Rittergeschichte(n)
Moderne Vorstellungen vom Leben eines Ritters und die historische Realität klaffen oft gehörig auseinander. Was aber ist Geschichte und wann wurden daraus Rittergeschichten? Einige ausgewählte Bücher aus der Sammlung des MoneyMuseums zeigen, dass man es bereits im Mittelalter mit der Trennung von Fakt und Fiktion, Wahrheit und Lüge nicht so genau nahm.
Ritterlichkeit war angesagt bei einem Turnier – wer dagegen über Turniere schrieb, zeigte sich bisweilen weniger ritterlich. Georg Rüxner etwa, ein deutscher Herold aus dem 16. Jahrhundert, legte in seinem berühmten Turnierbuch einen sehr laxen Umgang mit der Wahrheit an den Tag. Zudem bediente er sich bei seinen Schriften unterschiedlicher Namen: Rüxner, Brandenburg, Jerusalem, Rugen … Was aber ist ein Turnierbuch?
Erinnern wir uns: Das Handwerk der Ritterschaft war die Kriegsführung und sie prägte das Standesbewusstsein. Ein Ritter zeigte, was er konnte, in sogenannten Turnieren. Bei diesen Wettkämpfen galten ausgefeilte Reglements. Das Wichtigste bei diesen Treffen war aber mit seinen Standesgenossen exklusiven Umgang zu pflegen und seine Töchter auf dem Markt der buhlenden Junggesellen einzuführen. Dabei stärkte man bestehende Kontakte, knüpfte neue und grenzte sich demonstrativ nach außen ab.
Vor allem diese Abgrenzung war zu Rüxners Zeit wichtig. Während die Ritterschaft für ihre Turniere immer mehr Geld ausgab, erkaufte sich die städtische Oberschicht Adelstitel und hängte sich funkelnde Rüstungen in ihre Säle – und zahlte häufig für die ritterlichen Wettkämpfe in der Stadt. Den Rittern fehlte es nämlich meist am Platz und am Geld, um die kostspieligen Begegnungen selbst auszurichten. Doch strenge Vorgaben sollten verhindern, dass bürgerliche Aufsteiger teilnahmen – die Teilnehmer durften keinen Handel treiben, sich keiner Vergehen schuldig gemacht haben und mussten ritterliche Vorfahren aufweisen, die ihrerseits regelmäßig turniert hatten. All das prüften die Turnierrichter während der Helmschau. Erst am nächsten Tag begann das Hauen und Stechen. Danach ging man über zu Festbanketten und Tänzen als Teil der adligen Selbstdarstellung.
In diese Welt der schillernden Banner und strahlenden Rüstungen führt uns Rüxner mit seinem Turnierbuch. Es verzeichnet 36 Turniere, die zwischen 938 und 1487 stattgefunden haben sollen, mit allen Teilnehmern, nennt Sieger und Veranstalter und illustriert zentrale Momente mit Stichen. Rüxners Turnierbuch war nicht das einzige, aber besonders erfolgreich. Viele Ritter beriefen sich auf ihn als eine Art „Genealogischen Handbuchs des Adels“, wo die angeblichen Taten der erlauchten Vorfahren aufgelistet waren … Damals war die Ritterschaft bemüht, ihr Exklusivrecht an den Turnieren zu belegen. Das Turnierbuch half dabei, sich von den Ambitionen der städtischen Patrizier abzugrenzen. Heute gelten von den Turnieren allerdings die ersten 14 als völlig frei erfunden, die späteren als mit Vorsicht zu genießen.
Rüxner ergänzte hier jedenfalls mit viel Erfindungsgabe, was er in seinen anderen Werken, den Genealogien, tat. Dort bediente er das Bedürfnis zahlreicher „Kunden“, einen möglichst weit zurückreichenden Stammbaum vorweisen zu können. Pfalzgraf Johann II. von Simmern, dem das Turnierbuch gewidmet war, war nach Rüxners „Recherchen“ ein Nachkomme des trojanischen Helden Hektor!
