Geld und Liebe - Teil 1
Welche Rolle spielt das Geld in einer Beziehung zwischen Mann und Frau? Diese Frage ist selbst heute alles andere als trivial. In der frühen Neuzeit war die Sache klar: Der Mann sorgte (mehr oder weniger gut) für den Lebensunterhalt der Frau, dafür stand ihm ihr Körper, ihr Besitz und ihre Arbeitskraft zur Verfügung. Dass dies für eine Frau zur Katastrophe werden konnte, beschrieben fortschrittliche Autoren schon Mitte des 18. Jahrhunderts.
Samuel Richardsons „Clarissa Harlowe. Die Geschichte eines vornehmen Frauenzimmers“ wird 1747-48 mehrbändig veröffentlicht. Aus den Briefwechseln zwischen Clarissa und ihrer Freundin Anna Howe, der Korrespondenz von Robert Lovelace und seinem Freund John Belford und einigen anderen Personen erfährt der Leser die tragische Geschichte der unglücklichen Heldin.
Die äußerst sittsame Clarissa, ein Leuchtfeuer der Tugendhaftigkeit und Keuschheit, wird an Stelle ihres Bruders James überraschenderweise Erbin des großväterlichen Vermögens. Nun macht ihr der fesche, aber nicht sehr tugendhafte, Lovelace Avancen, was die Familie in Gefahr bringt, ihr Vermögen mit Clarissa aus der Tür schwinden zu sehen. Lovelace, muss man dazu sagen, ist hauptsächlich an ihr interessiert, weil sie ihre Jungfräulichkeit so tapfer verteidigt und macht es zu seinem erklärten Ziel, diese Burg der Keuschheit einzunehmen. Die Familie beschließt, dass Clarissa den unangenehmen Mr. Solmes ehelichen soll. Sie mag nicht, wird weggesperrt und von ihrer Familie gedemütigt. Lovelace spielt sich als Retter in der Not auf und entführt die arme Clarissa. Leider nicht in sein Prinzenschloss, sondern in ein Bordell, und als sie fortfährt sich seinen Annäherungen zu entziehen, reißt ihm irgendwann der Geduldsfaden; er setzt sie mit K.O. Tropfen außer Gefecht und vergewaltigt sie. Sie verliert nach diesem traumatischen Erlebnis zwischenzeitig den Verstand. Von der Familie verstoßen, ohne Freunde, versucht sie mehrmals erfolglos Lovelace zu entkommen, bis es ihr schließlich gelingt. Ein reumütiger und reformierter Belford kümmert sich schließlich um sie bis sie stirbt und schreibt ihre Briefe weiter, als sie zu schwach dafür ist.
Wollte man den Roman allein auf Grund dieser Handlung beurteilen, würde die Erhebung in den Rang der Weltliteratur wohl zu Recht äußerst dubios erscheinen. Der berühmte Lexikograf Dr. Samuel Johnson sagte dazu, man dürfe Richardson nicht wegen der Handlung lesen, sonst müsste man sich gleich erhängen. Nein, man lese ihn wegen des Gefühls. Denn in einer Hinsicht sind Richardsons Romane bahnbrechend: Sie beschreiben zum ersten Mal in der englischen Literaturgeschichte das Innere eines Menschen, seine Psyche, Gefühle und Gedankengänge. Als Richardson 1740 seinen ersten Roman „Pamela“ veröffentlicht, hat er bescheidene Absichten: das Schreiben zu revolutionieren, bzw. die Form des modernen Romans zu erfinden. Wenn es um die Hinwendung zum Psychologischen geht, ist ihm das gelungen.
Trotzdem kann man sich als Leserin in unserer Zeit mit mehr als einem Aspekt dieses Stücks Literaturgeschichte schwer tun. Im Vorwort erklärt der Autor seine ausdrückliche Absicht, „Clarissa“ sei eine modellhafte Geschichte zum Zweck der moralischen Erziehung. Man dürfe sie nicht allein zur Unterhaltung lesen, sondern solle sich ihren Vorbildcharakter zu Herzen nehmen und daraus lernen. Clarissa und Anna sollen als Vorbild der Tugendhaftigkeit dem ganzen weiblichen Geschlecht dienen. Eltern sollen lernen, dass die Ausübung großer Zwänge auf ihre Kinder zur Katastrophe führt und sie in die Arme von Vergewaltigern treibt. Und junge Damen sollen lernen, sich nicht in den „bad guy“ zu verlieben, sondern sich an den anständigen, wenn auch unattraktiven und langweiligen Saubermann zu halten, wenn sie nicht vergewaltigt werden wollen. Mildernde Umstände kann man dem Roman aussprechen, da Lovelace und die Vergewaltigung offensichtlich nicht gutgeheißen werden, sondern beim Leser Mitgefühl für Clarissa und Entsetzen im Angesicht von Lovelaces brutaler Misshandlung der jungen Frau erwecken sollen. Die Forderung vieler Leser hingegen, man solle das Ende umschreiben und Clarissa und Lovelace heiraten lassen, würde man, aus heutiger Sicht, wohl eher nicht teilen.
