Buchstaben wie Gemälde: Ein Kaleidoskop schöner Bücher
Bibliophil, so nennt man Menschen, die bei einem Buch nicht nur den Inhalt, sondern auch die Form schätzen. Allen bibliophilen Menschen ist diese Ausstellung des MoneyMuseums gewidmet. Sie nimmt den Besucher mit auf eine Zeitreise, die kurz vor der Epoche beginnt, in der Bücher von einem Gebrauchs- und Statusobjekt zu einem Kunstwerk wurden. Unser Weg führt uns von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die Gegenwart und stellt jeden einzelnen Besucher vor die Frage, was für ihn ein schönes Buch ist.
Zu den Stationenvon
Ursula Kampmann
Station 1 – Die Erfordernisse der Wirtschaft
Es waren wirtschaftliche Entwicklungen, die das Aussehen der Bücher im 19. Jahrhundert bestimmten. Station 1 präsentiert zwei Bücher an denen das deutlich wird.
Das erste ist das zentrale Werk von Adam Smith. Es trägt den Titel An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations – zu Deutsch Eine Untersuchung über die Natur und die Ursachen des Reichtums einer Nation. Darin fasste Smith zusammen, wie ein bürgerlicher Gegenentwurf zu einer Wirtschaft aussehen müsse, in der einzig das Wohl des Staates im Mittelpunkt steht. Wealth of Nations wurde zu einer Bibel des Liberalismus. Viele Entwicklungen, die sich auch auf den Buchmarkt auswirkten, finden hier ihre theoretische Begründung.
Das zweite Buch, das wir Ihnen vorstellen, beschäftigt sich mit der Great Exhibition von 1851. Es handelt sich um den in Buchform veröffentlichten amtlichen Bericht, den der Deutsche Zollverein über diese erste Warenmesse im modernen Sinn herausgab. Die Veranstaltung wurde durch die weltweite Berichterstattung zu einem Wendepunkt. Danach konnte niemand mehr leugnen, dass sich die Wirtschaftswelt verändert hatte und dass sich diese Veränderung noch beschleunigen würde. Das rief viel Begeisterung hervor, aber einige kritische Geister stellten sich die Frage, ob der Preis das einzige Bewertungskriterium für einen Gegenstand sein dürfe.
1.1 – Adam Smith: Das neue wirtschaftliche Denken
Am 9. März 1776 publizierte Adam Smith sein epochemachendes Werk An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations. Nur wenige Monate später lag unter dem Titel Untersuchung der Natur und Ursachen von Nationalreichthümern bereits eine Übersetzung ins Deutsche vor. Denn das Buch war in London ein Riesenerfolg. Grund dafür war nicht die Neuheit der Thesen von Smith, sondern dass er in diesem Werk all das subsummierte, was ein aufstrebendes Bürgertum sich von der Politik für die Wirtschaft erhoffte. Wealth of Nations war eine Absage an den Merkantilismus. So nannte man die Wirtschaftsform der absoluten Monarchie.
Smith brachte einen Paradigmenwechsel. Vor ihm war das Ziel von Wirtschaftspolitik, möglichst viele Einnahmen für den Staat zu schaffen, ohne Rücksicht auf Handel und Industrie zu nehmen. Dieses Geld wurde nicht in Infrastruktur investiert, sondern in Selbstdarstellung des Monarchen, Militär und Befestigungsanlagen.
Im politisch liberalen Großbritannien spielten dagegen die Interessen der Geldaristokratie eine wesentlich größere Rolle. Sie unterstützten die Thesen von Adam Smith und forderten, dass der Staat seine Interessen zurückstelle, um die seiner Bürger zu fördern. Nur so könne er selbst von höheren Steuereinnahmen profitieren.
Gleich im ersten Kapitel schildert Smith die Vorteile von Massenproduktion anhand eines bis dahin relativ kostspieligen Gebrauchsguts, der Nähnadel. Er erklärt, dass eine einzelne Person pro Tag höchstens einige wenige Nadeln herstellen kann, die dementsprechend teuer sind. In einer Manufaktur produzieren dagegen zehn Arbeiter problemlos 48.000 Nadeln pro Tag. Dadurch reduziert sich der Preis für die einzelne Nähnadel erheblich, selbst wenn man den Gewinn des Produzenten und die Rendite des Kapitalgebers einrechnet.
Smith sieht die Situation aus dem Blickwinkel des reichen Bürgertums. Deshalb übersieht er die Auswirkungen, die ein Preiskampf auf die Löhne haben muss; jedenfalls solange es mehr Arbeiter gibt, als der Markt braucht. So diktieren im 19. Jahrhundert die Fabrikinhaber die Löhne, ohne dabei auf die Lebenshaltungskosten ihrer Arbeiter Rücksicht zu nehmen.
Das Ergebnis kennen wir als den Manchesterkapitalismus, wie ihn Friedrich Engels in seinem Buch Die Lage der arbeitenden Klasse in England schildert. Kinderarbeit, Hungerlöhne bei langen Arbeitszeiten, willkürliche Behandlung und Altersarmut verschwanden erst, als der Staat Regelungen zum Schutz der Arbeiter einführte.
Adam Smith ist gegen gesetzliche Regelungen zu Gunsten der Arbeiter. Er glaubt, der Markt werde den richtigen Lohn schon festsetzen. Für ihn sind Arbeiter gleichberechtigte Marktteilnehmer, die ihre Ware – die Arbeitskraft – meistbietend verkaufen.
Der Preis jeder Ware wird, so Smith, von Angebot und Nachfrage bestimmt. Der Markt funktioniert dabei wie ein Regelkreis: Herrscht Mangel, steigen die Preise so lange, bis so viele Unternehmer in eine Branche drängen, dass ein Überangebot entsteht. Dadurch fallen die Preise und machen die Branche unattraktiv, so dass sich Unternehmer abwenden. Das bringt wiederum den Mangel hervor und der Kreislauf beginnt von neuem.
Entscheidend dabei ist, dass der Preis einer Ware zum einzigen Kriterium ihres Erfolgs oder Misserfolgs wird.
Adam Smith fordert vom Staat, die Grundausbildung der Kinder zu garantieren. Sie sollen vor ihrem Eintritt ins Arbeitsleben das Lesen, Schreiben und Rechnen erlernen.
