Schweizer Geschichte: Fact oder Fake News?
Begleiten Sie uns auf unserer Reise durch die Jahrhunderte: Das MoneyMuseum präsentiert Ihnen einige der prachtvollsten Chroniken der Schweiz. Wir möchten mit dieser Ausstellung Ihre Sensibilität schärfen, wozu Geschichte genutzt wurde und genutzt wird: Ist die Geschichte der Schweiz, wie wir sie heute erzählen, Fact oder Fake News?
Zu den Stationenvon
Ursula Kampmann
Wie war das noch mit Wilhelm Tell? Gab es ihn wirklich? Oder ist diese schöne Geschichte vom Vater, der seinem Kind einen Apfel vom Kopfe schießt, eine Sage, die es auch in anderen Ländern gibt? Warum brauchte es überhaupt einen Wilhelm Tell? Solchen Fragen wollen wir mit unserer Ausstellung 2022 im MoneyMuseum nachgehen.
Wir schauen den Autoren der entstehenden Schweiz über die Schulter und lernen Männer kennen, die mit ihren Chroniken unser Bild von der Schweizer Geschichte bestimmten. Dabei fragen wir uns, was sie mit ihrer Arbeit beabsichtigten. Welches Weltbild steht dahinter? Welche Beweggründe hatten sie, die Geschichte der Schweiz so und nicht anders zu gestalten. Mit anderen Worten: Ist die Geschichte der Schweiz, wie wir sie heute erzählen, Fact oder Fake News?
Wir möchten mit dieser Ausstellung Ihre Sensibilität schärfen, wozu Geschichte genutzt wurde und genutzt wird. Wie aktuell dieses Thema ist, zeigt nicht zuletzt die mit geschichtlichen „Fakten“ unterfütterte Rhetorik, mit der sowohl Russland und als auch die Ukraine ihre Position in diesem schrecklichen Krieg rechtfertigen.
Begleiten Sie uns also auf unserer Reise durch die Jahrhunderte: Das MoneyMuseum präsentiert Ihnen einige der prachtvollsten Chroniken, die Schweizer Historiker verfasst und Schweizer Drucker gedruckt haben.
Das Handwerkszeug der Schweizer Historiker stammt aus der Antike. Schließlich kommt sogar das deutsche Wort Chronik aus dem Griechischen: chrónos steht für Zeit, und die chroniká biblía ist zunächst nichts anderes als ein „Zeitbuch“, oder wie wir heute sagen würden, ein Geschichtsbuch.
Auch in der Schweiz wurde die Geschichtsschreibung von den Mönchen und Nonnen in ihren Klöstern gepflegt, wo sich in den mittelalterlichen Bibliotheken antike und neuere Handschriften historischen Inhalts erhalten haben. Die Renaissance brachte diese verborgenen Schätze ans Licht der säkularen Welt und in vielen Ländern der Welt machten sich Chronisten daran, die Geschichte ihrer Stadt oder ihrer Herrscherdynastie nach antikem Vorbild zu gestalten.
In dieser Station präsentieren wir ihnen zwei Bücher von besonders wichtigen antiken Autoren, die mit ihren Werken unsere Vorstellungen von Geschichtsschreibung geprägt haben. Von Plutarch lernen wir, wie man mit kleinen, bezeichnenden Anekdoten einen historischen Sachverhalt illustriert. Das Werk des Tacitus erinnert uns daran, dass kein Geschichtsschreiber „neutral“ ist, sondern seine Werte und Normen übernimmt, sobald er sich daran macht, Fakten zu interpretieren, um sie zu einer Geschichte zu formen.
Station 1 – Das Erbe der Antike
Plutarch: die Kunst der Anekdote
Plutarch (45-125 n. Chr.) kam aus dem nordgriechischen Chaironeia, das mehr als eine Schlacht gesehen hatte. Besonders bedeutsam dürften dem kleinen Plutarch die Erzählungen vom römischen Sieg über den griechischen König Mithradates von Pontos geschienen haben. In dieser Schlacht bewiesen die Römer, dass sie den Griechen militärisch überlegen waren.
Für die stolzen Griechen bedeutete das eine Demütigung, gegen die sich Plutarch mit seinen Parallelbiographien wandte. Darin stellte er Gestalten der griechischen und der römischen Geschichte einander gegenüber, um so die Ebenbürtigkeit der beiden Völker zu demonstrieren. Wir kennen Plutarch heute als Historiker. Dabei ging es ihm eher um den Charakter seiner Protagonisten. Und den fing er am liebsten in kleinen Anekdoten ein. Er selbst schreibt darüber, dass „ein unbedeutender Vorfall, ein Ausspruch oder ein Scherz mehr über den Charakter eines Menschen“ aussage „als die blutigsten Schlachten…“. Von Plutarch – und seinem Nachahmer Sueton – lernten die Historiker, abstrakte Sachverhalte durch kleine Geschichten zu illustrieren, wobei es für sie keine Rolle spielte, ob diese Geschichten wahr oder gut erfunden waren.
Plutarch war Grieche und schrieb natürlich griechisch. Nun gab es im Mittelalter kaum einen Leser, der diese Sprache beherrschte. Doch viele lateinische Autoren zitierten Plutarch; so blieb sein Name der gelehrten Welt vertraut. Als Plutarchs Parallelbiographien erstmals um 1400 in die lateinische Sprache übersetzt wurden, rissen sich die Gelehrten darum. Nicht nur die Humanisten, sondern auch die reformierten Theologen, die auf ihre profunden Kenntnisse der griechischen (und hebräischen) Sprache stolz waren, genossen die unterhaltsamen Erzählungen. Deshalb erwarteten die Basler Drucker Andreas Cratander und Johannes Bebel ein gutes Geschäft, als sie 1533 Plutarch zum ersten Mal außerhalb Italiens in der Originalsprache druckten. Insgesamt gesehen ist dieses Werk die dritte griechische Ausgabe der Parallelbiographien.
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Die Edition besorgte Simon Grynaeus (1493-1541), Humanist und reformierter Theologe, der zu den wichtigsten Editoren antiker Autoren gehörte und selbst aktiv nach verlorenen Manuskripten fahndete. Er hatte auch die lateinische Ausgabe des Plutarch betreut, die bereits 1531 erschien. Grynaeus widmete die griechische Ausgabe Johannes Oporin, Lehrer für Latein und Griechisch an der Lateinschule von Basel.
Tacitus: Sine Ira et Studio
Publius Cornelius Tacitus (ca. 58-120) stammte aus einer reichen Familie. Die Ehe mit einer Römerin der Oberschicht ebnete ihm den Weg in den Senat. Sein Schwiegervater, der Konsul Gnaeus Iulius Agricola, unterstützte ihn, so dass es Tacitus gelang, bis zum Amt des Suffektkonsuls aufzusteigen. Drei Kaiser förderten diesen Aufstieg: Domitian, Nerva und Traian.
Tacitus erlebte einen politischen Umbruch: Im Jahr 96 wurde sein erster Gönner, der Kaiser Domitian, ermordet. Ihn ersetzte erst Nerva, dann Traian. Tacitus teilte damit das Problem vieler Senatoren, die unter Domitian aufgestiegen waren, nun aber die neuen Kaiser Nerva und Traian überzeugen mussten, dass sie dem ermordeten Domitian nur widerstrebend Gefolgschaft geleistet hatten, und die neuen Herrscher loyal und treu unterstützen würden.
Porträt des ermordeten Kaisers Domitian. Foto: KW
Wenn Tacitus also in seinen Annalen schreibt, er wolle „sine ira et studio“ (in etwa ohne Zorn und Engagement) vorgehen, dann entspricht das keinesfalls unserer Auffassung von Objektivität. Tacitus lebte unter einem Alleinherrscher. Sein Gedeihen hing davon ab, ob das, was er schrieb, dem Kaiser genehm war oder nicht.
Tacitus löste das Problem, indem er Traian als den besten aller Kaiser feierte, während er Domitian zu einem Tyrannen stilisierte. Seine Wertschätzung der anderen Kaiser hing davon ab, in wie weit der Betreffende dem Senat Achtung zollte. Wer wie Claudius vom Militär ernannt wurde, musste unfähig sein. Für einen vom Senat gewählten Kaiser wie Caligula erfand Tacitus eine schreckliche Krankheit, die den ursprünglich guten Menschen nach seiner Erhebung zum Kaiser zu einem unberechenbaren Gewaltherrscher machte. Auch das Frauenbild von Tacitus scheint heute fragwürdig. Für ihn war jede Frau, die nach Macht strebte, eine Intrigantin.
Tacitus verfälschte keine Fakten, aber er interpretierte sie auf seine Weise, und das so gekonnt, dass sein Geschichtsbild noch bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts die Wissenschaft dominierte. Erst in jüngster Zeit werden seine Interpretationen in Frage gestellt. Viele neue Biographien illustrieren, dass die schlechten Kaiser nicht ganz so brutal, die guten Kaiser nicht ganz so vollkommen waren.
Die 1648 gedruckte Ausgabe des Tacitus enthält seine wichtigsten Werke.
- Die Annalen, die Geschichte des römischen Kaiserreichs von Augustus bis Nero
- Die Historien, die Geschichte des römischen Kaiserreichs von Galba bis Domitian, die nur teilweise erhalten sind
- Die Germania, in der er die als unverdorben beschriebenen Germanen den korrupten Römern vorhält
- Die Biographie seines Schwiegervaters und Gönners Iulius Agricola
- Den Dialog über die Gründe des von ihm postulierten Verfalls der Redekunst
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Justus Lipsius, der Herausgeber, widmete die von ihm betreute Ausgabe Kaiser Maximilian II. Wie am Werk Plutarchs sollte sich der Leser mit den verschiedenen Charakteren auseinandersetzen, um den eigenen Charakter zu schulen.