Um die Historizität seines Turnierbuchs zu belegen und sich gleichzeitig gegen Konkurrenz abzusichern, lieferte Rüxner übrigens ein besonderes fantasievolles Beispiel fiktionaler Quellen: Ein Magdeburger Vikar habe ihm ein in Niederdeutsch verfasstes Turnierbuch mit einem Verzeichnis der ältesten Turniere vorgelegt. Nachdem er es ins Hochdeutsche übersetzt hatte, habe der Vikar das Original verbrannte. Daher könne nur Rüxners Turnierbuch als Quelle für die ältesten Turniere herhalten. In der Tat, außer seinen Behauptungen haben wir keine Hinweise auf diese frühen, erfundenen Veranstaltungen.
In Rüxners Thurnierbuch wurde der Wahrheit ein wenig nachgeholfen. Im nächsten Buch ist der Fall etwas anders gelagert. Hier schauen wir uns eine bekannte mittelalterliche Liebesgeschichte an, die keinen eindeutigen historischen Ursprung hat - und trotzdem versucht man, einen zufinden...
Tristan und Isolde sind womöglich das berühmteste Liebespaar des Mittelalters. Naja gut, vielleicht das zweitbekannteste, nach Lancelot und Guinevere. Verständlich, denn die Legende erfüllt alle Voraussetzungen einer richtig guten Geschichte: Ein mystisches Setting, blutige Kämpfe, ein bisschen Magie, leidenschaftliche Liebe, Loyalität und Verrat, und ein tragisches Ende. Kein Wunder, dass sie über Jahrhunderte in Europa tradiert und in unzähligen Versionen niedergeschrieben wurde. Historisch lässt sich kaum beweisen, ob der Ursprung jetzt keltisch, englisch oder französisch ist. Trotzdem meinen Forscher wie Joseph Bédier manchmal, so einen Ur-Tristan gefunden zu haben…
Artikeltext:
Ritter aus Cornwall trifft Prinzessin aus Irland
Die Geschichte ist ganz schön lang und verwickelt, wir wollen uns deshalb hier auf das Notwendigste beschränken. Wir befinden uns auf den britischen Inseln, irgendwann zwischen etwa 500 und 1000 n. Chr. Marke, der König von Cornwall, soll Isolde, die Tochter des irischen Königs, heiraten. Er schickt seinen Neffen Tristan nach Irland, um dort in seinem Namen um ihre Hand zu bitten. Die Mutter der schönen Isolde, die ebenfalls Isolde heißt, will ganz sichergehen, dass ihre Tochter auch eine glückliche Ehe führt und gibt ihr deswegen einen Liebestrank für sie und Marke mit. Und das ist der erste große Fehler. Der zweite große Fehler ist, dass Tristan und Isolde den Trank auf der Überfahrt von Irland nach England aus Versehen trinken und sich unsterblich verlieben. Ups.
Die beiden führen dann lange eine heimliche Affäre, bis König Marke ihnen schließlich auf die Schliche kommt und Tristan nach Deutschland fliehen muss. Wo er – halten Sie sich fest – die dritte Isolde trifft, Isolde Weißhand. Er heiratet sie, um Isolde von England zu vergessen, bis er eines Tages in einer Schlacht von einem giftigen Speer verwundet wird und nur eine nach irischem Geheimrezept gebraute Salbe ihn noch retten kann. Die Rezeptur kennen nur Isolde Senior und Isolde Junior. Isolde Junior macht sich also mit der Salbe auf den Weg, um ihren geliebten Tristan zu retten, was jedoch durch eine List der deutschen Isolde verhindert wird. Tristan stirbt im Glauben, es gäbe keine Rettung mehr für ihn. Als Isolde von England kurz darauf doch mit der rettenden Medizin auftaucht, findet sie ihren Geliebten tot vor. Sie wird schwer krank und stirbt ebenfalls vor Trauer.
Ein europäisches Gemeinschaftswerk
Der genaue Ursprung des Stoffs lässt sich trotz umfangreicher Bemühungen der Forschung nicht mit Sicherheit bestimmen. Was wir wissen ist, dass es eine Reihe mündlicher Überlieferungen und keltischer Legenden gab, die die Geschichte gespeist haben. Seit dem Mittelalter gibt es dann zwar auch verschriftlichte Quellen, diese sind aber in der Regel nur Fragmente, also unvollständig. Zu den ersten uns überlieferten Manuskripten gehören die Fragmente eines gewissen Thomas, einem altfranzösischen höfischen Autor, bei dem nicht geklärt ist, ob sein Beiname korrekterweise von England, von Bretagne oder von Britannien sein müsste. Wir wissen einfach nicht genug über sein Leben. Nach dieser Vorlage verfasste dann der mittelalterliche Dichter Gottfried von Straßburg († um 1215) seinen Tristan. Allerdings starb er bevor er den Versroman beenden konnte, sodass wiederum andere mittelalterliche Autoren dazu verschiedene Fortsetzungen schrieben.
