Frankreich! Frankreich!

Frankreich! Frankreich!

Sind auch Sie der Überzeugung, dass man die wahre Seele eines Landes in seiner Literatur findet? Dann erkunden Sie mit uns die Seele Frankreichs, der großen Nation, die so viel mehr zu bieten hat als gutes Essen. Schließlich prägte die französische Kultur nachhaltig das europäische Denken, und zwar bereits seit dem Mittelalter. Troubadours und Trouvères sangen von Liebe und dem Leid, das jede unglückliche Liebe mit sich bringt. Der Roman von Tristan und Isolde stammt aus dieser Zeit. Teresa Teklić stellt ihn Ihnen vor.

Die (zweit-)bekannteste Affäre des Mittelalters

von

Teresa Teklić

Die (zweit-)bekannteste Affäre des Mittelalters

von

Teresa Teklić

Le Roman de Tristan et Iseut. Renouvelé par Joseph Bédier de l’Académie Française. Ouvrage couronné par l’Académie Française.

Le Roman de Tristan et Iseut. Renouvelé par Joseph Bédier de l’Académie Française. Ouvrage couronné par l’Académie Française.

Joseph Bédier
Paris
1926
Herausgegeben von H. Piazza

Tristan und Isolde sind womöglich das berühmteste Liebespaar des Mittelalters. Naja gut, vielleicht das zweitbekannteste, nach Lancelot und Guinevere. Verständlich, denn die Legende erfüllt alle Voraussetzungen einer richtig guten Geschichte: Ein mystisches Setting, blutige Kämpfe, ein bisschen Magie, leidenschaftliche Liebe, Loyalität und Verrat, und ein tragisches Ende. Kein Wunder, dass sie über Jahrhunderte in Europa tradiert und in unzähligen Versionen niedergeschrieben wurde. Historisch lässt sich kaum beweisen, ob der Ursprung jetzt keltisch, englisch oder französisch ist. Trotzdem meinen Forscher wie Joseph Bédier manchmal, so einen Ur-Tristan gefunden zu haben…

Auf der Überfahrt von Irland nach England trinken Tristan und Isolde den Liebestrank. Illumination aus einer mittelalterlichen Miniatur von Évrard d'Espinques, 1470.

Artikeltext:

Ritter aus Cornwall trifft Prinzessin aus Irland

Die Geschichte ist ganz schön lang und verwickelt, wir wollen uns deshalb hier auf das Notwendigste beschränken. Wir befinden uns auf den britischen Inseln, irgendwann zwischen etwa 500 und 1000 n. Chr. Marke, der König von Cornwall, soll Isolde, die Tochter des irischen Königs, heiraten. Er schickt seinen Neffen Tristan nach Irland, um dort in seinem Namen um ihre Hand zu bitten. Die Mutter der schönen Isolde, die ebenfalls Isolde heißt, will ganz sichergehen, dass ihre Tochter auch eine glückliche Ehe führt und gibt ihr deswegen einen Liebestrank für sie und Marke mit. Und das ist der erste große Fehler. Der zweite große Fehler ist, dass Tristan und Isolde den Trank auf der Überfahrt von Irland nach England aus Versehen trinken und sich unsterblich verlieben. Ups.

Die beiden führen dann lange eine heimliche Affäre, bis König Marke ihnen schließlich auf die Schliche kommt und Tristan nach Deutschland fliehen muss. Wo er – halten Sie sich fest – die dritte Isolde trifft, Isolde Weißhand. Er heiratet sie, um Isolde von England zu vergessen, bis er eines Tages in einer Schlacht von einem giftigen Speer verwundet wird und nur eine nach irischem Geheimrezept gebraute Salbe ihn noch retten kann. Die Rezeptur kennen nur Isolde Senior und Isolde Junior. Isolde Junior macht sich also mit der Salbe auf den Weg, um ihren geliebten Tristan zu retten, was jedoch durch eine List der deutschen Isolde verhindert wird. Tristan stirbt im Glauben, es gäbe keine Rettung mehr für ihn. Als Isolde von England kurz darauf doch mit der rettenden Medizin auftaucht, findet sie ihren Geliebten tot vor. Sie wird schwer krank und stirbt ebenfalls vor Trauer.

Meister Gottfried von Straßburg. Codex Manesse, 1. Viertel 14. Jahrhundert.