Justus Lipsius war ein flämischer Philologe und Philosoph, dessen Gedanken unsere Vorstellungen von einer bürgerlichen Mitbestimmung im Staatswesen geprägt haben. Seine Zeitgenossen kannten ihn eher als Herausgeber von zahlreichen Werken antiker Autoren, darunter die erste kritische Ausgabe des Tacitus, ferner Werke von Livius, Caesar, Seneca und Plinius, um nur einige zu nennen.
Welch hohe Bedeutung die Kenntnis der Geschichte der ersten zwölf Herrscher Roms in der europäischen Oberschicht spielte, illustriert die Architektur und die Inneneinrichtung unserer Schlösser. Abbildungen der zwölf Caesaren gehören zum selbstverständlichen Repertoire.
Station 2 – Die Erfindung des Befreiungsmythos
Unsere zweite Station führt uns nach Bern. Bern war im 15. und beginnenden 16. Jahrhundert eine europäische Großmacht. Die Berner Oberschicht verfügte über die finanziellen und militärischen Ressourcen, um auf Kosten der umliegenden Adligen das eigene Gebiet enorm zu vergrößern. Ihren Kanonen und hervorragend ausgestatteten Söldnern hatten die angegriffenen Landesherren, die zeitgleich eine Periode der Schwäche durchlebten, nichts entgegenzusetzen. Um diese Expansion auf Kosten der Habsburger, Kyburger und vieler anderer zu bemänteln, strickte man in Bern von Staats wegen am Mythos einer Befreiung vom adligen Joch.
1420 erteilte der Rat von Bern seinem ehemaligen Schreiber Konrad Justinger (1370-1438) den Auftrag, eine Berner Geschichte zusammenzustellen. Justinger verfasste eine Chronik, die bis zu seiner Gegenwart reichte, und wurde damit zur Grundlage für viele weitere Chronisten, darunter auch Benedikt Tschachtlan, dessen Chronik von 1470 wir an dieser Station in einem Faksimile sehen. Es handelt sich um die erste Bilderchronik der Schweiz. Unter diesem Begriff fasst man heute eine Reihe von handgeschriebenen Texten mit aufwändigen Illustrationen zusammen. Die berühmteste Bilderchronik ist die des Diebold Schilling, die um 1480 entstand. Wie viele Jahrhunderte lang sie als grundlegendes Werk der Schweizer Geschichte genutzt wurde, zeigt uns das zweite Buch dieser Station. Es handelt sich um einen Nachdruck dieser Chronik aus dem Jahr 1743, also rund 250 Jahre nachdem sie verfasst wurde.
Benedikt Tschachtlan: Die erste Bilderchronik
Bern befand sich in einer Phase der Expansion, als Benedikt Tschachtlan um 1420 geboren wurde. Seine Familie gehörte zur Oberschicht, und so machte er ebenfalls Karriere. Bereits im Alter von etwa 30 Jahren war Tschachtlan Mitglied im Großen Rat und übernahm städtische Ämter. So zog er 1469 als Fahnenträger in den Waldshuterkrieg, den die acht Orte der Eidgenossenschaft gegen den lokalen Adel unter Führung des Habsburger Herzogs Siegmund von Österreich-Tirol führten. Bern sicherte sich bei Kriegsende eine beeindruckende Kriegsentschädigung sowie einträgliche Territorien.
Auch damals legten die Kriegsparteien Wert darauf, zu behaupten, sie seien nicht ausschließlich wegen des materiellen Gewinns in den Krieg gezogen. Aber was sollten die Berner Ratsherren als Kriegsgrund angeben, wenn es zur Sprache kam? Benedikt Tschachtlan, der seit 1469 immer wieder als Berner Gesandter die eidgenössische Tagsatzung besuchte, mag gemerkt haben, wie nützlich es doch wäre, einheitlich zu argumentieren. Nur wie setzt man eine einheitliche Deutung des Geschehenen durch? Indem man sie schriftlich fixiert. Und das tat Benedikt Tschachtlan.
Tschachtlan war, wie auf der ersten Seite zu lesen, nicht allein: Der fromme Benedikt Tschachtlan, Fahnenträger und Rat zu Bern, ließ die Chronik im Jahr 1470 schreiben und malen. Heinrich Dittlinger war der Schreiber des Buchs.
Natürlich bedeutete das nicht, dass die beiden Adligen diese Arbeit selbst ausführten. Wir gehen heute davon aus, dass sie die Texte zusammenstellten, die Schreiber bezahlten und überwachten, sowie den von ihnen finanzierten Illuminatoren genau vorgaben, was wo wie dargestellt werden sollte.
Denn das war das Geniale an der Tschachtlan-Chronik: Sie hatte Bilder, und das in einer Zeit, in der Bilder lediglich in Kirchen und hochherrschaftlichen Häusern anzutreffen waren. Mit ihren bunten Illustrationen lud sie dazu ein, im überschaubaren Kreis die Chronik immer und immer wieder zu studieren. Dabei vergegenwärtigte sich die Berner Oberschicht gemeinsam den Ablauf der Ereignisse und stimmte so ihr Geschichtsbild aufeinander ab. Die Inhalte selbst waren größtenteils bekannt. Die Tschachtlan-Chronik enthält eine Abschrift der alten Chronik von Justinger sowie eine im Berner Sinne redigierte Fassung der Chronik des Alten Zürichkriegs von Johannes Fründ. Lediglich die Darstellung der Zeitgeschichte war neu.
Tschachtlan war Mitglied der elitären Gesellschaft „zu Narren und zu Distelzwang“. Dort traf sich die einheimische Oberschicht zum informellen Austausch. Hier wurde der Text seiner Chronik rege diskutiert. Dafür musste sie natürlich in deutscher Sprache geschrieben sein. Das gelehrte Latein war unter den Bürgern nicht verbreitet.
Die Expansion Berns erfolgte vor allem auf Kosten der Kyburger und der Habsburger. Um sie zu rechtfertigen, berief man sich gerne auf vorausgehende kriegerische Aktionen der Adligen. Hier sehen wir Ritter des Grafen von Kyburg, die zwei Berner Bürger töten.
Um die „Erzfeindschaft“ mit den Habsburgern zu zeigen, wurde ein Überfall auf die Marschkolonne eines Habsburger Heeres zur glorreichen Feldschlacht, die wir heute als die Schlacht von Morgarten von 1315 kennen.
Die Berner Oberschicht war stolz auf ihre militärische Schlagkraft. Von den 230 Abbildungen der Tschachtlan-Chronik stellen 200 Abbildungen kriegerische Handlungen dar.
Bern verfügte über modernste Waffentechnik. Dazu gehörten um 1470 die ersten Kanonen. Sie waren noch nicht auf Lafetten mit Laufrädern montiert, sondern wurden von frisch gezimmerten Holzgerüsten aus abgeschossen.
Auch auf dieser Darstellung wird eine Berner Kanone im Kampf eingesetzt. Ihre Kugel hat die Stadtmauer von Bremgarten stark beschädigt. Außerdem kämpfen die Berner mit den damals hoch modernen Arkebusen.
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Diebold Schilling: Bei Grandson das Gut, bei Murten den Mut, bei Nancy das Blut
Der Frieden, der nach dem Waldshuter Krieg geschlossen wurde, verpflichtete Herzog Sigmund von Österreich-Tirol, eine Kriegskostenentschädigung in Höhe von 10.000 Gulden an die Eidgenossen zu zahlen. Die lieh er sich vom damals reichsten Fürsten Europas, von Karl dem Kühnen, Herzog von Burgund. Als Pfand forderte Karl das Sundgau und das Elsass. So wurde einer der ehrgeizigsten Männer seiner Epoche zum Nachbarn der Eidgenossen.
Karl der Kühne machte sich wegen seiner ambitionierten Pläne viele Feinde, darunter auch den französischen König Ludwig XI., dem die Geschichte den Beinamen „l’araignée“, die Spinne, gegeben hat. Ludwig XI. versammelte eine große Koalition gegen Karl den Kühnen, der sich auch die Eidgenossenschaft anschloss. Damit besaß sie einen Vorwand, gegen Karl den Kühnen vorzugehen und auf sein Gebiet vorzudringen. Sie mobilisierte ihre damals in Europa einmalige Kriegsmaschinerie und schlug die Schlachten, die heute der bekannte Reim zusammenfasst: Karl der Kühne verlor bei Grandson das Gut, bei Murten den Mut, bei Nancy das Blut. Die Eidgenossen erledigten den Mann, der angetreten war, sich ein eigenes Königreich zu schaffen, in den beiden Jahren 1476/7.
Bereits bevor die endgültigen Schlachten geschlagen waren, beauftragte der Berner Rat am 31. Januar 1474 den Schreiber Diebold Schilling, eine neue Chronik zusammenzustellen, um darin die Taten der Berner ins rechte Licht zu rücken. Der Rat zensierte Schillings Entwurf. Die Chronik enthält also die offizielle und zeitgenössische Version der Berner Sicht auf die Burgunderkriege, was nicht das gleiche ist wie die historische Wahrheit. Diebold Schilling rechtfertigte die Politik der Berner. Für ihn bestand kein Zweifel daran, dass nur der „Wüterich“ und „Blutvergießer“ Karl der Kühne die Schuld an seinem Schicksal trug.
