Ewig leben?

Auch wenn der Mensch heute immer älter wird, irgendwann ist doch Schluss. Wie aber gehen wir mit dem Tod um? Diese Ausstellung beschäftigt sich damit, wie sich die Fragen und die Antworten rund um den Tod und die Hoffnung auf ein ewiges Leben verändert haben. Folgen Sie uns anhand von Büchern aus der Bibliothek des MoneyMuseums auf unserem Weg durch die Jahrhunderte.

Zu den Stationen
Ewig leben?

von

Ursula Kampmann

Eine Ausstellung über das Leben, den Tod und den Umgang mit der Gefahr

Frauen, die im Jahr 2018 in der Schweiz geboren wurden, können mit einer durchschnittlichen Lebenserwartung von 85,4 Jahren rechnen. Das entspricht rund 31.000 Tagen bzw. fast einer dreiviertel Million Stunden. Wie beeindruckend. In 85,4 Jahren kann man viel machen: Zur Schule oder gar zur Universität gehen, eine Familie gründen, seine Karriere vorantreiben, sich seinen Hobbies hingeben. Und doch. Irgendwann ist Schluss. Dass Menschen sterben, hat sich trotz aller Fortschritte im Bereich der Medizin bis heute nicht geändert.

Wie aber gehen wir damit um? Welche Rolle spielt der Tod in unserem Leben? Verdrängen wir ihn? Versuchen wir, ihn mit allen möglichen Mitteln hinauszuzögern? Ist das Leben an sich wertvoll oder nur das lebenswerte Leben? Was brauchen wir, um im Sterben einen Sinn zu sehen? Wofür riskieren wir unser Leben? Und wie weit sind wir bereit, uns einzuschränken, um länger leben zu dürfen? Wie weit sind wir bereit, auf Komfort zu verzichten, damit andere überleben können? Und ist es gerechtfertigt, eine ganze Welt in den wirtschaftlichen Ruin zu treiben, um einige Zehntausend Menschenleben zu retten?

Nein, diese Ausstellung wird keine dieser Fragen beantworten. Aber sie beschäftigt sich damit, wie sich die Fragen und die Antworten rund um den Tod und die Hoffnung auf ein ewiges Leben verändert haben.

Folgen Sie uns anhand von Büchern aus der Bibliothek des MoneyMuseums auf unserem Weg durch die Jahrhunderte. Wir beginnen mit einer unbekannten Seuche…

Station 1: Wir sind mitten im Leben

Die Tatsache, dass eine durchschnittliche Frau über 85 Jahre alt wird, ist historisch neu. Nicht, dass es nicht schon früher hochbetagte Menschen gegeben hätte. Doch während wir heute in der westlichen Welt bei der Geburt eines Kindes davon ausgehen dürfen, dass viele Jahrzehnte eines erfüllten Lebens vor ihm liegen, war früher die Wahrscheinlich zu sterben in allen Lebensaltern gleich hoch. Mit anderen Worten: Babys starben, Kleinkinder starben, Jugendliche starben, Mütter und Väter starben, uralte Greise starben, es gab keine Gruppe, die beim Sterben besonders bevorzugt wurde.

Dazu kamen die regelmäßig wiederkehrenden Epidemien wie Pest, Cholera oder Pocken, die große Teile der Bevölkerung hinrafften. Was das mit den Menschen machte, werden wir einen Zeitgenossen fragen, den Florentiner Giovanni Boccaccio, der mit seinem Decamerone das bekannteste literarische Zeugnis des großen Pestjahres von 1348 verfasste.

Das zweite Objekt in dieser Station ist der Totentanz von Rudolf und Conrad Meyer. Er gibt uns einen Einblick, wie alltäglich und gewohnt der Anblick des Todes für die Menschen der Frühen Neuzeit war.

Triumph des Todes. Gemälde von Pieter Breughel aus dem Jahr 1562, Ausschnitt. Foto: KW

Der Weltuntergang und wie man ihm entkommt

Wir schreiben das Jahr 1347. Ein genuesisches Schiff segelt vom Schwarzen Meer nach Europa. An Bord hat es nicht nur Weizen, sondern auch Ratten, Träger des Bakteriums Yersinia pestis, das vom Tier auf den Menschen überspringen kann. Das Schiff landet in Messina, wo sich die Ratten in den Laderäumen anderer Schiffe verbergen, mit ihnen reisen und so – von den Hafenstädten aus – ganz Europa infizieren.

Wir wissen nicht, wie viele Menschen im großen Pestjahr von 1348/9 starben. Historiker schätzen, dass rund ein Drittel der Bevölkerung ums Leben kam. Doch die Zahl ist nicht das Entscheidende. Wer die große Pest erlebte, sah seine Weltordnung zerbrechen. Es gab keine Sicherheit mehr. Kein Priester garantierte dem Sterbenden mit seinem Gebet den Übergang ins ewige Leben.

Die Menschen reagierten unterschiedlich: Die einen zitterten vor dem, was da kommen sollte, verbargen sich in ihren Häusern und verschenkten ihren Besitz, um so doch ins ewige Reich Gottes zu kommen. Die anderen feierten das Leben und genossen jeden Tag, als wäre es ihr letzter.

Zum Chronisten all derer, die an das Leben glaubten, wurde Giovanni Boccaccio. Er setzte in seinem Decamerone das pralle Leben gegen die Schrecken der Pest.

Giovanni Boccaccio auf einem Fresko von Andrea del Castagno, circa 1450

Giovanni Boccaccio (1313-1375) lebte in der Stadt Florenz, damals eines der wichtigsten Wirtschaftszentren Europas. Er war das, was wir einen gehobenen Beamten nennen würden. Er beschäftigte sich daneben intensiv mit der antiken Literatur und schrieb eigene Geschichten. Als enger Freund Petrarcas zählte er zur intellektuellen Elite Italiens.

Boccaccio war ein Zeitzeuge des großen Pestjahrs von 1348/9. Es inspirierte ihn zu seinem Meisterwerk, dem Decamerone. Es handelt sich dabei um eine Novellensammlung von 100 Geschichten, die gerne – im Gegensatz zu Dantes „Göttlicher Komödie“ – als die „Menschliche Komödie“ bezeichnet wird.

Die Erzählungen des Decamerone bilden das gesamte gesellschaftliche Spektrum des 14. Jahrhunderts ab: Adlige und Bürger, Bauern und Tagelöhne, Ordensgeistliche und Amtsträger, Christen und Juden, Männer und Frauen, sie alle werden zu Protagonisten in Boccaccios Geschichten. Der Autor charakterisiert seine Helden mit viel Liebe und Verständnis, ohne jedes Vorurteil: Moral, Intelligenz und Witz findet er bei Angehörigen aller Schichten und Geschlechter.

Einen Berufsstand gibt es, der bei Boccaccio eher schlecht weg kommt, die Geistlichen, vor allem die Angehörigen der Bettelorden. Dies liegt daran, dass deren intensive Bemühungen, die städtische Bevölkerung zu einem christlichen Leben zu erziehen, noch relativ neu waren. Die angsteinflößenden Predigten der Franziskaner, Dominikaner und Augustiner, mit denen sie ihren Zuhörern die Schrecken der Hölle plastisch vor Augen führten, wurden von Intellektuellen wie Boccaccio nicht goutiert.

Während die Werke der meisten Humanisten heute kaum noch gelesen werden, gehört das Decamerone zum Allgemeingut. Unzählige Künstler ließen sich davon inspirieren. Zu ihnen gehörten berühmte Autoren wie Shakespeare und Swift, Molière und Balzac, Cervantes und Goethe, Komponisten wie Vivaldi, Maler wie Rossetti und Regisseure wie Pasolini, ja sogar der Reformator Luther illustrierte seine Anliegen mit Boccaccio.

Eine Aufführung von Nathan des Weise im Deutschen Theater Berlin 1945

Boccaccios Ringparabel wurde durch Lessings Nathan der Weise zur berühmtesten Episode des Decamerone: Ein Vater besaß einen Ring mit der wunderbaren Macht, seinen Träger zu einem guten Menschen zu machen, dessen Ruhm die ganze Welt verkündete. Er hatte drei Söhne, die er alle gleich liebte. Weil er sich nicht entscheiden konnte, wem er den Ring vererben sollte, ließ er zwei Duplikate anfertigen und übergab auf dem Sterbebett jedem Sohn einen mit der Aufforderung, durch die eigenen Handlungen zu beweisen, dass man den wundertätigen Ring erhalten habe.

Wer heute das Decamerone lesen will, kann zwischen vielen Sprachen und zahllosen Ausgaben wählen. Das hat einen guten Grund: Zu Zeiten Boccaccios war der Umgang mit Sexualität, Kirchen- und Obrigkeitskritik viel lockerer als in späteren Jahrhunderten. So wurde Boccaccio zu einem Lieblingsautor all derer, die für sexuelle Freiheit eintraten und an der Kirche Kritik übten. Unsere Ausgabe ist ein gutes Beispiel. Sie stammt aus dem Jahr 1935 und wurde in drei Bänden vom Pariser Verlag Le Vasseur herausgegeben. Als Illustratorin gewann man die österreichische Künstlerin Mariette Lydis, die für ihre frivolen Zeichnungen berühmt war.

Mariett Lydis, Foto von 1936

Die Künstlerin lebte in den Goldenen Zwanzigern ein Leben, das in der Form wenige Jahrzehnte vorher noch nicht möglich gewesen wäre. Sie trat vom jüdischen zum christlichen Glauben über, heiratete und ließ sich scheiden, heiratete, begann eine Affäre und ließ sich scheiden. 1926 zog sie nach Paris, wo sie zum dritten Mal heiratete. 1939 floh sie mit ihrer Geliebten nach Buenos Aires, wo sie den Rest ihres Lebens verbrachte.

Viele bedeutende Museen besitzen Werke von Mariette Lydis. Sie sehen in ihr eine Protagonistin der „neuen Frau“. Die Künstlerin lebte offen ihre Bisexualität und fand eine fast aggressive Form der Darstellung des weiblichen Körpers.
KünstlerInnen wie Mariette Lydis trugen dazu bei, dass wir das Decamerone heute in erster Linie mit schlüpfrigen Geschichten verbinden. Doch dies überstrapaziert einen einzigen Aspekt der menschlichen Komödie, den Boccaccio selbst nicht in diesem Maße betont hat. Für ihn war das, was sich zwischen Männern und Frauen abspielt, ein Teil des Alltags, der in der Enge der Häuser des 14. Jahrhunderts wesentlich öffentlicher war, als wir uns das heute vorzustellen wagen.

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Totentanz

Totentanz in der Kirche St. Nikolai in Tallin, 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts

Auch wenn gerade keine Pest grassierte, war das Leben in der Frühen Neuzeit unsicher. Zum wichtigsten Ausdruck dieses Lebensgefühls wurde der Totentanz. Damit bezeichnen Kunsthistoriker die wechselweise Darstellung eines Leichnams mit einem Lebenden.

Die ersten Totentänze entstanden um 1400, also etwa gleichzeitig mit dem, was wir heute „ars moriendi“ nennen. Darunter verstand man die Technik, sich schon während des Lebens auf einen guten Tod vorzubereiten: durch ein Gott gefälliges Leben auf Erden erarbeitete sich der Gläubige einen sicheren Platz im Jenseits.

Der Totentanz wurde zu einem beliebten Thema. Unser Beispiel stammt aus Zürich. Die Brüder Rudolf und Conrad Meyer schufen ihn während der letzten Jahre des 30jährigen Kriegs. Dass das Thema noch viele Jahre aktuell blieb, zeigt die Tatsache, dass uns hier nicht die erste Ausgabe von 1650 vorliegt, sondern eine, die mehr als ein Jahrhundert später gedruckt wurde.

Der Camposanto Monumentale in Pisa. Foto: Bernd Thaller / CC BY 2.0

Ursprünglich schmückten Totentänze die Friedhofsmauern. Um uns das vorzustellen, müssen wir vergessen, was wir heute über einen Friedhof zu wissen glauben: Ein Friedhof war damals ein von Mauern umgebener Bereich, der direkt neben einer Kirche lag. Wer das Geld für eine Grabstätte besaß, wurde entweder in der Kirche oder unter den Arkaden der Friedhofsmauer beigesetzt. Alle anderen wanderten in ein Massengrab in der Mitte. War es voll, wurde das nächste gegraben. Knochen und Schädel, die dabei zum Vorschein kamen, fanden ihren Platz im Beinhaus.

Sie finden das unheimlich? Früher war es das nicht. Der Friedhof war ein Platz des öffentlichen Lebens, wo Handel getrieben, Unterhaltungen geführt, Spaziergänge gemacht wurden. Während Beerdigungen stattfanden, tobte gleichzeitig – nur wenige Meter davon entfernt – das städtische Leben. Der Totentanz war also ein echtes Memento mori, das jeden Menschen daran erinnerte, dass der Tod jederzeit eintreten und ihm damit die Möglichkeit rauben könne, Vorkehrungen für das ewige Leben zu treffen.

Auch Zürich besaß einen eingefriedeten Friedhof mit Beinhaus. Das steht in unserem Totentanz für die Vanitas, die Vergänglichkeit allen irdischen Lebens. Deshalb tritt der Tod auf all die Kostbarkeiten, mit denen sich Menschen die Zeit vertreiben. Geld, sogar die Insignien des Herrschers sind lieblos auf den Boden geworfen. Der Tod triumphiert mit Sichel und Stundenglas. Sie sind Symbol dafür, dass er seine Ernte einbringt, wenn die Zeit abgelaufen ist.

Betrachten Sie das Beinhaus. Unten ist der Sündenfall dargestellt, mit dem der Tod in die irdische Welt kam. Oben thront Christus: Das Jüngste Gericht ist für den Gläubigen die Pforte, die zum ewigen Leben führt.

Der Totentanz spiegelt nicht nur das Verhältnis der Zürcher zum Tode, sondern gibt einen Einblick in ihr Leben. Dieses Bild zeigt den Zürcher Beamten, der den Unterhalt für Witwen und Weisen auszahlte. Der luxuriöse Raum, seine prachtvolle Kleidung, die gefüllten Geldbeutel und Truhen, die Armen in ihren zerrissenen Kleidern, all das zeigt, wie schlecht der Mann sein Amt verwaltet. Doch auch er muss sich dem jüngsten Gericht stellen. Der Tod erschlägt ihn mit seiner Bestallungsurkunde.

Hier wehrt sich ein reicher Kaufmann gegen den Tod. Er gehört zu den Händlern, die am Limmatufer feilschen. Wir sehen die Segel der Schiffe, die Karren und den Lastenkran. Doch trotz all seines Geldes – der Geldbeutel liegt nutzlos auf der Kiste – wird der widerstrebende Kaufmann dem Tod folgen müssen.

Wie anders ist das Verhältnis des alten Hausierers zum Tod. Der erscheint ihm als liebevoller Weggenosse, der ihn von seiner schweren Kraxe befreit.

Und natürlich war in all dem auch Propaganda enthalten. Schließlich lebten die Künstler im reformierten Zürich, das an seiner Grenze einen brutalen Religionskrieg miterlebt hatte. Sie bezogen Position mit ihrem Totentanz: Während der (katholische) Abt als Pracht und Reichtum anbetender Fettsack dargestellt ist, holt der Tod den bescheidenen (reformierten) Pfarrherrn geradezu zärtlich heim.

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Catalogus Gloriae Mundi
Barthélemy de Chasseneuz
Gedruckt bei dem Drucker und Verleger Sigmund Feyerabend
Vitae Sanctorum
Franciscus Haraeus
Publiziert von Johannes Gymnich 1593 in Köln; deutsche Übersetzung von Valentin Leucht; das lateinische Original stammt von Franciscus Haraeus (+1632) und verarbeitet das Werk des Laurentius Surius (+1578).

Station 2: Das Leben ist ewig

Wer sich bewusst ist, dass sein Leben von heute auf morgen vorbei sein kann, lebt intensiver und setzt andere Prioritäten. Für die Menschen der Frühen Neuzeit war diese Priorität das ewige, das himmlische Leben, das für sie keine Möglichkeit, sondern eine Realität darstellte. Das Individuum entschied durch seine Lebensführung, ob es irgendwann in den Himmel aufsteigen oder in der Hölle brennen würde. Das Fegfeuer, eine Art Reinigungsstation für nicht ganz so perfekte Seelen, diente dazu, all denen eine Chance zu geben, die nicht wirklich gut, aber auch nicht wirklich schlecht gewesen waren.

Wir zeigen Ihnen in der 2. Station, wie real der Himmel für die Menschen der Frühen Neuzeit war. Dazu nutzen wir ein Buch von Barthélemy de Chasseneuz. Es illustriert, dass die Grenze zwischen Diesseits und Jenseits nicht existierte. Wer heiligmäßig lebte, stieg in den Himmel auf. Ohne Diskussion.

Die Konsequenz daraus sehen wir in dem „Heiligenleben“ von Valentin Leucht. Er sammelte Biographien von Menschen, deren Lebensführung Vorbildcharakter hatten, auch wenn sie uns heute schrecklich und lebensfeindlich erscheinen. Ihnen nachzustreben, galt als der optimale Weg, sich das ewige Leben zu sichern. Wie es einem dabei im Diesseits ging, spielte keine Rolle.


Das Leben nach dem Tode: Eine Selbstverständlichkeit

Barthélemy de Chasseneuz (1480-1541), der Autor dieses Buches, war alles andere als ein kirchengläubiger Theologe. Er war ein hervorragender Jurist, der an den damals besten Universitäten studiert hatte. Nach einigen Jahren im Dienst des Herzogs von Mailand und des Papstes kehrte er 1506 nach Frankreich zurück.

Barthélemy de Chasseneuz, Stich von Jacques Cundier

Chasseneuz, dem die BBC 1993 einen Film widmete, gilt heute als einer der aufgeklärtesten Juristen seiner Zeit. Er verfasste eine Abhandlung zur Beendigung der damals weit verbreiteten Prozesse gegen Tiere. Und er verteidigte – obwohl selbst ein gläubiger Katholik – die Waldenser gegen die Anklage der Ketzerei. Sein Buch steht also über jedem Verdacht, lediglich eine Spiegelung kirchlicher Propaganda zu sein. Im Gegenteil: Chasseneuz fasst in ihm zusammen, was ein aufgeklärter Katholik damals für selbstverständlich hielt.

Auf diplomatischer Mission: Johann Heinrich Waser an der Spitze der eidgenössischen Delegation am Hof Ludwig XIV., 1663. Adam Frans van der Meulen.

Chasseneuz schrieb mit seinem Catalogus Gloriae Mundi (= Katalog des weltlichen Ruhms) ein mehr als 1000 Seiten umfassendes Standardwerk der Diplomatie, das immer wieder neu aufgelegt wurde. Dafür sichtete er alle ihm zugänglichen theologischen, philosophischen und juristischen Quellen.

Die Erstauflage erschien im Jahr 1529. Unser Exemplar wurde genau 50 Jahre später gedruckt. Der geschäftstüchtige Frankfurter Verleger hatte einen der besten Illustratoren seiner Zeit, dem Zürcher Jost Amman, beauftragt, Kupferstiche zu liefern, um so den Absatz anzukurbeln.

Was Chasseneuz hinsichtlich Privilegien und Rangordnungen in lateinischer Sprache formulierte, fasste Jost Amman im Bild zusammen: Dieser Kupferstich zeigt die Fürsten mit ihren Privilegien. Im Vordergrund sehen wir die weltlichen Fürsten mit ihrem Degen. Hund und Falke weisen darauf hin, dass ihnen das Privileg der hohen Jagd zustand. Im Hintergrund erscheinen die kirchlichen, links von ihnen die ausländischen Fürsten.

Für unsere Thematik ist diese Illustration wichtig. Darauf ist die himmlische Ordnung festgehalten, also wer welchen Platz im Himmel einnehmen wird. Ein Unterschied oder eine Grenze zwischen lebenden und toten Menschen ist an keiner Stelle erkennbar.

Ganz oben thront die heilige Dreifaltigkeit. Gottvater und Gottsohn sitzen auf dem Regenbogen wie wir es von Darstellungen des Jüngsten Gerichts kennen. Zwischen ihnen kniet Maria. Sie verbindet als Mensch und Muttergottes die Menschheit mit dem Göttlichen.

Zu ihrer Rechten, der diplomatisch höhergestellten Seite:

Stufe 1 die Helden des Alten Testaments (Johannes der Täufer deutlich am Lamm zu erkennen)
Stufe 2 die Apostel (Petrus mit dem überdimensionalen Schlüssel, Jakobus mit dem Pilgerhut)
Stufe 3 die Heiligen (zuvorderst der erste Märtyrer Stephanus mit dem Stein; dahinter Laurentius mit dem Rost und die heilige Barbara mit dem Turm)

Zu ihrer Linken, der diplomatisch niedrigeren Seite:

Stufe 1 Päpste und Kaiser (selbstverständlich die Kaiser hinter den Päpsten)
Stufe 2 Kardinäle und Könige
Stufe 3 Bischöfe und Kurfürsten


Ganz unten finden wir die „gewöhnlichen“ Menschen, unter denen es ebenfalls Rangunterschiede gibt: Den höchsten Rang bekleiden die Jungfrauen, ganz unten finden wir Kinder und Babys. Die Hintansetzung der Kleinsten machte sich übrigens auch nach dem Tode bemerkbar: Selbst die wohlhabendsten Familien bestatteten ihre verstorbenen Kleinkinder im kostengünstigen Massengrab.

Barockkirche „Santa Maria de Victoria“ in Ingolstadt. Foto: KW

Wer die selbstverständliche Verschmelzung von Himmel und Erde erleben will, sollte eine katholische Barockkirche besuchen: Sie versammelt im Schiff die irdische, im Deckengemälde die himmlische Gemeinde. Menschen und Heilige verehren gemeinsam die Dreifaltigkeit, zumeist in Verbindung mit Maria. Ihr kommt häufig die Funktion eines Verbindungsglieds zwischen Menschheit und Dreifaltigkeit zu.

Marientod. Dom zu Überlingen. Foto: KW

In diesem Zusammenhang gehören die vielen Darstellungen von Maria auf dem Sterbebett. Diese Szene wurde zum Inbegriff des „guten“ Todes, der einen direkt vom irdischen ins ewige Leben befördert: Der Sterbende liegt gelassen auf dem Totenbett, eine brennende Kerze in der Hand; um ihn herum haben sich Familie, Freunde und Fremde – ja auch sie waren zum Totenbett zugelassen – versammelt und lauschen der frommen Lesung aus der heiligen Schrift.

Wie uns das Happy End eines Liebesfilms suggeriert, dass ein sorgloses Leben folgt, wenn Held und Heldin sich gefunden haben, so betrachtete der Gläubige den Tod Mariens in der Gewissheit, dass auf sein irdisches ein himmlisches Leben folgen wird.

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Leben und Sterben in Gewissheit

Franciscus Haraeus, Vitae Sanctorum Das ist, Leben der fürnembsten Heiligen Gottes: Auff die zwölff Monat deß gantzen Jahrs ordentlich gerichtet: Auß den aller bewehrtesten Authorn und Kirchenlehreen, sonderlich aber Herren Surio. Publiziert von Johannes Gymnich 1593 in Köln; deutsche Übersetzung von Valentin Leucht; das lateinische Original stammt von Franciscus Haraeus (+1632) und verarbeitet das Werk des Laurentius Surius (+1578).

Martyrium des hl. Vincent. Kathedrale in Burgos. Foto: KW.

Wer weiß, dass sein irdisches Leben nur eine zeitlich begrenzte Angelegenheit ist, die in ein ewiges Leben mündet, kann dieses irdische Leben bedenkenlos in den Dienst einer „großen“ Sache stellen, wobei es natürlich eine Frage sich wandelnder Geisteshaltungen ist, was unter „groß“ verstanden wird.

Die katholische Kirche sammelte die Biographien von Menschen, die dies getan hatten, um anderen ein Vorbild zu geben. Das Martyrium als ultimative Form des Lebensverzichts stand dabei nur für eine von vielen Möglichkeiten, das eigene Leben in den Dienst Gottes zu stellen.

Weder Martyrium noch der Verzicht auf ein bürgerliches Leben blieb Theorie. Viele nahmen in der Vergangenheit Folter und Tod auf sich, um ihre eigene Auffassung vom richtigen Weg ins Paradies leben zu können. Und dabei kann nicht nur die katholische Kirche auf ihre Märtyrer verweisen. Sie finden sich in allen Religionen. Uns besonders nahe sind die Menschen, die von der Amtskirche als Häretiker abgetan wurden, so zum Beispiel die Katharer, die Waldenser oder die Täufer.

Jakobspilger auf der Rast: Die Erscheinung seiner Pilger färbte auf die Ikonographie des hl. Apostels Jakobus ab. Seine Statuen zeigen ihn in der Kleidung der zu ihm strömenden Pilger. Foto: KW.

Schon damals besaßen die meisten Menschen nicht die Glaubensstärke, auf die Annehmlichkeiten des irdischen Lebens zu verzichten. Ihnen dienten die Heiligen als Patrone, die durch ihre bevorzugte Position unter den himmlischen Heerscharen Gott so nahe waren, dass sie ihm die Bitten ihrer Schutzbefohlenen übermitteln konnten.

Besonders gerne wählte ein Betender einen Heiligen, von dem er annehmen konnte, dass er die harten Realitäten des irdischen Lebens aus eigener Anschauung kannte. Gläubige bevorzugten Heilige, die wie sie selbst ihren Lebensunterhalt als Zimmermann, Dienstmagd, Schmied oder Soldat verdient hatten. Statuen, die solche Heiligen in der Tracht und bei der Ausübung ihres Berufs darstellten, unterstützten die Identifikation.

Die katholische Kirche förderte die Heiligenverehrung. Mit farbenprächtigen Wallfahrten und aufwändig inszenierten Festen war sie ein populäres Element des katholischen Glaubens, mit dem man gerade die nicht-intellektuell veranlagte Masse begeistern konnte.

Was sich die Menschen vom Paradies erhofften, schildert sehr konkret ein Vers aus Psalm 67. Wir übersetzen ihn in modernes Deutsch: Die Gerechten dürfen essen und im Angesicht Gottes glücklich sein und sich in Glückseligkeit freuen. Für die Zeitgenossen dieser Veröffentlichung muss gerade das „essen“ paradiesisch geklungen haben: Ende des 16. Jahrhunderts verursachte der Höhepunkt der kleinen Eiszeit zahlreiche Missernten und Hungersnöte.

Die zentrale Darstellung illustriert, wie wir uns den himmlischen Hofstaat vorstellen können. Er ist – wie es auch die irdischen Hofhaltungen waren – strikt hierarchisch gegliedert. Dabei nehmen die heiligen Jungfrauen und die Kleriker einen Ehrenplatz ein, genauso wie die Märtyrer, die an ihren Palmen erkennbar sind.

Die meisten Gläubigen stellten sich das himmlische Reich in Analogie zum irdischen als eine hierarchisch gegliederte Hofgesellschaft vor, bei der es von der Rangordnung abhing, ob ein Bittsteller vorgelassen und seine Bitte erfüllt wurde. Traditionell war der beste Tag dafür der Geburtstag des Patrons, da an diesem Tag jeder empfangen wurde und für seine Glückwünsche und sein Geschenk eine reiche Gegengabe erwarten durfte.

Deshalb hielt man den Todestag – den Geburtstag ins himmlische Leben – für besonders geeignet, einen Heiligen um etwas zu bitten. Man baute also die meisten Sammlungen von Heiligenbiographien als eine Art Kalender auf, der wie in unserem Fall auch die beweglichen Feste der kommenden Jahre beinhalten konnte.

Darin waren die Biographien der Heiligen nach ihrem Todestag geordnet. Am 4. Januar zum Beispiel feierte man das Fest des hl. Rigobert von Reims (+743). Er war in frühkarolingischer Zeit ein Mitglied der hohen Geistlichkeit, fiel in Ungnade und entschloss sich trotz seiner Rehabilitation, sein Leben fern vom Hof als Einsiedler zu beschließen.

Heiligenviten gehörten Jahrhundertelang zur bevorzugten christlichen Lektüre. Unser Buch war früher im Besitz des Zisterzienserinnenklosters im aargauischen Olsberg. Den Angehörigen des Zisterzienser-Ordens war während der Mahlzeit jedes Gespräch verboten. Um die Brüder und Schwestern nicht in Versuchung zu führen, las jemand während des Essens aus einem frommen Buch, wie dem hier gezeigten.

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Martin Luther
Publiziert 1565 in Wittenberg.
Jakob Heerbrand
Gedruckt von Alexander Hock

Station 3: Wo bitte geht’s hier zum Ewigen Leben?

Es ist eine Frage des Glaubens, nicht des Wissens, wie man sich das himmlische Leben sichert. Und für all diejenigen, deren irdisches Leben permanent gefährdet ist, ist es von existentieller Bedeutung, den richtigen Weg zu wählen.

Dies war relativ einfach, so lange es nur eine weit verbreitete Alternative gab. Doch als mit der Reformation eine Vielzahl von möglichen Wegen eröffnet wurde, sah sich jeder einzelne Gläubige in der Verantwortung, sich für den richtigen Weg zu entscheiden. Wer die wilde Leidenschaft verstehen will, mit der im Zeitalter der Gegenreformation über Glaubensinhalte gestritten wurde, muss sich vor Augen halten, dass es dabei um alles oder nichts ging, buchstäblich um Himmel oder Hölle.

Wir stellen in dieser Station zwei Zeugnisse der Epoche vor. Zunächst sehen wir ein Exemplar der Lutherbibel, deren Text sorgfältig danach ausgewählt war, die protestantische Weltsicht zu unterstützen. Unser zweites Beispiel ist eine protestantische Streitschrift, die sich gegen die katholische Vorstellung wendet, dass der Gläubige für seine guten Taten eine exakt bemessene Reduktion des Aufenthalts im Fegefeuer erwarten könne.


Gottes Wort?

Als Luther 1522 seine deutsche Übersetzung des Neuen Testaments publizierte, war er nicht der erste. Übersetzungen einzelner Bücher des Alten und Neuen Testaments gab es viele. So entstand bereits im 4. Jh. n. Chr. eine gotische Version. Sobald der Buchdruck die Produktion verbilligte, nahmen die Bibelübersetzungen zu. Sie waren ein gutes Geschäft. In Augsburg entstanden, um nur ein Beispiel zu nennen, in den Jahren 1475, 1477, 1480, 1487, 1490, 1507 und 1518 insgesamt neun Übersetzungen.

Luther konnte also auf umfangreiche Vorarbeiten zurückgreifen, als er auf der Wartburg seine Übersetzung anfertigte. Er benutzte den von Erasmus von Rotterdam herausgegebenen griechischen Urtext mit dessen lateinischer Übersetzung sowie die von der katholischen Kirche verwendete lateinische Vulgata.

Daraus stellte Luther „sein“ Neues Testament zusammen. Er überarbeitete es mit dem sprachlich versierteren Melanchthon in Wittenberg. Pünktlich zur Leipziger Buchmesse im September 1522 kam das Werk auf den Markt. Mit der für damalige Verhältnisse unglaublich hohen Erstauflage von 3.000 Exemplaren wurde es zu einem großen finanziellen Erfolg. Je nach Ausstattung kosteten die Bücher zwischen einem halben und anderthalb Gulden. Innert drei Monaten war die Auflage vergriffen.

Ermutigt von diesem Erfolg machte sich unter Koordination Luthers ein Team an die Übersetzung des Alten Testaments, so dass 1534 die erste komplette protestantische Bibel vorlag.

Seite aus dem Codex Argenteus, einer Abschrift der gotischen Wulfilabibel, heute in der Universitätsbibliothek Uppsala. Original 4. Jahrhundert, Abschrift um 500

Luthers Übersetzung ist nicht die einzige aus dieser Zeit. In reformierten Kreisen konsultierte man in Glaubensfragen die Züricher Bibel, deren Übersetzung Ulrich Zwingli besorgt hatte, und die in den Jahren 1524 bis 1529 Christoph Froschauer publizierte.

Die Lutherbibel spielte im protestantischen Alltagsleben eine zentrale Rolle. Ihre Lektüre gehörte für einen frommen Protestanten genauso zum Tagesablauf wie seine Gebete. Die Bibel wurde von vorne bis hinten gelesen, einzelne Teile auswendig gelernt. Als besonderes Zeichen protestantischer Frömmigkeit galt die Zahl, wie oft ein Gläubiger die Bibel vollständig gelesen hatte. Der Rekord soll bei 53mal liegen.

Die Hausbibel war geradezu ein Möbel wie Bett, Stuhl oder Tisch. Sie wurde vererbt und diente dazu, Geburten, Tode und bedeutende Ereignisse zu vermerken.

Die Lutherbibel gab ihren Nutzern scheinbar die Möglichkeit, das „authentische“ Wort Gottes in der eigenen Sprache zu lesen. Tatsächlich war es eher ein Wort Gottes, das Luther durch die Auswahl der zugrundeliegenden Textversion und seine deutende Übersetzung in seinem Sinne interpretiert hatte, was er durch zahlreiche Einleitungen noch verstärkte.

Auf der ersten Seite dieser Ausgabe warnt Luther seine Leser vor Raubdrucken und anderen Bibelversionen: „Und es sei jedermann gewarnt vor anderen Exemplaren, denn ich habe inzwischen mehrfach gesehen, wie liederlich und falsch uns andere nachdrucken.“

Nicht nur die „Vorreden“, sondern auch die sorgsam am Rand ergänzten Glossen lenken die Interpretation des Geschehens in die von Luther gewünschte Richtung.

James Tissot: Das Scherflein der Witwe (Le denier de la veuve), zwischen 1886 und 1894.

Luthers Bibel war das erste Buch, das von breiten Bevölkerungsschichten gelesen wurde. So haben viele seiner Redensarten Eingang in die deutsche Sprache gefunden. Der Begriff „sein Scherflein beitragen“, um nur ein Beispiel zu nennen, geht auf ein Gleichnis zurück (Mk 12,42): Eine arme Witwe spendet ein Scherflein, damals die kleinste Münze. Doch Gott sieht, was diese Münze für sie bedeutet, und das ist mehr als das Vermögen, das der Reiche aus seinem Überfluss abgibt.

An diesem Beispiel sieht man gut, dass die Übersetzung tatsächlich eine Teamarbeit war: Seit 1998 kennt man einen Briefwechsel, in dem Melanchthon mit dem damals sehr bekannten Numismatiker Wilhelm Reiffenstein diskutierte, wie man die griechischen und römischen Münzbezeichnungen korrekt ins Deutsche übertragen könne.

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Entscheidet Gott, wer in den Himmel kommt, oder kann der Mensch etwas dazu tun?

Dass so viele protestantische, reformierte und calvinistische Positionen in unseren Köpfen immer noch als historische „Wahrheit“ herumgeistern, liegt an der phantastischen Propaganda, mit der die Anhänger der neuen Bekenntnisse ihre Meinung verbreiteten. Erstmals wurde das neue Medium des Buchdrucks systematisch genutzt, um in volkstümlich-eingänglicher Form die zentralen Aussagen werbewirksam umzusetzen.

Spanische Söldner plündern Antwerpen 1576. Ausschnitt aus einem anonymen Gemälde. Foto: KW

Genauso wie sich heute dank der allgegenwärtigen Werbung niemand einen erfolgreichen Menschen anders als schlank, dynamisch, gepflegt und gut gekleidet vorstellen kann, prägte die Öffentlichkeitsarbeit der protestantischen Theologen nachhaltig unser Geschichtsbild. Für ihre verfälschende Version der spanischen Geschichte – Spanier werden durchgängig und in allen Medien als fanatisch, brutal, menschenverachtend, faul und rückständig dargestellt – hat die Geschichtswissenschaft den Begriff der Leyenda negra, der schwarzen Legende, geprägt.

Ablasspatent aus den Jahren 1309-1312, in denen den Pilgern, die zur Kirche der hl. Mutter Gottes in Valencia kamen, ein Ablass ihrer Sünden in Aussicht gestellt wurde. Foto: KW

Das wirksamste Mittel der protestantischen Propaganda war die ständige Wiederholung der immer gleichen Aussagen. Um die zu erreichen, veröffentlichten Theologen Schriften, in denen jedem Prediger, jedem Laien detailliert erklärt wurde, wie er die protestantische Position zu verteidigen habe. Wir zeigen ein solches Werk, das 1580 vom Kanzler der Tübinger Universität, Jakob Heerbrand, verfasst wurde.

Thema des Buchs ist der schon von Luther angegriffene Ablass. Es handelt sich dabei um ein kirchliches Instrument, das festlegt, wie viele Tage Fegefeuer sich der reuige(!) Sünder, der bereits gebeichtet und die Absolution erhalten hat, durch eine bestimmte Handlung – Geldspende, Gebet, Wallfahrt – ersparen kann. Diesen Ablass kann ein Gläubiger auch auf andere übertragen, die nicht mehr in der Lage waren, ihrer Reue durch tätige Buße Ausdruck zu verleihen.

Man kann die Idee des katholischen Ablasses durchaus vergleichen mit den Zahlungen, die heute Fluggäste mit schlechtem Klima-Gewissen leisten, um ihre Ökobilanz zu schönen.

