Es gab da in Genf diesen gescheiterten Maler, der wegen seines Augenleidens gerade mal als Hilfslehrer in einem Pensionat eine Stelle fand. Er bewährte sich und eröffnete 1824 seine eigene Privatschule. Der Mann hieß Rodolphe Töpffer und war ein pädagogisches Genie. Seine Schüler liebten ihn. Mit denen, die während der Ferien nicht zu ihren Eltern fahren konnten, machte er große Reisen zu Fuß. Die konnten schon einmal mehrere Hundert Kilometer über die Alpen nach Venedig führen.
Heute würde man das, was Rodolphe Töpffer da mit seinen Schülern anstellte, als Erlebnispädagogik bezeichnen. Seine Jungs mussten sich mit Hilfe des wenigen, das sie auf ihrem Rücken mitnehmen konnten, bewähren. Da gab es keine Reservierungen in Jugendherbergen. Man übernachtete, wo es eben kam. Im Heustadel eines Bauern, auf dem Boden einer Gaststube. Und wenn kein Bauernhof oder Gasthaus am Wege lag, schlief man eben auf dem Boden, während der Magen vor Hunger knurrte.
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Wie Jungs halt so sind
Rodolphe Töpffer, der auf diesen Reisen all die Mühsal mit seinen Jungs teilte, war ein großartiger Beobachter, der seine Erinnerungen mit viel Humor nicht nur in einem Tagebuch, sondern auch mit dem Stift festhielt. Er scheint lieber zugeschaut als kommandiert zu haben. Auf seinen Zeichnungen sind seine Jungs die Stars, und wir stellen schmunzelnd fest, dass sie sich genauso benehmen, wie kleine und große Jungs es heute noch tun:
Sie klettern auf Bäume, schleppen zweifelhafte Tiere an, haben ständig Hunger und fallen am Abend todmüde in die Betten - ganz egal, wie diese aussehen. Töpffer überliefert all die kleinen und großen Erlebnisse der Reisen zweimal, einmal im geschriebenen Wort, dazu im Bild.
So schildert er detailliert sein Entsetzen, als eine gierige Gastwirtin ihn, unterstützt von einem leicht brutal aussehenden Mann, anscheinend ausnehmen will. Sie fordert 400 Francs allein für den Wein! Töpffer ist bereit, ihr 40 Francs zu geben - für alles: Wein, Mahlzeit und Quartier. Die beigegebene Zeichnung zieht den Leser sofort in ihren Bann. Wir fühlen mit dem kleinen, bescheidenen Lehrer, der da mit Doppelkinn, dickem Bauch und schäbigem Rock vor der adretten Wirtsfrau steht. Wie standhaft er die Interessen seiner Schüler verteidigt!
Wie werden die Schüler daheim über diese Auseinandersetzung gelacht haben! Denn Töpffer fertigte seine Notizen und sein Skizzenbuch nicht an, um es zu publizieren. Daraus wurde zunächst nur ein hübsches Album, das einzig den Zweck hatte, mit seiner Hilfe den Daheimgebliebenen von den Erlebnissen des Sommers zu erzählen.
Die ersten Bildergeschichten
Publiziert wurde der erste Band der Reisen im Zickzack erst 1844 in Paris, und zwar nachdem sich Töpffer mit seinen Bildergeschichten bereits einen Namen gemacht hatte. Er wird heute als der Gründervater des Comics gefeiert: Seine Bildergeschichten waren nämlich eine Mischung von Bildern, auf denen die Akteure ähnlich wie im Theater miteinander agierten, und einem kleinen Text, der das Geschehen erklärte. Neu daran war, dass der Text nicht ohne das Bild, das Bild nicht ohne den Text funktionierte, genau wie heute beim Comic.
Auch diese Bildergeschichten waren schon wesentlich früher entstanden - die erste zeichnete Töpffer 1827 - und wie die Reisebeschreibungen ausschließlich für die Bewohner seines Pensionats bestimmt. Doch ein Freund schickte Goethe zwei davon inklusive eines Reiseberichts. Der große Goethe äußerte sich außerordentlich positiv: „Es ist wirklich zu toll! Es funkelt alles von Talent und Geist! Einige Blätter sind ganz unübertrefflich! Wenn er künftig einen weniger frivolen Gegenstand wählte und sich noch ein bisschen mehr zusammennähme, so würde er Dinge machen, die über alle Begriffe wären. [...] Töpffer scheint mir [...] ganz auf eigenen Füßen zu stehen und so durchaus originell zu sein, wie mir nur je ein Talent vorgekommen.“
Wenn ein Genie einen so lobte, war das natürlich ein Ansporn, das Material doch zu veröffentlichen. Töpffer überarbeitete also seine Zeichengeschichten und beauftragte 1835 einen Genfer Drucker, mal ein paar Hundert davon zu produzieren. Sie verkauften sich wie die sprichwörtlichen warmen Semmeln! Ständig mussten neue Auflagen herausgegeben werden. Und bald gab es auch Übersetzungen. In Deutschland zum Beispiel erschien bereits 1846 eine zweisprachige Ausgabe, die indirekt Wilhelm Busch inspirierte.
Bei seinem Tod im Jahr 1846 war Töpffer in der ganzen gebildeten Welt bekannt. Seine Werke wurden in Großbritannien, Norwegen, Dänemark und Schweden, in Frankreich, Deutschland und - in einem ins englische übersetzten Raubdruck - sogar den USA herausgegeben.
Den gesamten Text der französischen Erstausgabe der Reisen im Zickzack finden Sie bei den erara der ETH Zürich.
Einen französischen Artikel zu diesem Buch hat Olivier Hoibian publiziert.
2019 fand in Genf eine Ausstellung zu Rodolphe Töpffer statt, SRF berichtete darüber.