Am 13. Juli 1772 segelte Commander James Cook im Auftrag der Britischen Regierung los, um die Welt auf einer südlichen Route zu umsegeln. Cook hatte auf dieser Reise Unterstützung aus Deutschland. Weil seine eigenen Reisebeschreibungen derart trocken waren, dass niemand sie lesen mochte, gab man ihm den deutschen Naturwissenschaftler Reinhold Forster mit, der den umfassenden Bericht für die Geographic Society abfassen sollte.
Die interessierte sich nämlich sehr für die Südsee. Südsee war en vogue, vor allem in der feinen Gesellschaft. Nur ein Jahr zuvor hatte der französische Weltumsegler Louis Antoine de Bougainville in Paris seinen eigenen Reisebericht veröffentlicht, in dem er im (natürlich stark idealisierten) Südsee-Bewohner den „Edlen Wilden“ wiedererkannte, den Jean-Jacques Rousseau in seinen Romanen beschrieben hatte. Das Konzept ist uns bis heute aus Hollywood-Schinken vertraut: Der von den Versuchungen der Zivilisation unverdorbene Außenseiter demonstriert seine moralische Überlegenheit gegenüber der korrupten westlichen Gesellschaft. Ob Tarzan, Winnetou oder Crocodile-Dundee, der Stoff ist einfach zu gut, um daraus nicht spannende Geschichten zu weben!
Und natürlich träumten auch die Menschen des 18. Jahrhunderts davon. Gerade die gelangweilten Reichen, die zu viel Geld und keine sinnvollen Aufgaben hatten, während gleichzeitig ein enges Regelwerk ihren Alltag beschränkte, mochten von einer Rückkehr zur Natur, zum einfachen, selbstbestimmten Leben in der Südsee träumen...
Als nun Georg Forster 1777 in London seine für das breite Publikum gedachte Reisebeschreibung der zweiten Reise des James Cook publizierte, schlug sie ein wie eine Bombe. Sie wurde sofort ins Deutsche übersetzt und erschien 1778/80 in Berlin. Dieses eine Werk machte den jungen, beim Erscheinen der englischen Ausgabe gerade einmal 23jährigen berühmt!
Das hier vorliegende Buch erschien etwas später, und zwar 1887/8. Südsee-Romantik war ein hervorragendes Geschäft. So entschied sich der Berliner Verlag Haude & Spener, eine Reihe mit dem Titel „Geschichte der See-Reisen und Entdeckungen im Süd-Meer“ zu beginnen. Band 6 und 7 dieser Reihe - unser Beispiel - wurde die Übersetzung eines in London erschienenen Verschnitts aus den unverdaulichen Reisebeschreibungen Cooks. Um sie lesbar zu machen, wurden sie gekürzt, ergänzt, kommentiert und mit einer ausführlichen Einleitung versehen, die vom Erfolgsautor Georg Forster stammte, dessen Name auf dem Titelblatt genauso prominent und groß prangte, wie der Name Cooks.
Nun ist dieses Buch alles andere als Südseeromantik. Aber schon damals sahen sich die Leser am liebsten die Bilder an. Und an gut aussehenden, exotischen Menschen fehlte es darin nicht. Sie alle trugen jene merkwürdigen Zeichen, die unter dem Namen „tattoo“ bekannt wurden. Was bisher in die anrüchige Welt der Seeleute und Verbrecher gehört hatte, wurde plötzlich mit dem „Edlen Wilden“ assoziiert. Einer von ihnen, der Polynesier O’Mai besuchte 1773 London. Er verzauberte die beste Gesellschaft, erhielt sogar eine Audienz beim König. O’Mai wurde ein Medienereignis. Und seine Tätowierungen mit ihm.
Und so wurde der Vorgang des Tätowierens mit Freiheit von gesellschaftlichen Normen und Schranken assoziiert. Wenn sich die adligen Damen und Herren der Gesellschaft tätowieren ließen, wollten sie zumindest auf einem kleinen Stück ihres Körpers diese große Freiheit für sich in Anspruch nehmen. Der bei Sarajewo ermordete Erzherzog Franz Ferdinand war genauso tätowiert wie Kronprinz Rudolf, von dem die nach seinem Selbstmord durchgeführte Autopsie festhielt, dass die Kugel durch den Kopf einer tätowierten Schlange gedrungen sei. Fast alle männlichen Mitglieder des englischen Königshauses, Prinz Heinrich von Preußen, der russische Zar Nikolaus II. und last but not least die skandalöse Habsburgerin „Sisi“ hatten ihre Tätowierungen als heimlichen Protest gegen die unbeugsamen Verhaltensregeln des Hofes.
Befeuert aber wurde diese Sehnsucht von Texten und Abbildungen, wie sie uns Georg Forsters Buch über die dritte Reise des James Cook in die Südsee liefert.
1806 wurde in London ein Großteil der während der Weltreisen von Cook erworbenen Gegenstände versteigert, so dass diese in ethnologischen Sammlungen auf der ganzen Welt verstreut sind. Hier sehen Sie zwei Beispiele aus dem Weltmuseum Wien.