Die Schilling-Chronik besteht aus drei Teilen: Der erste übernimmt – mit leichten Überarbeitungen – die Chronik von Konrad Justinger. Der zweite enthält die Fortsetzung der Justinger-Chronik von Benedikt Tschachtlan. Der dritte Teil war neu. Er summierte die Zeitgeschichte der Jahre zwischen 1468 und 1480.
Schillings Werk ist uns in mehreren, leicht voneinander abweichenden Varianten erhalten: In der Berner Burgerbibliothek liegt die vom Berner Rat autorisierte Fassung der großen Burgunderchronik. Diebold Schilling fertigte eine Abschrift seiner Chronik an, die seine Witwe dem Zürcher Rat verkaufte, so dass sie heute in der Zentralbibliothek aufbewahrt wird. Es entstand auf private Initiative des ehemaligen Berner Schultheissen Rudolf von Erlach noch eine weitere Ausgabe, die so genannte Spiezer Chronik, die unvollendet blieb und heute ebenfalls in der Burgerbibliothek liegt.
Wie die Erzählung des Diebold Schilling umgestaltet wurde, illustriert das Geschehen vor der Schlacht von Grandson: Das war damals nicht Teil der Eidgenossenschaft, sondern burgundischer Besitz. Die Berner eroberten es 1475. Als 1476 ein burgundisches Heer Grandson zurückgewann, erzwang die befreite Bevölkerung die Hinrichtung ihrer Besatzer durch Ertränken und Hängen.
Diebold Schilling schildert in seiner Chronik die große Frömmigkeit der Berner, die vor der Schlacht von Grandson Gott um den Sieg anflehen, der – so die Berner Interpretation – nicht anders kann, als ihrer gerechten Sache den Sieg zu verleihen.
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Vor Grandson standen ca. 20.000 burgundische Söldner rund 18.000 eidgenössischen Elitesoldaten gegenüber. Der Ausgang der Schlacht kam nicht überraschend. Doch bis weit ins 20. Jahrhundert übernahm man Diebold Schillings Schilderung, die in der hier gezeigten Ausgabe von 1743 in folgendem Gedicht zusammengefasst wird:
Der an Geld und Ländern reiche Karl, der Burgunder Fürst
Immer, immer nach mehr Ländern unersättlich hat gedürst,
Dem vereinten Schweizer Land, das er sonst schon hart gedrückt
zweimal 50.000 Mann hat er auf den Hals geschickt.
Grandsons Besatzung übergab, aber wurde bald aufgehängt,
Trotz der fürstlichen Zusage, und ein Teil im See ertränkt,
Doch der kleine Schweizer Haufen bald rachegrimmig niederhakt,
Tausende von der Burgunder Schar und großes Gut als Beute einpackt.
Welche hohe Bedeutung noch heute dem Sieg über die Burgunder beigemessen wird, zeigt die Tatsache deutlich, dass Teile der Burgunderbeute heute noch stolz in Museen und Zeughäusern präsentiert werden.
Schilling listet die Beute minutiös auf.
Den frommen Schweizern steht Karl der Kühne als Inkarnation des Tyrannen gegenüber, den seine Untertanen derart fürchten, dass sie sich kaum getrauen, ihm die Botschaft von den Niederlagen bei Grandson und Murten zu überbringen. Das Gedicht kommentiert:
Der ganze Held ist hin, wir finden ihn nicht mehr.
Der Mensch vermochte ganz den Helden abzusetzen
wie ist der helle Glanz von seinem Angesicht
so düster, so verwelkt. Er flieht das Tageslicht
und flöhe gern sich selbst; dieweil er ohne Grauen
sein ödes, leeres Herz, sein Nichts, nicht kann beschauen.
Station 3: Erzfeind der Schweizer Freiheit: Die Habsburger
Als eigentlicher Gewinner der Burgunderkriege ging Maximilian I. von Habsburg hervor. Er heiratete wenige Monate nach dem Tod Karls des Kühnen seine Erbtochter Maria von Burgund. Sie brachte ihm als Mitgift den größten Teil des Burgunderreichs. Dazu gehörten nicht nur die Landvogteien Oberelsass und Breisgau, sondern auch die Freigrafschaft Burgund, die direkt an eidgenössisches Gebiet grenzte, nicht zu vergessen, den Anspruch auf einige norditalienische Gebiete im Süden der Eidgenossenschaft. Denkt man nun noch daran, dass sich auch das Vorarlberg und Teile der heutigen Kantone Graubünden und Engadin unter Habsburger Kontrolle befanden, wird klar, dass sich die Eidgenossen in einer Umklammerung befanden.
Zudem bekleideten die Habsburger mittlerweile in dritter Generation das Amt eines Königs resp. Kaisers des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation. Damit bot dieser traditionelle Rückhalt der kleineren Reichsstände gegenüber den machtvollen Landesherren keine juristische Unterstützung mehr. Dies hatte zur Folge, dass sich die eidgenössischen Orte langsam aus der Reichspolitik zurückzogen, um sich 1648 im Westfälischen Frieden ihre Unabhängigkeit verbriefen zu lassen.
Hatte sich die eidgenössische Polemik bis Ende des 15. Jahrhunderts auf zahlreiche Adelsgeschlechter verteilt, konzentrierte sie sich nun auf die Habsburger. Maßgeblich daran beteiligt war die Chronik des Petermann Etterlin. Es handelt sich um die erste Chronik der gesamten Eidgenossenschaft, die 1507 gedruckt wurde. Wir widmen ihr die dritte Station.
Petermann Etterlin: Eine Chronik für die gesamte Eidgenossenschaft
Petermann Etterlin war der Sohn des Luzerner Stadtschreibers. Sein Vater gehörte nicht zur Oberschicht, und auch Petermann sollte nie in die politische Elite aufsteigen. Er blieb ein subalterner Schreiber, nahm an verschiedenen Kriegszügen teil und soll sogar eine Weinschenke betrieben haben.
Sein Geld verdiente er anderweitig. Etterlin war ein Geschöpf des in Luzern residierenden französischen Botschafters, der im Namen seines Königs um eidgenössische Reisläufer warb. Für ihn beschaffte er Informationen und beeinflusste die öffentliche Meinung. Wie wenig Skrupel Petermann Etterlin dabei hatte, sehen wir daran, dass er 1507 einem Boten Maximilians I., der sich auf dem Weg nach Italien befand, abfing, um ihm seine Schreiben mit Gewalt abzunehmen und sie dem französischen Botschafter zu übergeben.
Auf diesem Hintergrund müssen wir die Chronik von Petermann Etterlin verstehen. Er versuchte, die gebildete Elite der Eidgenossenschaft mit seiner Chronik davon zu überzeugen, dass es besser sei, auf Seiten des französischen Königs in den Krieg zu ziehen, als auf Seiten der Habsburger, die durch ihre geographische Nachbarschaft gleichzeitig bedrohlich wirkten. Noch war der Schwabenkrieg von 1499 in frischer Erinnerung, bei dem die Eidgenossen bei Dornach das kaiserliche Heer besiegt hatten.
Petermann Etterlins Chronik gewann ihre große Bedeutung durch die Tatsache, dass sie – anders als das Weiße Buch von Sarnen, das unter anderem den Wilhelm-Tell-Mythos erstmals erzählt – in gedruckter Form vorliegt. 1507 wurde Etterlins Chronik bei Michael Furter in Basel publiziert.
Petermann Etterlin schilderte die Geschichte der Eidgenossenschaft als eine fortschreitende Befreiung aus der Unterdrückung der tyrannischen Habsburger. Dafür griff er auf lokale und fremde Erzählmotive zurück, die seit dem 15. Jahrhundert in der Schweiz kursierten. Zu diesen Sagen gehört der Rütlischwur, den ein Künstler gekonnt ins Bild setzte.
Aus dem Weißen Buch von Sarnen stammt die Geschichte des wackeren Wilhelm Tell, der seinem Kind auf Befehl des grausamen Vogts der Habsburger einen Apfel vom Kopf schießt.
Die gleiche Bedeutung hat die Geschichte des Vogts zu Unterwalden, den ein Bauer in der Badewanne erschlagen haben soll, weil er seine Frau vergewaltigte. Diesen Topos können wir bis in die Antike zurückverfolgen: Brutus stürzte den letzten König von Rom wegen der Vergewaltigung von Lucretia.
Holzschnitte waren teuer. Deshalb nutzte man denselben Holzschnitt, um verschiedene historische Begebenheiten zu illustrieren. Man kann sich übrigens fragen, wer für die prachtvolle Ausstattung des Buchs zahlte. Weder der Drucker Michael Furter noch der Autor Peter Etterlin verfügten über das notwendige Geld.
Wir verdanken der Etterlin-Chronik die älteste Darstellung der Stadt Luzern.
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Petermann Etterlin: Das Weiterleben des Freiheitsmythos bis in die Neuzeit
Das Werk von Petermann Etterlin gehört zu den zentralen Quellen, aus denen der aufkeimende Nationalismus des 18. Jahrhunderts seine Überlieferung bezog. Das war ein zweischneidiges Schwert. Während an den höheren Schulen die Schweizer Geschichte, wie sie die Chronisten des 15. und 16. Jahrhunderts überliefert hatten, unverändert gelehrt wurde, hinterfragten unkonventionelle Intellektuelle, die an den neuen Lehrstühlen für Schweizer Geschichte ausgebildet worden waren, eben diese Mythen und erregten so das Missfallen der national gesinnten Bürgerschaft. Dafür steht die Auseinandersetzung um Wilhelm Tell, dem der Schweizer Theologe Uriel Freudenberger 1760 anonym eine Abhandlung widmete. Unter dem Titel „Der Wilhelm Tell. Ein dänisches Mährgen“ veröffentlichte er eine Broschüre, in der er den Tellmythos als Topos entlarvte, der auch in anderen Kulturkreisen bekannt sei. Freudenbergers Schrift wurde auf Betreiben national gesinnter Politiker verboten und in der Innerschweiz sogar vom Scharfrichter verbrannt.
