Der Kaufmann im Barock

Die neue Ausstellung des MoneyMuseums Zürich widmet sich dem Kaufmann im Barock. Anhand ausgewählter Bücher der Sammlung werden der Kaufmannsberuf und die tiefgreifenden wirtschaftlichen Veränderungen behandelt, die diese Epoche kennzeichnen. Es zeigt sich, dass die moderne Wirtschaftswelt den Kaufleuten von damals vieles zu verdanken hat.

Zu den Stationen
Der Kaufmann im Barock

von

Ursula Kampmann und Daniel Baumbach

Barock: Vor unserem Auge tauchen sofort Bilder auf, wie wir sie aus so vielen Filmen kennen: Weiße Perücke, gewagte Kleidung und all das vor der prachtvollen Kulisse eines mächtigen Schlosses.

An Kaufleute denken dabei die wenigsten, und doch waren es genau diese Kaufleute, die das Mehl besorgten, um Perücken zu bestäuben und Brot zu backen, die aus China exquisite Stoffe importierten und mit ihren Steuern einen Teil der fürstlichen Bauprojekte bezahlten, um den Rest über Kredite zu finanzieren.

Während wir uns bewusst sind, welch wichtige Rolle die mächtigen Kaufmannsgilden im ausgehenden Mittelalter und der Renaissance spielten, überstrahlen die großen und kleinen Sonnenkönige des Barock ihre Financiers.

Und doch: Es ist der Barock, in dem sich jeder Herrscher bewusst wird, dass er von der Wirtschaft seines Landes abhängig ist. Wenn heute Staaten von Einkommens-, Lohn- und Gewerbesteuern leben, wenn in der Politik nicht das Militär, sondern die Wirtschaft die zentrale Rolle spielt, dann ist es der Barock, der uns diese Botschaft vermittelt hat.

Tauchen wir also ein in die Zeit nach dem 30jährigen Krieg. Sehen wir uns an, was ein Kaufmann damals tat, mit welchen Waren er handelte und wie seine Rolle von seinen Zeitgenossen bewertet wurde.

Station 1 – Der Kaufmann und seine Welt

Die Kaufleute setzten im spätmittelalterlichen Europa einen Wandlungsprozess in Gang, den man als Frühkapitalismus oder kommerzielle Revolution bezeichnet. Langfristig sollte dieser Prozess den Adligen ihr Monopol auf die Führungsrolle nehmen. Mit mächtigen Handelsorganisationen wie der Hanse und unglaublich reichen Kaufmannsdynastien wie den Medici oder den Fuggern setzte sich ein Prozess in Gang, der letztendlich in der Französischen Revolution gipfelte.

Grund dafür war eine neue Macht: Das Kapital, das den Adligen notorisch fehlte. Dieses Kapital nutzten die Kaufleute, um sich Einfluss selbst auf höchster Ebene zu sichern. Damit wurden sie Teil der europäischen Elite, die das Schicksal der frühen Neuzeit bestimmte. Welchen Tätigkeiten gingen Kaufleute nach, und was musste ein guter Kaufmann können? Zwei für Kaufleute geschriebene Handbücher geben uns einen Einblick in ihre Alltagswelt.

Ein wohlhabender Kaufmann an seinem Schreibtisch – Portrait des Amsterdamer Kaufmanns Daniel Bernard von Bartholomeus van der Helst. 1669.

1.1 Was einen guten Kaufmann ausmacht

Jacques Savary: Der vollkommene Kauff- und Handels-Mann, Oder allgemeiner Unterricht Alles, was zum Gewerb und Handlung allerhand beydes Frantzösischer und Außländischer Kauff-Wahren gehört.
Deutsche Erstausgabe, verlegt bei Johann Hermann Widerhold in Genf, 1676.

Was machte ein Kaufmann im Zeitalter des Barocks? Im Kern dasselbe wie heute: Er erwarb Waren an einem Ort, transportierte sie zu einem anderen und verkaufte sie dort zu einem höheren Preis. Ob er das innerhalb einer Stadt machte oder dabei Grenzen, vielleicht Ozeane überquerte, hing von der Art seiner Waren und von seinem Kapital ab. Dabei galten nur die bedeutenderen Händler im engeren Sinn als Kaufleute. Sie bekleideten (im Gegensatz zu Krämern, Hausierern und Hökern) eine wichtige Rolle in der städtischen Regierung.

Erfolgreiche Kaufleute reisten nicht mehr selbst mit ihren Waren, sondern arbeiteten mit ihrem Kapital. Sie leiteten ihr Geschäft mit Hilfe eines internationalen Netzwerks vom heimischen Kontor. Sie bildeten eine bürgerliche Oberschicht, deren Einfluss sich durch Heiraten und Geschäftsallianzen weit über die Stadtgrenzen hinaus erstreckte.

Ob man ein Krämer blieb oder zum international agierenden Kaufmann aufstieg, hing vom Glück ab und davon, wie gut man sein Geschäft beherrschte. Und dazu gehörte wesentlich mehr als das Kaufen und Verkaufen von Waren.

