Positiv lesen!

Positiv lesen!

Machen Sie die täglichen Nachrichten depressiv? Dann empfiehlt ihr literarischer Psychologe die Lektüre von positiven Büchern. Wir haben Ihnen Romane ausgesucht, die zeigen, wie schön unsere Welt sein kann.

Wir beginnen mit einem Schelmenroman aus der Antike, der beweist, dass es aus jeder misslichen Lage einen Ausweg gibt. Oder können Sie sich etwa vorstellen, in der Gestalt eines Esels das Dasein zu bewältigen?

Vom Esel zum Erlösten: Die römische Welt durch die Augen eines Tieres

von

Ursula Kampmann

Vom Esel zum Erlösten: Die römische Welt durch die Augen eines Tieres

von

Ursula Kampmann

Der Goldene Esel

Der Goldene Esel

Apuleius
Manesse Bibliothek der Weltliteratur, erschienen 1960

Du wirst dein Vergnügen haben, so will Apuleius seinen Leser verleiten, sich auf das Abenteuer einer Reise in Gestalt eines Esels durch die antike Mittelmeerwelt einzulassen. Und vergnüglich ist die Geschichte. Der ungläubige Lucius lässt sich aus unbezähmbarer Neugier mit einer Hexe ein und verwandelt sich selbst bei einem Versuch zu zaubern aus Versehen in einen Esel. Damit verändert sich seine Realität grundlegend. Er ist fortan seinen Besitzern gnadenlos ausgeliefert. Dabei hat er nicht nur Prügel zu erleiden. Er wird das Opfer von Willkür, Brutalität, sexueller Perversion; er leidet Hunger, Kälte und Schmerzen. Er sieht viel Schlechtes, wenig Gutes und bleibt in seiner Eselshaut trotzdem menschlicher als manch einer seiner Besitzer.

Wer nicht bei dieser oberflächlichen Handlung stehen bleibt, erlebt ein Verwirrspiel von philosophischer Diskussion, religiösen Vorstellungen und moralischen Fragen. Wie steht es zum Beispiel mit dem Wissensdrang, den man weniger vornehm auch als Neugier bezeichnen könnte? Ist es die Befriedigung der Neugier wert, jahrelang in Gestalt eines Esels herumzuirren?

Und wie ist das mit dem wunderbaren, so häufig in der Kunst rezipierten, von Apuleius scheinbar grundlos eingestreuten Märchen von Amor und Psyche? Geht es um die Plage der Neugier? Die Macht der Liebe? Den Sinn des Lebens?

Apuleius Roman ist ein wunderbares Vexierspiel, das sich auf vielen Ebenen gleichzeitig ereignet. Es bietet dem Leser Unterhaltung oder Denkanstöße, je nachdem wie tief man sich auf das Buch einlässt. Und das macht den Roman zu einem Gleichnis für die damals in Rom modernste Form der Religion, die Mysterienreligion.

Gleich ob Isis, Kybele oder Christus, all diese Kulte hatten gemeinsam, dass sie auch ohne Hintergrundwissen für einen Außenstehenden attraktiv sein konnten. Doch für den Eingeweihten veränderte sich sein Leben grundsätzlich. Lucius erlebt im Roman so eine Wandlung. Die Geschichte endet, als ihn Kybele aus seiner Eselsgestalt befreit und er in die Mysterien der Isis eingeweiht wird.

In wie weit im Goldenen Esel Autobiographisches aus dem Leben des Apuleius eingeflossen ist, darüber streiten sich die Gelehrten. Apuleius war selbst ein neugieriger Mann, reich, gebildet, eingeweiht in die Mysterien der Isis. Wahrscheinlich wusste er sogar ziemlich viel über Zauberei. Dies wäre ihm beinahe zum Verhängnis geworden. Man klagte ihn an, aus Geldgier eine reiche Witwe mit Hilfe eines Liebeszaubers zur Einwilligung in die Ehe gezwungen zu haben. So ein Zauber war in Rom ein todeswürdiges Verbrechen. Es ging für Apuleius also um Leben und Tod, als er sich in einer später veröffentlichten Gerichtsrede von jeder Schuld reinwaschen konnte. Diese Rede gilt heute übrigens als unsere wichtigste Quelle für die magische Praxis der Antike.

Trotz seines Freispruchs ging Apuleius als großer Magier in die heidnische Überlieferung der Spätantike ein. Er wurde eine Art Gegen-Christus. Deshalb hat sich sein Werk erhalten. Schließlich mussten die Kirchenväter die Bücher kennen, die sie widerlegen wollten. Boccaccio war der erste, der den Unterhaltungswert des Goldenen Esels zu schätzen wusste. Er verarbeitete einige Episoden zu spannenden Novellen. Viele taten es ihm nach, nicht zuletzt Shakespeare mit seinem Sommernachtstraum, in dem die Hoffnung auf eine kleine Rente dem Schauspieler Zettel einen Eselskopf einträgt.