Auf diesem intellektuellen Hintergrund muss man die Neuausgabe von Etterlins Chronik durch Jakob Spreng im Jahr 1752 verstehen. Johann Jakob Spreng war ein Schweizer Theologe, der bereits im Alter von 25 Jahren von Kaiser Karl VI. als kaiserlicher Dichter geehrt wurde. Er kehrte 1742 in seine Basler Heimat zurück, wo er seit 1743 eine außerordentliche Professur für Eloquenz und deutsche Dichtung bekleidete. Seine Übersetzung Etterlins aus dem Frühneuhochdeutschen in die Umgangssprache des 18. Jahrhunderts mag mit dafür verantwortlich sein, dass man ihm 1754 eine außerordentliche Professur in Schweizer Geschichte antrug.
Auf diesem intellektuellen Hintergrund muss man die Neuausgabe von Etterlins Chronik durch Jakob Spreng im Jahr 1752 verstehen. Johann Jakob Spreng war ein Schweizer Theologe, der bereits im Alter von 25 Jahren von Kaiser Karl VI. als kaiserlicher Dichter geehrt wurde. Er kehrte 1742 in seine Basler Heimat zurück, wo er seit 1743 eine außerordentliche Professur für Eloquenz und deutsche Dichtung bekleidete. Seine Übersetzung Etterlins aus dem Frühneuhochdeutschen in die Umgangssprache des 18. Jahrhunderts mag mit dafür verantwortlich sein, dass man ihm 1754 eine außerordentliche Professur in Schweizer Geschichte antrug.
Spreng schickte dem Buch eine ausführliche Einführung voraus, in der er zu erklären versuchte, warum Etterlin so viele Rechtschreibfehler gemacht habe. Tatsächlich verursachte nicht die Fahrlässigkeit des Druckers die vielen „Fehler“, wie Etterlin meinte, sondern die Tatsache, dass sich erst wesentlich später Rechtschreibregeln herausbildeten.
Spreng versuchte dem Leser das Verständnis des Textes durch Anmerkungen zu erleichtern und erklärte ihm auf S. 29, warum die Geschichte um Wilhelm Tell glaubwürdig ist.
Auch das Register zeugt von der naiven Kritiklosigkeit, mit der Spreng die Geschichtsinterpretation Etterlins übernimmt. Seine kurzen Zusammenfassungen sind vielsagend. So kommentiert er das Stichwort „Landvögte derer von Uri, Schweiz und Unterwalden“ mit den Worten „regieren tyrannisch, werden vertrieben“.
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Station 4 – Glaubensfragen
Man lässt heute die Schweizer Reformation gerne mit dem Jahr 1522 beginnen, als im Haus des Druckers Christoph Froschauer in Zürich das berühmte „Wurstessen“ stattfand. Der reformatorische Prozess endete damit, dass eine Reihe von Ständen wie Zürich, Bern, Basel, Genf und Schaffhausen den reformierten Glauben als Staatsreligion einführten, während sich andere Orte der Eidgenossenschaft weiterhin zum katholischen Glauben bekannten.
Diese Glaubensspaltung auf engstem Raume löste unter Theologen (sic!) aller Konfessionen eine erhitzte Diskussion über die Interpretation der gemeinsamen Vergangenheit aus. Ganz im mittelalterlichen Gnadenverständnis verwurzelt, galt ihnen historischer Erfolg als zentraler Beweis dafür, welche Religion Gott gefällig sei.
Die Reformierten verbuchten dabei einen entscheidenden Vorteil für sich: Sie beherrschten die urbanen Zentren mit ihren Universitäten und Druckereien und verfügten so über wesentlich bessere Verbreitungsmöglichkeiten ihres Geschichtsbilds.
Wir illustrieren dies anhand von vier Chroniken. Im Zentrum steht die wohl berühmteste Zürcher Chronik, publiziert 1548 von Johannes Stumpf in der Druckerei von Christoph Froschauer. Sie erlebte zahlreiche Neuauflagen. Dieses Schicksal teilte sie mit dem Werk von Josias Simler, der 1572 sozusagen eine Kurzfassung von Stumpf verfasste.
Das Werk von Aegidius Tschudi, der immerhin als Vater der modernen Schweizer Geschichtsschreibung gilt, blieb dagegen bis zum Jahr 1734 ungedruckt. Er war katholisch. Genauso wie der Verfasser der letzten Bilderchronik der Schweiz. Werner Schodeler hinterließ u. a. eine zeitgenössische Schilderung der Reformation. Sie ist bis heute nicht ediert.
Aegidius Tschudi: Der Vater der Schweizer Geschichte
Aegidius Tschudi war ein Zeitgenosse der Reformation. Er stammte aus einer der ältesten und einflussreichsten Familien des Glarus, was man z. B. daran sieht, dass es sein Vater war, der die Glarner vor Marignano befehligte. Tschudi erhielt seinen ersten Unterricht von Huldrych Zwingli, damals Pfarrer in Glarus. Mit elf Jahren ging Tschudi zum Studium erst nach Basel, dann nach Paris, damals Heimat der berühmtesten theologischen Fakultät Europas.
1529 finden wir ihn wieder im Glarus. Er bekleidete hohe Ämter und setzte dabei auf das friedliche Miteinander beider Konfessionen. Dafür nutzte er seine Leidenschaft, die Geschichte. Sein Werk sollte reformierten und katholischen Schweizern ihre Wurzeln vor Augen führen und so eine Identifikation mit einer gemeinsamen Geschichte ermöglichen. Dafür führte er die Schweizer auf die Helvetier zurück, die prominent Caesars „De Bello Gallico“ genannt sind. Die Zeit der Reformation sparte er in seiner Geschichte programmatisch aus.
Tschudi kopierte Inschriften, sammelte Münzen und nutzte die alten Schriftsteller genauso wie die eidgenössischen Archive. Damit leistete er Pionierarbeit. Berühmt machte ihn sein Werk „Das wirklich uralte Raetien in den Alpen“, das 1538 in Basel erschien. Es war das einzige seiner Bücher, das zu seinen Lebzeiten in Druck ging.
Dennoch hatten Tschudis Forschungen weitreichenden Einfluss auf die Ergebnisse anderer Historiker. Er versorgte alle, die eine Schweizer Geschichte schrieben, großzügig mit Informationen. Besonderer Nutznießer war Johannes Stumpf, der Tschudis Forschungen nutzte, um Stimmung gegen die Katholiken zu machen. Tschudi beklagte sich in einem Brief vom 11. Dezember 1547 bitterlich über die Polemik gegen Mönche und Bilderverehrung in Stumpfs Chronik.
Als Sekretär der Tagsatzung in Baden erlebte Tschudi an vorderster Front das aggressive Verhalten der reformierten Orte, die ihrerseits die altgläubigen Orte zu zwingen versuchten, die reformierte Predigt einzuführen. Auch Tschudi radikalisierte sich und so trägt der „Tschudi-Handel“, eine militärische Aktion, die eine Rekatholisierung der Schweiz durch die Innerschweizer Orte zum Zweck hatte, seinen Namen. Der Plan scheiterte und Tschudi ging nach Rapperswil ins Exil. Auch wenn er 1565 nach Glarus zurückkehrte, war seine politische Karriere vorbei. Seine 1571 fertiggestellte Schweizer Geschichte wurde nicht gedruckt. Sie wurde zwar von Historikern immer wieder für ihre Zwecke ausgeschlachtet, aber erst 1736 publiziert.
Verantwortlich dafür zeichnete Johann Rudolf Iselin (1705-1779), ein Schweizer Jurist, der sich als Historiker und Publizist betätigte.
Iselin erwähnt in seiner Vorrede, dass Abschriften der Geschichte Tschudis bereits vor ihrem Druck in den meisten katholischen Kirchen und in vielen Bibliotheken reformierter Städte zu finden waren.
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In seiner Einleitung zum zweiten Band sah sich Iselin gezwungen, sich gegen den Vorwurf zu verteidigen, er habe die katholische Polemik aus Tschudis Werk entfernt. Seine Zeitgenossen konnten sich nicht vorstellen, dass seine Geschichte ohne Polemik auskam.
Johannes Müller war der bedeutendste Schweizer Historiker des 18. Jahrhunderts. Sein Ruhm beruht zum großen Teil darauf, dass er Tschudis Werk rezipierte. Er sagt über ihn: „So weit dieser [Tschudi] geht, ist Licht und Klarheit, vor ihm und nach ihm Finsternis und Dunkel.“
Über das Werk des Johannes Müller kam Friedrich Schiller erstmals mit der Tell-Legende in Kontakt. Goethe lieferte ihm dazu den Originaltext von Aegidius Tschudi. Er hatte sich Iselins Ausgabe von 1736 beschafft.
Johannes Stumpf: Der reformierte Blick
Der reformierte Theologe Johannes Stumpf schrieb die bis heute bekannteste Chronik der Schweiz. Sie verdankt ihren Ruhm nicht ausschließlich seinem Text, sondern auch der exquisiten Bebilderung. Ihr Verleger Christoph Froschauer holte dafür einen der besten Buchillustratoren seiner Zeit: Heinrich Vogtherr den Älteren (1490-1556), selbst ein Drucker und Anhänger des reformierten Glaubens. Christoph Froschauer schrieb darüber am 18. Januar 1545 an den St. Galler Historiker Joachim von Watt: „Um die Chronik steht es folgendermaßen: ich habe seit Martini (= 11. November) den besten Maler, den es derzeit gibt, bei mir im Haus. Ich gebe ihm jede Woche 2 Gulden und Essen und Trinken; er macht nichts anderes, als Holzschnitte für die Chronik. Daran werden keine Kosten gespart!“
Diese rund 400 Holzschnitte illustrieren die erste Schweizer Chronik aus reformierter Sicht.