Ein angeblich französischer „Ur-Tristan“
Sie sehen also, anhand der schwierigen Quellenlage, der oft nur fragmentarischen Manuskripte und den vielen verschiedensprachigen Bearbeitungen des Tristan-Stoffs ist es extrem schwierig, eine „richtige“ Version oder eine eindeutige Traditionslinie zu bestimmen. Trotzdem behauptete im 20. Jh. Joseph Bédier, ein französischer Mediävist, dass es eine einzige Quelle für alle Varianten des Tristan-Stoffs geben müsse, einen „Ur-Tristan“ sozusagen. Die vorliegende Ausgabe von 1926 ist eine Nacherzählung Bédiers und der Versuch, diesen Ur-Tristan zu rekonstruieren. Besonders interessant ist hierbei der kultur-patriotische Ansatz, mit dem er versucht, den Stoff als ursprünglich Französisch zu beanspruchen und die nicht-französischen Bearbeitungen des Stoffes – wie z.B. die mittelhochdeutsche Gottfried von Straßburgs – als „imitations“ also Nachahmungen abtut. Dazu passt, dass das Buch den Zusatz „ausgezeichnet von der l’Académie Française“ trägt. Die Académie, in der übrigens auch Bédier Mitglied war, ist ja bekanntermaßen so etwas wie der selbsternannte Wächter zur Bewahrung der französischen Sprache und Literatur.
Das Buch ist eine deutlich modernisierte Fassung des Stoffs, die aber trotzdem auf seine mittelalterlichen Ursprünge verweist. So sind den einzelnen Kapiteln jeweils kurze Zitate der mittelalterlichen Versepen vorangestellt, z.B. von Béroul und Gottfried von Straßburg. Die Anfangsbuchstaben der Kapitel sind stilisierte, modernisierte Initialen und erinnern damit an die farbprächtigen Illuminationen mittelalterlicher Manuskripte.
Überleitung
Mord und Totschlag, Liebe und Verrat. Kein Wunder, dass Tristan und Isolde eine äußerst beliebte Erzählung war. Wer allerdings zu viel solcher reißerischer Fiktionen las, so glaubte man zeitweise, lief Gefahr, sich irgendwann in der Realität nicht mehr zurechtzufinden…
Don Quijote, Sancho Pansa, Rosinante – wer kennt diese Namen nicht? Miguel de Cervantes’ Erzählung von den Abenteuern des spanischen Ritters steht regelmäßig auf Listen der besten Bücher überhaupt. Die zwei Hauptfiguren wurden auittßerdem zur Vorlage für zahlreiche Komikerduos (Modell: der große Dünne und der kleine Dicke). Aber Sie wissen ja wie das ist mit den Klassikern: Man würde sie gerne lesen, findet aber nie die Zeit. Und weiß dann doch nicht so genau, worum es eigentlich geht. Wir möchten Abhilfe schaffen und stellen Ihnen vor, was in Der sinnreiche Junker Don Quijote von der Mancha passiert und welche kulturhistorische Bedeutung der Roman hat.
Artikeltext:
Die Handlung
Der Protagonist Don Quijote, ein verarmter Adliger aus der „Mancha“ in Mittelspanien, liest leidenschaftlich gerne Ritterromane. Ein bisschen zu gerne, denn irgendwann verliert der Gute jeden Realitätsbezug und meint, selbst einer zu sein. Er sattelt sein Schlachtross, legt die Rüstung an, nimmt sich einen Knappen und zieht in den Kampf. Einziger Haken an der Sache: Das Schlachtross ist eine alte Klappermähre, die Rüstung selbstgebastelt, der Knappe ein einfacher Bauer und Don Quijote kein Ritter. Das stört ihn nicht weiter, denn seine blühende Fantasie verwandelt Schänken in Burgen, Prostituierte in vornehme Burgfräulein und die berühmten Windmühlen in gefährliche Riesen, denen er sich mutig entgegenstellt. Das geht selten gut aus. In der Regel enden die abenteuerlichen Episoden damit, dass Don Quijote und sein treuer Schildknappe Sancho Pansa eine gehörige Tracht Prügel beziehen.