Ein Blick in das Buch

Lorem ipsum dolor sit amet, consectetur adipiscing elit. Suspendisse varius enim in eros elementum tristique. Duis cursus, mi quis viverra ornare, eros dolor interdum nulla, ut commodo diam libero vitae erat. Aenean faucibus nibh et justo cursus id rutrum lorem imperdiet. Nunc ut sem vitae risus tristique posuere.

Lorem ipsum dolor sit amet, consectetur adipiscing elit. Suspendisse varius enim in eros elementum tristique. Duis cursus, mi quis viverra ornare, eros dolor interdum nulla, ut commodo diam libero vitae erat. Aenean faucibus nibh et justo cursus id rutrum lorem imperdiet. Nunc ut sem vitae risus tristique posuere.

Lorem ipsum dolor sit amet, consectetur adipiscing elit. Suspendisse varius enim in eros elementum tristique. Duis cursus, mi quis viverra ornare, eros dolor interdum nulla, ut commodo diam libero vitae erat. Aenean faucibus nibh et justo cursus id rutrum lorem imperdiet. Nunc ut sem vitae risus tristique posuere.

Lorem ipsum dolor sit amet, consectetur adipiscing elit. Suspendisse varius enim in eros elementum tristique. Duis cursus, mi quis viverra ornare, eros dolor interdum nulla, ut commodo diam libero vitae erat. Aenean faucibus nibh et justo cursus id rutrum lorem imperdiet. Nunc ut sem vitae risus tristique posuere.

Machen wir den Sprung von der Antike ins Mittelalter: Das Decamerone wurde kurz nach der großen Pestwelle von 1348/9 verfasst. Mehr als ein Drittel der Europäer starben während dieser Epidemie. Es ist bemerkenswert, dass ihre traumatisierten Zeitgenossen trotzdem den Humor nicht verloren.

Der Decamerone: Wie man die Pest überlebt

von

Teresa Teklić

Der Decamerone: Wie man die Pest überlebt

von

Teresa Teklić

Der Decamerone

Der Decamerone

Giovanni Boccaccio
Florenz
1353
Manesse Bibliothek der Weltliteratur, erschienen 1957

Giovanni Boccaccios schreibt sein „Decamerone“ im trecento, mit dem man das 14. Jahrhundert in Italien kulturgeschichtlich bezeichnet. Diese Blütezeit der Kunst, Musik und Literatur bildet den Übergang zwischen Spätmittelalter und Renaissance. Das Werk in 10 Stichworten.

1. Liebeskummer: Im Vorwort heißt es, die folgenden Geschichten seien gesammelt, um jenen unglückseligen Menschen Trost zu spenden, die sie sich vor Liebeskummer allzu sehr grämten. Geschichten seien nach wie vor die beste Ablenkung

2. Frauenbild: Als Frau des 21. Jh. kann man gewiss mit Boccaccio über sein Frauenbild streiten. Belässt man es jedoch im Rahmen seiner eigenen Zeit, kann es unheimlich vergnüglich sein. Kleine Kostprobe: „Bedenkt, […] wie übel Frauen alleine beraten sind und wie schlecht wir uns ohne die Fürsorge eines Mannes anzustellen wissen. Wir sind unbeständig, eigensinnig, argwöhnisch, kleinmütig und furchtsam.“ 

3. Zahlen: „Decamerone“ heißt wörtlich „Zehn-Tage-Werk“. Text-immanent bedeutet es, dass 10 fiktive Personen an 10 Tagen je 10 Geschichten erzählen, wonach die Sammlung insgesamt 100 solcher Novellen enthält. Im Kontext der Zeit verweist die Zahl 100 u.a. auf die 100 cantos oder Gesänge in Dantes „Göttlicher Komödie“. 

4. Erzählsituation: Eingebettet sind die 100 Geschichten in eine Rahmenerzählung. Als in Florenz die Pest wütet, beschließt eine Gruppe junger, adliger Florentiner aufs Land zu fliehen und sich dort die Zeit zu vertreiben, indem sie sich gegenseitig Geschichten erzählen.