Seine Forderung wurde erst im Verlauf des 19. Jahrhunderts flächendeckend realisiert. Zürich z. B. erließ 1832 ein Schulgesetz, das Kindern eine sechsjährige Ausbildung auf Staatskosten garantierte. Wer in der Schule lesen gelernt hatte, war ein potentieller Kunde des Buchmarkts. Damit vergrößerte sich die Nachfrage enorm. Sie konnte nur dank Massenproduktion gedeckt werden.
1.2 Die Wende: die Great Exhibition von 1851
Am 1. Mai des Jahres 1851 eröffnete Queen Victoria höchstpersönlich die Great Exhibition, wie man die erste Weltausstellung in London nannte. Sie wurde organisiert und durchgeführt von der Royal Society for the Encouragement of Arts, Manufactures & Commerce, mit anderen Worten: Die Great Exhibition war eine Art internationale Leistungsschau. Produzenten aus dem In- und Ausland konnten hier zeigen, wie hoch die Qualität und wie günstig der Preis ihrer Waren war, um so neue Kunden zu finden.
Für damalige Zeiten unglaubliche 17.062 Aussteller aus 28 Ländern präsentierten ihre Erzeugnisse einer staunenden Öffentlichkeit, die aus der ganzen Welt nach London reiste. Rund sechs Millionen Personen besuchten den Glaspalast.
Dabei handelte es sich nicht nur um Schaulustige und Privatleute. Zahlreiche Fabrikanten machten sich höchstpersönlich auf den Weg, um zu erfahren, wo die Konkurrenz gerade stand. Dazu schickten die Handelsvereine und Regierungen ihre eigenen Beobachter. Viele Sachverständige gingen systematisch von einem Stand zum nächsten, um sich über die neuesten Produktionsmethoden, die Qualität der damit hergestellten Produkte und die Preise zu informieren.
Auch der aufstrebende deutsche Zollverein schickte eine Sachverständigen-Kommission. Sie publizierte anschließend einen umfangreichen Bericht. Die drei Bände erschienen 1852 und 1853. Viele Industrievereine erwarben davon ein Exemplar, das von den Mitgliedern eifrig diskutiert wurde.
Nach Branchen geordnet informiert der Bericht über die Qualität der in London gezeigten Rohstoffe, Halb- und Fertigprodukte. Er kommentiert die neuesten Technologien und stellt die dafür verantwortlichen Fabriken vor.
Ein detailliertes Inhaltsverzeichnis erleichtert das Auffinden der gesuchten Branche. Die XVII. Klasse ist Papier und Papierarbeiten, Schreib- und Druckereibedarf sowie Erzeugnissen des Buchdrucks und der Buchbinderei gewidmet.
§ 157 beschäftigt sich mit der Papierherstellung. Papier blieb bei der Produktion von Zeitungen und Büchern der wesentliche Kostenfaktor. Erst ab der Mitte des 19. Jahrhunderts verbreitete sich ein Verfahren, das Ausgangsmaterial Lumpen durch Zellulose auf Holzbasis zu ersetzen. Maschinen, die die teure Handarbeit überflüssig machten, konnte man dagegen schon auf der Great Exhibition bewundern.
Auch beim Druck wurde 1851 teilweise auf Handarbeit verzichtet. Gerade im Bereich der Zeitungen diskutierte man über die Geschwindigkeit von Schnellpressen.
Doch die Qualität der Schnellpressen eignete sich noch(!) nicht für hochwertige Abbildungen. Hier wurden moderne, selbst einfärbende Handpressen benutzt.
1851 schien das allgemeine Ziel zu sein, die Qualität der Handarbeit mittels Maschinen zu erreichen oder gar zu übertreffen, um so den Preis zu senken und die teurer produzierende Konkurrenz auszubooten. Das Handwerk schien in dieser Welt keinen Platz mehr zu haben.
Station 2 – Was macht ein Buch schön?
Nach der Great Exhibition diskutierten kritische Denker, ob maschinell erzeugte Produkte es an Schönheit mit den Erzeugnissen des menschlichen Geistes je würden aufnehmen können. Sie postulierten die Überlegenheit der menschlichen Kreativität gegenüber der geistlosen Perfektion der Maschine. Auch die sozialen Umstände in den Fabriken veranlassten eine intellektuelle Oberschicht, die Rückkehr zu den Arbeitsbedingungen eines idealisierten Mittelalters zu fordern: In kleinen Werkstätten sollten gut bezahlte, hoch motivierte und bestens ausgebildete Handwerker schöne Gegenstände erschaffen.
William Morris (1834-1896) stand mit seiner höchst erfolgreichen Manufaktur an der Spitze einer Gegenbewegung, die wir heute unter dem Namen Arts and Crafts kennen. Eigentlich auf Möbel und Deko-Artikel spezialisiert, gründete Morris 1891 die Kelmscott Press. Mit ihr schuf er die Bücher, von denen er träumte. Die Kelmscott Press wurde zum Vorbild all der kleinen Pressen und Offizinen, die sich einer neuen Buchkunst widmeten.
Wir zeigen in Station 2 zwei Beispiele für frühe Pressendrucke. Aus dem Jahr 1913 stammt ein Pressendruck der Riccardi Press von Chaucers Canterbury Tales. Bereits etwas früher, nämlich 1905, erschien der wohl erste deutsche Pressendruck. Es handelt sich um Rilkes Stundenbuch, herausgegeben von der Insel-Presse. Beide Beispiele machen deutlich, in wie weit sich die Pressendrucke von den industriell gefertigten Büchern unterschieden.
2.1 – Chaucers Canterbury Tales der Riccardi Press: Schönheit, die ich meine
William Morris definierte mit seiner Kelmscott Press, wodurch sich ein Pressendruck von einem maschinell gefertigten Buch unterscheidet. Dabei spielt das Papier eine entscheidende Rolle. Nach traditioneller Methode mit der Hand geschöpftes Büttenpapier war zu Beginn des 20. Jahrhunderts dem maschinell gefertigtem Papier aus Zellulose überlegen. Es vergilbt kaum und wird nicht brüchig.
Im Mittelpunkt des Denkens stand für Morris der Satz, also die Druckertype, vulgo Schrift, und die sorgfältige Aufteilung der Zeilen. Morris ließ eigene, besonders schöne Typen entwickeln. Illustrationen waren für ihn dagegen zweitrangig, weil sie bei kleinen Auflagen unverhältnismäßig teuer sind. Nur besondere Prestigeobjekte des Pressendrucks sind mit Abbildungen ausgestattet.