Der Ritterroman als guilty pleasure
Um diese tragikomische Geschichte vom missglückten Ritter besser zu verstehen, hilft ein wenig Hintergrundwissen über die Zeit der Entstehung. Der erste Teil des Romans El ingenioso hidalgo Don Quixote de la Mancha wurde 1605 veröffentlicht. Das war eine ganze Weile nach dem goldenen Zeitalter der Ritter. Die Geschichten vom legendären König Artus und seiner Tafelrunde, von Gawain, Lancelot, Guinevere und der Suche nach dem heiligen Gral waren schon zwischen dem 12. und 15. Jahrhundert berühmt. Weil sie aber außerordentlich beliebt waren, wurden bis in die Frühe Neuzeit fleißig weitere Abwandlungen geschrieben, darunter die im spanischsprachigen Raum verbreiteten Amadisromane, nach dem gleichnamigen Held Amadis de Gaula. Diese „Ritter-Popliteratur“ wurde immer absurder und unglaubwürdiger, bis einer kam und das alles gehörig auf die Schippe nahm – und derjenige hieß Miguel de Cervantes.
Der ‚pícaro‘
Man kann den Don Quijote aber nicht nur als Parodie des Ritterromans lesen. Im 16. Jahrhundert entstand in Spanien auch der sogenannte „Schelmenroman“, der einen Helden aus der einfachen Bevölkerung dabei begleitet, wie er allerlei Reisen und Abenteuer erlebt. Dabei lernt er Jung und Alt und Arm und Reich kennen, und liefert dem werten Leser einen bunten Querschnitt der Gesellschaft seiner Zeit. So trägt es sich auch in der Erzählung von Don Quijote zu, der es mit Bauern, Schankwirte und Prostituierten zu tun hat. Und weil der Schelm auf Spanisch der „pícaro“ ist, heißt der Schelmenroman auch pikaresker Roman. Wenn Sie also in Zukunft auf einer Cocktailparty Eindruck schinden wollen, können Sie jetzt ganz beiläufig eine kluge Bemerkung über Cervantes und den pikaresken Roman fallen lassen…
Fiktion und Realität
Ich habe damit begonnen, dass der vorliegende Roman fraglos als Klassiker der Weltliteratur gilt und sich auf dementsprechend vielen Listen der Art „Die 100 besten Bücher aller Zeiten“ findet. Ein Grund, warum Bücher auf solchen Listen landen, ist, dass sie nicht nur eine konkrete Geschichte erzählen, sondern auch das Geschichtenerzählen an sich thematisieren. Sozusagen Literatur über Literatur.
Sie erinnern sich, dass der Held so viele Ritterromane liest, dass er die fiktive Welt irgendwann nicht mehr von der realen unterscheiden kann. Glauben Sie es mir oder nicht, aber das war tatsächlich eine recht weit verbreitete Annahme zu der Zeit: Lesen ist gefährlich. Leute, die zu viel lesen, finden sich in der echten Welt nicht mehr zurecht. In unseren Ohren mag das reichlich seltsam klingen, weil wir Lesen als erbauende, intellektuell stimulierende Beschäftigung allgemein sehr hochhalten – zum Beispiel im Vergleich zum Fernsehen. Im 17. und 18. Jahrhundert allerdings war das Buch ein noch relativ neues Medium, zumindest als Unterhaltungsgegenstand für eine breitere Masse. Und wie jedem neuen Medium standen dem einige Gelehrte erstmal skeptisch gegenüber.
Wohlgemerkt, der Roman selbst vertritt diese These – zu viel Vorstellungskraft schadet dem Menschen –keineswegs. Im Gegenteil. Was ihn zu einem so herausragenden literarischen Werk macht, ist dass er das Verhältnis von Wirklichkeit und Vorstellung, von Idealismus und Pragmatismus grundsätzlich in Frage stellt und dabei verschiedene Lesarten zulässt.