5. Novelline: Jede der einzelnen Erzählungen ist nummeriert, gefolgt von einer knappen Synopse und der eigentlichen Geschichte. Die „Fünfte Geschichte“ wird uns beispielsweise wie folgt angekündigt: „Die Markgräfin von Montferrat weist die törichte Liebe des Königs von Frankreich durch ein Hühnergericht und ein paar hübsche Worte zurück.“ 

6. Erotik: Viele der Geschichtchen haben eindeutig unzüchtigen oder erotischen Charakter, aus dem die Novellensammlung häufig ihren Unterhaltungswert zieht. Man sollte das einflussreiche Werk jedoch nicht auf den Status leichter Unterhaltungsliteratur reduzieren.

7. Moral: Denn ein zentrales Thema des „Decamerone“ ist die Frage nach dem richtigen und guten Leben, nach gesellschaftlicher Ordnung und Moral. Dabei bricht Boccaccio immer wieder mit der absoluten Vorstellung von Gut und Böse der Kirche, die das Mittelalter dominiert.

8. Pest: Boccaccio braucht den Ausnahmezustand der Pest in seiner Rahmenerzählung, um Moral außerhalb der bekannten Konventionen zu denken. Er fragt: Was passiert wenn wir unsere bekannten Moralvorstellungen aussetzen? Mit und durch die Geschichten erarbeiten sich die Florentiner dann selbst einen neuen moralischen und gesellschaftlichen Rahmen für ihr Dasein und stellen der gottgegebenen, absoluten Moral eine vom Menschen selbst dialogisch entwickelte gegenüber.

9. Frühhumanismus: Damit markiert der Decamerone den Übergang von Mittelalter zu früher Neuzeit, von einer kirchlich geprägten Weltvorstellung zum Humanismus. Das Jenseits ist nicht mehr die absolute Messlatte, an der sich das menschliche Handeln im Diesseits orientiert. Das irdische Leben hat seine eigenen, wenn auch zeitlich begrenzten, Dimensionen und verlangt, dass man das Handeln im menschlichen Alltag von Fall zu Fall anpasst. 

10. Wirkungsgeschichte: Boccaccios Decamerone ist eine wichtige Vorlage für die moderne Novellenerzählung. Eine englische Variation finden wir in Geoffrey Chaucers „Canterbury Tales“ und auch Goethes „Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten“ gehen auf das italienische Format zurück. 

Überleitung

Wie schwierig die Jugend für Frauen der englischen Upper Class des 19. Jahrhunderts sein konnte, das thematisiert Jane Austen. Schließlich hing das weibliche Wohlergehen fundamental davon ab, welchen Ehemann eine abkriegte. Denn nach der Hochzeit traf er alle(!) Entscheidungen für sie. Das Auf und Ab der Suche nach Mr. Annehmbar ist das Thema dieses Buchs. Und keine Angst: Am Schluss hat jede den, den sie verdient.

Stolz und Vorurteil: „Sentimental“ im besten Sinne

von

Teresa Teklić

Stolz und Vorurteil: „Sentimental“ im besten Sinne

von

Teresa Teklić

Stolz und Vorurteil

Stolz und Vorurteil

Jane Austen
London
1813
Manesse Bibliothek der Weltliteratur, erschienen 1948 und 2003

„Stolz und Vorurteil“ ist, wie einige Kritiker sagen, wenn auch nicht Jane Austens bester, so doch ihr mit Abstand populärster Roman. Schon zu Lebzeiten wird er äußerst positiv aufgenommen. Der berühmte schottische Schriftsteller von historischen Romanen wie „Ivanhoe“ oder „Rob Roy“, Sir Walter Scott, schreibt in sein Tagebuch: „Abermals und mindestens zum drittenmal Miss Austens sehr schön geschriebenen Roman ‚Stolz und Vorurteil‘ gelesen. Diese junge Dame hat eine Begabung, die Verwicklungen, Gefühle und Gestalten des Alltagslebens zu schildern, wie ich sie wunderbarer noch nie kennengelernt habe. Die heroische Ader habe ich selbst so gut wie irgendein anderer; aber dieser zarte Pinselstrich, der gewöhnliche, alltägliche Dinge und Menschen durch die Wahrhaftigkeit von Schilderung und Gefühl interessant macht, ist mir versagt.“ 

Dass sich der Roman auch dem Innenleben seiner Figuren zuwendet, ihren Gefühlen und geheimen Leidenschaften, ist eine Erfindung des 18. Jh. Jane Austens Romane fallen in eine Zeit, die sowohl vom Sittenroman, als auch von der Idee der Empfindsamkeit geprägt ist, doch darf man sie keineswegs als „sentimental“ im Sinne von gefühlsduselig und tränenreich missverstehen. Anders als der damals noch sehr verbreitete Briefroman, in dem die Figuren einander ihr Herz unvermittelt ausschütten können, lässt Austen einen allwissenden Erzähler auftreten. Der kann mit Abstand auf die Figuren schauen, ihr Verhalten ironisch kommentieren und den Leser auf Schwächen wie Eitelkeit, Dummheit oder Gier hinweisen. Interessanterweise war vielen Viktorianern der Roman sogar nicht weiblich genug, man fand Austen würde sich zu viel kühler Ironie bedienen. 