Ein europäisches Gemeinschaftswerk

Der genaue Ursprung des Stoffs lässt sich trotz umfangreicher Bemühungen der Forschung nicht mit Sicherheit bestimmen. Was wir wissen ist, dass es eine Reihe mündlicher Überlieferungen und keltischer Legenden gab, die die Geschichte gespeist haben. Seit dem Mittelalter gibt es dann zwar auch verschriftlichte Quellen, diese sind aber in der Regel nur Fragmente, also unvollständig. Zu den ersten uns überlieferten Manuskripten gehören die Fragmente eines gewissen Thomas, einem altfranzösischen höfischen Autor, bei dem nicht geklärt ist, ob sein Beiname korrekterweise von England, von Bretagne oder von Britannien sein müsste. Wir wissen einfach nicht genug über sein Leben. Nach dieser Vorlage verfasste dann der mittelalterliche Dichter Gottfried von Straßburg († um 1215) seinen Tristan. Allerdings starb er bevor er den Versroman beenden konnte, sodass wiederum andere mittelalterliche Autoren dazu verschiedene Fortsetzungen schrieben.

Ein angeblich französischer „Ur-Tristan“

Sie sehen also, anhand der schwierigen Quellenlage, der oft nur fragmentarischen Manuskripte und den vielen verschiedensprachigen Bearbeitungen des Tristan-Stoffs ist es extrem schwierig, eine „richtige“ Version oder eine eindeutige Traditionslinie zu bestimmen. Trotzdem behauptete im 20. Jh. Joseph Bédier, ein französischer Mediävist, dass es eine einzige Quelle für alle Varianten des Tristan-Stoffs geben müsse, einen „Ur-Tristan“ sozusagen. Die vorliegende Ausgabe von 1926 ist eine Nacherzählung Bédiers und der Versuch, diesen Ur-Tristan zu rekonstruieren. Besonders interessant ist hierbei der kultur-patriotische Ansatz, mit dem er versucht, den Stoff als ursprünglich Französisch zu beanspruchen und die nicht-französischen Bearbeitungen des Stoffes – wie z.B. die mittelhochdeutsche Gottfried von Straßburgs – als „imitations“ also Nachahmungen abtut. Dazu passt, dass das Buch den Zusatz „ausgezeichnet von der l’Académie Française“ trägt. Die Académie, in der übrigens auch Bédier Mitglied war, ist ja bekanntermaßen so etwas wie der selbsternannte Wächter zur Bewahrung der französischen Sprache und Literatur.

Das Buch ist eine deutlich modernisierte Fassung des Stoffs, die aber trotzdem auf seine mittelalterlichen Ursprünge verweist. So sind den einzelnen Kapiteln jeweils kurze Zitate der mittelalterlichen Versepen vorangestellt, z.B. von Béroul und Gottfried von Straßburg. Die Anfangsbuchstaben der Kapitel sind stilisierte, modernisierte Initialen und erinnern damit an die farbprächtigen Illuminationen mittelalterlicher Manuskripte.

Ein Blick in das Buch

Illumination aus Gottfried von Straßburgs Tristan aus dem 13. Jh. Oben: Tristan und Isolde fliehen den Königshof. Unten: König Marke erwischt die beiden Geliebten.

„Diese Rekonstruktion der berühmten französischen Legende, die aus überlieferten Fragmenten französischer Gedichte aus dem 12. Jh. und ihren ausländischen Nachahmungen zusammengesetzt wurde, wurde von Joseph Bédier im Auftrag von M. Piazza vorgenommen.“

Mit ein bisschen Fantasie versteht man den mittelhochdeutschen Text eigentlich ganz gut: „du waerest zwâre baz genant/ juvente bêle et la riant,/ diu schoene jugent, diu lachende.“ Modernisiert etwa: „du wärest wahrlich besser genannt/ . . . /schöne und lachende Jugend“.

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Kein Wunder, dass Paris noch heute als Stadt der Liebe gilt. Immer noch pilgern Verliebte auf den Père-la-Chaise zu den Gräbern von Abaelard und Heloise, deren unglückliche Liebesgeschichte jeden fühlenden Menschen bewegen muss. Ihre uns erhaltenen Liebesbriefe aus dem 12. Jahrhundert gehen zu Herzen. Aber sind diese Briefe echt? Oder nur eine literarische Fiktion? Damit beschäftigt sich dieser Artikel.

