Bis zur Uraufführung von Richard Wagners großer Oper oder, wie der Komponist selbst gesagt hätte, seiner Handlung „Tristan und Isolde“ war es ein langer Weg. Der Stoff selbst beruht auf alten keltischen Sagen, wurde im 13. Jh. verschriftlicht und im 19. Jh. von Wagner rezipiert. Der wiederum arbeitete nochmal gute fünf Jahre daran, die Handlung zu kürzen, neu zu dichten und zu vertonen, das heißt wenn er nicht gerade mit anderen Projekten beschäftigt war. Als das Werk 1859 endlich vollbracht war, wollte es niemand aufführen. Mit vier Stunden Spielzeit brachte es „Tristan und Isolde“ damals auf einen Rekord für die längste Oper der Welt. Dementsprechend hoch waren die Anforderungen an die Darsteller und der Aufwand für die Inszenierung.
Zunächst sollte die Oper in Rio de Janeiro uraufgeführt werden, dann in Karlsruhe, schließlich in Wien, wo man alsdann mit den Proben begann. Nach fast 80 Proben allerdings brach man ab, verkündete das Stück sei unaufführbar und Wagner stand etwas ratlos da. Der rettende Geldsegen kam schließlich aus Bayern, wo König Ludwig II. Wagner bedingungslose Unterstützung versprach. Endlich war das Unterfangen von Erfolg gekrönt: Am 10. Juni 1865 fand die Uraufführung am Hoftheater in München statt – und war ein Riesenerfolg. Ein Glück für die Nachwelt, in der Wagners meisterhaftes Werk bis heute nachhallt.
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Große Musik, große Dichtung
Sollten Sie sich nicht mehr so ganz genau an die Geschichte von Tristan und Isolde erinnern, können Sie die zweitbekannteste Affäre des Mittelalters hier nochmal nachlesen. Was Wagner aus dem Stoff macht, ist allerdings ganz erstaunlich. Er komponiert nicht nur die Musik, sondern verfasst auch den Text neu und erweist sich dabei als origineller und wortgewaltiger Dichter. „Wer ‚Tristan und Isolde‘ gehört hat, kann nie mehr die Dichtung von der Musik loslösen,“ begeistert sich Berthold Viertel im Nachwort.
Außerdem strafft er die Erzählung Gottfried von Straßburgs aus dem 13. Jh. stark und reduziert sie auf wesentliche psychologische Schlüsselmomente. Das ist der erste Geniestreich und führt dazu, dass Tristan und Isolde später gerne im Sinne der freudschen Psychoanalyse als ein Konflikt zwischen Trieb und gesellschaftlichen Vorschriften gelesen wird. Sein zweiter Geniestreich ist musikalischer Natur. Bereits im zweiten Takt des Vorspiels ertönt ein Akkord, der Musikwissenschaftler noch jahrzehntelang in den Wahnsinn treibt. Zum „Tristan-Akkord“ – F-H-Dis-Gis – gibt es zahlreiche Interpretationen und Lesarten, die Musikwissenschaftler deutlich besser erklären können als ich. Im Kern geht es sich wohl aber darum, dass der Akkord auf ungewöhnliche Art aufgelöst bzw. nicht so richtig aufgelöst wird, was ein tiefes Gefühl des Unbehagens und der Irritation im Zuhörer hervorruft. Dieser Akkord, der leitmotivisch immer wieder auftaucht, ist sozusagen die größtmögliche Steigerung von Romantik, eine musikalische Umsetzung unstillbaren, schmerzlichen Verlangens, dessen Nicht-Auflösung den Zuhörer verrückt macht. Mit der Kopplung dieser zwei Elemente – von Leitmotiven an psychologische Zustände – revolutioniert Wagner die Oper.