Der Druck erfolgt mit der Handpresse, wobei schon Morris Kompromisse machte: Er zog moderne Handpressen aus Eisen den hölzernen Pressen der frühen Neuzeit vor, weil sie eine bessere Druckqualität hervorbrachten. Keine Kompromisse gibt es bei Pressendrucken hinsichtlich der Bindung: Sie erfolgt von Hand mit den besten Materialien.
Eine wichtige Komponente im Bereich der Pressendrucke ist der wirtschaftliche Aspekt. Schon Morris war ein vehementer Kämpfer für faire Arbeitsbedingungen. Er bezahlte seine Arbeiter überdurchschnittlich und legte größten Wert auf attraktive Arbeitsbedingungen. Darüber hinaus verfasste er eine zu seiner Zeit viel gelesene Utopie, wie Arbeit zu einem erfüllten Leben beitragen könne.
In seiner Nachfolge entschieden sich viele Anhänger der Lebensreformbewegung, selbst kleine Wertstätten zu betreiben, um so der Hektik der neuen Wirtschaft zu entfliehen. Einige von ihnen eröffneten Pressen, wie man von Hand betriebene Druckereien nannte. Die von ihnen hergestellten Bücher verkauften sie zu einem Preis, der die Kosten deckte und ihnen darüber hinaus einen bescheidenen Lebensunterhalt garantierte. Wegen der kostspieligen Materialien und der aufwändigen Produktion konnte sich nur eine kleine Oberschicht Pressendrucke leisten.
Es wurden also nur kleine Auflagen gefertigt. Deshalb entwickelten sich Pressendrucke zu sorgsam gehüteten Sammelobjekten: Sie waren zu teuer, um wie normale Bücher gemütlich auf dem Sofa gelesen zu werden.
Die Riccardi Press entstand 1909. Ihr Gründer Herbert P. Horne (1864-1916) begeisterte sich für die Renaissance. Seinen Palazzo in Florenz finanzierte er als Kunstagent für Museen und Privatsammler. In diesem Zusammenhang kam die Kooperation mit der Medici Society zustande. Dieses Unternehmen verdiente sein Geld, indem es günstige Kopien von großer Kunst an ein breites Publikum verkaufte.
Die Pressendrucke, die im Auftrag der Medici Society gefertigt wurden, sollten Profit machen. Deshalb wählte man mit den Canterbury Tales einen Text, der als Teil des britischen Bildungskanons galt. Jeder (gebildete) Haushalt verfügte damals über eine Ausgabe der Canterbury Tales, wobei sich die Ausstattung nach dem Vermögen unterschied.
Als Illustrator verpflichtete die Riccardi Press den jungen William Russel Flint (1880-1969), der zu den führenden Illustratoren seiner Zeit zählt. Seine Abbildungen wurden immer wieder für neue und günstigere Ausgaben verwendet.
Ungebunden kosteten die drei Bände der Canterbury Tales 7 Pfund, 6 Shilling und einen Sixpence. Wer sie in Verlagsbindung wie bei der hier ausgestellten Variante erwerben wollte, musste 9 Pfund, 9 Shilling bezahlen. Zwölf Kopien wurden auf feinstem Pergament gedruckt. Ihr Preis von 47 Pfund, 5 Shilling entsprach in etwa der Miete eines Londoner Herrschaftshauses für ein halbes Jahr.
2.2 – Rilkes Stundenbuch: Eine Glücksstunde für die deutsche Literatur
1899 gründeten drei Künstlerfreunde eine Zeitschrift mit dem Namen „Die Insel“. Aus ihr wurde 1901 der Insel-Verlag. Weder Zeitschrift noch Verlag waren ein kommerzieller Erfolg. Im Februar 1905, als sich ein damals noch unbekannter Dichter namens Rainer Maria Rilke an den Verlag wandte, war der praktisch ruiniert.
Rilkes Ansprechpartner hieß Carl Ernst Poeschl. Er war Geschäftsleiter aus Verlegenheit und Drucker aus Begeisterung. Poeschl hatte sich einen Berater namens Anton Kippenberg engagiert, der sich als genialer Verleger entpuppte. Er riet, Rilkes Stundenbuch zu veröffentlichen.
Poeschl war 1904 nach England gereist und hatte dort führende Mitglieder der Buchkunstbewegung kennengelernt. Er wollte etwas Ähnliches in Deutschland initiieren und entschied, zusätzlich zu den maschinell gefertigten Kopien von Rilkes Werk einen Pressendruck herauszugeben. Wahrscheinlich handelt es sich dabei um den ersten deutschen Pressendruck überhaupt. Er erschien in der kurzlebigen Insel-Presse mit einer Auflage von 440 Exemplaren.
Rainer Maria Rilkes Gedichtszyklus entstand zwischen 1899 und 1903. Rilke verarbeitet darin eine Reise, die er zusammen mit der berühmt-berüchtigten Lou Andreas-Salomé in ihre russische Heimat gemacht hatte. Seine Geliebte brachte ihn nicht nur in die Städte, sondern auch in die Taiga, wo Rilke das einfache Leben und den tiefen Glauben der Bauern erlebte. Sein Stundenbuch formuliert das Unbehagen seiner Generation am Fortschritt und ihre Sehnsucht nach einem sinnerfüllten Dasein im Angesicht Gottes, der sich dem modernen Menschen verbirgt.
Drucker Poeschl setzte dieses poetische Werk sorgfältig um und ließ sich dafür von mittelalterlichen Büchern inspirieren. Rilke war davon so begeistert, dass er an Kippenberg schrieb: „Es steht, seit dem Stundenbuch, für mich fest, dass ich Ihnen von jeder neuen Arbeit sagen würde, die etwa bei mir zum Abschluss kommt.“
Die gemeinsame Arbeit trug Früchte. Verleger Kippenberg machte Rilke zu einem hoch bezahlten Bestseller-Autor. Noch zu dessen Lebzeiten verkaufte der Insel-Verlag allein 60.000 Exemplare vom Stundenbuch in vier Auflagen.
Charakteristisch für die Gestaltung des Textes sind die mittelalterlich anmutenden Initialen, die jedes Gedicht einleiten.
Für den Halbledereinband wurde ein kostbares handgedrucktes Papier gewählt, dessen Rankenmuster Elemente des Jugendstils aufgreift.