Die Liebesbriefe von Abaelard und Heloise: Liebe in Zeiten der Kreuzzüge

von

Ursula Kampmann

Die Liebesbriefe von Abaelard und Heloise: Liebe in Zeiten der Kreuzzüge

von

Ursula Kampmann

Liebesbriefe

Liebesbriefe

Abaelard und Heloise
Publiziert von Manesse, Bibliothek der Weltliteratur, 2014

Warum beschäftigt man sich eigentlich mit der Vergangenheit? Eine der reizvollsten Begleiterscheinungen ist die Tatsache, dass das Studium einer anderen Weltanschauung die eigenen Vorstellungen relativiert. Wie steht das zum Beispiel mit unseren Ansprüchen an den Lebenspartner? Für immer und ewig? Das große Glück? Geld spielt keine Rolle? Scheidungsstatistiken widerlegen all diese rosaroten Träume, wie sie uns so mancher Hollywood Film nahebringen will.

Ganz anders sahen die Menschen im Mittelalter und in der frühen Neuzeit das Miteinander der Geschlechter. Die Ehe galt als eine Zweckgemeinschaft, deren einziges Ziel das Wohlergehen der ganzen Sippe war. Ehen wurden deshalb unter Familienoberhäuptern vereinbart. Im Mittelpunkt der Verhandlungen stand nicht etwa die Zuneigung der Eheleute, sondern wirtschaftliche Erwägungen. 

Wie aber passt in diese Welt die Liebesgeschichte von Abaelard und Heloise? Diese Amor-fou eines der grössten Gelehrten seiner Zeit: Man erinnert sich: Der brillante Theologe, der an der Universität lehrt, übernimmt gegen Kost und Logis die Bildung der als Schönheit bekannten Heloise. Die lernt nicht nur Philosophie bei ihm, sondern noch ganz andere Dinge. Weil Heloise schwanger wird, fliehen die Liebenden. Heloise bringt ihren Sohn Paraklet im Verborgenen zur Welt. Erst nach der Einigung mit dem Onkel kehren die beiden nach Paris zurück. Fulbert besteht auf einer Heirat, um die Ehre der Familie wiederherzustellen. Die Heirat erfolgt, aber heimlich, ohne dass die Öffentlichkeit sieht, dass der Theologe Abaelard nun ein Familienvater geworden ist. 

Was dann geschieht, lässt sich nur schwer rekonstruieren. Fulbert unterstellt Abaelard, er habe Heloise beeinflusst, ihre Stellung als Ehefrau zu verheimlichen und sich in ein Kloster zurückzuziehen, um Abaelards Position an der theologischen Fakultät der Pariser Universität nicht zu gefährden. Der Onkel sieht sich beleidigt und nimmt Rache. Er lässt Abaelard kastrieren. Der zieht sich als Mönch in die Abtei Saint-Denis zurück und schenkt seiner Geliebten und den anderen Nonnen ihres Konvents ein Kloster. Dort betreut er sie als geistiger Vater.

Das ist die Situation, in der die Liebesbriefe zwischen Abaelard und Heloise entstanden sein sollen. Generationen von Lesern haben in ihnen den Ausdruck einer tiefen Zuneigung gesehen, wie sie mit unseren Vorstellungen von Liebe durchaus übereinstimmt. Doch ist das wirklich so?

Die neuere Forschung, allen voran Georges Duby, der auch den Kommentar zu diesem Manesse-Band verfasst hat, weist darauf hin, dass wir damit mittelalterliches Geschehen wahrscheinlich in moderne Kategorien pressen. Er deutet die Liebesbriefe anders, und zwar nicht als private Liebesbriefe, sondern als ein literarisches Vexierspiel aus der Feder Abaelards. Der soll auch die Briefe Heloises verfasst und sich darin als das Opfer weiblicher Verführungskünste stilisiert haben. Heloise ist die Verführerin, und entspricht damit den Vorstellungen ihrer Zeit. Denn anders als heute war für das Mittelalter die Frau diejenige, die den Mann zu sexuellen Handlungen verleitete. Abaelard beweist in seinen Briefen seine Standhaftigkeit, mit der er der Ehe, der Familie und natürlich auch der Sexualität entsagt.