Ihr Autor, Johannes Stumpf, war mit Haut und Haar ein Anhänger Zwinglis und eigentlich gar kein Historiker. Der studierte Theologe kam in den 1520er Jahren nach Zürich, wo er 1529 die Tochter von Heinrich Brennwald heiratete. Auch Brennwald gehörte zu den zentralen Gestalten der Zürcher Reformation. Er hatte eine vierbändige Schweizer Chronik verfasst, auf die sich Stumpf für seine Publikation stützte.
Mit seiner Arbeit wollte Stumpf das gescheiterte Vorgehen Zwinglis verteidigen, der mit militärischer Gewalt versucht hatte, die Reformation in der gesamten Schweiz durchzusetzen und so die Eidgenossenschaft religiös zu einen. Den Erzfeind sah er in den katholischen Habsburgern, die zeitgleich im Reich versuchten, die Reformation zurückzudrängen. Dieser Streit gipfelte 1547 – kurz vor der Erstpublikation von Stumpfs Chronik – in der Schlacht von Mühlberg, in der die Truppen Kaiser Karls V. die protestantischen Reichsstände unterwarfen.
Johannes Stumpf betonte die anti-habsburgischen Mythen seiner Vorgänger. Er schilderte nicht nur die Geschichte von Wilhelm Tell, sondern auch die Ermordung des Vogts zu Unterwalden im Bad, der die Frau seines Mörders vergewaltigt haben soll.
Karl V. war über die Stumpfsche Chronik und ihre Sicht auf die Habsburger so verärgert, dass er das Buch im Reich verbot und einen Haftbefehl gegen Autor und Verleger erließ.
Sein Verbot blieb ohne Wirkung. Die Chronik wurde ein Erfolg. Ihrer Erstausgabe von 1548 folgte 1586 eine zweite, die wir Ihnen zeigen. 1606 erschien eine dritte Auflage, von der das MoneyMuseum ebenfalls ein Exemplar besitzt.
Die Stumpf-Chronik ist das erste gedruckte Werk, das die römische Geschichte der gesamten Schweiz behandelt. Dies gelang Stumpf nur, weil ihn u. a. Aegidius Tschudi und Joachim von Watt großzügig unterstützten. Das Kapitel über den Thurgau stammt praktisch vollständig von Joachim von Watt.
Berühmt wurde Stumpf vor allem wegen seiner Karten. Sie waren so gesucht, dass sie 1552 in einem eigenen Kartenwerk zusammengefasst und nachgedruckt wurden. Wenn Ihnen die Darstellung ungewohnt vorkommt, denken Sie daran, dass sich die „Nordung“ erst im 19. Jahrhundert durchsetzte.
Stumpf hatte den Anspruch, eine Weltchronik zu schaffen, die bis zur Erschaffung der Welt zurückreichte, das meinte für ihn ins Jahr 1183 vor Christi Geburt. Sie thematisiert den Trojanischen Krieg, die Flucht des Aeneas und die Gründung Roms.
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Werner Schodeler: Vergraben in den Archiven
Das gedruckte Buch löste das handgeschriebene Manuskript nicht von einem Tag auf den anderen ab. Im Gegenteil. Bis in das 18. Jahrhundert schrieben all diejenigen, die sich ein gedrucktes Buch nicht leisten konnten, das daraus ab, was sie interessierte. Und selbstverständlich blieben viele Bücher – wie die Schweizer Geschichte des Aegidius Tschudi – nur im Manuskript und vielen Abschriften erhalten. Dieses Schicksal teilte die letzte handillustrierte Schweizer Bilderchronik, die der Bremgartner Bürger Werner Schodeler auf eigene Kosten zwischen 1510 und 1535 anfertigte und aufwändig illustrieren ließ.
Schodelers Familie stammte aus Bremgarten. Seine Vorfahren hatten als Untertanen der Habsburger gegen die Eidgenossen gekämpft, bis die Stadt von ihnen im Jahr 1415 erobert worden war. Bremgarten war nicht wie Zürich oder Bern reformiert. Hier herrschte nach dem Ersten Kappler Krieg kurzfristig konfessionelle Gleichberechtigung. Doch nachdem Zwinglis Versuch gescheitert war, in der ganzen Schweiz die reformierte Predigt durchzusetzen, wurde Bremgarten unter Zwang rekatholisiert.
Werner Schodeler war ein hervorragend informierter Zeitzeuge der Reformation. Er wurde 1490 geboren. Kurz nach 1500 trat er seine Lehre in der Berner Kanzlei an, wo der immer zu Scherzen aufgelegte Junge – so überliefern es uns Eintragungen in den Berner Archiven – zum Schreiber ausgebildet wurde. 1509 übernahm er den Posten des Bremgartner Stadtschreibers. In dieser Funktion machte er die Mailänder Kriege mit.
Trotz seiner Talente und seiner Heirat mit einer Angehörigen der Zürcher Führungsschicht machte Schodeler keine Karriere. Vielleicht war er für seine Epoche zu tolerant. Er weigerte sich, seinen katholischen Glauben aufzugeben, und hielt gleichzeitig, wie Joachim von Watt über ihn schrieb, viele Dinge für christlich, die von den Päpsten für häretisch gehalten wurden.
Atmet die Chronik, die er auf eigene Initiative und Kosten verfasste, diesen Geist? Wir wissen es nicht. Sein zwischen 1510 und 1535 niedergeschriebenes Buch liegt bis heute nur als Faksimile vor. Es wurde bis heute nicht transkribiert und ediert.
Der erste Band, der wahrscheinlich zuletzt entstand, enthält eine redigierte Version der Tschachtlan-Chronik. Er wird heute in der Leopold-Sophien-Bibliothek von Überlingen aufbewahrt. Dieser Band enthält zwar die Leerstellen für die Illustrationen, aber wenig Bilder. Vielleicht war Schodeler das Geld ausgegangen.
Der zweite, üppig illustrierte Band, heute im Stadtarchiv von Bremgarten, deckt die Jahre zwischen 1436 und 1466 ab. Er beruht hauptsächlich auf der Chronik des Luzerners Hans Fründ, dessen Darstellung heute als sachlich und kritisch beschrieben wird. In den 1950er Jahren bezeichnete man seinen Stil wegen seiner Zürich-kritischen Haltung noch als „weinerlich“.
Der dritte Band, der in der Aargauer Kantonsbibliothek liegt, beschäftigt sich mit dem Zeitraum zwischen 1468 und 1525, umfasst also die Zeit der Reformation. Sein größter Teil ist von Werner Schodeler selbst verfasst.
Das Standardwerk zur Schweizer Geschichtsschreibung urteilt über Schodeler: „Der selbständige Teil … zeichnet sich durch Umsicht, Ordnung und Überblick aus; man spürt die Wirkung des neuen Geistes, Temperament und Freimut; in seinen Urteilen schont er die Eidgenossen nicht.“
Die Darstellungen des dritten Bands sind schwarz-weiß, atmen aber bereits die Kunstauffassung der Renaissance. Diese Darstellung eines Mahls Karls des Kühnen gibt uns einen realistischen Einblick in die Tafelgewohnheiten der Renaissance.
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Josias Simler: Schweizer Basics
Josias Simler gehört der Generation nach Tschudi, Stumpf und Schodeler an, also einer Generation, in der die Reformation zur Normalität geworden war und in der – vorläufig – Frieden zwischen reformierten und katholischen Ständen herrschte, zumindest im Heiligen Römischen Reich, zu dem sich die Schweiz noch zählte. Simlers Vater war Geistlicher und auch er selbst studierte Theologie, finanziell unterstützt vom Züricher Staat auf die Vermittlung seines Paten, des Zürcher Antistes Heinrich Bullinger. 1552 wurde Josias Simler Professor für die Exegese des Neuen Testaments am Zürcher Carolinum.
Seine Tätigkeit ließ Simler genügend Zeit, sich mit Geschichte, Geographie, Archäologie und Philologie zu beschäftigen. Er arbeitete zeitlebens an einer großen Schweizer Geschichte, die unvollendet blieb.
Stattdessen gab Josias Simler die von ihm gesammelten Informationen kurz vor seinem Tode in einem leicht benutzbaren Kompendium heraus. 1576 erschien das Buch, das vom MoneyMuseum an dieser Station in seiner deutschen Erstausgabe von 1577 gezeigt wird. Der Titel würde ins moderne Deutsch übersetzt heißen: „Zwei Bücher über das Staatswesen der Schweizer“.
Simlers Werk ist mehr als eine Chronik. Nur sein erster Teil ist der Schweizer Geschichte gewidmet. Für ihn exzerpierte er das Werk von Stumpf und lieferte seinen Lesern so eine Kurzfassung, die wesentlich weitere Verbreitung fand als das längere Original.
Neu war der zweite Teil. Darin fasste Simler sein Wissen über den „Staat“ der Eidgenossen zusammen, also welcher Rechtsstatus in welchem Schweizer Gebiet galt. Für Simler war die Schweiz nur auf emotionaler Basis ein „Staat“, die verschiedenen Orte, die ihre Politik in der Tagsatzung abstimmten, waren rechtlich unabhängig.