Der vollkommene Kauffmann
Der vollkommene Kauffmann

Welche Herausforderungen ein Kaufmann im Barock bewältigen musste, zeigt ein Blick in das wohl bedeutendste Werk über diesen Beruf: Le Parfait Négociant von Jacques Savary, veröffentlicht im Jahr 1675. Das MoneyMuseum Zürich konnte im vergangenen Jahr die deutsche Erstausgabe im Antiquariat Hohmann erwerben. Le Parfait Négociant ist ein Handbuch, in dem der Autor alles zusammenfasst, was ein Kaufmann wissen musste. Die vielen Details machten das Buch zu einem Standardwerk, das immer wieder neu aufgelegt und übersetzt wurde.

Savarys Ausführungen verraten uns viel über Tätigkeitsfeld, Selbstwahrnehmung und Umwelt des Kaufmanns: Er ist im Barock wesentlich mehr als „nur“ ein Händler. Er betreibt Manufakturen, also große Betriebe, die begehrte Produkte in Arbeitsteilung herstellen. Sein Netzwerk basiert auf Faktoren – also Agenten -, die in den wichtigen Handelsstädten in seinem Namen Geschäfte abwickeln. Ein Großkaufmann ist Reeder, Spediteur, Bankier und Investor in Personalunion. Wir würden seine Person heute eher mit dem Begriff Unternehmer beschreiben.

Welche Eigenschaften einer mitbringen musste, um zum „vollkommenen Kaufmann“ zu werden, summiert Savary folgendermaßen: Gottesfurcht, Ehrlichkeit, ein freundliches Wesen, logisches Denken und solide mathematische Grundkenntnisse.

Jaques Savary (1622-1690)
Jaques Savary (1622-1690)

Der Autor, Jaques Savary (1622-1690), war als Tuchhändler zu großem Reichtum gelangt, bevor ihn der französische Minister Jean-Baptiste Colbert als eine Art Sachverständigen für das Wirtschaftsministerium rekrutierte. Savary gestaltete die Reformen mit, die Colbert in die Wege leitete.
Savarys Ausführungen konzentrieren sich auf seine Heimat, Frankreich, seit Ludwig XIV. ein Zentrum der ökonomischen Entwicklung. Viele deutsche Kaufleute trieben dort Handel und nutzten dazu die Informationen, die ihnen Savary bot. Deshalb erschien bereits ein Jahr nach der französischen Erstpublikation die deutsche Übersetzung, die uns vorliegt.
In 67 Kapiteln beschäftigt sich Savary mit vielen Themen, u. a. der gesetzlichen Grundlage, der Buchführung, der Inventarisierung, der Lehrlingsausbildung, dem Kredit-, Zoll- und Transportwesen. Man lernte im Savary, wie man eine Manufaktur gründete, leitete und weit entfernte Faktoreien kontrollierte. Last but not least lieferte Savary alles Wissenswerte darüber, wie man Bankrott erklärte.

Sehen wir uns eines der Kapitel an: Was lernte ein Lehrling, bevor er in die Zunft der Kaufleute aufgenommen wurde? Er übte das Erkennen von mangelhafter Ware, das Verpacken, damit diese Ware weder beim Lagern noch beim Transport Schaden erleide. Man brachte ihm bei, wie ein Lager zu organisieren und ein Kunde zu behandeln sei. Rechnen stand genauso auf dem Lehrplan wie die verschiedenen Maßeinheiten und Währungen. Die Beherrschung fremder Währungen und Maßeinheiten war wichtig, denn die Welt der Kaufleute war international. Sie reisten weit und hatten Kontakt zu Kollegen aus den verschiedensten Nationen und Glaubensrichtungen.

Johann Christoph Weigel – ein Armenischer Kaufmann
Johann Christoph Weigel – ein Armenischer Kaufmann

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1.2 Wissen ist wissen, wo’s steht

August Friedrich Wilhelm Crome: Handbuch für Kaufleute.
Verlegt in Leipzig bei Siegfried Lebrecht Crusius, 1784.

Darstellung der Frankfurter Messe von 1696.
Darstellung der Frankfurter Messe von 1696.

Im Barock hatte jedes politische Gebilde seine eigenen Gesetze, Regeln, Begriffe und Bräuche. Selbst in großen Nationen wie Frankreich war das Handelsrecht nicht einheitlich geregelt. Kannte ein Kaufmann das landesübliche Procedere nicht, konnte er schnell Verlust machen.

Wer erfolgreich Handel treiben wollte, brauchte Spezialwissen über sein Ziel: Welche Waren wurden produziert, nach welchen Waren bestand Nachfrage? Wie sah es mit den Transportmöglichkeiten und den dafür anfallenden Kosten aus? Mit welchen Steuern, Gebühren und Zöllen musste man rechnen? Solche Details sucht man im Savary vergeblich.

Diese Lücke füllten Handbücher, von denen seit dem späten 17. Jahrhundert immer mehr gedruckt wurden. Sie ergänzten das Wissen, das ein einzelner Kaufmann über sein Netzwerk akquirieren konnte.

Wir dürfen uns nicht vorstellen, dass jeder Kaufmann so ein Handbuch besaß. Meist gab es in jeder Faktorei nur eines, aus dem ein Lehrling von Hand kopieren konnte, was für seine Karriere zu brauchen glaubte.

Unser Beispiel stammt aus dem Jahr 1784 und wurde von August Crome unter dem Titel Handbuch für Kaufleute publiziert. Es ist anders als Savarys Buch systematisch wie ein Lexikon aufgebaut.

August Crome

Crome erfasste die „47 wichtigsten Fabrik- und Handelsstädte in Deutschland“. Er liefert streng geordnete Informationen zu Geschichte, Bevölkerungsgröße, Geographie, den politischen Verhältnissen, den Handelsgesetzen, Terminen der Jahrmärkte – etwa das, was wir heute Messen nennen – und der produzierten Waren. Er ergänzte die Informationen mit Tabellen zur Umrechnung der wichtigsten Währungen und Informationen zum Transportwesen.

Seine wesentliche Neuerung war eine Art Adressverzeichnis der Händler und Handwerker, die zum Geschäftspartner werden mochten. Da solche Informationen naturgemäß schnell veralten, plante Crome eine jährliche Neuauflage seines Handbuchs. Die Nachfrage nach Cromes Buch war zwar groß, doch in den Details hatten sich zu viele Fehler eingeschlichen. Auch der Folgeband enthielt viele Fehler. Weitere aktualisierte Neuauflagen sind nicht erschienen.

Crome war kein Kaufmann, sondern Wirtschaftswissenschaftler und Statistiker. Sein wohl bekanntestes Werk ist eine „Productenkarte von Europa“, in der er erstmals die wichtigsten Rohstoffe und Produkte aller europäischer Staaten auflistet. Für die Schweiz galten damals als typisch: Rinder, Schafe, Wein, Obst, Holz, Marmor, Alabaster, Mineralwasser und Eisen.

Warum Crome sein Handbuch verfasste, schreibt er im Vorwort: Er verstehe, dass Händler ihre Geschäftsgeheimnisse für sich behalten würden, um einen Vorteil gegenüber der Konkurrenz zu haben. Doch um den Handel zu fördern, dürfe man ihn nicht zu einer Geheimwissenschaft verkommen lassen: „Aufklärung und Publizität im Commerzwesen“ seien „eben so nötig und gemeinnützig“ wie die „freye Concurrenz“.

Überprüfen wir, wie genau Crome seine Materie kannte: Hier ein Ausschnitt aus dem Kapitel über Zürich. Als wichtigstes Produkt der wohlhabenden und „vom Freiheitsgeist regiert[en]“ Stadt galt ihm die Seide, deren wichtigste Hersteller er mit ihren Spezialitäten wie „Seidenbänder nach dem neuesten Geschmack“, „Organsin“ (= Organza) und „Schnupftücher“ (= Taschentücher) auflistete. Erwähnt werden auch die beiden achttägigen Messen, von denen die eine 14 Tage nach Pfingsten, die andere am 11. September, dem „St. Felix oder Regulatag“, stattfand.

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Fürstliche Schatz und Rentcammer
Wilhelm von Schröder
Leipzig 1721 bei Thomas Fritsch, Erstausgabe 1686.
Französische Kriegs-Wirthschafft, oder Auszug aus denen Königlich-Frantzösischen Kriegs- und Verpflegungs-Ordinanzen, Die Kriegs-Wirthschafft betreffend …
Gedruckt ohne Angabe von Jahr (nach 1677), Ort und Autor („von einem Liebhaber des allgemeinen deutschen Vaterlandes“)

Station 2 – Kaufmann und Staat

Der 30jährige Krieg veränderte das europäische Denken radikal. Er besiegelte den Sieg des Staats im modernen Sinn. In diesem Staat kontrollierte eine absolut herrschende Regierung nicht nur alle Gesetze, sondern auch das Privatleben und die Religion ihrer Bürger. Eines aber hatten die Schrecken des Krieges nicht verändert: den Willen der Herrschenden, ihren Machtbereich mit allen Mitteln zu vergrößern.

Nachdem sich im 30jährigen Krieg gezeigt hatte, dass teure Artillerie, bestens ausgebildete Berufssoldaten und starke Befestigungen eine grundlegende Voraussetzung für die erfolgreiche Kriegsführung darstellten, wurde es zu einer existentiellen Frage, die Mittel dafür zu generieren. Deshalb bemühte sich jeder ambitionierte Fürst, die wirtschaftliche Leistung seines Landes zu vergrößern. Wie man das am effektivsten tat, wurde zum Thema der Wirtschaftswissenschaft und ihrer verschiedenen Schulen.

Das erste Buch dieser Station beschäftigt sich mit der wichtigsten Wirtschaftsschule des Barock, dem Merkantilismus. Es zeigt, wie diese in Frankreich entwickelte Theorie auf deutschem Reichsgebiet mit dem Kameralismus aufgegriffen wurde. Das zweite Buch illustriert, dass das mit den wirtschaftlichen Reformen gewonnene Geld in erste Linie ins Militär floss.

Ludwig XIV. und Colbert besuchen die königliche Gobelinmanufaktur, Ausschnitt.

2.1 Merkantilismus und Kameralismus

Wilhelm von Schröder: Fürstliche Schatz und Rentcammer.
Leipzig 1721 bei Thomas Fritsch, Erstausgabe 1686.

Der absolute Herrscher Ludwig XIV. und sein Finanzminister Colbert sind für uns geradezu synonym für den Merkantilismus geworden. Vereinfacht könnte man sagen, dass Vertreter des Merkantilismus versuchten, möglichst viel Ware im eigenen Land zu produzieren. Die erwünschte positive Handelsbilanz förderte die Steuereinnahmen und den allgemeinen Wohlstand. Die Bevölkerung spielte eine entscheidende Rolle als billige Arbeitskräfte.