Das Grab auf dem Pariser Friedhof Père-la-Chaise. Fotos: Patrick T. Power, CC BY 2.5.)

Dubys Deutung ist in der Forschung angegriffen worden. Zu lieb ist uns die Vorstellung von dem liebenden Paar geworden. Die gemeinsame Grabstätte von Abelard und Heloise auf dem Pariser Friedhof Père-la-Chaise ist auch heute noch eine touristische Attraktion.  

Dabei zeugt dieses Grab und die Geschichte von Abelard und Heloise mehr davon, wie wir Geschichte sehen wollen, als davon, was die Beteiligten damals wirklich erlebt und gefühlt haben.

Überleitung

Frankreich ist noch für etwas anderes berühmt: für die Aufklärung im Siècle des Lumières. Philosophen wie Voltaire glaubten, mit ihrer Literatur der gesamten Menschheit das Heil zu bringen. Statt durch Aberglauben und stummen Kadavergehorsam im Elend zu verharren, sollte jeder denkende Mensch sein Schicksal selbst in die Hand nehmen! Nach dem großen Erdbeben von Lissabon schrieb Voltaire mit seinem Candide den Abgesang an die Schicksalsergebenheit.

Candide oder die beste aller Welten: Das Ende des Positive Thinking

von

Teresa Teklić

Candide oder die beste aller Welten: Das Ende des Positive Thinking

von

Teresa Teklić

Candidus / Zadig / Treuherz

Candidus / Zadig / Treuherz

Voltaire
Genf
1759
Manesse Bibliothek der Weltliteratur, erschienen 1956

Francois-Marie Arouet, besser bekannt als Voltaire, war nicht nur einer der wichtigsten Denker der Aufklärung, sondern auch ein großartiger Satiriker des 18. Jahrhunderts. „Candidus“, „Zadig“ und „Treuherz“ werden wahlweise als satirische Novellen oder „contes philosophiques“, als philosophische Märchen, bezeichnet. 

In allen drei Geschichten nimmt Voltaire eine beißende Kritik an der französischen und bisweilen europäischen Gesellschaft des 18. Jahrhunderts vor, die in seinen Augen geprägt ist von Intoleranz, religiösem Fanatismus, Aberglauben, Dummheit und Korruption. Fremde Länder und Kulturen dienen dabei häufig als Mittel zur Entfremdung und Distanzierung von der eigenen. So spielt „Zadig“ im antiken Babylonien und ist strukturell den Märchen aus 1001 Nacht nachempfunden. In „Treuherz“ entlarvt Voltaire die Missstände der französischen Gesellschaft mit Hilfe seines von den nordamerikanischen Huronen abstammenden Protagonisten, den es nach Europa verschlagen hat. Und in „Candide“, dem wohl bekanntesten der drei Werke, schickt er seinen Helden einmal um den halben Globus, um herauszufinden, wie es sich denn nun mit dem Guten und dem Bösen in der Welt verhalte. 

Um das Werk zu verstehen, muss man es im Kontext seiner Zeit betrachten. Der im 17. und 18. Jahrhundert in Europa vorherrschende aufklärerische Optimismus wird vom Erdbeben von Lissabon 1755 und vom Siebenjährigen Krieg schwer erschüttert. Im Anblick von so viel Übel in der Welt, schien Voltaire Leibniz‘ These, dass wir in der „besten aller möglichen Welten“ lebten, nicht mehr haltbar. Auf diese These nimmt er in seiner Novelle, die auch als „Candide oder der Optimismus“ bzw. als „Candide oder die beste aller Welten“ erschienen ist, direkt Bezug.

Die Antwort ist vernichtend. Die Schicksalsschläge, die Candide ereilen, steigern sich schnell ins Absurde: Krieg, Gefangennahme und Versklavung, Vergewaltigung und Verstümmelung, Städte in Flammen, Inquisition, Erdbeben, Unglück auf hoher See. Das ist, so Voltaire zynisch, die „beste aller möglichen Welten“. 

So gefährlich scheint damals die Kritik an Staat und Kirche, dass „Candide“ wenige Wochen nach der Erstveröffentlichung in Genf verboten wird, wenig später in Paris und Rom. Doch das Werk verbreitet sich rasant in ganz Europa, wird im ersten Jahr ganze 20 000 mal verkauft und dreizehn mal neuaufgelegt. Unter den mehr als zwanzig Romanen, die Voltaire in seinem Leben schreibt, ist „Candide“ das Werk, das ihn berühmt gemacht hat und noch bis heute gelesen wird.