Dass erklärt vielleicht, warum es sich hier also gar nicht unbedingt um einen „Frauenroman“ handelt, auch wenn das ein im 21. Jh. häufig angetroffenes Vorurteil ist. Der Roman, der heutzutage als „Mutter der Chick Lit“ (umgangssprachliche Bezeichnung für anspruchslose Frauenliteratur, meist Liebesgeschichten) gilt, wird über die Jahre von erstaunlich vielen bedeutenden Männern gelesen. Darunter Literaten wie R.L. Stevenson, Alfred Tennyson, W.H. Auden oder Vladimir Nabokov, aber auch Politiker. Churchill hat angeblich zu „Stolz und Vorurteil“ gegriffen, wann immer er sich von all dem Stress des zweiten Weltkriegs erholen wollte. 

Von der über Jahrhunderte ungebrochenen Beliebtheit des Romans zeugen zahllose Prequels und Sequels, also Vorläufer bzw. Fortsetzungsgeschichten, Adaptionen in Bild und Ton, Jane Austen Societys auf der ganzen Welt, Mottopartys mit entsprechenden Kostümen, ebenso wie allerlei mit Zitaten geschmückte Tassen, T-Shirts und Kissenbezüge. Die BBC Mini Series von 1995 etwa ist das erfolgreichste Historiendrama, das die BBC je gemacht hat. Neuerzählungen schildern die Geschichte häufig aus einer anderen Perspektive, z.B. aus der der Bediensteten („Longbourn“). Sogar der Jane Austen Krimi darf nicht fehlen, siehe Bücher wie „The Phantom of Pemberley“ oder „Murder at Longbourn“. Doch am spektakulärsten sind waghalsige literarische Experimente wie „Pride and Prejudice and Zombies“, indem die Liebesgeschichte eine parodistische Liaison mit dem Horror-Genre eingeht. Das Buch war so erfolgreich, dass es inzwischen nicht nur eine Verfilmung, sondern sogar ein Prequel zum Film gibt. Ein Roman von 1813 also, dessen Stoff parodistisch mit Zombies gekreuzt wird, was wiederum verfilmt wird, was wiederum so erfolgreich ist, dass es einen neuen Film zum Film gibt. Der über 200 Jahre alte Stoff von „Stolz und Vorurteil“ scheint eine schier unendliche Goldgrube zu gleichen – und das nicht nur in Hollywood: Eine Erstausgabe des Romans wurde kürzlich für £ 140.000 bei einer Auktion versteigert.

Und damit geht’s von der Jugend ins Alter, das so manchem von uns ziemlich Angst macht. Dass und wie ein erfülltes Altwerden gelingen kann, schildert die Böhmin Božena Němcová in ihrem Roman Babička. Das Werk gehört für mich zu einem der schönsten Texte der Weltliteratur, und das obwohl der historische Hintergrund sicher kein Idyll darstellt.

Babička: Oder können alte Menschen etwas bewirken?

von

Ursula Kampmann

Babička: Oder können alte Menschen etwas bewirken?

von

Ursula Kampmann

Babička

Babička

Božena Němcová
Prag
1855
Publiziert von Manesse, Bibliothek der Weltliteratur, 1959

Haben Sie je von Babička gehört? Nein? Nun, wenn Sie in Tschechien leben würden, hätten sie diese Geschichte wahrscheinlich schon in der Schule gelesen. Sie ist dort mit rund 350 Auflagen eines der, wenn nicht das meist verkaufte Stück Prosa tschechischer Sprache, und zwar nicht nur wegen seines Inhalts. Mit diesem Buch wurde das Tschechische zur Literatursprache. Aber das wäre heute natürlich kein Grund mehr, Babička zu lesen. Gut, dass der Plot von Babička immer noch fasziniert: Er schildert eine alte Frau, die ihr brutales Schicksal nicht verbittert, sondern weise gemacht hat. Mit Hilfe ihrer Erfahrung verhindert sie, dass andere Frauen dasselbe Schicksal erleiden wie sie.