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Wie komplex die Rechtsverhältnisse noch im 15. Jahrhundert waren, sieht man an Simlers Darstellung zum Rechtsstatus des Kelleramts, eines Gebiets zwischen Affoltern, Bremgarten und der Reuss. Es gehörte ursprünglich zu Zürich, wurde an Bremgarten verpfändet, das die niedere Gerichtsbarkeit besaß, während das Appellationsgericht und die Blutgerichtsbarkeit in Zürich ausgeübt wurde.
Seite 177 ist der Schweizer Tagsatzung gewidmet, die Simler als Tagleistung bezeichnet. Sie wurde, wie er berichtet, zu seiner Zeit ausschließlich im Rathaus von Baden abgehalten, weil die Stadt wegen der heißen Quellen über angemessene Gasthäuser und genügend Vorräte für die Gesandten verfügte.
Josias Simler betrieb keine Quellenkritik, sondern übernahm, was er fand. In diesem Fall ist es die Geschichte vom bösen Habsburger Knecht, der dem alten Bauern die Ochsen wegtreiben will.
Simler war ein guter Erzähler, der die alten Geschichten schön zu gestalten verstand. Dieser Text handelt vom Mythos des Bauern Konrad von Baumgarten, der den Amtmann von Wolffenschieß im Bad erschlug, weil der die schöne Bäuerin zu verführen versuchte.
Simlers Werk gehört zu den erfolgreichsten Chroniken der Schweiz. Nach der Erstausgabe in Latein wurde bereits im folgenden Jahr eine französische und die deutsche Ausgabe publiziert. Als Johann Jakob Leu 1735 seine neubearbeitete Aktualisierung veröffentlichte, war es in 38(!) Ausgaben erschienen.
Eine davon nutzte Oliver Cromwell für seine Umgestaltung des britischen Staatswesens.
Station 5 – Kann Geschichte neutral sein?
Die Reformation mit ihrer neuen, textbasierten Form der Argumentation hatte die katholische Geistlichkeit überrascht. Vor allem die Jesuiten begannen, den Studenten eine mindestens genauso gute Ausbildung zu geben, wie sie ihre reformierten Kollegen in Tübingen, Wittenberg, Straßburg oder Basel erhielten. Es entstand die so genannte Kontroverstheologie, in der sich Angehörige beider Konfessionen damit beschäftigten, die Werke der jeweils anderen Glaubensrichtung systematisch auf Irrtümer abzuklopfen und zu widerlegen. Dafür wurde auch das Instrumentarium der Historiker weiterentwickelt. Wir sprechen heute von Quellenkritik. Darunter verstehen wir die Fragen, die ein Historiker an seine Quelle stellt, wenn er herausfinden will, welche historische Botschaft eine Inschrift, eine Münze, eine Archivalie oder eine Chronik enthält.
Unsere moderne Geschichtsforschung ist stolz darauf, keine Aussage ungeprüft zu übernehmen. Natürlich war es dorthin ein langer Weg. Wir stellen Ihnen in dieser Station zwei Historiker vor, die sich auf diesen Weg begaben: Michael Stettler publizierte 1626 im Auftrag des Berner Rats eine neue Chronik. Sein Werk setzte Jakob Lauffer in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts fort, wobei wir Ihnen nicht Lauffers Bände zeigen, sondern die Untersuchungen, die Johann Jakob Bodmer unter Lauffers Namen publizierte.
Michael Stettler: Unparteiisch und zum Lob der Altvorderen?
Es war ein Spagat, eine offizielle, von Staats wegen finanzierte Chronik auf Quellen basiert zu schreiben, und man darf durchaus kritisch sein, ob dies Michael Stettler gelang. Er gehörte selbst zur Berner Oberschicht und machte im Staatsdienst eine bescheidene Karriere. Als Schreiber des Ehegerichts, das über das moralische Verhalten der Berner urteilte, besaß er Zugang zu einem Teil der städtischen Archive. Bereits in jungen Jahren verfasste Stettler ein „kurzes poetisches Gedicht einer hochlöblichen Eidgenossenschaft“ und eine Tragikomödie über den „Ursprung der löblichen Eidgenossenschaft“ in 33 Akten.
1614 gab der Berner Rat seiner Bitte Gehör, ihm alle – auch die geheimen – Archive zu öffnen, damit er eine Fortsetzung der Berner Chronik schreiben könne. 1623 überreichte Stettler sein Manuskript zu den Geschehnissen der Jahre 1526 bis 1610 dem Rat in zehn Bänden. Ehe das Werk in Druck gehen durfte, wurde es von den Ratsmitgliedern zensiert. Diese von staatlicher Seite kontrollierte Fassung erhielt am 25. März 1625 die Publikationserlaubnis.
Michael Stettler beschreibt in seiner Einleitung, was Geschichte leisten soll. So sind für ihn historische Analogien die Richtschnur, an der zeitgenössische Politiker lernen, welche Handlung welche Folgen hat. Doch um diese Richtschnur zu sein, musste Stettler einen frischen Blick auf das Geschehen werfen. Seine Chronik dreht sich nicht mehr um einen von Gott verhängten Weltenplan, sondern um Ursache und Wirkung, um eine logische Abfolge von Ereignissen, bei der eine politische oder militärische Maßnahme ein genau umrissenes Ergebnis zeitigt. Für seine Rekonstruktion der Ereignisse konsultierte Michael Stettler die Primärquellen wie Urkunden, Akten und Verträge.
Dass er sein Werk der Berner Zensur unterwerfen musste, war für Stettler nicht ausschlaggebend. Er stellte eigene Wertungen in den Hintergrund, beschränkte sich auf eine Wiedergabe von Tatsachen. Dass bereits die Auswahl und Zusammenstellung von historischen Tatsachen eine Bewertung darstellt, dessen war sich Stettler nicht bewusst.
Michael Stettler schreibt auf dem Titelblatt, er habe nicht nur die zuverlässigsten Autoren kopiert, sondern auch die wichtigsten Archive konsultiert. Wichtig ist ihm dabei, die Unparteilichkeit zu versichern, mit der er alles zum Lob der verehrten Vorfahren zusammentrug. Unparteilichkeit und Lob ist für ihn kein Gegensatz.
Wir dagegen dürfen Stettlers Neutralität durchaus bezweifeln, vor allem wenn er sich jeder Kritik an den Berner Politikern enthält, auffällig vor allem in seiner Schilderung der Mailänder Kriege.
Die verheerende Niederlage von Marignano, die nach modernen Schätzungen rund 9-10.000 der ca. 22.000 Söldner das Leben kostete, war verursacht worden, weil sich ein Teil der Söldner – darunter auch die Berner Kontingente – aus dem Vertrag mit dem Papst zurückzogen, um einen neuen (und lukrativeren) Vertrag mit Frankreich zu schließen.
Führten frühere Autoren diese Niederlage auf die unchristliche Geldgier der Söldner zurück, machte Stettler Papst Leo und den spanischen König verantwortlich, während er die Eidgenossen als „unschuldig und teils übel verführt“ darstellt.
Die dem Verstand widersprechende Schilderung, die deutschen Landsknechte hätten nach Marignano die Fahnen der Eidgenossen kleingeschnitten, um sie auf dem Salat zu verspeisen, und dem korpulenten Amman der Bündner das Fett ausgelassen, um damit ihre Waffen und Stiefel zu schmieren, würde bei uns ebenfalls nicht als neutral gewertet werden.
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Jakob Lauffer: Mehr Anmerkungen als Text
Johann Jakob Lauffer (1688-1734) gilt als der letzte staatlich unterstützte Chronist von Bern. Er stammte aus Zofingen, studierte an der Berner Akademie und in Halle Theologie. Nach seiner Rückkehr nach Bern übertrug man ihm 1718 die Professur für Eloquenz und Geschichte. 1724 übernahm er mit großem Widerstreben den Auftrag, eine Bernische Geschichte zu schreiben. Er selbst sagt darüber: „Es ist auch sehr gefährlich, in einer Republik eine Geschichte zu schreiben. Ein wahrheitsliebender Mann kann nicht vermeiden, mehrere Familien zu verletzen und sie sich zu verfeinden.“
Tatsächlich musste Johann Jakob Lauffer diese Gefahr nicht auf sich nehmen. Seine Geschichte wurde erst nach seinem plötzlichen Tod zwischen 1736 und 1739 in Zürich publiziert, selbstverständlich erst nachdem der Berner Rat das Geschichtswerk begutachtet und zensiert hatte.
Verantwortlich dafür zeichnete Johann Jakob Bodmer, Zentrum des intellektuellen Zürich im ausgehenden 18. Jahrhundert. Er hatte 1734 zusammen mit seinem Neffen Konrad Orell die Verlagsbuchhandlung Orell & Compagnie gegründet, die heute in Orell Füssli weiterlebt. Eines ihrer ersten Prestigeobjekte war die Herausgabe der achtzehnbändigen Chronik Lauffers, der Bodmer vier eigene Bände folgen ließ.
Bodmer verband mit ihrer Publikation sein eigenes Anliegen. Er kämpfte für ein Schweizer Nationalgefühl, das durch eine gemeinsame Geschichte gefördert werden sollte. Deshalb bekleidete der studierte Theologe und gelernte Seidenhändler seit 1731 den Lehrstuhl für Helvetische Geschichte am Zürcher Carolinum. Bodmer war ein Aufklärer. Auch wenn er die nationalen Mythen nutzte, um das Schweizerische Nationalgefühl zu fördern, durften die Inhalte nicht dem Verstand widersprechen. Seine Bücher richteten sich an die intellektuelle Oberschicht, nicht an eine breite Masse. Deshalb bewegten sich seine Abhandlungen auf dem neuesten Stand des damaligen Wissens. Bodmer zitierte seine Quellen und kommentierte sie kritisch.