Sammlerausgabe aus dem Avalun-Verlag
Vorliegen haben wir eine Textausgabe des von Wagner verfassten Musikdramas. Erschienen ist das Buch im Avalun-Verlag, einem aus Wien stammenden und seit 1919 im Handelsregister als Verlags-, Buch- und Kunsthandel geführten Unternehmens. Unklar ist, wie lange der Verlag in Wien aktiv war; vermutlich bis Mitte der 1920er Jahre. Eine weitere Niederlassung wurde jedenfalls in Leipzig gegründet, was wir dank deutschen Publikationen aus den frühen 1930er Jahren wissen. Avalun hatte sich auf Luxusdrucke, Mappenwerke und bibliophile Ausgaben spezialisiert. Alle etwa 40 in der Reihe erschienenen Titel waren streng limitiert. Drucken ließ der Verlag bei angesehenen Pressen und Druckereien wie der Österreichischen Staatsdruckerei in Wien oder bei Jakob Hegner in Hellerau bei Dresden. Häufig wurden die Bände von bekannten Künstlern bebildert, wie etwa eine Ausgabe von Hans Christian Andersens „Reiseblätter aus Österreich“ mit Originalradierungen von Luigi Kasimir.
Die Bildsprache: Keltische Knoten, Drachen und Langschiffe
Aber schauen wir uns einmal die Bildsprache des uns vorliegenden Bands genauer an. Satz und Radierungen stammen von Alois Kolb, einem deutsch-österreichischen Maler, der ab 1907 Professor an der Königlichen Akademie für graphische Künste und Buchgewerbe in Leipzig war. Dort machte er die Radierabteilung zur Musterschule ihrer Art, die später viele bekannte Künstler hervorbrachte. (Leipzig verbindet ihn übrigens mit Wagner, der hier geboren ist.)
Den oberen Rand der linken Titelseite ziert ein Flechtband, das lose an die Ornamentik der insularen Buchmalerei erinnert. Zum Vergleich: Rechts sehen wir einen Ausschnitt aus dem berühmten Evangeliar von Lindisfarne, einem Meisterwerk der Buchkunst aus dem 8. Jh. Kolbs Umsetzung dieses Flechtbands ist allerdings deutlich verspielter, irgendwo zwischen Romantik und Art Déco. Eben jenes Kloster von Lindisfarne wurde bekanntermaßen 793 von Wikingern überfallen – und zu denen kommen wir als nächstes.
Die runde Vignette auf der rechten Titelseite zeig nämlich ein furchteinflößendes Bild: Meterhohe Wellen einer aufgepeitschten, stürmisch-dunklen See, ein Wikinger-Langschiff mit überdimensioniertem Bug und abschreckender Drachenkopfverzierung, besetzt mit kampfbereiten Kriegern, und ebenso über-lebensgroße Wildgänse, vermutlich aus der nordischen Mythenwelt entlehnt. Signiert ist die Radierung, wie alle anderen im Buch, von Alois Kolb.
Auf der letzten Seite des dramatischen Texts sehen wir unten eine Schlussszene der Oper. Die zusammengekauerten Gestalten am unteren Bildrand sind König Marke und sein Gefolge, die um den toten Tristan trauern. Links im Bild spielt jemand Orgel. Letzteres ist wohl der künstlerischen Freiheit Kolbs zuzurechnen – in Wagners Oper kommt auf jeden Fall keine Orgel vor. Die Ornamentik im oberen Bildabschnitt erinnert wieder an die Ursprünge der Sage im keltischen Kulturraum. Die Linien scheinen wie eine verspieltere Variante eines keltischen Knotenmusters, wie es im Vergleich oben rechts zu sehen ist.
Die gesamte Motivik des Kunstbandes orientiert sich also stark an keltischer Buchkunst und damit nicht an Wagners romantischer Umsetzung des Stoffes, sondern am Zeitraum, in dem die Liebesgeschichte historisch spielt. Die insulare Buchmalerei setzt etwa im 6. Jahrhundert in Irland und Nordengland ein, die Wikinger fallen zwischen dem 8. und 12. Jahrhundert dort ein und irgendwann in dieser Zeit wird die Geschichte von Tristan und Isolde sich abspielen. Und zwar zwischen Irland, Cornwall und der Bretagne. Geographisch passt es also auch.
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Wagners Musik hat auch im modernen Film Echos. Hier zum Beispiel im bildgewaltigen Drama Melancholia des experimentellen Regisseurs Lars von Trier.
Wagner ist leider auch für sein problematisches Verhältnis zum Antisemitismus bekannt. Das hier auszuführen, sprengt leider den Rahmen unseres Formats, wir verweisen aber auf den Artikel „Richard Wagners Antisemitismus“ der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb).