeit ein bisschen anders, womit wir beim so genannten Bildungskanon angelangt sind.
Aber geht es bei Bildung wirklich nur darum, Wissen zu erwerben? Die Philosophen der Aufklärung sahen das anders. Sie forderten eine Bildung, die jeden Menschen befähigt, ein glückliches Leben im Einklang mit seinen Mitmenschen zu führen.
Die neue Ausstellung des MoneyMuseums in Zürich beschäftigt sich mit dem, was wir heute Bildung nennen. Wir illustrieren mit Hilfe von Büchern unterschiedliche Bildungsideale. Im ersten Teil der Ausstellung beschäftigen wir uns mit der Vergangenheit – von der Antike bis ins 19. Jahrhundert. Dafür machen wir Halt bei den Griechen und Römern; wir überprüfen, wie sich im Mittelalter die Bildungsideale eines Ritters von denen eines Klerikers unterschieden; wir gehen an den Beginn der frühen Neuzeit, um zu verstehen, wie die Geldwirtschaft und die Reformation unser Bildungswesen veränderten; und zuletzt betrachten wir die Epoche der Aufklärung, als das Bürgertum davon zu träumen begann, dass der perfekte Mensch mittels Bildung geschaffen werden könne. Da man fortan auf Gott und die Kirche verzichten wollte, lag es in den Händen des Menschen, das Paradies auf Erden zu verwirklichen.
Der zweite Teil der Ausstellung kreist um Gegenwart und Zukunft. Am Beispiel der ökonomischen Bildung illustrieren wir, in wie weit der an Universitäten gelehrte Bildungskanon nicht mehr unserer Realität entspricht und welche neuen Ansätze es gibt, die ökonomische Bildung unseren Anforderungen anzupassen.

Station 1 – Die Antike: Rhetorik, Philosophie und kritisches Denken

Unsere Erziehung wurzelt in der Antike. Unser Fächerkanon enthält immer noch Inhalte, die in Athen und Rom entwickelt wurden. Latein und Griechisch, Mathematik, Musik und Sport standen schon vor rund 2.000 Jahren auf dem Lehrplan.
Das erste Buch, das wir Ihnen vorstellen, heißt Politeia. Es wurde von Platon geschrieben. Er fordert darin, die Funktion eines Menschen innerhalb des Gemeinwesens von seiner geistigen Kapazität und seiner Bildung abhängig zu machen. Dabei wollte er weniger Faktenwissen vermittelt sehen, sondern uneigennütziges Handeln, eigenständiges Denken und einen unfehlbaren moralischen Kompass.
Viele Staatsmänner haben seitdem von sich behauptet, diesem Ideal zu entsprechen. Einer von ihnen war Cicero, einer der führenden Politiker zur Zeit des Untergangs der römischen Republik. Seine rhetorischen Fähigkeiten katapultierten ihn an die Spitze des römischen Senats. Wir stellen seine rhetorischen Schriften vor, anhand derer Tausende von Theologen und Staatsmännern lernten, ihre Anliegen als die einzig moralisch vertretbaren darzustellen.

1.1 – Platons Staat: Wie erzieht man seine Lenker?

Zeugnis für eine der frühesten Demokratien der Welt: Stimmscherben für das athenische Scherbengericht

Der Untergang der athenischen Demokratie

Als Platon 428/7 in Athen geboren wurde, waren die Athener stolz auf ihre Demokratie. Jeder Vollbürger hatte das gleiche Recht an politischen Entscheidungen mitzuwirken, wobei Einwohner ohne Bürgerrecht, Frauen und Sklaven selbstverständlich nicht als Vollbürger galten. Um unter den privilegierten Athenern Chancengleichheit zu gewährleisten, wurden alle Ämter verlost und Diäten gezahlt.
Finanziert wurde das System durch die Bündnispartner Athens, deren Beiträge zum attischen Seebund zweckentfremdet wurden. Als diese sich das nicht mehr gefallen ließen, brach der Peloponnesische Krieg aus, und zwar kurz bevor Platon geboren wurde. Sehr zur Überraschung der Athener erlitten sie eine vernichtende Niederlage. Platon war zur Zeit des Friedensschlusses 24 Jahre alt. Auch er wird auf der Agora über die Gründe für Athens Scheitern diskutiert haben.
In seinen Büchern propagiert er eine neue Moral: Dem menschlichen Eigennutz, der zu Athens Untergang führte, stellt er das Streben nach dem Guten gegenüber.
Während Platon sein Buch vom idealen Staat verfasste, war Athens große Zeit vorbei. Platon starb 348/7, zehn Jahre vor der Schlacht von Chaironaia, die Athens Absturz in die politische Bedeutungslosigkeit besiegelte.

Büste des Platon

Platon

Platon stammte aus einer der reichsten und vornehmsten Familien Athens, die bereits viele bedeutende Politiker hervorgebracht hatte. Sie ermöglichte ihm eine ausgezeichnete Erziehung. Die Grundausbildung im Lesen, Schreiben, Rechnen, in kultischen Tänzen und Musik erfolgte durch Privatlehrer. Im Alter von 14 Jahren trat Platon ins staatlich finanzierte Gymnasion ein. Dort unterzog er sich wie alle anderen einem körperlichen Training, das ihn befähigte, seinen Kriegsdienst zu leisten. Die geistige Ausbildung erfolgte durch gelegentliche Vorträge und Lektüre. Jedes Gymnasion verfügte über eine Bibliothek.
Platon musste nach dem Ende der Ausbildung nicht arbeiten. Stattdessen schloss er sich dem Kreis um den Philosophen Sokrates an. Er lauschte seinen Gesprächen und lernte daraus. Wir können den Einfluss, den Sokrates auf Platon ausübte, kaum überschätzen. Allerdings wissen wir nicht, worin dieser Einfluss bestand. Denn Sokrates hinterließ keine Schriften. Alles, was wir über Sokrates zu wissen glauben, haben uns seine Schüler überliefert. Deshalb ist es schwer zu entscheiden, wo die Lehren des Sokrates aufhören und die Interpretation beginnt. Auch die Politeia gibt vor, eine Diskussion zu schildern, die Sokrates während eines Gastmahls führte.

Sokrates nimmt den Schierlingsbecher. Gemälde von Jacques-Louis David

Die Entstehung der Politeia

399 v. Chr. verurteilte ein Athener Volksgericht Sokrates wegen Gottlosigkeit zum Tode. Platon war davon tief getroffen. Er verließ Athen und reiste durch die griechische Welt. Dabei kam er in Unteritalien mit den Pythagoreern in Kontakt. Diese unterhielten bereits eigene Schulen. Nach ihrem Vorbild gründete Platon nach seiner Rückkehr um 387 v. Chr. eine eigene Schule, die Akademie. Dort lehrte er seine Schüler, was seiner Meinung nach im menschlichen Zusammenleben wirklich zählt.
Die Politeia ist der Kern seines Vermächtnisses. Platon verfasste sie um 375 v. Chr. und beschreibt darin das ideale Gemeinwesen. Er nennt es Kallipolis, die schöne Stadt, weil in ihr das Ideal des Schönen und Guten vollkommen umgesetzt ist.

Handschrift mit Fragmenten von Platons Politeia aus dem 3. Jahrhundert n. Chr. Oxford. P.Oxy. LII 3679

Platon lehnt in der Politeia die radikale Demokratie Athens ab. Der Gleichheit aller Bürger stellt er eine Standesgesellschaft gegenüber, in der der Stand durch die Fähigkeit zum Denken definiert ist.

• Diejenigen, die nur die Grundausbildung meistern, dienen als Bauern und Handwerker. Sie leben im Familienverband, besitzen Privateigentum, haben aber keinen Einfluss auf die Regierung.

• Wer sich während der Ausbildung durch seinen Mut auszeichnet, wird zum Wächter: Er schützt das Gemeinwesen als Polizist bzw. Soldat vor inneren und äußeren Feinden.

• Wer besondere geistige Anlagen zeigt, wird mit 50 Jahren zu einem Mitglied der Regierung.