Bodmer formulierte sein Ziel bereits im Titel. Er schrieb eben keine neue Chronik, sondern „nur“ Beiträge zur Schweizer Geschichte.
Der erste Band enthält zum Beispiel vier völlig unterschiedliche Teile:
- Eine Geschichte der Zürcher Regierungsform bis zur Brunschen Zunftverfassung von 1336
- Einen Essay Bodmers über die Gründe, warum Bern in der Eidgenossenschaft die Führungsposition erwarb
- Eine Abhandlung zum Münzrecht der Fraumünsterabtei
- Eine Edition des lateinischen Werks von Oswald Geisshüsler, genannt Myconius, über den Kappeler Krieg.
Bodmer untermauerte den Text zur Geschichte der Zürcher Regierungsform mit zahlreichen und langen Anmerkungen, ganz wie wir das von modernen wissenschaftlichen Werken gewohnt sind.
Seine Abhandlung zum Münzrecht der Fraumünsterabtei leitete Bodmer mit einem kleinen Abriss zu Forschungsgeschichte und zu den Quellen ein, heute für jede qualitätsvolle Forschungsarbeit Standard.
Im 18. Jahrhundert waren Bücher ein Geschäft, das mit Werbung angekurbelt wurde. So informierte „der Verleger“ Bodmer in Band drei seine Leser darüber, was sie im nächsten Band erwarten würde.
Ferner druckte er einen Katalog der von seiner Buchhandlung lieferbaren Neuerscheinungen, darunter ein medizinisches Werk, mehrere Romane und einige Bücher des damaligen Bestsellerautors Voltaire.
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Station 6 – Zwingli: Der nette Reformator von nebenan?
Und wie sieht das heute aus? Haben wir heute ein korrekteres Geschichtsbild, nachdem unsere Historiker mehrere Jahrhunderte Erfahrung mit der Quellenkritik haben? Oder ist unser Geschichtsbild von anderen, zeitgenössischen Faktoren beeinflusst? Welche Rolle spielen zum Beispiel die Mechanismen der Populärkultur, wenn wir uns an einem historischen Film erfreuen?
Wir machen die Probe aufs Exempel: Wir vergleichen den historischen Zwingli mit dem Zwingli von Stefan Haupts Film aus dem Jahr 2019.
Huldrych Zwingli: Ein unerbittlicher Krieger Gottes
Zwingli stammte aus einer wohlhabenden Familie. Sein Onkel war ein hoher Amtsträger der Kirche, der es ihm ermöglichte, selbst eine Karriere innerhalb der Kirche zu machen. 1506 trat Zwingli seine erste Pfarrstelle in Glarus an. Er zog mit den Glarner Reisläufern in die italienischen Kriege und bezog jährlich 50 Gulden von päpstlicher Seite, um seinen Einfluss auf die führenden Politiker zu nutzen, um die Belange der Kirche in militärischen Dingen zu vertreten. Nach der Niederlage von Marignano kam die Wende. Zwingli musste das Glarus verlassen und wechselte an den Wallfahrtsort Einsiedeln. Dort kam er mit den übelsten Auswüchsen des katholischen Volksglaubens in Kontakt. Zwingli radikalisierte sich. Er wetterte gegen die Heiligenverehrung und das Reislaufen, wobei letzteres das Interesse des Rats von Zürich erregte. Dort suchte man einen Prediger für das Großmünster, der die Zürcher davon abhalten sollte, ihr Geld mit Söldnerdiensten zu verdienen.
1519 trat Zwingli sein Amt an, und das sehr erfolgreich. Statt wie bisher über das Tagesevangelium zu predigen, übersetzte er auf der Kanzel das Evangelium nach Matthäus. In eben diesem Sommer suchte eine Pestepidemie Zürich heim, die jeden vierten(!) Bewohner das Leben kostete. Zwingli überlebte und sah darin ein Zeichen Gottes, dass er ausersehen war, die Kirche zu reformieren.
Zwinglis Karriere muss vor dem Hintergrund der Zürcher Expansion gesehen werden. In den Jahren zwischen 1400 und 1500 vergrößerte die Stadt ihr Gebiet um ein Vielfaches. Auch im Inneren versuchte der Rat, die Kontrolle zu gewinnen. Dabei konkurrierte er mit dem Bischof von Konstanz, der Jahrhunderte lang die Aufsicht über die kirchlichen Institutionen und Klöster geführt hatte und damit nach zeitgenössischem Verständnis der rechtmäßige Besitzer dieser Macht war.
Die einzige Waffe, die dem Bischof von Konstanz blieb, war ein Drohen mit der Strafe Gottes, und diese Drohung wurde im 16. Jahrhundert noch ernst genommen. In einer Zeit, in der nur 8,2 % der Bevölkerung ihr 60. Lebensjahr erreichten – zum Vergleich: in Afghanistan betrug die durchschnittliche(!) Lebenserwartung für 2019 64,8 Jahre –, war das einzige Ziel der großen Mehrheit, sich nach dem Tod einen Platz in Gottes Reich zu sichern. Deshalb war ein Priester wie Zwingli, der anhand der Bibel beredt nachweisen konnte, warum dieser Raub Gott gefällig sei, für den Zürcher Rat ein nützliches Werkzeug.
Zwingli und der Rat von Zürich benutzten einander gegenseitig, um ihre Ziele zu erreichen. Zwingli rechtfertigte, dass der Rat von Zürich sich der kirchlichen Besitzungen bemächtigte und unabhängige Kritiker auf der Kanzel ausschaltete. Zürich ermöglichte es Zwingli, seine Vision vom Gottesstaat in die Realität umzusetzen.
Der Kampf für die Reformation Zürcher Prägung war natürlich auch eine politische Frage und hatte Auswirkungen auf die Machtposition der Stadt Zürich innerhalb der Eidgenossenschaft. Es war also ein herber Rückschlag, als die Zürcher am 11. Oktober 1531 auf einem Feld bei Kappel ihre Niederlage gegen die vereinigten Streitkräfte der katholischen Orte erlitten. Jeder zehnte Zürcher Bürger verlor damals sein Leben. Zwingli wurde als Ketzer hingerichtet, was seine Zeitgenossen als Gottesurteil über Zwinglis Lehre interpretierten.
Für das nach der Schlacht von Kappel wiedererstarkte Zürich war das ein Image-Problem. Deshalb förderte der Zürcher Rat eine Prachtausgabe aller Werke Zwinglis anlässlich seines 50. Todestages, die wir Ihnen an dieser Station zeigen können. Mit diesen Büchern traten die Zürcher den Beweis an, dass Zwinglis Lehre immer noch gelebt wurde, seine Reformation also erfolgreich gewesen war. Damit deutete der Rat Zwinglis Tod um: Gestorben war nicht ein Ketzer, sondern ein Märtyrer.
Exakt das sagt die Widmung des Werks aus. Sie lautet „an die heilige und katholische Kirche aller Gläubigen, geliebte Braut unseres Königs und Priesters Christus, und an alle gläubigen zukünftigen Generationen, die Rechtfertigung des Herrn Huldrich Zwingli und seiner Werke durch deren Herausgabe von dem Zürcher Rudolf Gwalther.“
Gwalther bekleidete seit 1575 die Position des obersten Beamten der Zürcher Staatskirche. Er hatte ein persönliches Interesse an der Rehabilitation Zwinglis. Er war mit dessen Tochter Regula verheiratet. Seine Tochter sollte den Sohn von Heinrich Bullinger, seinem Vorgänger, heiraten. Die Zürcher Staatspriesterschaft etablierte sich als geschlossene Kaste.
Wohl nichts zeigt klarer, wie die Zürcher Zwingli wahrgenommen haben wollten, als die Vignette der Widmung. Auf ihr reinigt Christus die Kirche von den Händlern.
Zwingli rechtfertigte mit seinen Schriften gegen die Täufer das Vorgehen des Zürcher Rats gegen diese Gruppe von Reformierten, die nicht bereit waren, in Glaubensfragen die Autorität des Stadtrats anzuerkennen.
Bis heute ist das historische Bild Zwinglis verstellt von den verschiedenen Bildern, die für verschiedene Zwecke geschaffen wurden. Bei den schwindenden Zahlen von Kirchenbesuchern muss eine reformierte Kirche einen toleranten Gründervater präsentieren. Der Gotteskrieger Huldrych Zwingli passt nicht mehr in unsere Zeit.
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Huldrych Zwingli: Der nette Reformator von nebenan
Filme sind kommerzielle Unternehmungen und unterliegen den Regeln des Marktes. Mit anderen Worten: Erfolg bedeutet für einen Film nicht, die Wahrheit gesagt zu haben, sondern möglichst viele Menschen dazu gebracht zu haben, Geld für diesen Film auszugeben. Dies geht in zwei Richtungen. Im Vorfeld müssen möglichst viele Fördergelder akquiriert werden, um so eine opulente Ausstattung zu gewährleisten. Danach zählt die Gunst des Publikums, und das schenkt einem Film seine Gunst nach dessen Unterhaltungswert. Deshalb ist es von existentieller Bedeutung für jeden Regisseur, dass sein Film die Erwartungen seiner Kunden erfüllt bzw. übertrifft.
Ein Film über Zwingli im Reformationsjahr
Schon das Thema „Zwingli“ war opportunistisch. Zum Zeitpunkt seiner Erstaufführung wurde das Reformationsjubiläum weltweit mit großem medialem Aufwand und finanziellem Einsatz vorbereitet und begangen. Die reformierte Kirche erhoffte sich durch das Jubiläum eine erhöhte Aufmerksamkeit für ihre Inhalte, um so gegen die schwindende Zahl an Kirchenbesuchern vorzugehen. In diesem Umfeld fiel die Finanzierung eines „historischen“ Filmes um den Zürcher Reformator Zwingli wohl wesentlich leichter als zu jedem anderen Zeitpunkt.