Ein spanischer Exportschlager
In gewisser Weise bot Don Quijote also jedem Leser etwas an: Eine gute Geschichte, interessante Figuren aus allen Bereichen der Gesellschaft, etwas zum Lachen und etwas zum Nachdenken. Das Buch wurde ein sofortiger Erfolg. Schon kurze Zeit später kursierten mehrere Raubdrucke. Als Cervantes zehn Jahre später den zweiten Band veröffentlichte, hatte sogar schon ein anderer Autor versucht, als Trittbrettfahrer von seinem Erfolg zu profitieren und eine inoffizielle Fortsetzung geschrieben.
Die vorliegende Sammelausgabe in sechs Bänden zeigt, was für ein durchschlagender Erfolg der Roman auch im europäischen Ausland war. Das französischsprachige Set des MoneyMuseum stammt nicht aus einer einzigen Ausgabe, sondern gleich aus drei verschiedenen: Band 1 wurde in Paris herausgegeben, Bände 2 bis 5 in Den Haag und Band 6 in Frankfurt. Vermutlich wollte ein Sammler gerne einen vollständigen Satz aus dem 18. Jh. besitzen und trug ihn so Stück für Stück zusammen. Cervantes’ Meisterstück wurde in zahllose Sprachen übersetzt und bleibt bis heute der vermutlich erfolgreichste spanische Literaturexport – was man in diesem Fall sogar an der Sammelgeschichte des Buchs ablesen kann.
Gewiss, Bücher können uns in andere Welten und Zeiten entführen und uns die eigene Gegenwart vergessen lassen. Manchmal verhält es sich aber genau andersherum. Im letzten Buch beginnen wir mit einer Geschichte und sehen, dass sie uns zurückzur Geschichte führt – zu historischen Begebenheiten und sogar zur eigenen Lebensgeschichte.
Ich gebe es zu: Mir erschließt sich nicht immer sofort, warum dieses oder jenes Buch besonders bedeutend, interessant oder wertvoll sein soll. Es kommt eben vor, dass sich dieses bestimmte Stückchen (Literatur-)Geschichte außerhalb des eigenen Bildungshorizonts befindet. Umso befriedigender ist es, wenn man sich der Sache annimmt und mit ein bisschen Beharrlichkeit immens spannende Lesespuren findet. Genau so erging es mir mit einem Buch aus der Sammlung des MoneyMuseums, das ich Ihnen heute vorstellen möchte.
Anfangs hatte ich lediglich eine französische Nacherzählung einer alten Rittersage aus dem karolingischen Sagenkreis vor mir liegen, mit der ich herzlich wenig anfangen konnte. Die Handlung der Geschichte war unfassbar lang und kompliziert, die Pointe nicht gerade offensichtlich. Dann stieß ich auf Bilder einer Bronzestatue der vier sagenhaften Ritterssöhne, die in Köln unweit meiner alten Schule steht und an der ich früher unzählige Male vorbeigekommen sein muss. Ich forschte weiter und fand heraus, dass es mehrere sich überschneidende Rittersagen und Heiligenlegenden gibt, die alle in meiner Heimatstadt Köln zusammenlaufen – sogar im Kloster St. Pantaleon, in dem ich getauft wurde. Wie aus dem französischen Ritter Reinoldus der Heilige Reinhold von Köln wurde, erfahren Sie jetzt im Schnelldurchlauf.
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Was es mit den Haimonskindern auf sich hat
Die Haimonsage ist eine bekannte altfranzösische Rittersage. Im Mittelalter wurden diese chansons de geste oder Heldenlieder, wie der Name bereits sagt, mündlich tradiert und von Spielleuten mit musikalischer Begleitung vorgetragen. Die uns vorliegende Ausgabe ist eine viel später entstandene gedruckte Nacherzählung dieser Sage. Das genaue Datum ist zwar nicht bekannt, es dürfte aber im späteren 18. oder frühen 19. Jahrhundert liegen.