Uns gilt die Aufklärung heute als Befreiung von den Vorurteilen der Religion. Doch mit dem Glauben wurden gleichzeitig die göttlichen Gebote abgeschafft. Wie würde man nun die Übergriffe der Reichen und Mächtigen unterbinden? Autoren machten es sich zur Aufgabe, eine bürgerliche Moral zu vertreten. Und niemand war begabter darin, Mitleid für die „Elenden“ zu wecken, als Victor Hugo.

Les Misérables: Viel Elend und ein bisschen Kitsch

von

Annika Backe

Les Misérables: Viel Elend und ein bisschen Kitsch

von

Annika Backe

Les Misérables

Les Misérables

Victor Hugo
Paris
1862
Publiziert von Manesse, Bibliothek der Weltliteratur, 1968

„Die Elenden“, so lautet die deutsche Übersetzung des Titels, mit dem Victor Hugo sein wohl wichtigstes Werk überschrieben hat. Er selber befand sich im Exil auf der englischen Kanalinsel Guernsey, als er „Les Misérables“ 1862 beendete. Im gleichen Jahr veröffentlicht, nimmt es die sozialen Zustände der Pariser Gesellschaft in den Jahren 1815 bis 1833 in den Blick. 

Hugos Protagonisten entstammen nicht etwa den höchsten Kreisen. In der übervölkerten Hauptstadt Frankreichs sind es vor allem die Verarmten, deren Kampf ums Überleben der Autor illustriert. Dreh- und Angelpunkt der Geschichte ist Jean Valjean. Tief beeindruckt von der Begegnung mit einem Geistlichen, beschließt der entsprungene Galeerensträfling, sein Leben zum Positiven zu ändern. Der Geläuterte arbeitet sich empor, erwirbt Reichtum und wird sogar Bürgermeister in Montreuil. 

Dort rettet Valjean die kleine Cosette, Tochter der mittellosen Fantine, aus den Fängen eines kaltherzigen, geldgierigen Wirts und finanziert ihr eine Ausbildung. Auch andere unterstützt er, unter einem angenommenen Namen, mit großzügigen Zuwendungen. Als ein Unschuldiger angeklagt wird, der Häftling Valjean zu sein, entschließt er sich, seine Identität zu offenbaren, obwohl er dabei sein eigenes Vermögen verliert. Später verliebt sich Cosette in den armen Studenten Marius, der fast in den Barrikadenkämpfen des Pariser Juniaufstandes 1832 getötet wird. Als Valjean ihn rettet, Marius dann aber zwischen ihn und Cosette einen Keil treibt, droht der selbstlose alte Mann zu verzweifeln. Erst im buchstäblich letzten Moment wendet sich noch alles zum Guten. 

Um die weit verzweigte Geschichte um Jean Valjean zu verfassen, brauchte Victor Hugo mehr als 15 Jahre. Mit „Les Misérables“ gelang ihm sein endgültiger Durchbruch als Schriftsteller. Die Kritik des Autors an den herrschenden Missständen, der fortschreitenden Proletarisierung immer größerer Gesellschaftskreise im Zuge der Industrialisierung drückt sich nicht nur in seinem literarischen Oeuvre aus. Für sein politisches Engagement sogar des Landes verwiesen, veröffentliche Hugo mit den Elenden ein Monumentalwerk, das bis heute Stoff liefert für Filme, Aufführungen, Musicals. 

Film und Bühne sorgen dafür, dass uns die literarischen Gestalten des 19. Jahrhunderts oft realer erscheinen als ihre historischen Vorbilder. Noch heute bedienen sich die Unterhaltungsmedien des erdichteten Frankreichbildes, das ein Dumas, ein Hugo und ein Prosper Mérimée schufen. Dank dieser Autoren wurde die Geschichte Frankreichs geradezu neu erfunden.