Carl Ernst Poeschl schied kurz danach aus dem Insel-Verlag aus, um sich einen Traum zu erfüllen: Er gründete die Janus-Presse, die erste Privatpresse in Deutschland. Dieser Pressendruck des Stundenbuchs von 1909 ist allerdings nicht in der Janus-Presse entstanden, sondern bei Drugulin, einer Druckerei, die bereits seit 1829 existierte.
Besonders gelungen ist der Einband, der an frühneuzeitliche Einbände erinnert.
Station 3 – Die Buchkunstbewegung
Die Blütezeit des Pressendrucks reicht von der Epoche kurz vor dem Ersten Weltkrieg bis zum Schwarzen Freitag des Jahres 1929. Viele private Pressen und Offizinen fertigten damals in Deutschland nach dem Vorbild der Kelmscott Press schön ausgestattete Drucke von Texten, die man für besonders wertvoll hielt. Im Mittelpunkt standen die Klassiker. Sie ließen auf einen guten Absatz hoffen, und man musste kein Geld in Urheberrechte investieren. Mit Abstand am beliebtesten waren dabei Texte aus dem Werk des Dichterfürsten Johann Wolfgang von Goethe.
Wir stellen in Station 3 exemplarisch zwei der vielen kleinen Privatpressen vor. Wir präsentieren die Bremer Presse mit ihrem Druck von Goethes Iphigenie auf Tauris und die Officina Serpentis mit einem prachtvollen Druck der Johanneischen Schriften.
Besonders interessiert uns in dieser Station, wie sich das Selbstverständnis derjenigen veränderte, die diese Bücher schufen. Sie begriffen sich nicht mehr als Handwerker, sondern als Künstler.
3.1 – Die Bremer Presse: Handwerk oder geistiges Eigentum?
Die Bremer Presse trägt ihren Namen nach dem Ort ihrer Entstehung, Bremen. Dort gründeten 1911 zwei Patriziersöhne aus bestem Hause – der schwer herzkranke Ludwig Wolde und der karriereunwillige Jurist Willy Wiegand – ihre Privatpresse. Nach ersten Erfolgen unterbrach der Erste Weltkrieg ihre Arbeit. Er veranlasste sie zu einem Umzug nach Bayern, erst nach Tölz, dann nach München, wo das legendäre Künstlerviertel Schwabing ein inspirierendes Umfeld bot.
Die Bremer Presse fand ihre neue Heimat in einem Gartenhaus in der Schwabinger Georgenstraße. Ihr Vermieter war der Vater der Buchbinderin Frieda Thiersch. Sie fertigte in der nebenan gelegenen väterlichen Villa die Einbände für die Bremer Presse. Ihre Buchrücken mit dem hohen Wiedererkennungseffekt wurden zu einem wichtigen Alleinstellungsmerkmal der Privatpresse.
Thiersch hatte ihr Handwerk beim schottischen Buchbinder Charles McLeish gelernt. McLeish seinerseits war der Leiter der Buchbinderei der Dove Press, die nach dem Tod von William Morris das Erbe seiner Kelmscott Press angetreten hatte. Damit fühlte sich Thiersch als legitime Erbin der Art and Craft Bewegung.
Frieda Thiersch schuf für die Drucke der Bremer Presse einen Einband, der sechs traditionelle Techniken der Buchbindekunst kombinierte. Besonders auffällig sind die Karrévergoldung der Rückenfelder und die Goldlinien an den Deckelrändern im Verbindung mit dem Jahr des Drucks im untersten Rückenfeld.
Thiersch war selbstbewusst, wusste, was ihre Einbände aus Meisterinnenhand wert waren. So versuchte mancher Kunde zu sparen, indem er die Bremer Drucke ungebunden kaufte, um sie dann durch einen weniger renommierten Buchbinder verblüffend ähnlich (und wesentlich billiger) binden zu lassen.
Frieda Thiersch ging dagegen gerichtlich vor. Sie führte einen vielbeachteten Musterprozess gegen ihren ehemaligen Lehrling. Sie argumentierte, dass man an einer genau festgelegten Kombination von handwerklichen Techniken geistiges Eigentum erwerbe. 1922 erzielte sie einen Vergleich, der ihr tatsächlich das Urheberrecht an ihren Einbänden sicherte. Damit stellte der Gesetzgeber die handwerkliche Arbeit einer Buchbinderin dem Werk eines Autors, eines Komponisten oder eines Kunstmalers gleich.
Auf den ersten Blick sieht der von Charles de Samblanc angefertigte Einband dem Buchrücken aus der Fertigung von Frieda Thiersch sehr ähnlich.
Doch der Buchbinderstempel auf dem Einband verrät, dass es sich nicht um einen Originaleinband handelt.
Für Sammler bedeutet das eine Wertreduktion. Bücher im Verlagseinband erzielen auf dem Sammlermarkt höhere Preise.
Pressendrucke eignen sich optimal als Sammelobjekt. Sie alle besitzen ein Impressum, das die wichtigsten Fakten über ihre Seltenheit zusammenfasst. Hier erfahren wir, dass Iphigenie auf Tauris in 300 Exemplaren gedruckt wurde, von denen zweihundertachtzig verkauft wurden. Das vorliegende Exemplar ist die Nummer 189.
3.2 – Buchstaben wie Gemälde: Die Werke der Officina Serpentis
Der Titel dieser Ausstellung wurde inspiriert von diesem Buch, das im Jahr 1919 in der Officina Serpentis erschien. Die Berliner Officina Serpentis wurde von Wilhelm Tieffenbach gegründet. Er gab eine gut bezahlte, aber monotone und unbefriedigende Arbeit im Berliner Telegraphen-Versuchsamt auf, um als Autodidakt wunderschöne Bücher mit der Handpresse herzustellen. Tieffenbach gehörte nicht wie viele andere Gründer von Privatpressen zu den Intellektuellen, die von ihren Eltern finanziell abgesichert ein sinnerfülltes Leben suchten. Er lebte von seiner Tätigkeit mehr schlecht als recht in einer günstigen Mietwohnung in Berlin-Steglitz, wo er im Souterrain seine Handpresse aufstellte.
Sein Vorbild waren die Inkunabeln der frühen Neuzeit, also die allerersten Drucke, die sich in ihrem Aussehen noch ganz eng an die Manuskripte der Zeit vor der Erfindung des Buchdrucks anlehnten. Er griff dafür kompliziert zu setzende Druckbilder auf. Ein Meisterwerk gelang ihm mit seinen Tres Epistolae Platonis, in denen der griechische Originaltext von Platon von der deutschen Übersetzung umrahmt wird.