Natürlich hat Babička - Großmütterchen - auch einen Eigennamen, aber den benutzt niemand. Wir begegnen ihr erstmals bei ihrer Ankunft auf dem kleinen Gut ihrer Tochter. Sie kommt nicht als Last, nicht als unerwünschter Pflegefall, sondern um ihr Kind im Haushalt zu unterstützen. Und da steht sie nun, mit ihren wenigen Besitztümern, die in einen Koffer passen, mit ihren weißen Haaren, ihrer altmodischen Tracht und ihren letzten vier Zähnen. Sie ist das Urbild einer verbrauchten Frau, und doch ist sie im Handumdrehen das Herz des kleinen Gutshofs. Ihre Stärke ist es, sich Zeit zu nehmen, für die Kinder, für das Vieh und natürlich für all die Armen und Ungeliebten, die an ihre Türe klopfen. Wer Hunger hat, dem gibt sie ein Stück Brot und oft noch ihre eigene Portion Butter dazu. Wer Sorgen hat, dem hört sie zu. Wer ihren Rat sucht, der erhält ihn, ohne Vorwürfe und Besserwisserei.

Es ist ein idyllisches Dorf, das die Němcová in ihrer Geschichte beschreibt. Und doch verschweigt sie nicht, dass es dort auch Ungerechtigkeiten gibt. Vor allem die jungen Frauen werden zu Opfern: Da ist die verrückte Viktorka, die ein Soldat um den Verstand gebracht hat. Ob sie ihn geliebt hat, als sie ihm einst, vor vielen Jahren ins Feldlager folgte? Was mag ihr dort nur geschehen sein? Die Němcová verrät es uns nicht, überlässt alles unserer Phantasie. Jedenfalls ist die Viktorka einige Monate später allein und schwanger ins Dorf zurückgekehrt. Nein, zu ihren Eltern hat sie sich nicht getraut, da hat sie sich lieber im Wald versteckt. Irgendwo in der Einsamkeit ist ihr Kind zur Welt gekommen. Hat es gelebt oder ist es schon bei der Geburt gestorben? Manche sagen sogar, die Viktorka habe es selbst erstickt. Seitdem hat sie kein Wort mehr gesprochen. Sie lebt im Wald, wenn man das überhaupt Leben nennen kann, dieses freiwillige Straflager in Kälte, Armut und Sprachlosigkeit.

Wie anders ist die Babička mit ihrem Schicksal umgegangen! Auch ihr hat der Krieg Schlimmes getan. Ihren Mann hat man unter die Soldaten gepresst. Für die Preußen musste er gegen die Polen kämpfen. Und dabei hat ihm eine Kanonenkugel das Bein abgerissen. Kläglich verreckt ist er an der Wunde. Niemand hat ihm auch nur einen Schluck Wasser gereicht. Wie hätte die Babička in einem Preußen leben können, das ihren Mann so hat sterben lassen! Da hat sie auf das bisschen Rente gepfiffen, das ihr als Soldatenwitwe zugestanden wäre, und ist ins heimatliche Böhmen zurückgekehrt. Die Finger hat sie sich wundgearbeitet und so ihren Kindern eine Zukunft ermöglicht.

Alles lange vorbei? Aber nein! Gleich zwei Frauen droht in Němcovás Geschichte ein ganz ähnliches Schicksal. Im Gasthof bedient die Kristla, ein sauberes Mädel, das einen unbescholtenen Bauernburschen liebt und von ihm wiedergeliebt wird. Dummerweise hat der arrogante Beamte vom Schloss sich in sie verguckt. Nichts Ernsthaftes. Er ist verheiratet. Aber gegen ein Schäferstündchen hätte er trotzdem nichts einzuwenden. Er droht der Kristla, ihren Geliebten unter die Soldaten zu stecken, wenn sie ihm nicht zu Willen ist. Und tatsächlich, als die Kristla sich ihm verweigert, sorgt er dafür, dass der Bauernbursch eingezogen wird. Das bedeutete damals zwölf Jahre Kriegsdienst. Nur die wenigsten kehrten danach zurück. 

Doch nicht nur die einfachen Frauen haben ihre Sorgen. Da ist auch noch die heiß geliebte Tochter der Gräfin. Für die fädelt die treusorgende Mutter eine Ehe ein. Der Freier ist wohlhabend, sieht gut aus. Liebe? Interessiert damals nur am Rande. Und doch liebt die Grafentochter einen anderen mit allen Fasern ihres Herzens. Das wird sie natürlich niemandem sagen. Schließlich hat man sie zu gut erzogen, als dass sie sich gegen einen mütterlichen Befehl auflehnen würde. So siecht sie angesichts ihrer lieblosen Zukunft dahin.