So konnte ein Mädchen nur hoffen, dass es Glück beim Eheroulette haben würde. Jane Austens Romane schildern detailliert die Sorgen und Ängste dieser Debütantinnen. Sie lesen sich wunderbar, weil im Happy End Liebe und ein ausreichendes Einkommen immer unter einen Hut gebracht werden können.
Jane Austen (1775-1817) zählt zu den erfolgreichsten englischen Schriftstellerinnen aller Zeiten. Der Personenkult, der die Autorin umgibt, gleicht dem um William Shakespeare, mit dem sie auch auf Grund ihres schriftstellerischen Talents zuweilen verglichen wird. Dass sie als weibliche Autorin eine solche Verehrung erlebt ist vor dem Hintergrund der Zeit, in der sie lebte, nicht selbstverständlich. Frauen als Literaturschaffende bekommen erst im Laufe des 18. Jahrhunderts Zugang zum Markt und so erscheint „Verstand und Gefühl“ 1811 lediglich unter dem Zusatz „by a lady“. Doch Austens Romane verkaufen sich gut; so gut, dass später veröffentlichte Bücher mit dem Zusatz „by the author of Sense and Sensibility“ beworben werden.
Jane Austen zeigt schon früh in ihrem Leben literarische Begabung. Sie versucht sich schon in ihren Jugendjahren an parodistischen Theaterstücken und Novellen, beispielsweise an einer humoristischen Geschichte Englands, die ihre Schwester mit Herrscherportraits illustriert. „Verstand und Gefühl“ schreibt sie mit nicht mal 20 Jahren.
Zentrale Themen in all ihren Romanen sind Geld und Liebe. Die finanzielle Abhängigkeit der Frau vom Mann im 18. und frühen 19. Jahrhundert ist die Grundlage für diese Dynamik. Häufig ist der Verlust der finanziellen Absicherung durch den Tod eines männlichen Verwandten und die daraus resultierende relative Armut der Frauen das Anfangsmotiv ihrer Geschichten. So auch in ihrem erster Roman. „Verstand und Gefühl“ handelt von den Schwestern Elinor und Marianne Dashwood, die zunächst einen Großteil ihres Einkommens verlieren und dann einige romantische Irrungen und Wirrungen durchleben müssen, um das Ziel einer glücklichen Ehe und finanziellen Absicherung zu verwirklichen.
Auf den ersten Blick mögen Austens Romane trivial erscheinen. Immerhin geht es hauptsächlich um „die Nichtigkeiten des täglichen Daseins, die Gesellschaften, Picknicks und ländlichen Tanzvergnügen“, wie es Virginia Woolf treffend beschreibt. Doch Woolf ist eine große Bewunderin Austens und ihres literarischen Genies. So konstatiert sie, dass Austen bereits „mit fünfzehn wenig Illusionen über andere Menschen und keine über sich selbst [hat]. Was sie auch immer schreibt, ist geschliffen und geformt und in seine Beziehung gesetzt – nicht zum Pfarrhaus, sondern zum Universum.“
Mit einem tiefem Weltwissen geboren, mit einer selten scharfen, präzisen Beobachtungsgabe für die menschliche Natur, mit außergewöhnlich nuancierten Charakterzeichnung gehört Austen für Woolf zu den „konsequentesten Satirikern in der gesamten Literatur: …Nie hat ein Romancier größeren Gebrauch von einem makellosen Sinn für menschliche Werte gemacht. Ein unbeirrbares Herz, ein unfehlbar guter Geschmack, eine nahezu herbe Moral – vor diesem Spiegel stellt Jane Austen jene Abweichungen von Güte, Wahrheit und Aufrichtigkeit zur Schau, die zum Bezauberndsten der englischen Literatur gehören.“
Überleitung
In der Realität sah das anders aus. Viele Frauen mussten Kompromisse schließen und lebten enttäuscht an der Seite eines lieblosen Mannes ihr Leben. Die meisten fanden sich damit ab. Einige begehrten auf und versuchten, ihre Vorstellung vom Glück durchzusetzen. Ein Beispiel dafür ist Madame Bovary, deren Scheitern Flaubert gnadenlos seziert.