Wo den Privatleuten das Knowhow und das Kapital fehlte, betätigte sich der Staat als Unternehmer. Manche staatliche Manufaktur für Luxuswaren ist bis heute legendär: Aubusson mit seinen Tapisserien oder Sèvres, wo königliches Porzellan für zahlungsfähige Kunden produziert wurde. Die wirtschaftlichen Maßnahmen Ludwigs XIV. wurden auch in Deutschland rezipiert.

Wenn es um Deutschland geht, spricht man häufig nicht vom Merkantilismus (nach „mercator“ für Kaufmann), sondern vom Kameralismus. Kameralismus kommt von dem deutschen Wort Kammer. Damit bezeichnete man im 17. Jahrhundert eine Kombination aus Ministerium, Verwaltungs- und Steuerbehörde. Der wichtigste Unterschied zwischen Merkantilismus und Kameralismus ist der besondere Fokus, den der Kameralismus auf die Landwirtschaft legt. Das hat historische Gründe: Deutschland war nach dem 30jährigen Krieg viel stärker zerstört als Frankreich. Um das Land wieder aufzubauen, musste sein Herrscher erst die Voraussetzungen schaffen, um eine sich stark vermehrende Bevölkerung ernähren zu können.

Wilhelm von Schröder, dessen Buch wir in dieser Station vorstellen, gilt als einer der bedeutendsten deutschen Theoretiker des Kameralismus. Sein Buch Fürstliche Schatz- und Rentkammer ist ein Klassiker der Nationalökonomie. Es wurde 1686 erstmals veröffentlicht und bis zum Jahr 1835 achtmal aufgelegt.

Das Buch ist dem Kaiser gewidmet, ungewöhnlich für einen Autor, der aus einem gehobenen sächsischen (und damit protestantischen) Beamtenhaushalt stammte. Doch Wilhelm von Schröder konvertierte irgendwann vor 1673 zum Katholizismus. Damit verwirkte er sein Aufenthaltsrecht in Sachsen. Er fand am Wiener Kaiserhof eine neue Position als Leiter einer staatlichen Manufaktur. Seine Tätigkeit ließ von Schröder genug Zeit, mehrere grundlegende Werke zum Kameralismus zu verfassen.


Den Paradigmenwechsel, den die neue Wirtschaftspolitik mit sich brachte, finden wir gleich auf der ersten Seite: Ein Fürst sollte sich in ökonomischen Angelegenheiten nicht auf seine Untertanen verlassen, sondern selbst Maßnahmen zur Wirtschaftsförderung ergreifen.

Warum das wichtig ist, erfahren wir aus der Vorrede: Ein Herrscher kann nur dort Steuern einnehmen, wo etwas zu holen ist. Er muss also die Untertanen reich machen, damit er ihnen Geld abnehmen kann, das sie entbehren können. Um zu wissen, wo und in welcher Höhe das möglich ist, empfiehlt von Schröder eine genaue Steuerschätzung und liefert die Grundlagen zu ihrer Durchführung.

Ein weiterer Paradigmenwechsel ist die Wertschätzung der fürstlichen Sparsamkeit. Hing die Reputation im Mittelalter von der Großzügigkeit ab, schätzte man nun die dank Sparsamkeit reich gefüllte Geldtruhe. Doch nur die wenigsten Fürsten setzten diesen Vorschlag um. Schließlich brauchte es aufwändige Feste und große Bauten, um zu demonstrieren, dass man es sich leisten konnte, und zwar gerade dann, wenn man es sich nicht leisten konnte.

Viele Herrscher in Finanznöten hofften, dass irgendein Chemiker – damals sprach man von Alchemisten – ein Geheimrezept entwickeln würde, um Gold oder Silber künstlich herzustellen. Das schien nicht unmöglich. Wer beobachtete, wie aus Erde, Feldspat und Quarz wertvolles Porzellan entstand, glaubte auch an die Möglichkeit, chemisch Gold herzustellen. Dass sich Betrüger die fürstliche Gier zunutze machten, trug zur schlechten Reputation der Alchemisten bei, bis sich die Chemie als eigenständige Wissenschaft im 18. Jh. etablierte.

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2.2 Wer den letzten Taler hat, hat gewonnen

Französische Kriegs-Wirthschafft, oder Auszug aus denen Königlich-Frantzösischen Kriegs- und Verpflegungs-Ordinanzen, Die Kriegs-Wirthschafft betreffend … Aus Dem Französischen ins Teutsche übersetzet
Gedruckt ohne Angabe von Jahr (nach 1677), Ort und Autor („von einem Liebhaber des allgemeinen deutschen Vaterlandes“)

„Versuche, den Frieden zu bewahren. Ich habe den Krieg zu sehr geliebt. Folge mir nicht darin, oder in der Verschwendung. … Erleichtere die Lasten deiner Untertanen so bald wie möglich.“ Diese Worte gab Ludwig XIV. auf dem Totenbett seinem Nachfolger mit. Dies ist eine bemerkenswerte Erkenntnis für einen König, der das Staatsgebiet Frankreichs dramatisch vergrößert und damit sein Land ruiniert hatte. Dabei war Ludwig XIV. ursprünglich angetreten, die Finanzen Frankreichs zu sanieren, was er zwischenzeitlich sehr erfolgreich getan hatte.