Platon fordert, die Auflösung von Familie und privatem Eigentum für den Stand der Wächter

Alle Bürger - auch die Frauen! – der Kallipolis haben dieselben Chancen auf eine gute Erziehung. Um besonders begabte Kinder zu erhalten, werden diese gezüchtet. Alle Babys werden sofort nach der Geburt von der Mutter getrennt und dem Staat zur Erziehung übergeben. Geistig und körperlich beeinträchtigte Menschen werden ausgesetzt und so indirekt getötet.

Darstellung des Trojanischen Krieges aus dem 16. Jahrhundert n. Chr.

Platon wendet sich von der traditionellen griechischen Erziehung ab, bei der das Auswendiglernen der großen Epen wie Ilias und Odyssee eine zentrale Rolle spielte. Er hielt die Mythen für unmoralisch und nicht als Vorbild geeignet.

Der Apollon von Delphi mit Kithara

Stattdessen forderte er eine Erziehung durch Musik: Sie dringe tief in die Seele ein und fördere das Schöne. Platons Liebe zur Musik inspirierte die Legende, er sei ein Sohn Apolls gewesen.

Auch in Platons Idealstaat sind Wächter notwendig, die die Gemeinschaft gegen innere und äußere Feinde verteidigen

Nach der Grundausbildung wird eine erste Einteilung vorgenommen. Diejenigen, die sich nicht hervorgetan haben, werden in den Stand der Bauern und Handwerker aussortiert. Die anderen lernen Sanftmut gegenüber den Bürgern und Tapferkeit gegenüber dem Feind, um sich so als Wächter zu qualifizieren.

Platon fordert, dass man Philosophen zu Herrschern oder Herrscher zu Philosophen mache.

Nur wer außergewöhnlich begabt ist, wird in Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Harmonielehre geschult. Dieser Unterricht dient dazu, das Denken zu schärfen. Mit 20 Jahren erhalten die jungen Männer Unterricht in Philosophie, um zu lernen, das Gute und Schöne zu erstreben. Vor der Übernahme eines Staatsamts mit 50 Jahren stehen viele Jahre lang Dienst in der Gemeinschaft.

Platons Ideen haben uns tief geprägt. Wenn wir heute glauben, dass die besten Führer nicht aus egoistischen, sondern aus altruistischen Motiven handeln, haben wir Platons Idee vom Philosophenherrscher übernommen.

1.2 – Cicero: Lernen, wie man die Meinung macht und beherrscht

Das Forum Romanum

Die römische Timokratie

Als Cicero 74 v. Chr. in den Senat aufgenommen wurde, wachten rund 600 Senatoren über das Schicksal des Römischen Reichs. Wer seine politischen Ansichten durchsetzen wollte, musste eben diese 600 Männer überzeugen. Verfügte er – wie Cicero – über keine familiären Allianzen, musste er mit seinem persönlichen Auftreten punkten. Wie jemand sprach, argumentierte und Gegenargumente entkräftete, spielte deshalb eine entscheidende Rolle.
Nur die wenigsten römischen Bürger konnten es sich leisten, ihre Kinder so gut ausbilden zu lassen, dass sie im Senat eine Chance hatten. Das passte zum System. Die Römische Republik war keine Demokratie, sondern eine Timokratie, also ein Staat, in dem der Reichtum eines Bürgers die alles entscheidende Rolle spielte.

Schulszene: Lehrer zwischen zwei Schülern. Im Hintergrund rechts Sklave, der die Wachstäfelchen trägt. Man bezeichnete ihn als paedagogus, abgeleitet von der griechischen Bezeichnung dessen, der einen Knaben zum Lehrer führt.

Cicero

Cicero stammte aus einer reichen und gut vernetzten Familie, die ihm eine hervorragende Ausbildung ermöglichte. Er lernte das Lesen und Schreiben sowie das Griechische nicht in einer der öffentlichen Schulen, sondern daheim, wahrscheinlich von einem eigens für diesen Zweck gekauften griechischen Sklaven. Griechisch war für den höheren Unterricht zentral, da alle wichtigen Lehrbücher in dieser Sprache verfasst waren. Cicero gehörte zu den ersten Autoren von lateinischen Lehrbüchern.
Wo und was ein junger Mann nach der Grundausbildung lernte, hing stark davon ab, welche Verbindungen seine Familie hatte: Ciceros Tante war mit einem Freund des bekanntesten Redners seiner Zeit verwandt, und so ging Cicero bei ihm in die Lehre: Er begleitete ihn, lauschte seinen Reden und half bei den Vorbereitungen. Danach erhielt er eine ähnliche Ausbildung bei einem damals sehr bekannten Juristen. Danach ging Cicero nach Athen und Rom, wo er sich mit Philosophie beschäftigte. Seine Ausbildung schloss er 75 v. Chr. ab, als er alt genug war, um in die Politik zu gehen.

Cicero hält seine Rede, mit der er Catilina als Staatsfeind abstempelt.

Ciceros rhetorische Schriften

Cicero war wegen seinen rhetorischen Fähigkeiten sehr erfolgreich. Berühmt wurde er, als er 70 v. Chr. den ehemaligen Statthalter von Sizilien Caius Verres ins freiwillige Exil trieb. Die damals gehaltene Rede gehört ebenso wie die gegen Catilina noch heute zum Schulstoff.
Das liegt auch daran, weil Cicero zu Lebzeiten sorgfältig alle seine Reden veröffentlichte und als Beispiele in seinen rhetorischen Schriften benutzte. Wir besitzen noch heute von 58(!) Reden den vollständig oder nur in Ausschnitten überlieferten Originaltext. Von weiteren 100 Reden kennen wir die Titel.

Dem bekannten Humanisten Thomas Platter gehörte die Druckerei, in der unser Buch mit den rhetorischen Schriften Ciceros entstand.

Die Humanisten hielten Cicero für den wichtigsten römischen Autor. Er befriedigte ihr Bedürfnis nach dem „klassischen“ Latein, das sich vom Kirchenlatein abhob. Anhand von Ciceros Schriften lernten die Humanisten die lateinische Sprache neu. Deshalb sammelten sie seine rhetorischen Schriften und gaben sie immer wieder heraus. Unser Druck stammt aus dem Jahr 1541. Er entstand in einer Basler Druckerei, die von dem bedeutenden Humanisten Thomas Platter geleitet wurde. Er verpflichtete dafür den französischen Philologen Jacques- Louis Strebée, der Ciceros Werke mit den wichtigsten Kommentaren ergänzte.

Titelblatt von De Oratore.

Zur Zeit der Renaissance schätzte man Ciceros Hauptwerk, das um 55 v. Chr. entstandene De Oratore, am höchsten. Deshalb steht es am Beginn des Buchs. Sein Titel bedeutet Über den Redner und tatsächlich enthält das Buch alles, was man wissen musste, um eine wortgewaltige Rede aufzubauen: welche Voraussetzungen ein Redner mitbringen muss; was er für seine Ausbildung braucht; wie er die Rede aufbauen und welchen Stil er dafür wählen soll. Ganz in der Nachfolge Platos ist De Oratore als Dialog aufgebaut.

Caesar überschreitet den Rubicon. Buchmalerei 2. Hälfte 15. Jahrhundert.

Cicero übernimmt in De Oratore Platons Vorstellung, dass ein Politiker philosophisch geschult sein müsse. So sei er in der Lage, die wahren Feinde des Gemeinwesens zu entlarven. Ein guter Staatenlenker verfolge nämlich nicht die eigenen Interessen, sondern die Roms. Damit spielt Cicero auf die Tagespolitik an: er stellte sich gegenüber dem auf seinen Rang bedachten Caesar als uneigennützigen Politiker dar. Allerdings dürfen wir dieses Image heute in Frage stellen. Ciceros „Rom“ bestand aus einer winzig kleinen, korrupten, unfähigen, arroganten und egoistischen Oberschicht. Das Elend der Bürger interessierte keinen der Senatoren, die mit ihrer kompromisslosen Haltung Caesar dazu trieben, am 10. Januar 49 v. Chr. den Rubikon zu überschreiten und so den Bürgerkrieg auszulösen.