All das sieht die Babička. Was geht es sie an? Schon immer sind Männer zum Dienst gepresst worden, schon immer sind Soldaten gestorben, schon immer haben Frauen lieblose Ehen ertragen. Doch so ist die Babička eben nicht. Sie geht hin und nutzt ihre Möglichkeiten. Allein hat sie keine Macht. Sie ist alt und arm; und trotzdem gelingt es ihr, der Machtlosen, die Mächtigen in die Pflicht zu nehmen. Sie informiert die Gräfen, und so erreicht sie für die beiden jungen Frauen das, was ihr selbst verwehrt blieb: Das Glück, mit dem Geliebten vereint zu sein.

Ein Idyll? Ja, so hat man die Geschichte der Božena Němcová auch nennen wollen, aber zu viele Details von Babička sind biographisch geprägt. Sie war selbst ein uneheliches Kind, Tochter einer Wäscherin, die bei der Herzogin Wilhelmine von Sagan Dienst tat. Die Herzogin muss eine eindrucksvolle Persönlichkeit gewesen sein: reich, schön und mächtig, dazu bestens vernetzt. Fürst Clemens von Metternich soll ihr Liebhaber gewesen sein. Und hier setzt die Legende an: War die Němcová wirklich die Tochter der Wäscherin? Oder die Frucht einer adligen Mesalliance? Ein Kind des Wiener Kongresses, der die gekrönten Häupter Europas an den Wiener Hof führte? Das ist nicht unwahrscheinlich. Jedenfalls sorgte die Herzogin dafür, dass die kleine Wäscherin mit dem unehelichen Kind nicht entlassen wurde, sondern auf dem herzoglichen Gut in Ratibořice eine Stellung bekam und mit dem herrschaftlichen Kutscher verheiratet wurde. Er gab der Němcová seinen Namen. Die erhielt auf Gut Ratibořice eine wesentlich bessere Erziehung, als sie dem unehelichen Bankert einer Wäscherin zu dieser Zeit zugestanden hätte.

Ende gut, alles gut? Nein, denn wie die Großmutter hat die Němcová alles andere als ein friedliches Leben! Sie heiratet einen Patrioten. Vielleicht hat der sie ja mal geliebt. Aber er ist viel zu sehr mit der Nation beschäftigt, um sich um eine Familie zu kümmern. Arbeit? Er pfeift auf seine gut bezahlte Beamtenstelle. Geld bringt er keines heim, dafür prügelt er Frau und Kinder. 1861 flieht die Němcová endgültig aus der gemeinsamen Wohnung. Nun muss sie selbst das Geld für ihre kleine Familie verdienen. Da stirbt ihr Sohn. In dieser verzweifelten Situation träumt sie sich in ihre wohl behütete Kindheit auf Gut Ratibořice zurück und schreibt die Babička. 

Man kann es geradezu ein Wunder nennen, mit welchen Zügen sie ihr Alter Ego, die uralte Babička ausstattete. Da ist nichts von der bitteren Furcht vor einem einsamen Alter zu spüren. Im Gegenteil, sie lässt die Babička all das Gute zurückgeben, das sie selbst als Kind auf Gut Ratibořice empfangen hat.

Während wir unsere Rentner oft als überflüssig verleumden, ist die Babička in ihrer hilflosen Machtlosigkeit wirkungsmächtiger denn je. Welches Konzept der Realität näher kommt? Nun, auch im Alter sollte jeder Mensch mitbestimmen können, was er mit seinem Leben anfängt.

Manchmal hilft nur noch das Abreisen, wenn daheim zu viele Sorgen lauern. Reisen wir also im Kopf! Und welcher Roman wäre dafür besser geeignet als die ultimative Reiseerzählung von Jules Verne? „Reise um die Erde in achtzig Tagen“ ist noch heute eine Buch, das einen in andere Welten entführt.

Reise um die Erde in achtzig Tagen: Wettrennen um die Welt

von

Christina Schlögl

Babička: Oder können alte Menschen etwas bewirken?

von

Ursula Kampmann

Reise um die Erde in achtzig Tagen

Reise um die Erde in achtzig Tagen

Božena Němcová
Paris
1872
Publiziert von Diogenes, 2007

Der Abenteuerroman „Reise um die Erde in achtzig Tagen“, auch bekannt unter dem Titel „In achtzig Tagen um die Welt“ (1873) ist eines dieser Bücher, die nahezu jedem bekannt sind  und deren Inhalt man zu kennen glaubt, ohne sie je gelesen zu haben. Tatsächlich ist es jedoch sehr lohnenswert, das bekannteste Werk des französischen Autors Jules Verne einmal wirklich zur Hand zu nehmen. Denn es ist weit mehr als nur der Roman von einem Wettrennen um die Welt. 