Der Münchner Bürgersaal war der Sitz der Marianischen Kongregation. Foto: Berthold Werner / CC BY-SA 3.0

Heerbrand wettert in diesem Buch gegen die 1578 auf Initiative der Jesuiten gegründete Marianische Kongregation in München. Sie war ein weit verbreiteter Verein für Laien, die anhand der Anweisungen des hl. Ignatius von Loyola geistige Übungen in den gemeinsamen Alltag integrierten. Der Papst unterstützte die Kongregation beim Gewinn von neuen Mitgliedern, indem er einen Ablass erteilte. Mit anderen Worten: Jeder, der Mitglied in dieser Kongregation wurde, durfte sich über eine Verminderung seiner Strafe im Fegefeuer freuen.

Das Thema war deshalb für Heerbrand so wichtig, weil es eine Kernfrage der Reformation berührte: Kann der einzelne etwas an seinem Schicksal im Jenseits ändern oder nicht? Für die Protestanten war die Gnade Christi zentral. Für die Katholiken zählten auch die guten Taten, wobei natürlich die Amtskirche definierte, was eine gute Tat ist.

Heerbrand hält sich in seiner Publikation an das wichtige wissenschaftliche Postulat, dass man die gegnerische Position genau kennen müsse, um sie zu zerpflücken. Aus diesem Grund veröffentlicht er, der Protestant, in seinem Buch die Schrift des Papstes wortwörtlich.

So können wir exakt sehen, welche Handlung im Rahmen der Marianischen Kongregation mit wie vielen Tagen Ablass verbunden waren: Wer sich in die Bruderschaft aufnehmen ließ, erhielt bei seinem Eintritt 300 Tage, die er weniger im Fegefeuer verbringen musste. Jedes Mal, wenn er die heilige Kommunion nahm, kamen weitere 300 Tage dazu. Fiel die hl. Kommunion mit einem besonderen Fest zusammen gab es Zusatzpunkte.

Und wer jetzt noch nicht an Kundenkarten und Schrittzähler denkt, dem ist die menschliche Natur fremd, die es liebt, große Zahlen anzuhäufen, gleich ob sie von Nutzen sind oder nicht.

Ferner verurteilte Heerbrand in seiner Schrift die Anrufung der katholischen Heiligen in der Litanei. Von protestantischer Seite interpretierte man das als Götzendienst. Katholiken empfanden die liebgewordenen, persönlichen Patrone als Fürsprecher vor dem Thron Gottes.

Erzfeind der Protestanten wurden die hervorragend ausgebildeten Jesuiten, die ihrerseits den katholischen Geistlichen und Laien Argumente an die Hand gaben. Heerbrandt warnt in seiner Schrift ausdrücklich vor ihnen: Dass Gottes viel geliebter Sohn mit seinem Heiligen Geist und dem hellen Licht seines Wortes die verfinsterten Herzen und Köpfe der armen, von ihren falschen Lehrern, vor allem von den Jesuiten verführten Leute und der Menschen unter dem Papsttum gnädig erleuchten möge.

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Gedruckt 1755/6 in Straßburg
Voltaire
Publiziert in fünf Bänden von dem Pariser Verlag Arc-en-Ciel 1950, mit Illustrationen von Paul-Émile Becat

Station 4: Wo ist Gott und sein Himmel?

Die Aufklärung erschütterte das kirchliche Weltbild nachhaltig. Erstmals seit der Antike wurde die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass es keinen Gott und damit kein Weiterleben nach dem Tode geben könnte.

Die Geschichtsschreibung macht diese fundamentale, und sich über eine lange Zeitspanne erstreckende Veränderung der Mentalität an einem historischen Ereignis fest, und zwar an dem Erdbeben von Lissabon, das am Allerheiligentag des Jahres 1755 stattfand. Wir zeigen in dieser Station, welche Auswirkungen die Naturkatastrophe hatte, die zum ersten Medienereignis der Neuzeit wurde. Dazu präsentieren wir Ihnen einen Einblattdruck, wie sie vor Tagesschau und Tageszeitungen wichtige Ereignisse in Europa bekannt machten.

Unser zweites Exponat illustriert, wie die intellektuelle Welt das Ereignis verarbeitete. Der Roman „Candide“ von Voltaire schickt seinen Protagonisten durch eine Reihe von Schicksalsschlägen, die ihn mit dem Bösen in der Welt konfrontieren. Nach der Lektüre des Buchs musste sich jeder denkende Mensch die Frage stellen, ob tatsächlich ein guter Gott existieren und all das Elend dulden könne. Daraus leitete sich die Frage ab, ob es überhaupt so etwas wie ein ewiges Leben gibt, das man mit Hilfe von Gebeten, Spenden und guten Taten zum eigenen Vorteil gestalten kann.


Lissabon, 1. November 1755

Neu eingeloffene bewegliche und umständliche Beschreibung des entsetzlichen Erdbebens, welches den 1. Wintermonats 1755 die trefliche Portugiesische Haupt-Stadt Lissabon Samt umliegenden Gegenden so entsetzlicher Weise betroffen, zerstöret und fast gänzlich zernichtet hat. Gedruckt 1755/6 in Straßburg

Ein zeitgenössischer Kupferstich zeigt die verheerenden Folgen, die das Erdbeben hatte: unzählige Brände und Tsunamis.

Am 1. November des Jahres 1755, dem Allerheiligentag, vernichtete ein schreckliches Erdbeben mit einem anschließenden Tsunami die Hauptstadt des Königreichs Portugal, Lissabon.

Überlebende berichteten, dass die Erde mehr als dreieinhalb Stunden bebte und fünf Meter breite Gräben die Straßen aufrissen. Wer nicht von den herabfallenden Trümmern erschlagen wurde, eilte zum Hafen, um sich auf einem Schiff in Sicherheit zu bringen. Doch die dort versammelte Menge wurde das erste Opfer der drei Tsunami-Wellen, die 40 Minuten nach dem Erdbeben die Stadt überschwemmten. Was das Wasser nicht bedeckte, wurde ein Opfer der Flammen: Die am Allerheiligentag von frommen Portugiesen aufgestellten Kerzen setzten die Holzhäuser in Brand.

Nicht nur Lissabon war betroffen. Viele andere Städte an der portugiesischen, der afrikanischen und der spanischen Küste wurden vernichtet. Das spanische Cadiz zum Beispiel verlor bei diesem Erdbeben ein Drittel seiner Bevölkerung.

Keine Antiken Ruinen, sondern die Reste der Kathedrale in Lissabon

Nichtsdestotrotz ist dieses Erdbeben als das Erdbeben von Lissabon in die Geschichte eingegangen. Und das hat einen guten Grund. Zum Zeitpunkt des Erdbebens war Lissabon die viertgrößte Stadt der Welt. Sie lebte vom Handel und war deshalb ein Knotenpunkt im Postsystem des damaligen Europa, das alle Handelsstädte untereinander mit einer regelmäßigen, meist wöchentlichen Botenkette verband.

Die Reiter beförderten nicht nur Briefe, sondern auch das, was man damals „Neue Zeitung“ nannte, Nachrichten über interessante Ereignisse. Und was konnte ein Erdbeben toppen, das eine der größten Handelsmetropolen der Welt in Schutt und Asche gelegt hatte? So wurde das Erdbeben von Lissabon zum ersten Medienereignis der Neuzeit. Bereits drei Wochen danach wusste man davon in Paris und London. Hamburg und Berlin erreichte die Nachricht am 2. Dezember 1755.

Und damit war das Erdbeben von Lissabon nicht nur eine Tragödie, sondern auch ein Geschäft. Zahlreiche Drucker produzierten Einblattdrucke, die das Ereignis schilderten, wobei der Konkurrenzkampf dafür sorgte, dass die Autoren sich gegenseitig mit reißerischen Einzelheiten überboten.

Unser Beispiel stammt aus der Druckerei des Melchior Pauschinger, der in Straßburg einen Laden für seine Erzeugnisse unterhielt, wo sich nicht nur potentielle Leser, sondern auch reisende Händler mit Einblattdrucken eindecken konnten.

Foto: Chris Adams, CC BY-SA 3.0

30 bis 40.000 Menschen starben beim Erdbeben von Lissabon. 85 % aller Gebäude wurden zerstört, darunter die sieben Hauptkirchen der Stadt sowie das damals weltweit größte Hospital. Als Denkmal dient bis heute die Ruine der Kirche des Konvents der Karmeliterinnen.

Unser Verleger beherrschte sein Geschäft. Er wusste, dass es schwer ist, Mitleid für eine Zahl zu empfinden. So erfand er ein Einzelschicksal, und zwar ein Brautpaar, dessen Hochzeit durch das Erdbeben gestört wird. Braut, Bräutigam und Brautvater gelingt es auf einem Schiff dem Erdbeben zu entfliehen, doch während sie noch Gott für die Rettung danken, versenkt der Tsunami das Schiff. Alle drei kommen ums Leben.

Kein Blick-, kein Bild-Reporter könnte sensationellere Bilder finden, als unsere Zeitung: Verstümmelte Leichname! Glieder, so die Erde wieder ausgespien! Cörper von Menschen und Thieren, welche unter dem Schutt vermengt, zerquetscht und scheußlich gehäuffet worden! Säuglinge an der Mutter Brüsten erdrückt! Verzweifelte Eltern, vom Überrest sterbender Kinder umgeben! Weiber ohne Männer! Eheleute, mit geschlungenen Armen, einander entgegen heulend!

Schon damals liebten die Medien hohe Zahlen, je höher umso besser. So wurden aus den 30 bis 40.000 Opfern bei unserem Korrespondenten 700.000. Und da er aus England stammte, vergaß er nicht zu erwähnen, wie viele Engländer beim Erdbeben ums Leben kamen – auch dies eine Sitte, die heute noch in den Medien üblich ist. Als sei die Nationalität eines Opfers von Bedeutung.

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Homo Homini Lupus

Voltaire, Candide. Publiziert in fünf Bänden von dem Pariser Verlag Arc-en-Ciel 1950, mit Illustrationen von Paul-Émile Becat

Die Erstausgabe des Candide erschien bei Cramer in Genf 1759

1759, vier Jahre nach dem Erdbeben von Lissabon, erschienen in mehreren Orten Europas gleichzeitig siebzehn Drucke gleichen Inhalts in französischer und englischer Sprache. Die französische Ausgabe trug den Titel „Candide ou l’Optimisme“, und gab vor, von einem Docteur Ralph aus dem Deutschen übersetzt worden zu sein.

Die darin geschilderte Geschichte raubte ihren Lesern den Atem: Protagonist des Romans ist Candide, illegitimer Sohn eines westfälischen Barons, den sein Lehrer mit den Thesen des Philosophen Leibniz vertraut macht. Dessen zentrale Botschaft besteht in der Behauptung, dass die Menschheit in der „besten aller möglichen Welten“ lebe.

Diese Aussage wird von den Ereignissen ad absurdum geführt. Candide muss fliehen, weil man ihn in flagranti mit seiner geliebten Kunigunde erwischt. Auf der Flucht wird er von bulgarischen Soldaten für den Heeresdienst zwangsverpflichtet, muss kämpfen, desertiert und wird zum Zeitzeugen des Erdbebens von Lissabon. Dort trifft er seine Kunigunde, doch die ist inzwischen Sklavin und wurde als solche natürlich mehrfach vergewaltigt. In den anschließenden Wirren wird das Paar erneut getrennt. Candide reist alleine weiter, findet in Südamerika das Paradies auf Erden, das er aber wieder verlässt, weil er seine Kunigunde wiederfinden möchte. Nun trifft er einen Philosophen, der ihm genau das Gegenteil erzählt, was der alte Lehrer postuliert hat: Die Welt ist schlecht. Sie wird nicht von einem gütigen Gott, sondern von menschlicher Habgier und Bosheit beherrscht.

Nichtsdestotrotz findet Candide am Ende seine Kunigunde. Doch ein Happy End gibt es nicht. Die einstmals so schöne Frau ist schrecklich verstümmelt, und Candide sieht nichts mehr in ihr, was er lieben kann. Trotzdem heiratet er sie. Das Paar kauft ein Landgut, wo die hässliche Kunigunde ihr Talent als Köchin auslebt, und Candide im banalen Alltag die Schrecken der Welt vergisst.

Verantwortlich für dieses unglaubliche Buch zeichnete Voltaire, zu diesem Zeitpunkt ein bereits in ganz Europa bekannter Autor, dessen zeitkritische Satiren weite Verbreitung fanden. Er verarbeitete in seiner Geschichte ungeschminkt die Schrecken seiner Epoche. Dazu zählte natürlich auch das Erdbeben von Lissabon.

Wesentlich größere Bedeutung hatte der Siebenjährige Krieg, der seit 1756 wütete und alle damals bekannten Kontinente ergriffen hatte. Er war zum Zeitpunkt der Veröffentlichung von Candide noch nicht beendet.

Angezettelt hatte ihn ausgerechnet der König, der sich selbst gerne als Philosoph inszenierte, Friedrich II. von Preußen. Voltaire hatte lange Jahre dessen finanzielle Unterstützung genossen, bis es 1753 zum Zerwürfnis kam und Voltaire überstürzt floh.

In seinem Text rechnete Voltaire mit all denen ab, die seiner Meinung nach das einfache Volk – und dazu zählte er sich selbst – unterdrückten. Er prangerte einen unfähigen Adel mit leeren Ehrvorstellungen genauso an wie eine verlogene Geistlichkeit, deren Taten nichts mit der christlichen Lehre zu tun hatten.

Insbesondere ging Voltaire auf die Frage der Sklaverei und des Menschenhandels ein. Am Beispiel Kunigunde zeigt er detailliert, was es bedeutet, rechtlos zu sein.

Die hier ausgestellte Ausgabe erschien rund 200 Jahre nach der Publikation der Erstausgabe. Verantwortlich für sie zeichnet der Pariser Verlag Arc-en-Ciel (= Regenbogen). Es handelt sich um eine kostspielige Sammlerausgabe, die Paul Émile Bécat, damals ein für seine erotischen Zeichnungen sehr bekannter Künstler, illustrierte.

Durch die Illustrationen wird die erotische Komponente des Romans in den Vordergrund gestellt. Man hätte sich zwar so kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs auch andere Illustrationen vorstellen können, die hätten sich aber sicher nicht so gut verkauft.

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Kurzer Unterricht für die Hebammen auf dem platten Lande
Königliches Preußisches Ober-Collegium Medicum
The Codicil to „My Will“ for the healthy and the sick
Sebastian Kneipp
Veröffentlicht 1897 bei Joseph Koesel in Kempten

Station 5: Leben ohne Jenseits

Wer kein Jenseits erwartet, muss im Diesseits seinen Himmel finden. Und damit erklärt sich, warum seit der Aufklärung die sozialen Unruhen rasant zunahmen. Sie gipfelten 30 Jahre nach der Erstpublikation des Candide in der Französischen Revolution. Sie wirbelte das alte System durcheinander und stellte die Träume und Wünsche der Untertanen in den Mittelpunkt. Fortan sollte nicht mehr die Geburt, sondern die eigene Leistung die Stellung jedes Menschen in der Gesellschaft begründen.

So kam mit der Französischen Revolution das Leistungsprinzip in die Welt. Fortan erwartete man auch von einer Regierung, dass ihre Politik das Leben der Menschen zum Besseren beeinflusse. Tatsächlich hatten sich schon viele aufgeklärte Herrscher des 18. Jahrhunderts bemüht, den Hunger zu verbannen, die medizinische Betreuung zu verbessern und so das Leben der Menschen zu verlängern. Doch im 19. Jahrhundert erhielt diese Bewegung zusätzlichen Schwung, da sinnvolle Reformen die Akzeptanz eines Staates wesentlich effektiver erhöhten als jeder polizeiliche Unterdrückungsapparat.

Wir zeigen in dieser Station an einem preußischen Beispiel, wie der Staat sich in Zeiten der Aufklärung darum bemühte, das Gesundheitswesen zu verbessern. Unser zweites Beispiel aus Bayern illustriert, dass nicht nur der Staat, sondern auch das Individuum Verantwortung für seine Gesundheit und ein langes – wenn auch natürlich nicht ewiges – Leben übernahm.


Der Staat in der Pflicht

Andrea del Verrocchio, Tod der Francesca Tornabuoni im Kindbett, um 1478, Marmor, Bargello, Florenz. Bild Wolfgang Sauber, CC BY-SA 3.0

Im Jahr 1819 wurden in Preußen 477.455 Kinder geboren. 83.066 Kinder verloren bei der Geburt ihr Leben. Mit anderen Worten: Fast jede sechste Geburt endete tödlich für das Kind, viele davon auch für die Mutter. Zum Vergleich. Heute sterben in den Industrienationen nur noch 10 von 100.000 Kindern.

Trotz dieser deprimierenden Statistik nahm die Zahl der Bevölkerung im Europa des 19. Jahrhunderts rasant zu. In Großbritannien verdoppelte sie sich zwischen 1800 und 1850. In der Schweiz wuchs sie immerhin um 42 %, weil die Sterblichkeit von jährlich 23-42 Promille der Bevölkerung auf 15-29 Promille sank.

Theodor Billroth operiert im Wiener Allgemeinen Krankenhaus. Gemälde von Adalbert Franz Seligmann 1889/90. Foto: KW.

Dieses Bevölkerungswachstum wurde durch eine Fülle von Reformen ausgelöst. Dazu gehörte eine Modernisierung des Gesundheitswesen mit der Einrichtung öffentlicher Krankenhäuser, in denen angehende Ärzte und Chirurgen unterrichtet und Arme kostenlos kuriert wurden.

Eines dieser Krankenhäuser war die preußische Charité, der das Ober-Collegium medicum angegliedert war. Dabei handelte sich um eine Institution, die etwa dem entsprach, was wir heute als Gesundheitsbehörde bezeichnen würden. Das Collegium medicum organisierte und überwachte die Ausbildung der Chirurgen und der Apotheker, der Hebammen sowie der Krankenpfleger und Krankenpflegerinnen, eben all derer, deren Ausbildung erst im 19. und 20. Jahrhundert zu einer akademischen Disziplin wurde bzw. die noch lange ein Lehrberuf bleiben sollte.

Oberste Verpflichtung des Collegium medicum war es, die Armee mit tüchtigen Feldscheren auszustatten, doch auch in zivilen Angelegenheiten wurde es zu Rate gezogen. So zeichnete es für einen Versuch verantwortlich, die Kindersterblichkeit in Preußen zu senken. Zu diesem Zweck veröffentlichte es 1796 ein Lehrbuch für Hebammen.

Der Zweck des Buchs wird in der Vorrede so zusammengefasst:

Es ist übrigens zu wünschen, dass die Hebammen hievon den gehörigen Gebrauch machen mögen, da man sich denn gewiß versprechen kann, dass in der Folge viele Kinder und Mütter mehr werden können beim Leben und Gesundheit erhalten werden.

Abbildungen sucht man vergebens. Stattdessen wird in trockenen Worten abgehandelt, was eine Hebamme an Fachwissen mitbringen muss, um eine Geburt erfolgreich durchführen zu können.