Melanchthons Kommentar zu Ciceros De Oratore

Strebée half dem Leser, indem er nicht nur den eigentlichen Text Ciceros publizierte, sondern auch die gelehrten Kommentare anderer Humanisten. Zu ihnen gehört der Reformator Philipp Melanchthon. Das gibt uns einen kleinen Hinweis darauf, warum Ciceros Redekunst im 16. Jahrhundert so beliebt war: Cicero lehrte die Theologen, wie sie in einem Streitgespräch siegreich bleiben konnten.

Pro Rhetoricis ad C. Herennium – Cicero zugeschrieben, aber nicht von ihm

Der Sammelband enthält auch das früheste Werk Ciceros über die Redekunst. Es entstand um 85 v. Chr. und trägt den Titel In Rhetoricos de Inventione. Wir wissen heute, dass Cicero dafür ein älteres Werk exzerpierte, ja teilweise wortwörtlich abschrieb. Das beweist ein anderes, nicht von ihm verfasstes Werk über die Redekunst – Pro Rhetoricis ad C. Herennium (= Für die Redner, an C. Herennius). Es zitiert nämlich bei Cicero vorkommende Passagen ebenfalls wortwörtlich.
Pro Rhetoricis ad C. Herennium ist übrigens das älteste uns vollständig erhaltene Lehrbuch zur Rhetorik in lateinischer Sprache.

Büste des Cicero

Wir wissen, dass Cicero sich im Kampf um Rom nicht durchsetzte. Nach Caesars Ermordung versuchte er, den Senat mit 14 eindringlichen Reden, den Philippicae zum Widerstand gegen Marcus Antonius aufzurufen. Doch der setzte nicht auf politische Reden, sondern auf Soldaten: Er ließ Cicero mit dem Einverständnis von Octavian am 7. Dezember 43 v. Chr. ermorden.

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Summa Theologica. Ed. altera romana

Summa Theologica. Ed. altera romana

Thomas von Aquin

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Summa Theologica. Ed. altera romana
Summa Theologica. Ed. altera romana
Thomas von Aquin
Verlag E. C. Forzani in sieben Bänden

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Faksimile des Codex Manesse

Faksimile des Codex Manesse

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Faksimile des Codex Manesse
Faksimile des Codex Manesse
Im Insel Verlag. 370 Exemplare hergestellt; Exemplar 254

Station 2 – Das Mittelalter: Erziehung im Zeichen der ständischen Gesellschaft

Das Ende der Antike brachte in Europa mit dem Ende der städtischen Zentren das Ende der klassischen Bildung. Während die Ausbildung im byzantinischen Reich und in den islamischen Metropolen nahtlos an das antike Erbe anknüpfte, überlebte die schriftbasierte Weitergabe von Wissen in Europa nur in den wenigen Kloster- und Domschulen mit ihren Bibliotheken.
Diese Situation änderte sich erst nach der Jahrtausendwende, als die kirchlichen Ideale die gesamte Gesellschaft durchdrangen. Dadurch stieg auch die Achtung vor dem Lernen aus Büchern. Die ersten Universitäten entstanden.
Station 2 ist der spannenden Epoche des ausgehenden Hochmittelalters gewidmet, in der sich die Folgen dieser Veränderungen zeigten. Der erste Teil der 2. Station beschäftigt sich mit dem zentralen Werk des bekanntesten Klerikers des Mittelalters: Die Summa Theologica des Thomas von Aquin entwickelte sich zum wichtigsten Lehrbuch für Theologiestudenten.
Der zweite Teil der 2. Station thematisiert den Codex Manesse, der mit vielen Bildern illustriert, welche Fähigkeiten der Ideale christliche Ritter beherrschen musste.

1.1 – Thomas von Aquin: Logik, Glauben und Überzeugung

Christus weist den drei Ständen ihre Aufgaben zu. Buchillustration von 1488

Die Rolle der Kirche im Mittelalter

Der eine Stand betet, der andere schützt, der dritte Stand arbeitet: dieses Konzept durchzieht das Denken des Hochmittelalters, auch wenn die Realität nicht ganz so schematisch war, wie das Drei-Stände-Modell uns vorgaukelt. Zunächst war der geistliche Stand eng mit dem Adel verwoben, da viele Väter einen Teil ihrer Kinder in Klöstern und Kapiteln versorgten, um das Erbe nicht zu zersplittern.
Doch ausgehend vom Kloster Cluny setzte im 10. Jahrhundert die Kritik an dieser Praxis ein: Statt einer vom Adel abhängigen und beherrschten Kirche hofften die Reformer auf eine Amtskirche, in der das Evangelium der Maßstab des Handels sein solle.
Zwei Streitpunkte standen im Zentrum der Debatte:

• Sollten alle Geistlichen persönlich arm sein?

• Sollte die Übernahme einer kirchlichen Aufgabe mit Kosten verbunden sein?

Reformorden wie die Franziskaner oder die Dominikaner schätzten nicht mehr die Abstammung eines Geistlichen, sondern seine Frömmigkeit und seine Leistungen. Sie öffneten ihre Hierarchie und machten den Aufstieg für gebildete Brüder und Schwestern möglich. Theologische Bildung erhielt dadurch eine völlig neue Bedeutung.

Mittelalterliches Scriptorium: vier Mönche beschäftigen sich mit Schreibarbeiten

Thomas von Aquin

Thomas von Aquin wurde um 1225 als siebtes Kind eines italienischen Adligen geboren. Mit fünf Jahren ging er in das Benediktinerkloster Monte Cassino, wo sein Onkel Abt war. Dessen Protektion garantierte den Aufstieg des kleinen Thomas in der Kirchenhierarchie. Thomas erhielt die damals bestmögliche Ausbildung. Sie bestand hauptsächlich aus Auswendiglernen. Zunächst mussten schon die kleinen Kinder Latein lernen - in Wort und Schrift. Dabei wurde die Rute nicht geschont. Miteinander zu sprechen - natürlich nur in Latein und nicht in der Muttersprache - war genauso wie das Spiel nur am Sonntag erlaubt. Die Grammatik, also die Beherrschung der lateinischen Sprache, war die erste Stufe des Triviums. Es folgte eine Ausbildung in Rhetorik, womit man nicht das freie Sprechen, sondern das Abfassen von Urkunden und Briefen meinte. Begabte Kinder und Jugendliche mit einflussreichen Verwandten wurde in Dialektik unterrichtet, in der Kunst der Argumentation, die auf das Studium vorbereitete.
Mit 14 Jahren immatrikulierte sich Thomas an der Universität von Neapel. Dort absolvierte er das Quadrivium, also Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie. Er lernte dabei Vertreter des gerade erst gegründeten Dominikanerordens kennen. Sie faszinierten ihn, so dass Thomas von Aquin gegen den vehementen Protest seiner Familie dem Dominikanerorden beitrat.

Der hl. Thomas von Aquin triumphiert über einen Häretiker; l. und r. von ihm Aristoteles und Platon. Gemälde des Benozzo Gozzoli, 1468-1484

Die Summa Theologica

Die Dominikaner hatten es sich zur Aufgabe gemacht, mit ihren Predigten Menschen davon abzuhalten, ketzerische Meinungen zu glauben. Für diese Aufgabe mussten die Prediger hervorragend geschult werden. Die beste theologische Ausbildung bot im 13. Jahrhundert die Universität von Paris. Dorthin schickte man Thomas. Er studierte bei Albertus Magnus, der die Methoden der griechischen Philosophie auf die Theologie übertrug. Thomas von Aquin entwickelte dessen Ideen weiter. Er machte es sich zur Aufgabe, alle Glaubensinhalte logisch begreifbar zu machen. So entwickelte er sich zum führenden Theologen der katholischen Kirche. Die Dominikaner erkannten sein Talent und stellten ihm alles zur Verfügung, was er brauchte. Wir gehen heute davon aus, dass er drei bis vier Sekretäre beschäftigte.
Sein berühmtestes Werk wurde die Summa Theologica, die zwischen 1265/6 und 1273 entstand. Wir können den Titel etwa mit Gesamtdarstellung der Theologie übersetzen. Darin fasste Thomas von Aquin alle theologischen Lehrinhalte des katholischen Glaubens systematisch zusammen.