Wir befinden uns in London Anfang der 1870er Jahre. Phileas Fogg, ein reicher Gentleman, wettet mit seinen Freunden im Reform Club, dass es er schafft, in achtzig Tagen einmal um die Welt zu fahren. Der Wetteinsatz ist die Hälfte seines Vermögens: 20.000 Britische Pfund, was heute etwa zwei Millionen Pfund Sterling wären. Noch am selben Abend bricht er auf, zusammen mit seinem Diener Passepartout. Ihre Reise führt zunächst über den Suez-Kanal nach Indien und dann mit dem Schiff weiter nach China und Japan.

Bald ergeben sich jedoch Komplikationen. Durch eine Verwechslung werden Fogg und Passepartout von einem englischen Detektiv namens Mr. Fix verfolgt, der davon überzeugt ist, Fogg habe eine Londoner Bank ausgeraubt. In Indien bekommen die Männer zudem noch eine weibliche Begleiterin namens Aouda dazu, die sie vor einem rituellen Opfertod retten müssen. Und auch nach der Schiffsreise nach Amerika, wo sie sich schließlich mit der Eisenbahn fortbewegen, scheinen die Zwischenfälle und Abenteuer kein Ende zu nehmen. Eine rechtzeitige Rückkehr nach London wird immer unwahrscheinlicher. 

Jules Verne (1828-1905) wird heute oft als „Father of Science Fiction“ bezeichnet. Im Fall von „Reise um die Erde in achtzig Tagen“, musste Verne sich aber erstaunlich wenig ausdenken. Der Roman entstand zu einer Zeit, wo die Umkreisung der Welt durch die Fertigstellung des Suez-Kanals und durch die verbesserte Eisenbahnstrecke durch Amerika, die First Transcontinental Railroad, einfacher geworden war als jemals zuvor. Um 1870 erschienen plötzlich zahlreiche Artikel und Reiseberichte von Reisenden, die die Welt in Rekordzeit umrundet hatten. Somit verarbeitet Jules Verne letztlich das, was er in Zeitungen las, zu einem der erfolgreichsten Abenteuerromane aller Zeiten.

Aus heutiger Sicht ist Phileas Foggs Reise um die Welt deshalb faszinierend, weil sie sinnbildlich für eine bestimmte Haltung der west- und mitteleuropäischen Gesellschaft ist. Fogg reist nicht etwa nach Indien, China oder Amerika um die Länder kennen zu lernen oder sich mit deren Kulturen auseinander zu setzten. Es geht ihm lediglich darum, so schnell wie möglich ans andere Ende der Welt und zurück zu gelangen – es ist hauptsächlich eine Wette um Geld. Auf diese Weise wird die Haltung des Kolonialisten, des reichen Briten, deutlich. Ob bewusst oder unbewusst, Verne beschreibt hier durch seine Figuren die Haltung seiner Zeitgenossen zum Rest der Welt. 

Vor diesem Hintergrund ist es heute umso spannender, „Reise um die Erde in achtzig Tagen“ zu lesen. Der Roman ist einerseits immer noch eine der packendsten Abenteuergeschichten, die je verfasst wurden. Andererseits hat der Roman jedoch auch das Potential, seine Leser an die eigene Position innerhalb der Welt zu erinnern und sie zum Nachdenken zu bringen. Wie ist unser persönliches Verhältnis zu ärmeren Ländern? Wonach suchen wir, wenn wir uns für Spottpreise ins Flugzeug setzen und in wenigen Stunden um die halbe Welt fliegen? Und könnte es nicht sein, dass erstaunlich viele Stereotypen von Überlegenheit über andere Teile der Welt weit bis ins 21. Jahrhundert überlebt haben?

Einfach die Seele baumeln lassen: Wissen Sie, wann dieser Ausdruck entstand? Im Jahr 1931 auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise. Kurt Tucholsky beschreibt so das Verhalten seiner Urlauber, die in Schweden Erholung suchen. Die federleichte Liebesgeschichte „Schloss Gripsholm“ ist heute noch unbedingt lesenswert!