Dabei legten die Herren Doktoren fest, welche Eigenschaften eine Hebamme mitzubringen habe. Sie solle gesund, „nicht unförmlich dick und stark“ sein, damit sie sich leicht bücken und hinknien könne. Sie müsse zumindest das Lesen gelernt haben, damit sie mit dem Arzt schriftlich kommunizieren und von besonders interessanten Fällen Notizen machen könne.

In unseren Ohren wirkt es geradezu übergriffig, was die männlichen Autoren des Buchs von einer Hebamme erwarteten:

„Zum dritten ist die vornemste unter allen Eigenschaften der Hebamme eine gute Gemüthsart und ehrbare Aufführung. Ehe sich die Frauenspersonen diesem Stande widmen wollen, müssen sie schon von ihrer Gerichts-Obrigkeit ein Attest ihres seitherigen frommen und unbescholtenen Lebenswandel beybringen, ohne welchen sie gar nicht zu diesem Amt zugelassen werden können. Und so müssen sie in der Folge … ein christliches, ehrbares, und recht gesittetes Leben führen … Besonders aber müssen sie die Schwelgerey und den Trunk als das größte Laster meiden“

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Eine Frage der Eigenverantwortung

Sebastian Kneipp, The Codicil to „My Will“ for the healthy and the sick. Veröffentlicht 1897 bei Joseph Koesel in Kempten

Das Sanatorium Schatzalp in Davos, kurz nach seiner Eröffnung im Jahr 1900

Während der Kranke sich heute in der Schweiz auf ein nach sozialen Gesichtspunkten organisiertes Gesundheitswesen verlassen kann, war es im 19. Jahrhundert nicht selbstverständlich, dass einem mittellosen Kranken die notwendige Hilfe zuteil wurde.

So fand die Tuberkulose gerade unter den Armen ihre Opfer. Sie gehörte im 19. Jahrhundert zu den häufigsten Todesursachen: Jeder zweite deutsche Todesfall in der Altersgruppe der 15 bis 40jährigen ging in den 1880er Jahren auf die Tuberkulose zurück.

Grund dafür war die Tatsache, dass die Ärzte vor der Einführung von Antibiotika bei der Tuberkulose mehr oder weniger hilflos waren. Sie schickten die Kranken in ein Luftsanatorium, dessen Insassen trotz aller Bemühungen starben wie die Fliegen. Und wer nicht das Geld besaß, Monate wenn nicht Jahre mit seiner Erwerbstätigkeit zu pausieren, dem blieb nicht einmal diese Möglichkeit.

Fotografie von Sebastian Kneipp, 1890.

Der junge Sebastian Kneipp (1821-1897) gehörte zu denen, die keine Hilfe zu erwarten hatten. Er kurierte seine Lungenkrankheit selbst, indem er sich mit eiskaltem Wasser abhärtete. Ob es sich bei dieser Lungenkrankheit tatsächlich um Tuberkulose gehandelt hatte, sei hier dahingestellt, Kneipp verinnerlichte auf jeden Fall, dass das Individuum mit der geeigneten Lebensweise selbst viel dazu betragen könne, gesund alt zu werden.

Als Pfarrer hatte Kneipp die Autorität, seine Lehren einer breiten Öffentlichkeit näher zu bringen. Er wurde so bekannt, dass ein Apotheker ihn wegen Geschäftsschädigung anzeigte und ihn das Bischöfliche Ordinariat im Jahr 1855 als Beichtvater ins Dominikanerinnen-Kloster von Wörishofen schickte.

Unterstützt von den Nonnen, machte Kneipp aus der kleinen, unbedeutenden Gemeinde im Unterallgäu einen Pilgerort für all diejenigen, die etwas für ihre eigene Gesundheit tun wollten. Der charismatische Pfarrer entwickelte das, was wir heute noch als die Grundlagen eines gesunden Lebens betrachten: Vernünftige Kost, reichlich Bewegung und gelegentliche Güsse mit kaltem Wasser.

Kneipp blieb dank seiner zahlreichen Publikationen, die in viele Sprachen übersetzt wurden, kein lokales Phänomen. Weltweit wurden Kneipp-Vereine gegründet, um dank seiner Lehren länger zu leben.

Anfang des 20. Jahrhunderts war Kneipp – nach Bismarck – der bekannteste Deutsche in Nordamerika. Mit dafür verantwortlich waren seine ins Englische übersetzten Bücher, von denen wir Ihnen hier eines zeigen.

Es handelt sich um die Übersetzung von Kneipps „Codizill zu Meinem Testament für Gesunde und Kranke“. Sie erschien 1897 im katholischen Verlag von Josef Kösel im provinziellen Kempten. Zielgruppe waren die vielen ausländischen Kurgäste in Bad Wörishofen.

Das Codizill – ein altmodisches Wort für eine Ergänzung zum bereits niedergelegten Testament – enthält praktische Anweisungen, wie man die Lehre Kneipps in den Alltag umsetzen solle. Sie unterscheidet sich in dieser Hinsicht nicht von der Flut an Ratgeber-Literatur, die heute gekauft wird im Glauben, das eigene Leben verlängern zu können. So behandelt Kneipp ausführlich, was gesundes, bekömmliches Essen ist.

Dafür teilt er seine Diättipps in ein Kapitel für den Gesunden, der seine Gesundheit erhalten, und für den Kranken, der durch eine Diät seine Gesundheit wiederherstellen soll. Dazu offeriert Sebastian Kneipp eine Fülle von Rezepten, von denen einige – wie Kalbshirn- und Kalbslebersuppe – heute wohl eher gewöhnungsbedürftig sind.

Ein umfassendes Kapitel ist Übungen gewidmet, mit denen sich die Anhänger Kneipps die körperliche Beweglichkeit erhalten sollten. Viele dieser Übungen werden heute nicht anders von Physiotherapeuten auf der ganzen Welt gelehrt.

Sebastian Kneipp war überzeugt davon, dass mit der richtigen Lebensweise die meisten Krankheiten verhindert werden könnten. Sogar bei Kurzsichtigkeit empfahl er, keine Brille zu tragen, um die Augen nicht an den Luxus zu gewöhnen. Mit einem morgendlichen Augenbad solle man die Augen stärken und vor vielen Übeln bewahren.

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Die Leiden des jungen Werther
Johann Wolfgang Goethe
Erschienen bei T. J. Cobden-Sanderson / Doves Press 1911
Homo Faber – Ein Bericht
Max Frisch
42. Auflage aus dem Jahr 2017 der Erstauflage von 1962

Station 6: Wollen wir ein ewiges Leben? Was ist uns das Leben wert?

Und damit sind wir in der Gegenwart angelangt. Um ein möglichst langes Leben für alle zu gewährleisten, arbeitet der Schweizer Bürger, der für seine eigene Gesundheit Verantwortung übernimmt, mit dem Staat zusammen, der mittels seines Gesundheits- und Sozialwesens dafür sorgt, dass niemand verhungert und jeder die notwendige medizinische Betreuung erhält.

Aber sind damit alle Fragen beantwortet? Oder sind nicht vielmehr neue Fragen entstanden?

  • Ist das Leben ein Wert an sich? Oder ist nur das erfüllte Leben lebenswert?
  • Wie steht es mit der Risikobewertung? Welche Einschränkungen ist das Individuum, ist die Gesellschaft bereit hinzunehmen, um damit ein allfälliges Risiko auszuschließen?
  • Wenn es nach dem Tod nichts gibt, wofür lohnt es sich dann zu leben und zu sterben?

Wir haben keine Antworten auf diese Fragen, aber wir möchten Ihnen drei Bücher vorstellen, die ihre eigene Antwort versuchen.


Mein Leben in meiner Hand

Johann Wolfgang Goethe, Die Leiden des jungen Werther. Erschienen bei T. J. Cobden-Sanderson / Doves Press 1911

Werther tritt zur Tür herein und will Lotte zum Ball abholen. Stich von Daniel Chodowiecki

1774 veröffentlichte der 25jährige Johann Wolfgang Goethe ein Buch, das Furore machte: Die Leiden des jungen Werther. Es erzählt in der emotionalen Form des Briefromans die Geschichte eines jungen Mannes, der seinen Platz im Leben nicht findet. Die Frau, die er liebt, heiratet einen anderen; in seiner Arbeit am Hofe wird er gemobbt und muss sich verstellen, um anerkannt zu werden. Kurz, der junge Werther bringt es nicht über sich, sich der bürgerlichen Gesellschaft anzupassen. Und so tötet er sich selbst.

Das Buch traf bei seinem Erscheinen das Lebensgefühl vieler junger Menschen, die mit der Welt ihrer Eltern nichts mehr anzufangen wussten. Der „Werther“ entwickelte sich zum ersten Bestseller der deutschen Literatur und wurde sofort in zahlreiche Sprachen übersetzt. Man sagte ihm nach, dass er durch die emotionale Art der Darstellung, seine Leser verführe, sich nicht ihrem Schicksal zu fügen, sondern stattdessen auszubrechen, sich im radikalsten Fall selbst das Leben zu nehmen.

Auch als junger Herzog kann man sich mit Werther identifizieren und das durch die Kleidung zum Ausdruck bringen. Dieses Portrait zeigt Herzog Ernst II. von Sachsen-Gotha-Altenburg.

Auch wenn heute diskutiert wird, wie viele Menschen der „Werther“ tatsächlich zum Selbstmord verführte, staunte damals die bürgerliche Welt, in welch unglaublichem Maß sich die aufmüpfige Jugend mit dem Titelhelden identifizierte. Überall kleideten sich junge Männer à la Werther in den blauen Frack, die gelbe Weste und die Kniehose aus gelbem Leder, um so gegen ihr vorgeformtes Schicksal zu protestieren.