Seite aus einem frühen Druck der Summa Theologica von 1471, entstanden in Mainz.

Die Idee eines Kompendiums war nicht neu. So etwas hatten schon andere Theologen vor Thomas von Aquin verfasst. Aber die Summa Theologica lieferte dazu die logischen Begründungen für die Glaubenssätze und erleichterte so den Predigern die Auseinandersetzung mit denen, die von der katholischen Kirche Häretiker genannt wurden. Folgende Themenkreise behandelte Thomas von Aquin:

• Gott
• Schöpfung
• Mensch
• Teleologie – oder warum hat Gott den Menschen geschaffen Christus
• Sakramente

Wie folgenreich das Werk des Thomas von Aquin war, zeigt vielleicht, dass seine Gottesbeweise noch heute zum Lehrstoff des gymnasialen Religionsunterrichts gehören. Der wohl bekannteste Beweis ist der Bewegungsbeweis:
In der Welt ist überall Bewegung. Alles Bewegte wurde irgendwann von einem anderen in Bewegung versetzt, d. h. nichts kann sich von selbst bewegen. Folglich setzt die bewegte Welt Gott als ihren ursprünglichen Beweger voraus, der selbst nicht bewegt wurde, aber die erste Bewegung angestoßen hat.

Reliquiar mit den Gebeinen von Thomas von Aquin. Jakobinerkirche / Toulouse. Foto: Didier Descouens. cc-by 4.0

Thomas von Aquin starb 1274. Er wurde bereits 1323 heilig gesprochen. Seine Werke verbreiteten sich in der ganzen katholischen Welt. Ihre Bedeutung zeigt sich daran, dass sie zusammen mit der Bibel zu den ersten Werken gehörten, die man in Mainz druckte. 1567 erhielt Thomas von Aquin den Rang eines Kirchenlehrers, nachdem die von Dominikanern stark beeinflusste Schule von Salamanca seine Schriften als verbindliches Unterrichtsmaterial durchgesetzt hatte.

Der Band 1 der Leonischen Ausgabe der Werke des Thomas von Aquin. Foto: Wissembourg, cc-by 3.0

1879 – mehr als 600 Jahre nach ihrem Erscheinen – erklärte Papst Leo XIII. in einer Enzyklika die Summa Theologica zur Grundlage der Ausbildung aller katholischen Theologen. Er selbst initiierte eine neue Edition, die als Editio Leonina bezeichnet wird.
Ihr folgten viele weitere Ausgaben, darunter auch die unsere. Die Summa Theologica existiert in so großen Mengen, weil jeder Theologe sie in seiner Handbibliothek für die ständige Nutzung braucht. Ihre Wertschätzung ist bis heute ungebrochen und wurde zuletzt durch eine Enzyklika von Johannes Paul II. aus dem Jahr 1998 bestätigt.

2.2 – Die Manesse-Handschrift: Lernziel Höfisches Verhalten

König Wenzel von Böhmen im vollen Ornat thronend zwischen zwei Vertretern des Ritterstandes und zwei Klerikern; zu seinen Füßen Musiker.

Aufstieg in einer höfischen Gesellschaft

Anders als beim Stand der Kleriker, beruhte die Zugehörigkeit zum Adel nicht auf einer individuellen Entscheidung, sondern auf dem Geburtsrecht. Im Hochmittelalter gehörten diejenigen zum Adel, die adlige Vorfahren besaßen. Doch ob und wie hoch ein Adliger innerhalb seines Standes aufstieg, darauf besaß er einen gewissen Einfluss. Wer sich nämlich im Dienst eines hohen Herren auszeichnete, durfte auf eine Belohnung hoffen. Diese bestand oft in der Hand einer reichen Erbtochter, die ihrem Ehemann durch ihren Besitz Macht und Ansehen verschaffte. Frauen durften dabei eigentlich keine Entscheidungen treffen, konnten aber gelegentlich dennoch ihre Wünsche durchsetzen.
Um den Frauen zu gefallen, befolgten viele Ritter einen ungeschriebenen Verhaltenskodex. Der wurde umso komplizierter, je bedeutender der Hof war, an dem ein Ritter Dienst tat. Dabei wurde das Verhalten eines Mannes genauso zum Statussymbol wie seine Waffen und seine Kleidung.

Herzog Heinrich von Breslau nimmt den Siegeskranz entgegen, vor seinem Pferd zwei Knappen.

Ritterliche Erziehung

Was ein zukünftiger Ritter wissen musste, ließ sich nicht aus Büchern lernen. Er wurde zwischen seinem 7. und 10. Lebensjahr zur Lehre an den Hof eines befreundeten Fürsten geschickt. Welche Fähigkeiten ihm dort vermittelt wurden, war nicht standardisiert, sondern hing mit den vorhandenen Möglichkeiten zusammen. Ziel war es zunächst, dass der Junge sich im Umgang mit den Waffen übte, reiten lernte und an Stärke gewann. Am Übergang zur Pubertät erhob man ihn zum Knappen. In dieser Funktion begleitete er seinen Herrn ständig – ob aufs Schlachtfeld oder in diplomatischer Mission. So eignete er sich höfisches Verhalten an, lernte, wann und wie man sprach, wie man tanzte und welche Fähigkeiten von Fürsten und hohen Damen geschätzt wurden.
Sobald der Jugendliche zum Mann herangewachsen war, erhielt er von seinem Dienstherrn entweder eine feste Position an dessen Hof oder eine Grundausstattung an Waffen, mit der er loszog, um sein Glück zu machen.

Die dem Zürcher Dichter Johannes Hadlaub gewidmete Miniatur.

Der Codex Manesse

Unzählige Geschichten erzählen von den Heldentaten wandernder Ritter. Sie gehörten an jedem Hof zur abendlichen Unterhaltung und wurden von routinierten Sängern vorgetragen, die auch ihre eigenen Lieder dichteten. Der Codex Manesse stellt die wichtigsten Dichter mit ihren Versen in eindrucksvollen Miniaturen vor. Er gehört zu den bedeutendsten Zeugnissen des deutschen Mittelalters und hat unser Bild vom Rittertum nachhaltig geprägt.
Leider wissen wir wenig über den Ursprung der Handschrift. Ihre Verbindung zur Zürcher Ratsfamilie Manesse stellte erst Johann Jakob Bodmer Mitte des 18. Jahrhunderts her. Aus einer mehrdeutigen Strophe des Dichters Johannes Hadlaub wollte Bodmer entnehmen, dass Rüdiger II. Manesse (+1304) und sein Sohn Johannes (+1297) Urheber der Handschrift seien und dafür mit Johannes Hadlaub und anderen Zürcher Adligen zusammengearbeitet hätten. Das ist möglich, schließlich stammen viele der vorgestellten Dichter aus dem süddeutsch- schweizerischen Raum. Erwiesen ist es nicht.
Dass sich Bodmers These so eingebürgert hat, dafür ist der Schweizer Autor Gottfried Keller verantwortlich. Er publizierte 1876/7 eine sehr erfolgreiche Kurzgeschichte über die Entstehung des Codex Manesse. In Hadlaub erzählt er die völlig fiktive Lebensgeschichte von Johannes Hadlaub, bei der Rüdiger Manesse als Sammler von Minnedichtung auftritt.

Ein Turnier, bei dem die hohen Damen die Tapferkeit der Kämpfenden bewerten

Ritterliche Tugend im Codex Manesse: Mut

Die zentrale Bedeutung des Codex Manesse besteht darin, dass er uns einen Einblick in den Wertekanone der ritterlichen Welt ermöglicht, also das zeigt, wozu seine Ausbildung den Ritter im besten Fall machen sollte. Tapferkeit stand dabei ganz hoch im Kurs. Turniere spielten als Mutproben eine zentrale Rolle.

Hesso von Reinach erweist sich als mildtätig gegenüber den Armen und Kranken.