Am 5. Mai 1848 vergiftete sich in der kleinen normannischen Stadt Ry die Gattin eines Arztes namens Veronique Delphine Delamare. Ihr Schicksal wurde zum Thema eines der wichtigsten Romane der Neuzeit. Gustave Flaubert machte aus Madame Delamare Madame Bovary.
Sein 1851 publizierter Roman war von einem bis dahin nicht gekannten Realismus. Flaubert macht sich mit keiner seiner Figuren gemein. Er wird zum gottgleichen Erzähler, der über der Handlung steht, nicht verurteilt, nicht erklärt, sondern allein beobachtet. Seine Helden sind keine herausragenden Wesen, die sich durch ihren Heroismus auszeichnen, sondern Menschen wie du und ich mit ihren Stärken und Schwächen.
Scheinbar mitleidlos schildert Flaubert die Tragödie der Familie Bovary: des mediokren, aber zufriedenen Arztes Charles, seiner flatterhaften Gattin Emma und ihrer gemeinsamen Tochter Berthe. Sie alle scheitern an den exaltierten Erwartungen, die Emma Bovary an ihr Leben stellt. Die junge Emma glaubt, zu Höherem geboren zu sein. Das Leben, nach dem sie sich sehnt, kann ihr ein Landarzt wie Charles nicht bieten. So sucht sie ihr Glück bei Liebhabern, denen sie mit ihrem exaltierten Wesen bald lästig wird. Emma versucht, ihre seelische Leere mit immer exotischeren Luxusgütern zu füllen. Sie gerät in einen geradezu zwanghaften Kaufrausch, dessen Kosten sie nicht bestreiten kann. Immer tiefer rutscht sie in die Schuldenfalle. Und als sie sich nicht mehr zu helfen weiß, bringt sie sich um.
Charles muss sich nach ihrem Tod der Tatsache stellen, dass ihn das geliebte Wesen nicht nur ruiniert, sondern auch betrogen hat. Zutiefst verletzt stirbt er und hinterlässt die gemeinsame Tochter Berthe völlig mittellos.
Und diese Handlung ist von geradezu erschreckender Aktualität. Madame Bovary wird zu einer Protagonistin unserer modernen Gesellschaft, in der eine aggressive Medienwelt auch dem durchschnittlichsten Menschen noch vorspiegelt, alles sei möglich. Man müsse nur noch dieses eine Produkt kaufen, um sich selbst als Teil der Reichen und Schönen zu fühlen. Als wäre nur das Haben von Bedeutung, nicht das eigene Sein. Heutzutage allerdings würde Madame Bovary nicht in den Tod, sondern zur Schuldenberatung gehen. Zu alltäglich ist das Schicksal derer geworden, die nicht von sich selbst, sondern vom Konsum die Lösung ihrer Probleme erhoffen.
Flauberts Roman galt bei seiner Veröffentlichung als skandalös. Sein Realismus überforderte die zeitgenössischen Leser. Der Autor musste sich vor einem Gericht dafür verantworten, dass er mit Madame Bovary den Ehebruch verherrlicht habe. Doch gerade wegen seines unparteiischen Stils gelang es Flauberts Anwalt einen Freispruch zu erwirken. Dies war die beste Werbung für ein Buch, das zu einem Bestseller des 19. Jahrhunderts wurde.
Heute begreifen wir nicht mehr, warum der Roman seinerzeit so ein Skandal war. Und wir übersehen dabei gleichzeitig das eigentliche Skandalon: Die Tatsache, dass ein unausgefüllter Mensch wie Emma Bovary eine Familie mit ihrem Egoismus ruinierte. Sie hätte sich stattdessen eine Aufgabe suchen sollen.
Natürlich gab es auch Kritik an der bürgerlichen Moral, die der in einer lieblosen Ehe gefangenen Frau jedes Recht auf Glück absprach. Theodor Fontanes Roman Effi Briest wurde nach seinem Erscheinen im Jahr 1894/95 heiß diskutiert: Hatte ein Ehemann das Recht, den Geliebten seiner Frau zu töten und sie selbst zu verstoßen?