Goethe selbst sollte 1787 die Aussage seines Buches entsetzt mildern, nachdem bei der Leiche einer engen Freundin, die im Alter von 17 Jahren Selbstmord begangen hatte, der Werther gefunden wurde.

Das Skandalon des Buches war und bleibt, dass ein Mensch nicht bereit ist, sich in sein Schicksal zu fügen. Dass er lieber den Tod wählt, als ein Leben zu führen, das ihm des Lebens unwert erscheint. Wenn heute Menschen über Exit und würdiges Sterben diskutieren, steckt die gleiche Frage dahinter: Ist der Mensch gezwungen, das Geschenk des Lebens anzunehmen, oder hat er die Freiheit, dieses Geschenk abzulehnen?

Das hier vorliegende Buch ist nicht nur wegen seines Inhalts, sondern auch wegen des Drucks interessant. Es wurde 1911 von Doves Press angefertigt. Dabei handelt es sich um keinen Verlag im normalen Sinn, sondern um eine der bedeutendsten englischen Privatpressen. Mit Privatpressen bezeichnet man kleine Handwerksbetriebe, die das ästhetisch vollkommene Buch zu schaffen versuchten (und versuchen). Alle Bücher erscheinen in winziger Auflage. Von unserem Werther wurden zum Beispiel nur 200 Stück hergestellt.

Die Type von Doves galt ihren Zeitgenossen als der Inbegriff der Perfektion, vielleicht auch weil eine so spannende Geschichte damit verbunden war. Die beiden Eigentümer der Doves Press zerstritten sich heillos. Vor Gericht handelten sie einen Kompromiss aus: Der eine durfte die berühmten Doves Lettern bis zu seinem Tode benutzen, danach würden die Rechte an die Familie des anderen übergehen. Doch statt sich diesem Vertrag zu fügen, warf ihr Inhaber alle Bleilettern heimlich in die Themse. Nicht auf einmal, sondern Stück für Stück. Er brauchte 170 Ausflüge zum Ufer der Themse, bis im Januar 1917 alle Lettern versenkt waren.

2015 fand ein Spaziergänger eine angeschwemmte Type. Daraufhin suchten Taucher nach den legendären Lettern. 150 davon wurden entdeckt, so dass die Schrift rekonstruiert werden konnte.

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Risiko!

Max Frisch, Homo Faber – Ein Bericht. 42. Auflage aus dem Jahr 2017 der Erstauflage von 1962

Der Autor Max Frisch im Jahre 1955. Bild: Hans Gerber / CC BY-SA 4.0

Passen Sie auf, dass Sie sich in Zeiten von Corona nicht allzu sehr aufregen. Das schadet ihrem Herzen. Und Herzkrankheiten sind mit Abstand die häufigste Todesursache, der Menschen in westlichen Ländern erliegen. Allein im Jahr 2015 starben daran in Deutschland 198.002 Menschen. Zum Vergleich: Im gleichen Jahr verloren 433 Menschen ihr Leben in Folge von tätlichen Übergriffen. Und die Gegenüberstellung mit Corona verkneifen wir uns jetzt.

Dass man mit der reinen Statistik dennoch weder seine Ängste noch sein Leben in den Griff bekommen kann, das beschreibt der Roman „Homo Faber“ von Max Frisch.

„Homo Faber“ kreist um kalkulierbare Wahrscheinlichkeiten und um den Zufall, um einen Schweizer Ingenieur, der sein Leben genau geplant zu haben glaubt, und dann an einer Kette von Unwahrscheinlichkeiten scheitert. Oder für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass Sie in einem Flugzeug ausgerechnet neben dem Bruder ihres Jugendfreundes sitzen, der ihre einstige Liebe geheiratet hat? Dass Sie auf Ihrer nächsten Reise die Tochter des Jugendfreundes treffen, die eigentlich ihre eigene Tochter ist? Dass sie sich in diese junge Frau verlieben?

Die Personenkonstellation des Romans

Dem Protagonisten von „Homo Faber“ stößt all das zu und noch mehr. Doch er, der als Ingenieur komplizierteste Berechnungen anzustellen in der Lage ist, scheitert daran mit einer einfachen Subtraktion auszurechnen, dass die junge Frau, nicht die Tochter seines Jugendfreundes sein kann, sondern seine eigene sein muss.

Und noch einmal schlägt der Zufall zu: Eine Schlange beißt das junge Mädchen. Doch sie stirbt nicht an dem tödlichen Biss, sondern an einer Kopfverletzung, die sie sich bei einem harmlos scheinenden Sturz zugezogen hat.

Der kunstvoll verschlungene Roman wird in der ersten Person erzählt, und zwar von einem Mann, der in seinem Krankenzimmer darauf wartet zu erfahren, ob es sich bei seinem Magenleiden tatsächlich um Magenkrebs handelt oder nicht.

Der Roman Homo Faber konfrontiert uns mit der Frage, ob unser Leben ein Produkt der Statistik oder des Schicksals ist. Auch wenn wir wissen, dass jeder zehnte Raucher im Laufe seines Lebens an Lungenkrebs erkrankt, glaubt jeder Raucher, zu den neun anderen zu gehören. Während viele Menschen Flugangst haben, ist die Angst vor dem Autofahren praktisch inexistent, und das obwohl auf einer Reise von Berlin nach Rom die Autofahrt zum Flughafen den gefährlichsten Teil der Reise darstellt. Während seit dem Jahr 2000 in der Schweiz „nur“ 14 Menschen bei einem Anschlag umkamen, wird die politische Diskussion in einem Maße von Attentaten beherrscht, die bloße Zahlen nicht erklären können.

Und doch: Flugzeuge stürzen ab, Menschen sterben in Attentaten, Raucher werden 100 Jahre alt. Der Einzelfall ist unabhängig von jeder Statistik.

Und so stellt sich jedem einzelnen die Frage: Welche Wahrscheinlichkeit muss ein Ereignis haben, damit ich welches Opfer auf mich nehme, um die Wahrscheinlichkeit, dass dieses Ereignis eintritt, zu verringern?

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Wofür leben? Wofür sterben?

J. K. Rowling, Harry Potter und die Heiligtümer des Todes. Hamburg, 2018

Womit sollen sich Kinderbücher Ihrer Meinung nach beschäftigen? Für Joanne K. Rowling scheint es der Tod zu sein. Der Protagonist ihrer Romanreihe ist ein Elfjähriger, der in jedem Buch um sein Leben kämpft und immer wieder ihm liebe Menschen an den Tod verliert.

Die Serie gipfelt in Band 7, der den Titel „Die Heiligtümer des Todes“ trägt. Die spannende Handlung mag manchem verbergen, dass der Schluss dieses Trivialromans eine klassische Erlösergeschichte kopiert, wie sie die Grundlage für zahllose Mysterienreligionen darstellt: Harry Potter nimmt freiwillig den Tod auf sich, um die Welt vor dem Bösen zu retten. Er wird gequält, verspottet, verlacht, ja für tot gehalten, um vom Tode aufzuerstehen und in einem letzten Kampf das Böse zu vernichten.

Das Löwendenkmal in Luzern erinnert an die hunderten Schweizer Gardisten, die während der Französischen Revolution ihr Leben ließen, als sie versuchten, den bereits verlassenen Königspalast vor der Erstürmung durch Revolutionäre zu verteidigen. Foto Andrew Bossi, CC BY-SA 2.5

Obwohl Mysterienreligionen aus der Mode gekommen sind, fiebern wir bis zum Schluss mit Harry Potter mit. Unzählige Jugendliche nehmen sich seinen Mut und seine Selbstlosigkeit zum Vorbild. Dies ist bemerkenswert, denn während sich in der westlichen Welt niemand mehr realistische Hoffnungen auf ein greifbares Jenseits macht, scheint im Falle Harry Potters die Bereitschaft, sein Leben für eine „große“ Sache aufs Spiel zu setzen, nicht verständnisloses Kopfschütteln, sondern Bewunderung hervorzurufen.

Psychologen bestätigen, dass es keinen Himmel braucht, um altruistisch sein Leben zu opfern. Es genügt das Wissen, dass es eine Welt gibt, aus der wir kommen, und dass nach uns die Welt fortbestehen wird. Dieser Zusammenhang überträgt uns eine Verantwortung gegenüber unseren Vorgängern und unseren Nachfolgern.

Im Falle Harry Potters haben viele ihr Leben geopfert, um sein Überleben zu gewährleisten: seine Eltern, sein Pate Sirius Black, sein Lehrer Dumbledore. Dies verpflichtet ihn, seine Mission zu verwirklichen. Ohne das Wissen, dass es nach seinem Tod eine Welt geben wird, die entweder vom Bösen beherrscht oder befreit ist, würde sein Opfer keinen Sinn machen.

Natürlich ist unser Leben nicht so dramatisch wie das eines jugendlichen Romanhelden. Und doch stellt sich jedem einzelnen die Frage: Was macht mein Leben sinnvoll? Für wen oder für was bin ich bereit, dieses Leben zu leben? Und für wen oder was wäre ich vielleicht sogar bereit, dieses Leben zu opfern?

Gedenkstein für Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Organisation Ärzte ohne Grenzen, die im Einsatz ihr Leben verloren haben. Foto: OTFW, CC BY-SA 3.0

Denn unser Leben ist so einzigartig und wertvoll, weil es eben nicht ewig ist.

Und damit sind wir am Ende unserer Ausstellung angekommen. Aber wir hoffen, dass sie weiterwirkt. Vielleicht haben Sie ja ganz andere Fragen, als die, die wir uns gestellt haben.