Das christliche Ideal: Nächstenliebe

Vom christlichen Ritter wurde außerdem erwartet, dass er sich als mildtätig gegenüber den Armen und Kranken erwies.

Ritter Hiltbold von Schwangau im Tanz mit den Jungfrauen

Höfisches Benehmen

Zentraler Bestandteil jedes Festes war der Tanz. Von einem wohlerzogenen Ritter wurde erwartet, dass er die wichtigsten Tänze beherrschte und elegant ausführte – dann natürlich nicht in Rüstung und Kettenhemd wie auf dieser Miniatur.

Wir können Ihnen in dieser Ausstellung natürlich nicht das Original des Codex Manesse präsentieren. Wir zeigen Ihnen stattdessen ein Faksimile, das 1926 vom Insel Verlag herausgegeben wurde. Es ist damit eines der ersten Faksimiles im modernen Sinn. Verantwortlich zeichnet Verlagsleiter Anton Kippenberg. Er entwickelte in einer wirtschaftlich schwierigen Zeit das Konzept, bedeutende Kulturgüter der Deutschen in der originalen Form zu drucken. 1922 erschien Bachs Matthäus Passion, ein großer wirtschaftlicher Erfolg. 1924 folgte die h-Moll-Messe und 1926 Codex Manesse in einer Kleinstauflage von 370 Exemplaren.

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Ein Buch zu seynem Sune Marco. Von den tugentsamen ämptern und zugehörungen, eynes wol und rechtlebenden Menschen

Ein Buch zu seynem Sune Marco. Von den tugentsamen ämptern und zugehörungen, eynes wol und rechtlebenden Menschen

Johann von Schwarzenberg

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Ein Buch zu seynem Sune Marco. Von den tugentsamen ämptern und zugehörungen, eynes wol und rechtlebenden Menschen
Johann von Schwarzenberg
Publiziert von Heinrich Steiner

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Gesammelte Werke; mit einem Vorwort von Philipp Melanchthon

Gesammelte Werke; mit einem Vorwort von Philipp Melanchthon

Euklid

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Gesammelte Werke; mit einem Vorwort von Philipp Melanchthon
Euklid
Johann Herwegen

Station 3 – Bildung in der frühen Neuzeit: Alles, was der absolute Staat braucht

Der Beginn der frühen Neuzeit ist gekennzeichnet von der Zunahme der Bedeutung des Geldes und der Stadt. Kriege wurden nicht mehr mit ritterlichen Gefolgsleuten geführt, sondern mit Söldnern. Um die zu bezahlen, brauchte es Bargeld. Ab dem 16. Jahrhundert hing deshalb die Macht eines Fürsten davon ab, ob es ihm gelang, seine Kassen gefüllt zu halten. Um dies zu bewerkstelligen, brauchten Fürsten eine neue Sorte von Höflingen, die wir heute eher als Beamte oder Politiker bezeichnen würden. Die Professionalisierung der Verwaltung eröffnete Karrieren für alle, die über eine ökonomische oder eine juristische Bildung verfügten. Die fürstlichen Verwaltungen wurden dort angesiedelt, wo das Geld verdient wurde, in der Stadt. Das Bürgertum erhielt dadurch eine völlig neue Bedeutung.
Der erste Teil der dritten Station ist einem Buch gewidmet, das illustriert, welche neuen Fähigkeiten ein Fürst im 16. Jahrhundert erwartete. Sein Autor, der erfolgreiche Politiker Johann von Schwarzenberg, schuf mit einer kongenialen Übertragung von Ciceros De Officiis eine Anleitung für modernes politisches Handeln.
Im zweiten Teil von Station 3 stellen wir Ihnen den so genannten Basler Euklid vor. Er steht für die Bildungsreform, die aus dem Wettstreit zwischen den reformierten und den katholischen Bildungseinrichtungen entstand.

3.1 – Ein neues Bildungsideal für eine neue Führungsschicht

Illustration aus Cicero, De Officiis von 1531: Ein gelehrter und ein adliger Ratsherr beraten sich einträchtig mit ihrem Fürsten

Konkurrenz am Fürstenhof

Niemand kann alleine herrschen. Deshalb holten sich die Herrscher seit Jahrhunderten Personen in ihren Rat, von denen sie sich weise Ratschläge erwarteten. Im Mittelalter war das Aufgabe, Pflicht und Privileg der Lehnsleute. Das änderte sich in der frühen Neuzeit. Nun waren in der Ratsversammlung weniger die Erfahrungen im Kriegswesen gefragt, sondern man diskutierte über geldpolitische Maßnahmen, Städtegründungen, Verträge und andere Themen, für die es Fachleute mit einer universitären Ausbildung brauchte.
Da diese Posten sehr einträglich waren, kam es zu einer Konkurrenzsituation zwischen den adligen Lehnsmännern und den bürgerlichen Gelehrten, deren Ausbildung alles übertraf, was ein Adliger mitbrachte. Das sollte langfristig dazu führen, dass immer mehr Adlige die Universitäten besuchten und umgekehrt immer öfter erfolgreiche bürgerliche Fachleute geadelt wurden. Das Buch, das wir Ihnen im ersten Teil von Station 3 vorstellen, steht am Beginn dieser Entwicklung.

Porträt des Johann von Schwarzenberg

Johann von Schwarzenberg

Johann von Schwarzenberg kam 1463 als Sohn eines Ritters zu Welt. Deshalb durchlief er die übliche Ausbildung zum Ritter: Er lernte reiten, die Lanze zu brechen und höfisches Verhalten. Bereits mit 14 Jahren bestritt er sein erstes Turnier. Zu kurz kamen Inhalte wie Lesen, Schreiben und Rechnen.
Johann von Schwarzenberg teilte das Schicksal vieler Reichsritter: Die Güter seiner Familie reichten nicht, um ihm ein standesgemäßes Leben zu finanzieren. Er suchte also Arbeit. Der Kriegsdienst erwies sich für ihn als nicht lohnend. Doch glücklicherweise vertraute ihm der Bamberger Bischof 1499 die Verwaltung seines Besitzes an. Damit stand ein Analphabet an der Spitze der Verwaltung eines der mächtigsten Territorien des Reichs. Das hätte zu einer Katastrophe führen können, hätte es Johann von Schwarzenberg nicht verstanden, sich das Wissen anzueignen, das er für seine Tätigkeit brauchte: Er holte sich Gelehrte, die an den Universitäten studiert hatten, und wandte ihr theoretisches Wissen praktisch an. Den großen Coup landete er mit seiner neuen Bamberger Strafgerichtsordnung. Darin kombinierte er lokales Gewohnheitsrecht mit den Rechtsvorstellungen der Universitäten. Das war so innovativ, dass ihn Kaiser Karl V. bat, am ersten allgemein gültigen Strafrecht des Reichs mitzuarbeiten. So wurden die Entwürfe eines Analphabeten zur Grundlage des deutschen Strafrechts.

Cicero übergibt einem Boten das Buch, das er im Exil verfasst hat, um es seinem Sohn zu bringen. Illustration aus Cicero, De Officiis von 1531

Cicero, De Officiis: Ein Schnellkursus für Analphabeten

Johann von Schwarzenberg schrieb sein Buch für seine adligen Standesgenossen, um ihnen das Wissen zu vermitteln, das sie brauchten, um als Ratsherren an einem Fürstenhof ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Dabei musste er das Problem bewältigen, dass Ritter in der Regel kein Latein sprachen und kaum lesen konnten. Johann von Schwarzenberg wählte als Grundlage seines Werks ein Buch, das zu seiner Zeit als Lehrbuch der politischen Staatsführung galt, Ciceros De Officiis, übersetzt Über die Pflichten. Es war in der 2. Hälfte des Jahres 44 v. Chr. entstanden und handelte von den Regeln, an die sich ein Politiker halten soll, um erfolgreich zu agieren.