Kein Film ohne zarte Liebesbande
Im Film erleben wir eine zarte Liebesgeschichte zwischen der Witwe Anna Reinhart und dem Pfarrer Huldrych Zwingli, mit Erröten, zärtlicher Fürsorge, liebevollen Küssen und einfach allem, was wir uns heute von einer Liebesbeziehung erwarten. Das muss so sein, schließlich erwartet der Zuschauer heute – von einem Film genauso wie von einem Buch – eine nette Liebesgeschichte, möglichst in Kombination mit einer starken Frau, die mit ihrem Verhalten demonstriert, dass Frauen schon immer den Männern ebenbürtig waren.
Historisch ist das nicht. Gleichberechtigung ist eine Sache des 20. Jahrhunderts. Und unsere Vorstellungen von einer auf Liebe gründenden Ehe ist ein Konzept des 19. Jahrhunderts.
Zur Zeit Zwinglis heiratete man, um eine starke Wirtschaftsgemeinschaft zu bilden. Zuneigung war natürlich erwünscht, aber keine Bedingung. Zwingli wird seine Haushälterin danach ausgesucht haben, wie tüchtig sie ihm schien. Anna Reinhart schätzte an Zwingli, dass er als Leutpriester am Großmünster zu den bestbezahlten Beamten der Stadt gehörte.
Übrigens, dass Zwingli im Film so dramatisch zu seinem Kind und zur Liebe zu seiner Anna Reinhart steht, hätte im 16. Jahrhundert niemand für etwas Besonderes gehalten. Im Gegenteil. Es war normal, dass ein gut verdienender Priester in einer eheähnlichen Gemeinschaft lebte. Die gesamte Geistlichkeit erwartete, dass der Zölibat bald fallen werde. Das wäre wohl auch geschehen, hätte es die Reformation nicht gegeben. Sie veranlasste das Reformkonzil von Trient dazu, den Zölibat beizubehalten und zum Alleinstellungsmerkmal der katholischen Geistlichkeit zu machen.
Katholiken sind fett, geldgierig und tragen Pelz
Klar weiß die Allgemeinheit, wie es zur Reformation kam: Eine kleine Gruppe von selbstlosen Geistlichen revoltierte gegen die egoistischen Pfaffen, die die Angst der Christen vor dem Jenseits ausbeuteten, um es sich gut gehen zu lassen. Und das zelebrieren Stefan Haupt und seine Drehbuchautorin: Ihre Handlung beginnt mit einer Kameraeinstellung auf ein Gemälde vom jüngsten Gericht. Eindrucksvoll fordert ein schmieriger Pfaffe von der frommen Witwe Anna, ihm das Geld für eine Seelenmesse zu geben, damit ihr Mann nicht im Fegefeuer braten müsse. Ja, schließt der Zuschauer daraus, so sind sie halt, die Katholiken: Egoisten, selbstverliebt, arrogant, intrigant und geldgierig, und das ohne Unterschied. Stefan Haupt bringt dieses Vorurteil wunderbar auf den Punkt. All seine Darsteller von katholischen Geistlichen sind fett. Und – oh Schreck, oh Graus, der politisch korrekte Bürger, vielleicht sogar Veganer, wendet sich angewidert ab – sie tragen üppige Pelzkrägen. Die Reformatoren dagegen schwingen ihre eleganten, schwarzen Roben durch die Straßen, sind hübsche, junge Männer, die man auch gerne mal in der Badehose sähe. Das unterscheidet sie von den Täufern, denen man ihre wilde Gesinnung schon an der wilden Barttracht ansieht.
Es bedarf wohl keines ausführlichen historischen Kommentars, um das als Schwarz-Weiß-Malerei zu entlarven. Spannende Geschichten leben von gut und böse. Je dunkler der Gegner, umso strahlender der Held.
Natürlich war historisch gesehen die moralische Qualität der katholischen Geistlichen im Durchschnitt um keinen Deut besser, aber auch nicht schlechter als die der reformierten Geistlichen. Allerdings nutzten die Reformierten zu Beginn der Reformation höchst geschickt die Tatsache, dass sich die neue Lehre besonders schnell in den Universitätsstädten verbreitete, wo es leistungsstarke Druckerpressen gab. Damit ließen sich Vorurteile zwar nicht genauso schnell transportieren wie heute über Facebook, aber dafür haben sie länger überlebt – und zwar mehr als ein halbes Jahrtausend lang.
Alles nur zum Wohle der Armen
Die Szenenabfolge ist eindrucksvoll: Die edle Katharina von Zimmern übergibt dem Rat ihren Schlüssel zum Fraumünster – natürlich nur, um so die Botschaft des Evangeliums zu befolgen und die Armen mit den Erträgen ihres Klosters zu ernähren. Schnitt. Eine Beißzange von Klosterschwester trägt unter Protest ihr Bündel aus dem Fraumünster. Schnitt. Eine Reihe von hungrigen Armen steht geduldig und lächelnd Schlange, um ihren Anteil an der Armenspeisung zu erhalten. Schnitt. Die Botschaft der Szenenabfolge: Die Klöster wurden aufgelöst, um die armen, armen Menschen zu ernähren.
Das ist hervorragende Propaganda des 16. Jahrhunderts. In erster Linie gingen die gewaltigen Besitzungen nämlich in die Kontrolle der Stadt Zürich über, die nach freiem Willen über das Einkommen verfügte. Ein bisschen ging natürlich auch an die Armen. Man richtete ein Amt ein, das sich darum kümmerte. Mehr schlecht als recht. Hatte die katholische Kirche mit den Stiftern klare Verträge geschlossen, wie viele Arme von den Erträgen zu welchem Zeitpunkt des Jahres gekleidet, gespeist oder mit Almosen versorgt werden sollten, entschied jetzt ein Beamter, wer Unterstützung verdiente. Dass nicht einmal die reformierten Mitbürger von diesem System überzeugt waren, illustriert der Zürcher Totentanz von 1650. Der Künstler wählte den Zürcher Armenvogt als Beispiel für einen korrupten Beamten.
Übrigens, Katharina von Zimmern übergab das Fraumünster nicht aus reiner christlicher Nächstenliebe. Sie verhandelte geschickt. Sie erhielt als Gegenleistung eine große Leibrente sowie das Wohnrecht in ihrem ehemaligen Kloster.
Zwingli wäscht seine Hände in Unschuld
Ach, wie gerne hätte doch die Frau Anna ihren Mann überredet, die Täufer zu schützen. Sie ist ja die Gute, das Gewissen von Zwingli, der für den Zuschauer völlig unmotiviert gegen Ende des Films von einem netten Kerl erst zu einem hilflosen Zuschauer und dann gar zum Kriegsbefürworter wird. Denn schuld sind ja immer die anderen. Die Täufer wollen einfach nicht einsehen, dass jetzt nicht die Zeit ist für zusätzliche Zugeständnisse; die katholischen Priester – Intriganten, wir erinnern uns – wiegeln die Eidgenössische Tagsatzung auf, Zürich auszuschließen; und als sich die katholischen Orte weigern, sich von den reformierten Gutmenschen aushungern zu lassen, schwingt Zwingli sich entschlossen aufs Pferd, um – ja, was eigentlich? Der Film lässt diese Frage in der Luft hängen. Hätte er nämlich die Wahrheit gesagt, dass Zürich und Zwingli die ganze Eidgenossenschaft zu zwingen versuchten, die Reformation zu übernehmen, wäre das schöne Bild des netten Zwingli von nebenan den Bach runtergegangen.
Tatsache bleibt, dass Zwingli die Hinrichtung und Vertreibung der Täufer mit seinen Schriften rechtfertigte, und dass er zentral am Beschluss des Zürcher Rats, die katholischen Orte zu bekriegen, beteiligt war. Aus seiner Weltsicht heraus völlig zurecht. Ihm ging es nicht um das diesseitige Leben der Menschen, sondern um ihr Heil im Jenseits. Genauso wie einem Taliban. Nur passt das natürlich nicht in einen Film, den die reformierte Kirche nach Möglichkeit ihren Gläubigen empfehlen soll. Da baut man lieber eine Bemerkung ein, in der Zwingli seine Toleranz zeigt, indem er den Koran ins Lateinische übersetzen will.
Filme werden gemacht, um zu unterhalten. Und das ist auch in Ordnung. Drehbuchautorinnen wie Simone Schmid produzieren Zeitvertreib wie ihre Erfolgsserie „Der Bestatter“. Auch Stefan Haupt hat keinerlei Hintergrund als Historiker. Muss er auch nicht. Dass ihm allerdings die Theologische Fakultät der Universität Zürich den Ehrendoktortitel für den Film Zwingli verliehen hat, das sollte einen bedenklich stimmen. Mein einziger Trost als Historikerin ist es, dass es nicht die historische Fakultät war.
In eigener Sache
Damit sind wir am Ende dieser Ausstellung. Unser Anliegen wäre erfüllt, wenn diese Ausstellung Sie ein klein wenig skeptischer gemacht hätte.
Denn es gilt immer drei Fragen zu stellen, um den Wahrheitsgehalt einer Aussage zu überprüfen:
Was kann ihr Urheber über den Sachverhalt wissen?
Welche Werte vertritt ihr Urheber?
Wem nützt es, wenn ich glaube, was der Urheber sagt?
Bleiben Sie skeptisch!
Ursula Kampmann