Tieffenbach charakterisiert seine Arbeit selbst folgendermaßen: „Je selbstverständlicher sich eine Buchseite liest, je klarer sie den Inhalt des Werkes übermittelt, je weniger der Leser merkt, welche Mühe und welche Arbeit und welches Nachdenken nötig war, um das Formale des Buches herzustellen, um so besser ist das Werk gelungen.“
Tieffenbach arbeitete mit den besten Künstlern seiner Zeit, darunter Max Liebermann und Lovis Corinth. Er schuf insgesamt etwa 200 Titel, ehe er seine Werkstatt Ende der 1930er Jahre aus wirtschaftlichen Gründen aufgeben musste. Kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs zog er in eine kleinere Wohnung in Berlin-Tempelhof. Diese fiel den Bombennächten zum Opfer. Tieffenbachs künstlerischer Nachlass wurde dabei vernichtet.
Auch die Initialen erinnern an die zauberhaften, von Hand illuminierten Initialen der Codices aus der frühen Neuzeit.
Der Einband erinnert ebenfalls an die Codices der Klosterbibliotheken.
Häufig arbeitete Tieffenbach mit der Maximilian-Gesellschaft zusammen, der er selbst angehörte. So druckte er in ihrem Auftrag die mit 21 Lithographien von Max Liebermann illustrierte Effi Briest.
Max Liebermann gehört zu den bekanntesten Künstlern des Deutschen Kaiserreichs. Seine Illustrationen beweisen sein Können bis ins hohe Alter: Liebermann feierte am 20. Juli 1927 seinen 80. Geburtstag.
Er hatte das Glück, 1935 zu sterben, also acht Jahre bevor seine Witwe der Deportation ins KZ Theresienstadt nur durch den Freitod entkam.
Station 4 – Das Buch als Sammelobjekt: Die Vereinigung Oltener Bücherfreunde
Entstanden die frühen Pressendrucke aus dem Bedürfnis, die alten Traditionen des handwerklichen Buchdrucks in die Gegenwart zu überführen, stellten ihre Erzeuger fest, dass ihr Kundenkreis nicht aus anspruchsvollen Lesern, sondern aus Sammlern bestand. Im Unterschied zum Leser interessiert sich der Sammler kaum für den Inhalt eines Buches, sondern hauptsächlich für seine Form und Seltenheit.
Pressendrucke entwickelten sich zu einem beliebten Sammelobjekt, weil sie alle Charakteristika aufweisen, die ein gutes Sammelobjekt auszeichnen:
- Sie liegen in einer streng beschränkten Menge vor.
- Es gibt Verzeichnisse, anhand derer man sammeln kann.
- Es existiert ein Zweitmarkt, also die Möglichkeit, einen Pressendruck wieder zu verkaufen.
Vor allem der Zweitmarkt ist für jedes Sammelobjekt von entscheidender Bedeutung. Auch wenn die wenigsten Sammler es offen zugeben: Der Nervenkitzel, ob ein zum Ausgabepreis erworbenes Sammelobjekt im Wert steigt oder fällt, macht einen großen Teil des Vergnügens aus.
Die Ausgaben der Vereinigung Oltener Bücherfreunde (VOB) sind ein Beispiel dafür, wie ein Verleger diesen Nervenkitzel zu seinen Gunsten nutzen kann. Wir zeigen Ihnen in dieser Station an einigen Beispielen, wie William Matheson vorging, um mit möglichst wenig Aufwand begehrte Sammelobjekte zu kreieren.
4.1 – William Matheson und seine Vereinigung Oltener Bücherfreunde
Der Schweizer William Matheson war ein leidenschaftlicher Sammler. Nicht von Pressendrucken, sondern von Autographen. Als Familienvater mit drei Kindern und hauptberuflicher Einkäufer für die Motorwagenfabrik Berna in Olten verfügte er allerdings nicht über die Mittel, um sich die Sammlung von Autographen leisten zu können, die er gerne erworben hätte. Um günstig an Autographen zu kommen, suchte er den Kontakt zu lebenden Autoren.
Thomas Mann persönlich soll Matheson bei einem Besuch, so erzählt der es jedenfalls selbst, zur Gründung der Vereinigung Oltener Bücherfreunde inspiriert habe. Der große Altmeister der Literatur habe ihn auf die Kölner Bibliophilen-Gesellschaft aufmerksam gemacht. Matheson verstand, dass ihn die Rolle eines Herausgebers in nächste Nähe zu potentiellen Autoren brachte. Durch die Gründung der nicht gewinnorientierten Vereinigung Oltener Bücherfreunde am 5. Mai 1936 ersparte er sich eine aufwändige Buchhaltung. Außerdem besaß er durch den gemeinnützigen Zweck ein wunderbares Argument, alle an der Produktion Beteiligten im Preis zu drücken.
Das begann mit den Autoren, deren Qualität übrigens durchaus schwankte. Sie erhielten für die Überlassung eines unpublizierten Texts zwischen 600 und 1.200 Franken Honorar. Gelegentlich schmeichelte ihnen Matheson ein anderweitig nicht verwendbares Fragment unentgeltlich ab. Außerdem nutzte er seine Besuche, um den Autoren für wenig Geld Autographen abzuhandeln. So schildert Andreas Burkhardt ein Beispiel, wie Matheson den Maler Gunther Böhmer übervorteilte. Böhmer hatte bei der VOB sein Tagebuch eines Malers veröffentlicht und illustrierte viele Bände der Publikation. Matheson erwarb bei einem Besuch eine Porträtzeichnung von Hermann Hesse, die dieser sogar signiert hatte. Böhme forderte dafür gerade einmal 130 bis 150 Franken.
Seine Erfahrungen als Sammler befähigten Matheson, exakt zu analysieren, was andere Sammler dazu veranlasste, eine seiner Ausgaben zu erwerben. Seine erste Maßnahme war eine künstliche Verknappung, bei der ein eigentlich günstig in relativ hoher Auflage entstehender Druckblock allein durch die Bindung in verschiedene Qualitäten aufgeteilt wurde. Die Vorzugsausgabe wurde in Ganzleder gebunden.
Daneben gab es eine günstigere Halbledervariante sowie eine noch günstigere Variante im Pappeinband.