Der deutsche Titel von Ciceros De Officiis von 1531

Cicero hatte dabei behauptet, es für seinen Sohn geschrieben zu haben, weswegen Johann von Schwarzenberg folgenden Titel für sein Buch wählte (übersetzt ins Neuhochdeutsche): Ein Buch, das der Römer Marcus Tullius Cicero an seinen Sohn Markus [geschrieben hat.] Von den vortrefflich verwalteten Ämtern und was zu einem gut und rechtschaffen lebenden Menschen dazugehört, in Latein geschrieben, auf Bitte von Herrn Johann von Schwarzenberg ins Deutsche übertragen und danach durch ihn ins kunstvolle Hochdeutsch gebracht, mit vielen Bildern und deutschen Reimen zur allgemeinen Anwendung in Druck gegeben.
Damit schildert Johann von Schwarzenberg den hoch komplexen Entstehungsprozess des Texts, denn mit einer einfachen Übersetzung hätten seine Standesgenossen nichts anzufangen gewusst. Für sie ließ er den lateinischen Text paraphrasieren. Diese Übersetzung bearbeitete er, um sie verständlich zu machen. Was ihm zu kompliziert erschien, ließ er weg. Wo eine Erklärung notwendig war, fügte er sie hinzu. Ein Humanist stellte zuletzt sicher, dass der wesentliche Inhalt des Urtexts erhalten blieb.

Seite aus Cicero, De Officiis von 1531

Um die zentralen Botschaften hervorzuheben, ließ Johann von Schwarzenberg sie nach seinen Vorgaben illustrieren und dichtete eingängige Verse, die leicht auswendig zu lernen waren. Diese Seite beantwortet die Frage, wie eine Maßnahme im Krieg beschaffen sein soll: angemessen, weder zu zaghaft noch übertrieben. Als Illustration wählt er ein auf Grund gelaufenes Schiff, das der Händler wieder flott macht, indem er einen Teil seiner Ware über Bord wirft.

Illustration aus Cicero, De Officiis von 1531

Das neue Ideal der Sparsamkeit thematisiert Johann von Schwarzenberg mehrfach. Diese Illustration zeigt, wie zu große Freigebigkeit den Ritter ruiniert. Nicht alle konnten sich die Spenden an die Armen, die Gastmähler, Turniere und Jagden leisten. Deshalb formuliert Johann von Schwarzenberg in seinem Merkvers, dass es Maß zu halten gelte. Illustriert wird das durch den Hausvater, der die Bitten seiner Familie um mehr Geld zurückweist.

Illustration aus Cicero, De Officiis von 1531

Auch moralische Vorstellungen werden angesprochen. Hier fordert Johann von Schwarzenberg seinen Leser zum fairen Wettstreit auf.

Illustration aus Cicero, De Officiis von 1531

Manche dieser Vorstellungen prägen noch heute unser Rechtsverständnis. Was das Schweizer Strafgesetzbuch unter Art. 128 als unterlassene Nothilfe kennt, beschrieb Johann von Schwarzenberg mit folgenden Worten: Der eine mordet, der andere duld’t, drum tragen beide gleiche Schuld.

3.2 – Universität im Zeichen der Glaubensspaltung

Erste Zürcher Disputation von 1523 im alten Rathaus von Zürich, Buchillustration um 1600

Im Zeichen des Glaubensstreits

Protestantische Fürsten, die den Besitz der Kirche an sich rissen, standen vor dem Problem, dass dadurch alle bisher von der Kirche finanzierten Dienstleistungen entfielen. Dazu gehörten nicht nur Kranken- und Armenfürsorge, sondern vor allem das Bildungswesen. Da aber die frühneuzeitlichen Staaten auf gut ausgebildete Verwaltungsbeamte angewiesen waren, gründeten die protestantischen Landesherren ihre eigenen Schulen. Die katholische Seite, namentlich die Jesuiten, zog nach und entwickelte das damals fortschrittlichste Grundschulsystem, auf dem noch unser heutiges Schulwesen fußt. Erstmals teilten die Jesuiten ihre Schüler in Klassenstufen ein. Nur wer am Ende des Schuljahres das Examen bestand, durfte in die nächste Klasse. Fest vorgegebene Lerninhalte und Schulbücher machten die Ausbildung etwas unabhängiger von den Fähigkeiten des Lehrers.
Die Konkurrenz zwischen Protestanten und Katholiken löste also eine Schulreform aus und bescherte den jungen Territorialstaaten hervorragend ausgebildete Beamte, die zur Professionalisierung der Verwaltung im gesamten Reichsgebiet beitrugen.

Das Porträt von Philipp Melanchthon, gemalt 1543 von Lukas Cranach

Philipp Melanchthon und das protestantische Schulwesen

Philipp Melanchthon, Humanist und Reformator, gehört zu denen, die das protestantische Schulwesen nachhaltig prägten. Er stammte aus gutbürgerlichen Verhältnissen. Sein Vater verfügte über die finanziellen Mittel, ihn an die Pforzheimer Lateinschule zu schicken. Der Übergang zwischen Lateinschule und Universität war damals fließend, so dass Melanchthon bereits in der Schule nicht nur Latein, sondern auch Griechisch lernte. Während seines Studiums in Heidelberg und Tübingen kam die hebräische Sprache dazu. Das war nicht ungewöhnlich. Die schulische Bildung konzentrierte sich bis ins 19. Jahrhundert auf den sprachlichen Bereich.
1518 berief Kurfürst Friedrich der Weise den 23-jährigen auf den Lehrstuhl für Griechisch an der Universität von Wittenberg. Dort war im Jahr zuvor ein gewisser Luther mit seinen Thesen an die Öffentlichkeit getreten. Luther und Melanchthon sollten zum Dream Team der Reformation werden.
Melanchthon systematisierte nicht nur die zum Teil widersprüchlichen Schriften Luthers, er entwickelte auch ein neues Bildungssystem. Auf ihn gehen zahlreiche Lateinschulen und die kursächsische Schulordnung von 1528 zurück. Darunter verstand man die gesamte inhaltliche und praktische Organisation der schulischen Ausbildung. Das reichte von einer groben Festlegung von Lerninhalten und Stundenplan bis hin zur Qualifikation und Besoldung der Lehrkräfte.

Oxyrhynchus Papyrus (P.Oxy. I 29) mit einem Fragment von Euklids Buch über die Elemente

Euklid: wichtigstes Lehrbuch zur Mathematik

Eines der wenigen allgemein anerkannten Sachfächer blieb die Mathematik. Ihr wurde eine besondere Bedeutung zugemessen. Schließlich brauchten sie alle: Theologen, um das Osterdatum zu berechnen; Baumeister und Künstler, um Proportionen harmonisch zu gestalten; Feldherrn zur logistischen Vorbereitung eines Krieges. Ob ein Adliger die Rechnung eines Kaufmanns kontrollieren wollte oder das Rechnungsbuch seines Zolleinnehmers: er musste rechnen können. Als das wichtigste Lehrbuch der Mathematik galt Euklids Schrift Über die Elemente.

Seite aus dem Basler Euklid

Die hier gezeigte Ausgabe entstand 1537 in Basel und wurde von Johann Herwegen herausgegeben. Sie enthält nicht nur Euklids Elemente, sondern auch seine Optik und weitere kleine Schriften.

Widmung von Philip Melanchthon im Basler Euklid

Philip Melanchthon lieferte das Vorwort. Er empfiehlt „heranwachsenden Studenten“ die Lektüre des Buchs. Das Vorwort eines protestantischen Theologen sorgte dafür, dass das Werk in katholischen Gebieten nicht gekauft wurde. Deshalb fehlt Melanchthons Vorwort in der nächsten Auflage.

Seite aus dem Basler Euklid

Melanchthon war ein großer Förderer der Mathematik. Er regte an, einen zweiten Mathematiker an die Universität von Wittenberg zu holen. Erstmals trennte er an einer deutschsprachigen Universität das Fach in die niedrige und höhere Mathematik.

Barocke Darstellung der Astronomie

Grund dafür war das Streben der Protestanten, den Vorsprung der Katholiken im Bereich der Astronomie aufzuholen, deren Studium eng mit der Mathematik verbunden war. Man versuchte später sogar, Johannes Kepler nach Wittenberg zu holen, der die Berufung allerdings ablehnte.