Sie ist ein Mädchen aus gutem Haus, siebzehn Jahre alt, jung und verspielt. Er ist achtunddreißig, Baron, ernsthaft und viel unterwegs. Es ist also kein Wunder, dass sich Effi Briest in ihrer arrangierten Ehe mit Baron von Instetten nicht sonderlich wohl fühlt. Ihr ist langweilig, das Haus ist groß und leer und sie ist einsam. Als dann der charmante Major von Crampas nach Kessin kommt und sich sofort gut mit Effi versteht, sind die Probleme bereits vorprogrammiert. Die beiden beginnen eine Affäre und obwohl sie es schaffen, diese auch wieder zu beenden, entdeckt Instetten Jahre später die Briefe der beiden und sieht sich zum Handeln gezwungen.
Theodor Fontane (1819-1898), der ursprünglich als Apotheker gearbeitet hatte, nutze die letzten Jahre seines Lebens, um die Gesellschaft im Deutschen Kaiserreich in seinen Romanen festzuhalten. Seine Werke, die als poetischer Realismus bezeichnet werden, schaffen durch ihre vielseitigen Erzählweisen ein einfühlsames aber nicht wertendes Bild des rigiden preußischen Moralkodex. So schildert Fontane in „Effi Briest“ die vertrackte Situation von Effi, Instetten und Crampas, ohne sich dabei auf eine Seite zu schlagen.
Dies bleibt ganz allein dem Leser überlassen. Seit der ersten Publikation von „Effi Briest“ ab dem Jahr 1894, ist vor allem in der Literaturwissenschaft immer wieder über das Werk diskutiert worden. Motiven wie der Schaukel, dem Chinesen oder dem Rondell, aber auch den wechselnden Erzählperspektiven sind große Bedeutung beigemessen worden. Einen starken Einfluss hatte das Werk auch auf Thomas Mann, dessen Familienroman Buddenbrooks maßgeblich von Fontane inspiriert wurde.
Doch es sind nicht nur Kunst und Wissenschaft, die bis heute von Effis Schicksal fasziniert sind. Der Roman wird seit Jahrzehnten als Schullektüre verwendet, sowohl um den Schülern das späte 19. Jahrhundert näher zu bringen als auch um anhand des Romans diverse literarische Verfahren zu demonstrieren. Und obgleich Generationen von Schülern sich angeblich durch das Werk "quälen" mussten, so ist es doch immer wieder bezeichnend, wie sich auch Teenager von dem tragischen Schicksal Effis mitreißen lassen und in Klassenzimmern hitzige Diskussionen entstehen, wer denn nun im Recht sei. Denn genau das ist das Spannende an Fontanes Roman: Er entwirft ein Szenario in dem die Handlungen des Einzelnen zwar stets nachvollziehbar sind, aber trotzdem als moralisch falsch abgetan werden müssen, weil sie in einem zu engen System von Normen und Regeln nicht vorgesehen sind.
„Effi Briest“ bringt seine Leser nach wie vor dazu, sich ernsthafte Gedanken über die Rigidität der Gesellschaft zu machen. Der Roman funktioniert deshalb bis heute, weil sich an den festgelegten Beziehungsmustern im Wesentlichen nichts geändert hat. Die Frage, ob eine Affäre durch die ständige Vernachlässigung des Partners gerechtfertigt werden kann und wie damit umzugehen ist, könnte sich beispielsweise heute genauso stellen wie bei Instetten und Effi. Und so konfrontiert uns dieser Klassiker der Literatur auch über hundert Jahre später noch mit der Frage: Sind die Kategorien und Moralkodizes, die wir festgelegt haben, in einem postmodernen Zeitalter noch angemessen oder ist es Zeit, umzudenken?
Anfang des 20. Jahrhunderts hatte die Industrialisierung das Leben der Städter bereits verändert. Frauen konnten durch ihre eigene Arbeit genug verdienen, um ein Leben ohne einen Mann zu führen. Immer öfter heirateten sie nicht, um versorgt zu sein, sondern weil sie ihren Ehemann liebten. Dass auch das nicht zum ultimativen Lebensglück führte, das erfahren Sie in Teil 2 der KuraTour Geld und Liebe, die wir Ihnen im nächsten Monat vorstellen.