Frankreichs Gebietszuwächse unter Ludwig XIV – Bild: FlyingPC / CC BY-SA 3.0

Er nutzte die erwirtschafteten Überschüsse, um eine schlagkräftige Armee aufzustellen, mit der er einen Angriffskrieg nach dem anderen führte. Doch mit jedem Angriff sammelten sich mehr Gegner, die mit einem noch größeren Heer bekämpft werden mussten. Standen im Devolutionskrieg von 1667 noch 72.000 Soldaten unter Waffen, waren es 1701 bei Beginn des Spanischen Erbfolgekrieges 380.000 Mann. Das Heer verschlang in Friedenszeiten wie dem Jahr 1683 etwa 50 % der Staatseinnahmen, in einem Kriegsjahr wie 1688 sogar 75 %.

Zum Vergleich: In der Schweiz betrugen 2020 die Kosten für das Militär lediglich 0,8 % des Bruttoinlandsprodukts; auch die USA und Russland gaben 2020 nicht mehr als 3,7 % resp. 4,3 % für die Rüstung aus.

Damit wurde die ökonomische Potenz Frankreichs zum entscheidenden Kriterium seiner militärischen Macht. Mit anderen Worten, es war für die angegriffenen Fürsten des Heiligen Römischen Reichs von strategischer Bedeutung zu wissen, wie hoch die Kriegskosten des Gegners waren, um zu berechnen, wie lange er seinen Krieg würde durchhalten können. Unser Buch, das ein „Liebhaber des allgemeinen (= vereinigten) Teutschen Vatterlandes“ schrieb, begeht militärischen Geheimnisverrat, so dass es verständlich ist, warum weder Druckort noch Druckjahr angegeben sind.

Das Buch vergleicht die Kriegskosten unter Heinrich IV. (1589-1610) mit denen Ludwigs XIV. Jeder deutsche Fürst wusste, dass Heinrich auf Grund mangelnder Ressourcen einen Kompromiss im Kampf um den französischen Thron schließen musste („Paris ist eine Messe wert.“) Verglich man die wesentlich höheren Kriegskosten unter Ludwig XIV. stand zu hoffen, dass dieser seine aggressive Außenpolitik nicht mehr lange würde durchhalten können.

So ist dieses Buch also eine Art Durchhaltepropaganda, mit der die deutsche Öffentlichkeit motiviert werden sollte, im Krieg gegen Ludwig XIV. nicht aufzugeben. Uns versorgt dieses Büchlein mit interessanten Details zu den Kosten, die über die Wirtschaftspolitik im Barock finanziert werden sollten.

Sehen wir uns an, was es 1651 kostete, eine Kompanie Fußvolk zu besolden.

Denkt man daran, dass ein Bataillon aus 16 Kompanien bestand, und dass es sich bei diesen 3 1/4 Gulden um den Tagessold handelt, wird klar, wie exorbitant sich militärische Kosten summierten.

Was Frankreich mit seinen invaliden Soldaten machte, erfahren wir ebenfalls: Ihnen wurde das Betteln in der Hauptstadt Paris bei Todesstrafe verboten. Stattdessen schickte man sie in die Grenzgarnisonen, wo sie die Bevölkerung zusammen mit der Besatzung ernähren musste. Das Hotel des Invalides, das Ludwig XIV. für seine Veteranen baute, wurde erst 1676 fertiggestellt. Vom Sold musste jeder Soldat seine tägliche Ration kaufen. Doch das Geld reichte dafür nicht. Deshalb wurden Privatleute gezwungen, die Bedürfnisse der Soldaten zu festgesetzten Preisen zu decken. Kosten, die ihnen daraus erwuchsen, konnten in Absprache mit der Heeresverwaltung von den Steuern abgeschrieben werden.

Die umfassende Broschüre zu den französischen Heereskosten war über ein Register bis ins Detail erschlossen. Von welch großer militärischer Bedeutung es war, eine Vorstellung zu haben, welche Kosten dem Gegner durch sein Heer entstanden, illustriert die lakonische Feststellung, mit der unser teutscher Patriot den Finanzminister Sully seinen Essay beenden lässt: „und wer den letzten Thaler hat, der hat gewonnen.“


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Andreas Palladio
Gedruckt im Verlag Endter
Johann Baptist Homann
Publiziert im Verlag des Autors

Station 3 – Waren

Wenn wir an den Kaufmann denken, erscheint vor unseren Augen automatisch das stolze Schiff, das Kostbarkeiten aus Übersee in den Heimathafen trägt. Tatsächlich machte der spektakuläre Fernhandel nur einen winzigen Teil des täglichen Geschäfts in einem durchschnittlichen Kontor aus. Reich wurde ein Kaufmann nicht mit Seide und Muskatnuss. Das große Geld verdiente er mit den Produkten, die eine breite Bevölkerung täglich brauchte.

Getreide, Wein, Bier, Salz, Fische, Holz, Wolle und Stoffe, das waren die Waren, mit denen sich ein Kaufmann vor allem beschäftigte. Diese Station ist den Gütern des Alltags und ihren Produzenten gewidmet. Wir besuchen dafür mit unserem ersten Buch Venedig – und zwar in einer Zeit, in der sein Fernhandel unprofitabel geworden war und erfolgreiche Unternehmer ins Agrargeschäft eingestiegen waren. Unser zweites Beispiel zeigt, wie weit fortgeschritten die Arbeitsteilung im Barock war. Die Illustrationen eines berühmten Predigtbuchs ermöglichen uns einen Blick in die Werkstätten, in denen die Handelsware hergestellt wurde.

Die Villa Barbaro in Maser, begonnen um 1557. Foto: Wikipedia.

3.1 Aus Bauernhöfen wird Weltkulturerbe

Andreas Palladio, Die Baumeisterin Pallas, Oder Der in Teutschland entstandene Palladius, übersetzt von Georg Andreas Böckler.
Nürnberg 1698, gedruckt im Verlag Endter

Wer sich heute aufmacht, um das UNESCO Weltkulturerbe „Brenta-Villen“ zu besichtigen, der macht sich nicht bewusst, dass diese Häuser ursprünglich errichtet wurden, um als Zentren von äußerst effizient und profitabel agierenden Bauernhöfen zu dienen. Nachdem sich seit 1500 der venezianische Fernhandel nicht mehr rechnete, stiegen die Investoren auf die Produktion und den Handel von Lebensmitteln um. Die übervölkerten Städte Oberitaliens hungerten nach dem Korn, dem Wein, den Fischen und dem Geflügel, die auf der venezianischen Terraferma erzeugt wurden. Die Besitzer der Landgüter verdienten an ihren Produkten so gut, dass sie es sich leisten konnten, aufwändige Gutshöfe aus Marmor errichten zu lassen. Dafür holten sie sich einen der bekanntesten Architekten seiner Zeit, Andrea Palladio (1508-1580).

Andrea Palladio schuf die Urform der Villa, damals nicht das luxuriöse, freistehende Einfamilienhaus, als das wir es kennen, sondern ein Gutshof. Der Architekt übernahm dieses Wort aus dem Lateinischen. Schon die Römer hatten damit ein Landgut bezeichnet, das nicht nur aus einem prachtvollen Gebäude für den Eigentümer bestand, sondern aus vielen integrierten Wirtschaftsgebäuden. In seinem Buch über die Baukunst, von dem das MoneyMuseum im Jahr 2020 vom Antiquariat Müller die erste deutsche Bearbeitung aus dem Jahr 1698 kaufen konnte, präsentiert Palladio das Vorbild seiner Brenta-Villen: den idealisierten Plan einer römischen Villa. Zu ihr gehören die Küche, die Kuhställe, die Kelter, die Ölpresse, der Weinkeller, die Kornspeicher, die Pferde-, Schaf- und Kleintierställe, der Heuboden und die Backhäuser.

Ähnlich müssen wir uns ein erfolgreiches venezianisches Landgut vorstellen – mit Getreide- und Ölproduktion, Weinbau, Viehzucht und der Herstellung von Milchprodukten.

Das heute noch erhaltene Landgut des Marcus Zeno bei Cessalto, von dem wir hier eine Planzeichnung sehen, wurde ursprünglich erbaut, um die familieneigenen Weingüter zu überwachen, weswegen Palladio umfangreiche Räume für die Kelter und den Weinkeller einplante.


Dass der Architekt von Landgütern einen solchen Einfluss auf die moderne Architektur entfaltete, liegt daran, dass Palladio in seinem Buch alles Wissen über die Baukunst systematisch organisierte: vom Fundament über die Baumittel bis hin zu Gestaltung von Grundriss und Fassade. So wurde sein Werk zur Standardliteratur.

Unser Exemplar wurde von dem Baumeister Georg Andreas Böckler ins Deutsche übersetzt und mit Kommentaren an die deutschen Verhältnisse angepasst. Es gab noch viele andere Übersetzungen, unter anderem ins Spanische, Niederländische, Französische und vor allem ins Englische. Die englischsprachige Welt machte auf Vermittlung des genialen britischen Architekten Inigo Jones Bekanntschaft mit Palladio. Er prägte den Architekturstil, den man heute als Palladianismus kennt. Es entbehrt nicht einer gewissen Komik, dass viele weltbekannte Zentren der Macht von italienischen Bauernhöfen inspiriert sind.

Kapitol in Washington. Foto: Martin Falbisoner, cc-by 3.0.

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3.2 Ein Blick in die Werkstatt


Abraham a Sancta Clara, Etwas für Alle, Das ist: Eine kurtze Beschreibung allerley Stands- Ambts- und Gewerbs-Persohnen: Mit beygeruckter Sittlichen Lehre und Biblischen Concepten, Durch welche der Fromme mit gebührendem Lob hervor gestrichen, der Tadelhaffte aber mit einer mässigen Ermahnung nicht verschont wird.
Gedruckt in drei Bänden in Würzburg für Christian Weigel in Nürnberg 1711-1733.

Abraham a Sancta Clara (1644-1709)

Abraham a Sancta Clara gehört mit seinen rund 600(!) Publikationen zu den wichtigsten und bekanntesten Predigern seiner Zeit. Der Augustiner-Barfüßermönch verstand es, die Botschaft Christi exakt auf sein Zielpublikum zuzuschneiden. Mit Witz und Verstand, vielen Geschichten, Wortspielen und Gleichnissen griff der beliebte Prediger die Lebenswirklichkeit seiner Zuhörer auf. Er selbst hatte den Alltag der Unterschichten geteilt. Als achtes von zehn Kindern eines Gastwirts auf der Schwäbischen Alp kannte er ihre Sorgen und Nöte.