Seite aus dem Basler Euklid

Übrigens, Euklid stammte nicht, wie auf dem Titel dieses Buchs zu lesen, aus Megara. Da die antike Literatur nur einen Euklid von Megara kennt, nahm man im 16. Jahrhundert automatisch an, er habe die Elemente verfasst. Wir wissen heute, dass dies nicht so ist. Die Elemente wurden von einem Euklid verfasst, der am Museion von Alexandria wissenschaftlich tätig war.

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Émile, ou de l’Éducation

Émile, ou de l’Éducation

Jean-Jacques Rousseau

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Émile, ou de l’Éducation
Jean-Jacques Rousseau
Herausgegeben von Jean Néaulme

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Voyages en Zigzag ou Excursion d’un Pensionnat en Vacances

Voyages en Zigzag ou Excursion d’un Pensionnat en Vacances

Rodolphe Töpffer

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Voyages en Zigzag ou Excursion d’un Pensionnat en Vacances
Rodolphe Töpffer

Station 4 – Bildung, der perfekte Mensch und das Paradies auf Erden

Im 18. Jahrhundert drängte das Bürgertum an die Macht. Seine Philosophie war die Aufklärung. Hier stand der Mensch im Mittelpunkt; ein Mensch, von dem man glaubte, dass er ohne göttliche Gebote und übernatürlichen Beistand in der Lage sei, sein eigenes Paradies auf Erden zu schaffen. Die Bedingung: Jeder einzelne müsse sich mit allen Kräften für die Verwirklichung des Guten einsetzen.
Leider deckte sich die Erfahrung nicht mit den Hoffnungen der Aufklärer. Der Mensch blieb egoistisch und seinen Gewohnheiten verhaftet. Um dieses Verhalten zu bekämpfen, sah die intellektuelle Führungsschicht nur ein Mittel, und zwar Bildung von frühester Jugend an. Bildung wurde dabei nicht mehr im Sinne einer beruflichen Ausbildung verstanden. Stattdessen definierte man sie als eine Verformung des Charakters nach zeitgebundenen Idealen im Zeichen der Vernunft. Man erwartete, dass derjenige, der erfolgreich diese Bildung durchlief, sich als angepasster Bürger staatstragend verhalten werde.
Wir stellen Ihnen im ersten Teil dieser Station das Werk vor, das diese Vorstellung von Bildung popularisiert hat. Seit deutscher Titel lautet Émile oder Über die Erziehung. Verfasst wurde es von dem Genfer Jean-Jacques Rousseau.
Der zweite Teil beschäftigt sich damit, wie diese neue Bildung praktisch im 19. Jahrhundert vermittelt wurde. Wir begleiten die Schüler eines Genfer Internats auf ihren Reisen im Zickzack über die Alpen.

4.1 – Bildung ist mehr als Wissensvermittlung

Das Straßburger Münster wird in der Französischen Revolution zu einem Tempel der Vernunft

Die Vernunft als Basis des Gemeinwohls

Wer eine Demokratie anstrebt, in der jeder staatliche und religiöse Druck minimiert ist, braucht andere Mechanismen, um den Menschen zum Dienst an der Gemeinschaft zu motivieren. Ein vortreffliches Mittel dazu sind all die ungeschriebenen Normen und Ideale, die einem Kind im Rahmen einer langjährigen Erziehung mitgegeben werden.
Jean Jacques Rousseau trat in seinem Buch Émile oder Über die Erziehung gegen die in seinen Augen verfehlte Pädagogik des Absolutismus an. Er behauptete, dass die damals in der Erziehung geltenden Normen nicht alle Möglichkeiten des Kindes, ein glücklicher und staatstragender Mensch zu werden, ausschöpfen würden. Man müsse die alten Normen aufgeben und sich stattdessen auf das konzentrieren, was er die natürliche Entwicklung des Kindes nannte. Er baute dabei auf die kindliche Vernunft. Das Kind werde von selbst die Entscheidungen fällen, die vernünftig seien.
Noch heute wird gelegentlich übersehen, dass auch das, was Rousseau für „natürlich“ und „vernünftig“ hielt, zeitgebunden war und ist. Eine Bildung im Sinne Rousseaus vermittelt Normen, die weder „natürlich“ noch „vernünftig“ sind, sondern so lange vermittelt werden, bis sie das Kind als „natürlich“ und „vernünftig“ empfindet.

Jean Jacques Rousseau erklärt einem Knaben die Welt. Ausschnitt aus einer Medaille

Autodidakt Jean Jacques Rousseau

Rousseau wurde als Sohn eines Uhrmachers 1712 in Genf geboren. Genf gehörte zu den Gebieten, die bereits eine Schulpflicht kannten. Rousseau dürfte also in einer staatlichen Grundschule das Lesen gelernt haben. Sein Vater förderte die Leselust des Kindes; doch musste er 1722 vor Strafverfolgung fliehen. Den 10-jährigen Jean-Jacques schickte die Familie als Kostgänger zu einem Pfarrer, ehe er im Alter von 13 Jahren seine Lehre bei einem Graveur begann. Mit 16 verließ Rousseau seinen Lehrherrn, um sich auf eine Art Wanderschaft zu begeben. Dabei bildete er sich mehr als ein Jahrzehnt lang autodidaktisch weiter, ehe er Aufnahme unter die Pariser Intellektuellen fand.
1749 schrieb die Akademie von Dijon ein Preisgeld auf die Beantwortung folgender Frage aus: „Hat die Wiederherstellung der Wissenschaften und Künste dazu beigetragen, die Sitten zu läutern?“ Rousseau verneinte dies in seinem Essay und behauptete, dass der Mensch nur im Naturzustand frei und unabhängig sei. Mit dieser These gewann Rousseau nicht nur das Preisgeld, sondern auch die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. Er wurde zu einem Denker, dessen Bücher in ganz Europa leidenschaftlich diskutiert wurden.

Titelblatt der Erstausgabe von 1762

Über die Erziehung

Sein heute noch bekanntestes Werk ist der 1762 erschienene Roman Émile oder Über die Erziehung. Bereits im gleichen Jahr wurde er ins Deutsche übersetzt. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts erschienen insgesamt 59 französische und 21 fremdsprachige Editionen des Bestsellers. Noch heute zählt der Émile zur pädagogischen Fachliteratur.
In Émile schildert Rousseau, wie ein einfühlsamer Pädagoge einen durchschnittlich begabten jungen Mann zu einem funktionierenden und glücklichen Bürger erzieht. Das Werk war hoch kontrovers, weniger wegen der pädagogischen Ideen, sondern wegen eines Einschubs im 4. Buch. Darin wendet sich ein „savoyischer Vikar“ gegen jegliche Offenbarungsreligion, um stattdessen eine „natürliche“ Religion zu fordern. Diese Stelle veranlasste das Pariser Parlament, den Émile zu verbieten und einen Haftbefehl gegen den Autor zu erlassen. Auch die Regierung von Genf verurteilte das Werk.
Die zeitgenössischen Aufklärer waren dagegen von diesem Exkurs begeistert, während sie das restliche Buch eher gleichgültig aufnahmen. Bedeutung gewann es erst, als das Parlament nach der Französischen Revolution über ein neues Schulwesen diskutierte und viele Abgeordnete Rousseau zitierten.

Illustration aus der Ausgabe des MoneyMuseums

Buch 1: Das Kleinkind (0-5)

Rousseau schildert die Erziehung von Émile chronologisch, gemäß der verschiedenen Lebensalter. Er beginnt mit dem Säugling, den er von der liebevollen Mutter gestillt sehen möchte. Das Kleinkind soll in einer möglichst natürlichen Umgebung aufwachsen. Dort lernt es durch Nachahmung ohne zusätzliche Übungen zu sprechen.

Illustration aus der Ausgabe des MoneyMuseums.