Die Bartholomäusnacht: Blutzoll im Namen Gottes

von

Ursula Kampmann

Les Misérables: Viel Elend und ein bisschen Kitsch

von

Annika Backe

Die Bartholomäusnacht

Die Bartholomäusnacht

Victor Hugo
Paris
1829
Manesse Bibliothek der Weltliteratur, erschienen 1954

Wenige Menschen haben unser Bild der französischen Vergangenheit stärker geprägt als Prosper Mérimée. Nein, nicht durch seine Schriften. Da war Victor Hugo mit seinem Glöckner von Notre-Dame weitaus erfolgreicher. Aber Prosper Mérimée diente Jahrzehntelang als Chef der ersten französischen Denkmalschutzbehörde. Auf ihn geht die Restaurierung ikonischer Gebäudekomplexe zurück. Man denke nur an die malerische Altstadt von Carcasson oder das Kloster von Fontevrault, wo Richard Löwenherz seine letzte Ruhestätte gefunden hat. Als Prosper Mérimée auf seinen Inspektionsreisen durch Frankreich zog, fand er von all diesen Bauten gerade noch die Ruinen vor, Mauerreste, großenteils ohne Dach, die er von seinem Freund Eugène Viollet-le-Duc zu den Attraktionen auf- und umbauen ließ, die wir heute als Weltkulturerbe bewundern.

Dass überhaupt so etwas wie eine Denkmalschutzbehörde eingerichtet wurde, war eine moderne Erscheinung, und Mérimée war daran mit seinen Schriften nicht unwesentlich beteiligt. Seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts verschwand nämlich das mittelalterliche Frankreich zusehends. Gerade in Paris konnte man auf seinem täglichen Spaziergang beobachten, wie moderne Zweckbauten die alten Gemäuer verdrängten. Niemand außer einigen wenigen Intellektuellen schien sich für die ehrwürdigen Zeugnisse französischer Geschichte noch zu interessieren. 

Was lag näher für eben diese Intellektuellen, als sich für deren Erhalt mit der Feder einzusetzen? Es galt, die Vergangenheit im Roman zum Leben zu erwecken, um aus ihren wertlosen Überbleibseln kostbare Reliquien zu formen. Victor Hugo veröffentlichte 1829 seinen Glöckner. Und Mérimée publizierte im gleichen Jahr die Bartholomäusnacht.

Der Roman handelt von den schrecklichsten Ereignissen der französischen Geschichte, von dem großen Bruderkrieg, den die Reformation mit sich brachte. Im Mittelpunkt stehen die Brüder Bernard und George de Mergy, der eine ein Hugenotte, der andere aus Karrieregründen zum Katholizismus konvertiert. Sie erleben – auf unterschiedlichen Seiten stehend – die Höhepunkte des mörderischen Kampfes, das brutale Massaker der Bartholomäusnacht und die Belagerung der Festung von La Rochelle. Es ist erzählerisch nur konsequent, dass der katholische George zuletzt stirbt, weil sein hugenottischer Bruder auf ihn schießen lassen muss.

Nicht konsequent und vor allem im historischen Kontext unglaubwürdig ist das glühende Plädoyer für den Atheismus, mit dem der Roman endet. Der sterbende George weigert sich, wie damals üblich zu beichten. Für einen Prosper Mérimée war dies die einzig mögliche Schlussfolgerung, die ein denkender Mensch aus den historischen Ereignissen ziehen konnte. Wie kann man, so die Botschaft des Buches, einem Gott vertrauen, der zulässt, dass solches in seinem Namen geschieht? Hier spiegelt sich die Meinung des Autors, nicht historisches Denken. Prosper Mérimée war bekennender Atheist, der als Sohn eines Vaters, der Voltaire verehrte, keinen der üblichen Heiligennamen trug, sondern nach dem Zauberer von Shakespeares Sturm benannt war.

Auch wenn heute die meisten Leser Prosper Mérimée gerade noch als Autor der Geschichte von Bizets Carmen kennen, hat er in seiner Bartholomäusnacht den Urtyp des Mantel- und Degen-Filmhelden geschaffen, dem Dumas ein gutes Jahrzehnt später mit seinen Musketieren zur Unsterblichkeit verhelfen sollte.

von

Die Liebesbriefe von Abaelard und Heloise: Liebe in Zeiten der Kreuzzüge

von

Ursula Kampmann

Na, haben wir Ihnen mit dieser Auswahl Lust darauf gemacht, mal wieder nach Frankreich zu fahren? Dann hoffen wir, dass Sie unsere Anregungen aufgreifen und das eine oder andere Buch eines französischen Schriftstellers einpacken.