Im Zentrum der Sage steht der Konflikt zwischen Karl dem Großen und einem seiner Vasallen, dem Grafen Haimon von der Dordogne, beziehungsweise seinen vier Söhnen Adelhard, Ritsart, Witsard und Reinoldus von Montalban. Im Grunde genommen geht es um die Zentralisierungsbestrebungen des Kaisers und den Widerstand, den einige karolingische Adelsfamilien dagegen leisteten. Dieser Konflikt wird nun in einer wirklich sehr ausführlichen Sage ausgestaltet, die sich über Jahre und Jahre zieht: Es gibt Magier und Zauberpferde, es wird verraten und betrogen, es werden Wein und Schinken mit Katapulten auf eine belagerte Burg geschossen, um die dort Eingesperrten vor dem Hungertod zu bewahren, und am Ende dieser zähen Auseinandersetzung schließen Charlemagne und Reinoldus, der stärkste und prominenteste der vier Rittersöhne, dann doch Frieden. Reinoldus muss lediglich versprechen, sich auf Pilgerreise zu begeben, um seinen Aufstand gegen den Kaiser zu sühnen, und das Zauberpferd Bayard wieder herausgeben. (Woraufhin Karl versucht, das Pferd in einem Fluss zu ertränken – aus welchen Beweggründen ist mir immer noch schleierhaft!) Die Sage endet also vorerst mit der Reue der aufständischen Adelsfamilie und der erneuten Unterordnung der Vasallen unter ihren Kaiser.
Der Heilige Rheinhold von Köln
Wie kommt jetzt aber die Bronzestatue der vier Haimonskinder nach Köln? Nun, es gibt verschiedene Versionen der Geschichte. Eine lautet etwa so: Nachdem Reinoldus nach Jerusalem gepilgert ist und sich im Kampf gegen die Heiden verdient gemacht hat, geht er nach Köln, um am Bau des Hildebold-Doms zu helfen, der Vorgängerversion des Kölner Doms. Der gute Mann, der inzwischen sehr fromm geworden ist, verzichtet auf Bezahlung und verlangt lediglich Kost und Logis sowie den Dank Gottes. Als Streber, der Tag und Nacht ohne Unterlass schuftet und das auch noch ohne Bezahlung, macht er sich bei seinen Kollegen reichlich unbeliebt, bis die ihn eines Nachts erschlagen und in den Rhein werfen.
Auch davon, was danach geschieht, gibt es verschiedene Versionen. Eine blinde Frau hat eine Offenbarung und birgt den Leichnam aus dem Fluss. Und/oder es beginnen gleichzeitig alle Glocken der Bischofsstadt Köln zu läuten. Und/oder Reinoldus’ Leichnam wird von Fischen getragen und von Engeln umschwärmt. Man einigte sich auf jeden Fall darauf, dass der Mann heilig sei, auch wenn er nie offiziell kanonisiert wurde. Bis heute wusste ich nicht, dass es einen Heiligen Rheinhold von Köln gibt, der immerhin im Nordportal des Kölner Doms in Stein verewigt ist. Wenn ich das nächste Mal dort bin, werde ich die Augen offenhalten.
Stadtpatron von Dortmund
Der beste Teil der Geschichte kommt allerdings ganz zum Schluss: Wie eine Legende überliefert, versuchte man in Köln vergeblich, den Leichnam des Reinoldus oder Rheinhold zu begraben. Der Karren setzte sich von alleine in Bewegung und rollte fort, bis er ausgerechnet in Dortmund stehen blieb. Wo man ihm an Ort und Stelle eine Kirche baute und ihn zum Schutzpatron der Stadt ernannte. Auf dem Bild oben sehen wir den Kopf der Reinoldusstatue in der Reinoldikirche in Dortmund.
Dass es sich bei all diesen Geschichten wirklich um denselben historischen Reinhold handelt, ist unwahrscheinlich. Viel wahrscheinlicher ist es, dass hier mindestens drei Legenden miteinander vermengt wurden: eine deutsche Fassung der Haimonsage, eine französische sowie eine Heiligenlegende des Kölner Märtyrers Rheinhold, der als Mönch im Kloster St. Pantaleon lebte. St. Pantaleon, eine der ältesten romanischen Kirchen der Stadt, steht übrigens bis heute noch und ist zufällig auch die Kirche, in der ich getauft wurde. Manchmal lohnt es sich also, der Geschichte eines Buchs auf den Grund zu gehen – man findet bisweilen Spuren, die bis in die eigene Lebensgeschichte reichen.
Und so schließt sich der Kreis. Von der Geschichte zu den Geschichten und wieder zurück in die Geschichte.