Sein bekanntestes Werk ist das bis heute immer wieder aufgelegte dreibändige Etwas für Alle. Darin ließ der schreibende Mönch unzähligen damals bekannten Berufsgruppen Ermahnungen und sittliche Erbauung zukommen. Der Text ist ein Mittelding zwischen Satire, Predigt und Ständelehre. Zu einer unersetzlichen historischen Quelle wird das Buch vor allem durch seine Illustrationen, die realistisch den Alltag der angesprochenen Berufsgruppen wiedergeben.

Mitten hinein in den Alltag eines Bürstenbinders führt uns diese Darstellung. Sie illustriert, dass jeder Handwerker zugleich auch als Händler agierte. Im Direktvertrieb verkaufte er an Privatkunden. Gleichzeitig arbeitete er mit Zwischenhändlern zusammen: Hausierer brachten seine Waren in die umliegenden Dörfer. Kaufleute erwarben größere Mengen, um sie auf Jahrmärkten zu vertreiben.

Bedient wird die Kundin nicht wie heute in einem Laden. Die meisten Werkstätten besaßen ein großes Fenster, das mittels eines herunterklappbaren Fensterladens in eine Verkaufstheke verwandelt werden konnte. Alle Bürstenbinder der Stadt waren in engster Nachbarschaft angesiedelt. Eine Konkurrenz bestand nur hinsichtlich der Qualität. Die Preisgestaltung, die Lohn- und Ausbildungspolitik wurde innerhalb der Zunft abgesprochen.

Unterboten wurden die städtischen Handwerker nur von außerzünftigen Pfuschern, wie sie häufig auf den Dörfern arbeiteten. Ihre Produkte durften innerhalb einer Stadt nur im Rahmen von Jahrmärkten angeboten werden und unterlagen städtischen Einfuhrzöllen.

Wie spezialisiert das Handwerk bereits in der zweiten Hälfte des 17. Jh. war, illustriert diese Darstellung einer Nähnadelmanufaktur: Rechts dreht der Lehrling vorsichtig das Rad, um einen gleichmäßigen, dünnen Draht zu erzeugen. Davon schneidet der Handwerker am zentralen Tisch die Nadel ab und versieht sie mit einer Öse. Am Pult im Hintergrund verhandelt der Besitzer der Manufaktur mit einem Kaufmann, der wohl eine große Partie von Nadeln erwerben möchte.

Hatte früher jeder Schmied Nägel hergestellt, war auch deren Produktion in Arbeitsteilung und Akkord billiger: Im Hintergrund bringt ein Lehrling lange Stäbe als Halbfertigprodukt. Diese werden von den beiden Schmieden im Vordergrund in Nagellänge zerteilt und bearbeitet.

Textilien wurden bereits seit dem Hochmittelalter in arbeitsteiliger Produktion erzeugt. Wir sehen hier einen der vielen Schritte zum fertigen Tuch: Der Tuchscherer schneidet mit seinen Spezialwerkzeugen die überstehenden Wollfaserreste ab.

Werfen wir zuletzt noch einen Blick in eine Apotheke. Auch sie war zur Zeit des Barock gleichzeitig Laden und Handwerksbetrieb. Im Vordergrund zerstampft ein Mitarbeiter Bestandteile einer Medizin im Mörser, während der Apotheker im Hintergrund einem Kunden etwas verkauft.

Dass Sancta Claras Text vor allem der sittlichen Belehrung seiner Leser diente, illustriert die Bildunterschrift: „Gleich wie des Apothekers Haus, dem kranken Leib teilt Mittel aus, so ist für Schmerzen, die uns grämen, für Seelenleid, das uns befällt, ein Schatz von Mitteln aufgestellt in Gottes Wort, man darf’s nur nehmen.“

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Johann Baptist Homann
Publiziert im Verlag des Autors
Bartolomeo Crescenzio (Romano)
Zweite Auflage, herausgegeben in Rom bei Bartolomeo Bonfadino, 1607.

Station 4 Handelswege

Wer mit Waren handelt, muss sie auch transportieren. So bewegten sich die Waren entlang der großen Handelsrouten zwischen den Metropolen Europas und erreichten über enge Saumpfade auf den Kraxen der Hausierer noch den letzten Einödhof. Zu den vielen Straßen mit ihren tiefen Schlaglöchern, boten die Flüsse eine kostengünstige und wesentlich sicherere Alternative: nicht umsonst lagen alle großen Handelsstädte an schiffbaren Flüssen. Oder natürlich am Meer, denn auch hier fand Handel im großen Rahmen statt. Seit mutige Seemänner fremde Kontinente und lang gesuchte Seefahrtrouten nach Asien gefunden hatten, brachten Fernhändler über die völlig neuen Handelswege des Atlantik exotische Waren nach Europa. Das heißt natürlich nicht, dass das Mittelmeer verödete, im Gegenteil. Wir zeigen in dieser Station zunächst einen Atlas, der dokumentiert, wie schnell die Kenntnis ferner Länder seit dem 16. Jahrhundert zunahm. Unser zweites Buch illustriert die Technik der Seefahrt – angepasst an die Verhältnisse im Mittelmeer.