Schloß Gripsholm: Wer liebt denn heute noch?

von

Christina Schlögl

Der Decamerone: Wie man die Pest überlebt

von

Teresa Teklić

Schloß Gripsholm. Eine Sommergeschichte

Schloß Gripsholm. Eine Sommergeschichte

Kurt Tucholsky
Berlin
1931
Publiziert von Manesse, Bibliothek der Weltliteratur, 2006

"Ich denke an eine kleine Geschichte, nicht zu umfangreich, etwa 15-16 Bogen, zart im Gefühl, kartoniert, leicht ironisch und mit einem bunten Umschlag. Der Inhalt kann so frei sein, wie Sie wollen." So stellt sich Kurt Tucholskys Verleger Ernst Rowohlt das nächste Buch des Autors vor, zumindest in dem fiktiven Brief an Tucholsky, der dem Haupttext von "Schloß Gripsholm" (1931) vorangestellt ist. 

Was Tucholsky darauf hin liefert, ist die Geschichte von einem dreiwöchigen Schwedenaufenthalt des Protagonisten Kurt und der Frau mit der wunderbaren Altstimme namens Lydia. Sie verbringen ihre Zeit in einem Anbau des Schlosses Gripsholm bei Mariefred. Bald bekommen die beiden Besuch ˗ erst von Kurts Freund Karlchen, später von Lydias Freundin Billie, mit der es zu einem sehr interessanten Abend zu dritt kommt. Doch der Sommer im Schloss ist nicht nur vom Glück der Verliebten bestimmt. In der Nähe befindet sich ein Kinderheim. Die Leiterin Frau Adriani und ihre Methoden verärgern Lydia und Kurt sehr, vor allem im Umgang mit der kleinen Ada, sodass sie beschließen, zu handeln. Sie versuchen, mit Adas Mutter in Kontakt zu treten und dem Mädchen zu helfen.

"Schloß Gripsholm. Eine Sommergeschichte" ist eines der bekanntesten Werke des Publizisten Kurt Tucholsky (1890-1935), der heute zu den wichtigsten Schriftstellern der Weimarer Republik gezählt wird. Seine beißenden Satiren auf den Mensch und dessen absurdes Handeln haben an Aktualität nicht eingebüßt. Denn wer seine Texte heute liest, wird feststellen, dass sich etwa an den Geschlechterstereotypen oder dem politischem Fehlverhalten, das er anspricht, wenig geändert hat. Tucholsky verstand es, den Leser mit viel Witz und Schläue auf sein eigenes - meist klischeehaftes - Verhalten aufmerksam zu machen. 

Diese Qualität tritt auch in "Schloß Gripsholm" stark hervor. Tucholsky benutzt sich darin selbst als Figur und kann so mit den Erwartungen des Lesers spielen. Dadurch, dass er "Kurt" zum Zentrum einer Liebesgeschichte macht, stellt er sich selbst als den Verliebten, und vor allem als den Klischee-Schriftsteller dar. Diese Ich-Perspektive gibt ihm die Möglichkeit, seine Figur sehr glaubhaft zu machen, aber trotzdem mit einem großen Augenzwinkern zu zeigen, dass Liebesgeschichten eben doch im Kern alle gleich sind. Gleichzeitig persifliert er sich selbst als Schriftsteller. Während also viele von Tucholskys Texten sich den Mensch als politisches Wesen vorknöpfen, wir hier auf den Mensch als Verliebten und als Autor geblickt.  

Dieses humoristisch-satirische Porträt tritt in einen interessanten Kontrast mit der ernsthaften, melancholischen Nebenhandlung, die sich um die kleine Ada dreht. Diese leidet stark unter den anderen Kindern, vor allem seit ihr Bruder gestorben ist und Kurt und Lydia schaffen es schließlich, Ada aus der elenden Kinderkolonie zu befreien. Auf diese Weise erinnert "Schloß Gripsholm" immer wieder, dass es das pure, kitschige Glück nicht geben kann und vor allem auch daran, eine leichte Satire nicht genug ist – dass bloße Worte nicht reichen, sondern dass man auch handeln muss, wie Kurt und Lydia es in der Geschichte tun. 

Leider war "Schloß Grispholm" Tucholskys letztes großes Werk. Als die Nationalsozialisten kamen, verließ er Deutschland und verbrachte das Ende seines Lebens in Schweden. Sein Grab befindet sich heute tatsächlich ganz in der Nähe des Schlosses Gripsholm, dem Schauplatz seiner charmant-melancholischen Sommergeschichte - die es sich ebenso zu lesen lohnt, wie alle Texte von Kurt Tucholsky. 

Genau wie ein geglückter Urlaub dem Reisenden die Kraft schenkt, sich wieder in die Arbeit zu stürzen, gewinnt der Leser mit Hilfe von positiver Lektüre die Kraft, all die negativen Botschaften des Alltags zu verarbeiten. Gönnen Sie sich also die Auszeit! Lesen Sie etwas wirklich Schönes! Wir wünschen Ihnen viel Spaß dabei!