Der Knabe (5-12)

Ist der Knabe fünf Jahre alt geworden, beginnt der eigentliche Unterricht. Dabei steht nicht das Auswendiglernen im Mittelpunkt, sondern die persönliche Erfahrung. Das Kind lernt in
der unmittelbaren Begegnung mit der Natur. Begeht es eine mutwillige Bosheit, wird nicht bestraft, aber es muss mit den Folgen leben: Zerstört es z. B. eine Fensterscheibe, wird diese nicht ersetzt, so dass das Kind in der Nacht frierend seine Tat bereut.

Titelbild der deutschen Ausgabe von Robinson Crusoe aus dem Jahr 1731

Der Heranwachsende (12-15)

Rousseau geht davon aus, dass der Knabe mit 12 über eine gefestigte Persönlichkeit verfügt, der er in den folgenden drei Jahren die wichtigsten Lerninhalte vermittelt. Dabei stehen die Naturwissenschaften im Mittelpunkt. Der Knabe beobachtet die Phänomene und sucht mit Hilfe seines Lehrers Erklärungen. So wird sein eigenständiges Denken geschult. Wichtig sind auch die handwerklichen Fähigkeiten. Deshalb wird dem Kind nur die Lektüre eines einzigen Buches gestattet, des Robinson Crusoe. Er gilt als das Urbild des homo faber, der sich selbst in tiefster Wildnis eine Zivilisation errichtet.

Junges Ehepaar. Ölgemälde von Walter Sadler von 1896

Pubertät (15-20)

Die letzte Phase der Erziehung beschäftigt sich mit der Pubertät. Aufgabe des Lehrers ist es, die erwachenden Gefühle zu sublimieren und in die richtige Richtung zu lenken. Aus Émile soll ein junger Mann werden, der seine sexuellen Begierden beherrscht und sie in Einklang mit den Wünschen der Eltern entwickelt. Er soll die für ihn vorgesehene Braut nicht akzeptieren, sondern ersehnen.

Illustration aus einer französischen Ausgabe von 1778

Diese Braut – bei Rousseau heißt sie Sophie – wurde als Gefährtin für Émile erzogen. Sie wird sich ihm „unterwerfen“ und ihm „nützlich“ sein. Hier spiegelt sich das Frauenbild der Aufklärung, die im Mann das überlegene Geschlecht sieht, während es der Frau jegliche kognitiven Fähigkeiten abspricht.

Die Kinderkrippe. Ölgemälde von Albert Anker 1890

Man könnte an vielen Vorstellungen Rousseaus Kritik üben. Schon seine Zeitgenossen haben das getan. Sie warfen ihm vor, seine Theorie nicht an der Praxis überprüft zu haben. Schließlich war bekannt, dass er die fünf unehelichen Kinder, die ihm die Wäscherin Thérèse Levassur geboren hatte, in einem Waisenhaus entsorgte.

4.2 – Staatliche Schule vs. Reformpädagogik

Johann und Anna Pestalozzi beim Unterricht in der Erziehungsanstalt Neuhof. Holzstich 1882

Das Richtige Denken

Die Industrialisierung benötigte den gebildeten Arbeiter. Die Unternehmer forderten vom Staat, die allgemeine Schulpflicht zu realisieren und den Lehrplan von Gymnasien und Universitäten daraufhin auszurichten, was in den Fabriken gebraucht wurde. Diese Forderung ist bis heute nicht verhallt. Die Industrie betrachtet es als einen zentralen Standortvorteil, wenn sie auf bestens geschulte Arbeitskräfte zurückgreifen kann. Für sie ist es die Aufgabe des Bildungssystems aus jedem Schüler, jeder Schülerin das perfekt angepasste Rädchen zu machen, das die wohlgeölte Maschine der Nationalökonomie in Gang hält. Diese Forderung stößt auf wenig Protest, weil sie auch dem Lohnempfänger Vorteile bietet: Bessere Ausbildung bedeutet ein höheres Gehalt.
Dieser funktionsgebundenen Ausbildung stehen die Wünsche vieler Eltern gegenüber. Sie wollen ihrem Kind eine Bildung bieten, die der Entfaltung des Individuums dient. Dafür bezahlen sie gerne hohe Gebühren für Privatschulen und Internate, wo die verschiedenen Formen von Reformpädagogik gepflegt werden. Auch diese Entwicklung begann bereits im 19. Jahrhundert. Eines der frühesten reformpädagogischen Internate wurde von Rodolphe Töpffer in Genf betrieben.

Rodolphe Töpffer. Porträt aus dem Jahr 1868

Rodolphe Töpffers Internat

Rodolphe Töpffer, geboren in Genf am 12. Pluviôse des VII. Jahr (= 1799), war ein Kind der Französischen Revolution. Sein Vater war ein erfolgreicher Künstler, der mit vielen Intellektuellen Umgang pflegte. Diese Umgebung bot seinem Sohn Rodolphe, der in Genf die staatliche Schule besucht haben dürfte, viele Anregungen. Rodolphe wäre selbst gerne Künstler geworden, doch ein Augenleiden zwang den jungen Mann zum Umdenken. Er wurde Lehrer und gründete 1824 mit der Mitgift seiner Frau in Genf ein eigenes Internat für Knaben. Berühmt wurde seine Schule wegen der mehrwöchigen Wanderungen, die Töpffer mit seinen Schülern machte. Dabei vermittelte er ihnen, angeregt von Jean-Jacques Rousseau, grundlegende Kenntnisse zu Natur, Geschichte und Geographie. Ganz Europa wusste davon, weil Töpffer gezeichnete Berichte publizierte, die sich größter Beliebtheit erfreuten. Sie gelten heute als Vorläufer des Comics.

Albenblatt von 1843, das von Hand geschriebene Vorbild zu den Reisen im Zickzack. Autograph von Rodolph Töpffer

Die Reisen im Zickzack

Ursprünglich waren die Zeichnungen zu den Reisen im Zickzack für den internen Gebrauch gedacht. Töpffer schuf Alben, mit denen er das auf der Reise Gelernte daheim vertiefen und anderen Schülern vermitteln konnte. Seit 1832 verkaufte er von jeder Reise handsignierte Alben. Die wurden zu einem Verkaufsschlager, so dass ihn ein Pariser Verlag anfragte, ob er daraus nicht ein Buch machen wolle. Die Voyage en Ziczac (= Reisen im Zickzack) hatten so großen Erfolg, dass mehrere Auflagen erschienen und noch ein zweiter Band veröffentlicht wurde.

Seite aus Töpffers Voyage en Ziczac

Bei den Reisen im Zickzack diente jede Begegnung mit der Natur dazu, die Schüler zu belehren. Ganz gleich, ob sie unter einem Stein Schlangen entdeckten oder mit ihrem Hut Schmetterlinge fingen.

Seite aus Töpffers Voyage en Ziczac

Natürlich besichtigten die kleinen Reisenden während ihrer Wanderung auch die großen Sehenswürdigkeiten. Sie dienten als Medium, um eine Geschichtsstunde zu halten.

Seite aus Töpffers Voyage en Ziczac

Der Triumphbogen in Aosta dürfte die perfekte Kulisse für einen Vortrag zum römischen Weltreich geboten haben.

Seite aus Töpffers Voyage en Ziczac

Programmatisch präsentiert Töpffer auf dieser Seite den Unterschied zwischen dem toten Bücherwissen und dem, was seine Jungs auf der Reise lernen.

Seite aus Töpffers Voyage en Ziczac

Diese Illustration greift exakt dasselbe Thema auf.

Seite aus Töpffers Voyage en Ziczac

Dass während der Wanderungen der Spaß nicht zu kurz kommt, ist Töpffer sehr wichtig. Für ihn gehört Lachen zur Pädagogik.

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Ausbildung oder Bildung: Hier stellt sich die Gretchenfrage

Was sollen Schulen, Universitäten, Akademien und andere Bildungsangebote leisten? Sollen sie uns fit machen für das Überleben in einer hochkomplexen Umwelt? Oder sollen sie den idealen Menschen hervorbringen, der aufgeklärt, selbstbestimmt und eigenverantwortlich das Schicksal der Welt zum Besseren wendet?

Bildung als Heilsversprechen?

Fordern oder überfordern wir damit unser Bildungssystem?