Für sich selbst reservierte Matheson die seltensten Exemplare: 3 nicht nummerierte, in Ganzpergament gebundene Ausgaben. Vorzugskunden durften die 33 mit römischen Ziffern nummerierten Exemplare kaufen. Weitere 100 Exemplare, arabisch nummeriert und in Halbpergament gebunden, wurden für etwas weniger Geld angeboten. Für die breite Masse gab es denselben Buchblock im Pappeinband.
Der mit den Buchbindearbeiten betraute Kretz mokierte sich über den Zeit- und Kostendruck, unter dem er arbeitete mit der Bemerkung „Jede Handbewegung ist Geld!“
Heute wird die Luxusausgabe des mit 44 Seiten sehr dünnen Büchleins für ca. 200 bis 250 Euro gehandelt, die Ausgabe in Halbpergament ist für ca. 80 Euro zu haben, die einfache Ausgabe für 20 bis 30 Euro.
4.2 – Was macht ein begehrtes Sammelobjekt aus?
Jeder Büchersammler weiß, dass persönliche Widmungen den Wert eines Buchs stark erhöhen können. Das liegt daran, dass es oft mit erheblichen Mühen verbunden ist, sich so eine Widmung zu verschaffen. Das nutzte Matheson, um seinen besten Kunden für teures Geld handsignierte Bücher zu verkaufen. Er ließ seine Autoren dafür im Fließbandverfahren unterschreiben. Und zwar nicht im Buch, sondern bereits auf den Druckbögen, die er höchstpersönlich bei ihnen vorbei brachte. Das ging schneller und bei einem Verschreiben musste nur ein Bogen, nicht ein bereits gebundenes Buch weggeworfen werden. So kam es zu dem Paradoxon, dass es von der 99. Ausgabe der VOB, die Hesses Aerzte beinhaltet, handsignierte Exemplare gibt, obwohl Hesse bereits ein halbes Jahr zuvor verstorben war.
Auch wenn die Publikationen der Vereinigung Oltener Bücherfreunde wenig mit den Arbeitsbedingungen und Herstellungsverfahren zu tun haben, die William Morris von Privatpressen forderte, hält das Impressum den Eindruck aufrecht, es würde den hohen Anforderungen des Pressendrucks gerecht. So wurden in der Druckerei von Heinrich Lustig in Gelterkinden normalerweise Zeitungen hergestellt. Wahrscheinlich leistete sich der bibliophile Druckereibesitzer, selbst Mitglied der VOB, eine kleine Abteilung, in der gelegentlich von Hand gesetzt wurde. Dies mit Privatpressen wie der Officina Bodoni oder der Officina Serpentis zu assoziieren, ist irreführend, vor allem weil der Druck sicher nicht auf der Handpresse erfolgte. Auch Zerkall-Bütten hat mit handgeschöpftem Bütten nur wenig gemein. Zwar wird Zerkall noch aus Lumpen gewonnen, die Produktion erfolgt aber wie bei normalem Papier maschinell.
Trotz des hohen Kostendrucks finden sich hin und wieder wahre Perlen zwischen den relativ einfallslos gestalteten Drucken der VOB. Wohl eine der schönsten Ausgaben ist Die Beichte des Don Juan, verfasst von Rudolf von Hagelstange, illustriert von Gunter Böhmer. Sie wurde 1954 vom Schweizerischen Buchhändler und Verlegerverein als das schönste Schweizer Buch des Jahres ausgezeichnet.
Matheson steigerte den Wert einiger weniger Exemplare durch eine doppelte Signatur auf der Titelseite, auf der nicht nur der Autor, sondern auch der Illustrator unterschrieb.
Der Autor schrieb für die guten Kunden von Matheson zusätzlich noch eine weitere, längere Widmung in sein Buch.
William Mathesons Sammlung von Dichterautographen ist übrigens berühmt. Sie wurde anlässlich seines 80. Geburtstages 1975 in der Stadtbibliothek von Olten ausgestellt. Im gleichen Jahr verfasste der Schweizer Germanist Martin Bircher eine Würdigung der Sammlung für die Zeitschrift der Schweizerischen Bibliophilen-Gesellschaft.
Station 5 – Schönheit für den Hausgebrauch
In den 1940er Jahren entstanden bei Conzett & Huber in Zürich gleich zwei Publikationen, die durch ihre Ästhetik das Schönheitsempfinden einer breiten Leserschaft nachhaltig beeinflussten: die Monatszeitschrift du und die Manesse Bibliothek der Weltliteratur. In dieser Station sehen wir uns die Gründe an, warum ausgerechnet die kleine und vielsprachige Schweiz kurz nach dem Zweiten Weltkrieg führend im deutschsprachigen Verlagswesen wurde. Darüber hinaus stellen wir uns die Frage, welches Konzept hinter beiden Publikationen stand, und was sie so erfolgreich machte.
5.1 – Ein Werbemittel setzt Maßstäbe: Das du
Ende der 1930er Jahren geriet die schweizerische Druck- und Verlagswelt in die Krise. Conzett & Huber nutzte sie, um auf eine völlig neue Technik umzusteigen. Man investierte in das Tiefdruckverfahren. Damit konnte eine bis dahin unerreichte Qualität des Farbdrucks mit echten Halbtonwerten erzeugt werden. Das machte Conzett & Huber technisch zum Schweizer Marktführer in Sachen Farbdruck.
Die Technik eignete sich perfekt für anspruchsvolle Bildbände. Doch das musste den Verlagskunden erst kommuniziert werden. Um dies zu tun, entwickelte man bei Conzett & Huber eine innovative Idee: Man plante ein monatlich erscheinendes Journal zu platzieren. Das großformatige Heft sollte brillante Farbwiedergaben von Kunstwerken enthalten. Die Konzeption des restlichen Inhalts überließ man Arnold Kübler.
Kübler entwickelte in Anlehnung an die Pariser Wochenzeitschrift Vu ein Monatsmagazin mit dem Namen du. Es war eine bunte Mischung aus ambitionierten Texten, herausragenden Fotoreportagen und perfekten Reproduktionen von Kunstwerken aus aller Welt.
Das hatte Erfolg. Wir dürfen nicht vergessen, dass 1941 zum Zeitpunkt der Gründung des du, Reisen ein kostspieliger Luxus war, den der Krieg sowieso unmöglich machte. Fernsehen gab es nicht. Bilder vom Weltgeschehen lieferte einmal pro Woche die Wochenschau im Kino. Und nun brachte also das du einer interessierten Leserschaft die weite Welt nach Hause. Erstmals sahen viele die großen Kunstwerke in Farbe!
Das du wollte aber viel mehr sein. Arnold Kübler verwandelte es in eine moralische Instanz. Er berichtete über das soziale Elend in den vom Krieg heimgesuchten Ländern und rief die Schweizer auf, Hilfe zu leisten.
Den größten Erfolg hatte das du mit einer Idee von Redakteur Walter Robert Corti. Im du Themenheft Kinder im Krieg vom August 1944 rief er auf, eine Zuflucht für Kriegswaisen zu schaffen. Für sie entstand eine Siedlung, die zum Vorbild der SOS-Kinderdörfer wurde.
Die Idee von Themenheften wie Kinder im Krieg oder Paris war in den 1940er Jahren neu. Sie wirkt nach – bis zu den Thementagen von SRF 2 oder arte. Auch die Art, wie das du über Kunst berichtete, machte Schule.
Die wohl bekannteste du-Ausgabe entstand 1969 unter Chefredakteur Manuel Gasser. Bruce Davidson dokumentierte kurz nach dem Mord an Martin Luther King den Alltag der Bewohner von Harlem. Seine unverwechselbaren Schwarzweißaufnahmen gelten heute als Meilenstein der Fotographie und der Fotoreportage.
5.2 – Die Manesse Bibliothek der Weltliteratur
Die Idee zur Manesse Bibliothek der Weltliteratur entstand um 1940, als viele Intellektuelle fürchteten, dass sich der Nationalsozialismus behaupten würde. Durch seine strenge Zensur verhinderte er den Druck und damit die Verbreitung zentraler Werke der Literatur. In der Schweiz gab es keine Einschränkungen. Das erzeugte eine Art „Arche-Noah-Effekt“. So mancher Intellektuelle sah sich als Retter der Literatur und dachte über die Gründung eines Verlags nach. Einer dieser engagierten Literaten war Dr. Walter Meier. Er stattete im Jahr 1942 Conzett & Huber einen Besuch ab, um ihnen das Konzept seiner Bibliothek der Weltliteratur vorzustellen.
Meier verfügte über ein umfangreiches Netzwerk an Literaten, Übersetzern, Literaturwissenschaftlern und begeisterten Lesern. Er traf sich mit ihnen im Zürcher Café Odeon, der Nachrichtenbörse der damaligen literarischen Welt. Mit Hilfe seiner Bekannten entwarf Meier ein ambitioniertes Verlagsprogramm, für das viele Romane und Erzählungen zum ersten Mal in die deutsche Sprache übersetzt wurden.
Weil Conzett & Huber seine Heimat in der Zürcher Manessestraße hatte, erhielt der neue Verlag den Namen Manesse Bibliothek der Weltliteratur. 1944 kamen die ersten drei Bände heraus. Die allererste Publikation war Johann Wolfgang von Goethe gewidmet. Diese Wahl war symbolisch. Goethe stand für das andere Deutschland, das Deutschland der Dichter und Denker. Außerdem hatte er die Definition von Weltliteratur geliefert. Für ihn wurde aus nationaler Literatur nur dann Weltliteratur, wenn sie „über das gegenseitige Kennenlernen und Bezugnehmen hinaus die großen Aufgaben einer gemeinsamen Welt einschließlich des Wissens der jeweiligen Zeit umfassend darstellt.“ Goethe hielt nur wenige Völker für fähig, Weltliteratur zu schaffen, namentlich Franzosen, Italiener, Deutsche, Engländer und Schotten. Heute sehen wir das natürlich anders.
Auch Walter Meier ging weit über Goethe hinaus. Er legte seiner Auswahl keine Theorie zu Grunde, sondern die Lesbarkeit der Texte. Er wollte seinen Lesern, wenn sie müde von der täglichen Arbeit nach Hause kamen, Erholung und geistige Anregung bieten.
Bekannte Autoren wie Thomas Mann, Theodor Fontane, Adalberg Stifter oder Charles Dickens halfen, durch Querfinanzierung weniger bekannte Werke zu übersetzen. Bereits 1953 erschien ein Klassiker der afrikanischen Literatur, Chaka der Zulu von Thomas Mofolo. Es handelt sich um das bedeutendste Stück Prosa, das bis heute in der Sprache Sesotho verfasst wurde.
Die Manesse Bibliothek der Weltliteratur war auch deshalb so erfolgreich, weil viele ihre im Krieg zerstörten Bibliotheken ersetzen mussten. Die Manesse Bibliothek der Weltliteratur lieferte Klassiker in einer günstigen und dennoch haltbaren Ausstattung.
1963 wurde der 200. Band der Reihe publiziert. 1976 der 300. Bis 2017 blieb die Ausstattung identisch. Damit wurde die Manesse Bibliothek der Weltliteratur selbst zu einem Klassiker, deren Bände heute von vielen Lesern gesammelt werden.
Station 6 – Das Künstlerbuch
Station 6 befasst sich mit Künstlerbüchern. Wobei bis heute keine endgültige Definition dieses Begriffs existiert. Das Künstlerbuch steht an der Schnittstelle zwischen Buch und Kunstobjekt. Die weltweit anerkannte Kunsttheoretikerin Lucy Lippard fasste das Problem folgendermaßen zusammen: „Es ist ein Künstlerbuch, wenn ein Künstler es gemacht hat, oder wenn ein Künstler sagt, es ist eines.“
Wir widmen uns in dieser Station einer Untergruppe der Künstlerbücher. In ihnen steht die Illustration im Vordergrund. Sie werden deshalb von einigen Kunsthistorikern als Malerbücher bezeichnet.
6.1 – Eine neue Kunstgattung: Das Malerbuch
„Ist das Kunst oder kann das weg?“ Diese vom Entertainer Mike Krüger 2010 formulierte Frage wird heute gerne benutzt, um das Unverständnis der nicht eingeweihten Mehrheit an den künstlerischen Konzepten einer Avantgarde zum Ausdruck zu bringen. Solches Unverständnis ist relativ neu. Denn noch vor etwas mehr als 150 Jahren war jeder in der Lage zu entscheiden, wie gut ein Künstler ist. Die Qualität eines Kunstwerks war eng verbunden mit seiner Ähnlichkeit zur Realität.
Das änderte sich mit der Einführung der Fotographie. Sie schuf perfekte Abbilder schneller und billiger als jeder Künstler.
Für die Künstler bedeutete das eine Identitätskrise. Sie verloren viele Aufträge an Fotographen. Darüber hinaus wurden sie von der Wertschätzung durch Sammler, Galeristen, Kuratoren und Kunstkritiker abhängig.
Der neue Kunstmarkt funktionierte nach seinen eigenen Gesetzen. Eines davon lautet, dass der Künstler am teuersten gehandelt wird, dessen Werke am häufigsten zu sehen sind. Dabei ist gleichgültig, ob es sich um das Originalbild handelt oder um eine Kopie als Postkarte, Bildschirmschoner, Tassenmotiv, Seidenschal oder Einkaufstasche.
Das Künstlerbuch gehört in diesen Zusammenhang. Es ist eine auch in hoher Auflage leicht zu produzierende Kunstgattung, die für eine weite Verbreitung des künstlerischen Werks sorgt. Damit kann ein Künstler (und natürlich sein Verlag) mit relativ wenig Aufwand Geld verdienen und sein Werk bekannt machen.
Der Vorteil liegt aber auch beim Ottonormalsammler: Er könnte sich das Original eines Bildes nicht leisten und hat so die Möglichkeit, dank bester Reproduktionstechniken in den Genuss eines Werks zu kommen, das dem Original vollständig gleicht, außer dass es nicht vom Künstler selbst gemacht wurde.
So erkennt derjenige, der die Illustrationen von Le Village inspiré betrachtet, erst durch einen Blick ins Impressum, dass es sich bei den Gouachen um hervorragende fotomechanische Faksimiles aus dem Verlag Daniel Jacomet handelt.
Die Illustrationen stammen von Maurice Utrillo und seiner Gattin Lucie Valore. Utrillo, Sohn der Malerin Suzanne Valadon, war von seiner frühesten Jugend an schwer alkoholkrank. Er heiratete auf Wunsch seiner Mutter im Alter von 52 Jahren ihre Freundin Lucie Valore, die sich als geniale Verwalterin erwies: Auch sie begann zu malen, und wer fortan einen Utrillo kaufen wollte, musste gleichzeitig Gemälde von ihr erwerben.
Das Thema des Buchs ist genial gewählt. Es knüpft verkaufsfördernd an die künstlerische Vergangenheit des Montmartre an. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Buchs im Jahr 1950 war sie längst vorbei. Doch Utrillo entstammte dieser Welt. Er wurde als uneheliches Kind auf dem Montmartre geboren. Wer sein Vater war, ist unbekannt. Es könnte Renoir gewesen sein.
Dieses Bild von Suzanne Valadon entstand bereits 1894, 56 Jahre vor seiner Veröffentlichung. Utrillo beschränkte sich seit 1935 aus Gesundheitsgründen darauf, nach Postkarten und aus seiner Erinnerung zu malen.
6.2 – Wie überlebt ein geächteter Künstler? Das Beispiel Hans Erni
Das Dream-Team des Schweizer Künstlerbuchs sind der Verleger André Gonin und der Künstler Hans Erni. Sie schufen ihr erstes gemeinsames Werk 1941. Damals war Erni ein aufstrebender Künstler, den die Schweizerische Nationalbank beauftragt hatte, eine neue Banknotenserie zu entwerfen.
Erni war politisch unangepasst. Das wurde ihm zum Verhängnis. Ein Bericht des Militär- und Polizeidepartements des Kantons Luzern vom 25. Mai 1949 beschuldigte ihn, mit dem Kommunismus zu sympathisieren. Er sei gefährlich, auch wenn Erni sich „nach außen“ ruhig verhalte. Deshalb erhielt der Künstler seit der Wintersession 1950 keine Aufträge mehr von staatlichen Institutionen. Für Erni bedeutete das Umsatzeinbußen. Außerdem drohte er den Kontakt zu seinem Schweizer Publikum zu verlieren.
Die im Gonin Verlag publizierten Künstlerbücher boten Erni die Möglichkeit, Geld zu verdienen, und sich Sammlern in Erinnerung zu rufen.
Auch andere Verlage unterstützten Erni, so die Manesse Bibliothek der Weltliteratur. Die Situation verschärfte sich nämlich noch, als Erni 1958 Plakate in Budapest ausstellte. Obwohl es sich um eine lang vorher abgesprochene, eine rein künstlerische Zusammenarbeit handelte, startete der rechtsbürgerliche „Kalte Krieger“ Peter Sager eine Medienkampagne, in der er Erni der Kollaboration mit dem ungarischen Regime beschuldigte.
Vielleicht gerade deshalb entschied die Manesse Bibliothek der Weltliteratur, ihre 1960 erscheinende Ausgabe von Der Goldene Esel mit Skizzen zu illustrieren, die Hans Erni für ein Künstlerbuch angefertigt hatte.
Die langsame Rehabilitation des Künstlers setzte 1966 mit einer Ausstellung im Museum zu Allerheiligen in Schaffhausen ein. Doch weil viele Schweizer Kunstmuseen Erni weiterhin boykottierten, entschloss er sich, sein eigenes Museum auf dem Gelände des Luzerner Verkehrshauses zu errichten.
Erni brachte jährlich ein neues Künstlerbuch heraus. 29 davon erschienen bei André Gonin. Dabei konnte Erni frei wählen, welchen Text er zu illustrieren wünschte. Zumeist handelte es sich um Texte der griechischen und römischen Klassik.
Victor Hugos Shakespeare l’Ancien fällt auf den ersten Blick aus dem Rahmen. Doch der Schein trügt: Erni beschäftigt sich wieder mit seinem Lieblingsthema, der Antike. Der Text aus der Feder von Victor Hugo ist eine Theorie des Theaters, das seinen Anfang in der Antike nimmt.
Viele Bücher von Hans Erni sind zusätzlich zu seiner Signatur noch mit kleinen Zeichnungen versehen. In diesem Exemplar findet sich eine auf dem Schmutztitel und auf der Seite mit dem signierten Impressum.
Damit sind wir am Ende unserer Ausstellung. Und ganz gleich, ob Sie hochwertige Pressendrucke und Künstlerbücher oder billige Taschenbuchausgaben in Ihrem Buchregal stehen haben:
Hören Sie auf keinen Fall auf zu lesen!