4.1 Die Handelswege nach Übersee

Johann Baptist Homann, Neuer Atlas bestehend aus einig curieusen Astronomischen Mappen und vielen auserlesenen allerneuesten Land-Charten über die Gantze Welt.

Publiziert 1710 in Nürnberg.

Mit dem Zeitalter der Entdeckungen öffnete sich vor Europa eine ganz neue Welt: Ihr Tor war der Atlantik. Nicht nur hatte man endlich eine Seeroute nach Indien und China gefunden, um in den Handel mit den dort erzeugten, in Europa heiß begehrten Waren einzusteigen – man hatte nebenbei auch den neuen Kontinent Amerika entdeckt, der mit gewinnträchtigen Rohstoffen und Agrarerzeugnissen lockte. Kolonien und Handelsniederlassungen entstanden an den fernen Küsten, Schiffe waren monatelang unterwegs, um Waren zwischen den Kontinenten zu transportieren. Plötzlich war die Welt für die Europäer viel größer geworden.

Zeitgenössische Karten illustrieren, wie rasant sich Europa die Fremde zu eigen machte. Dieser Atlas aus dem Jahr 1710 zeigt, wie detailliert die Kenntnis der neuen Welten bereits war. Als Herausgeber des Kartenwerks agierte Johann Baptist Homann aus Nürnberg. Er war weder ein großer Entdecker, noch besaß er exklusives Kartenmaterial. Stattdessen adaptierte er als tüchtiger Geschäftsmann bereits vorhandene Karten und vermarktete sie, dabei stets an den Wünschen seiner Kunden orientiert. Mit attraktiven Konditionen beherrschte er den deutschen Markt: Jeder einzelne Atlas wurde genau nach den Vorgaben des Käufers zusammengestellt und ausgeführt, so dass der Kunde die volle Kostenkontrolle über das Endprodukt hatte.

Der Käufer unseres Exemplars konnte es sich leisten, die für ihn zusammengestellten 60 Karten aufwändig dekorieren und kolorieren zu lassen. Wir sehen hier das prächtige Titelbild. Es ist durchaus symbolisch zu verstehen, dass über den Ländern des Ostens die tiefe Nacht herrscht und Eule und Fledermäuse in der Luft schweben. Europa wird dagegen von der Sonne bestrahlt. Der kaiserliche Adler wacht über eine Schar von Tagvögeln. Auf dem Globus nimmt Europa mit dem schon lange bekannten Afrika die zentrale Position ein. Amphitrite, die Gattin des Meeresgottes Poseidon hält auf ihrer Hand ein Handelsschiff. Es bildet zusammen mit dem Mercurstab den optischen Mittelpunkt der Darstellung. Der Stab mit den zwei sich kreuzenden Schlangen entwickelte sich zu dem Zeichen schlechthin für den gewinnbringenden Handel.

Die unterschiedlichen Gegenden der Welt kannte man unterschiedlich gut, wie die Karten erkennen lassen. Die Kenntnisse der bis dahin kaum besuchten amerikanischen Westküste waren beispielsweise rudimentär – so geht man auf dieser Karte davon aus, dass Kalifornien eine Insel sei.

Auch über das Land im arktischen Norden Amerikas wusste man kaum etwas, obwohl die Buchten und Inseln in den Gewässern südlich davon bestens erforscht sind. Dafür gibt es eine Erklärung: In dieser Gegend suchten Seefahrer gezielt nach einer schiffbaren Nordwestpassage, die für alle Handelsschiffe den Weg in den Pazifik und damit nach Asien drastisch verkürzt hätte. Die fand man allerdings erst 200 Jahre später.

Gut kannte man dagegen die Gebiete, aus denen die so genannten „Kolonialwaren“ beschafft wurden. Auf den Plantagen der karibischen Inseln bauten ursprünglich aus Europa stammende Unternehmer Zuckerrohr, Tabak und Kaffee an, die in der Heimat finanzstarke Abnehmer fanden.

Die enorme Nachfrage nach Kolonialwaren schuf auf den Plantage einen erhöhten Bedarf an Arbeitskräften, die unter Bedingungen arbeiteten, die freie Arbeiter in den Kolonien nicht zu akzeptieren bereit waren. So wurden Sklaven zu einer „Handelsware“.

Ein Plakat für eine Sklavenauktion, 1769

Kaufleute diverser europäischer und afrikanischer Nationen beteiligten sich an diesem profitablen Geschäft. Afrikanische „Lieferanten“ machten Gefangene, die sie an europäische Händler verkauften. Diese verschifften sie nach Übersee. Man schätzt, dass zwischen 1500 und der Mitte des 19. Jahrhunderts etwa 10 bis 12 Mio. Afrikaner nach Amerika deportiert wurden, um dort verkauft zu werden. Die heute so umstrittenen Benin-Bronzen wurden aus Rohstoffen hergestellt, die der König der Yoruba für seine Sklavenlieferungen an USA erhielt.

Darstellung des Sklavenhandels aus den Augen der Yoruba.

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4.2 Kampf um den Mittelmeerhandel


Bartolomeo Crescenzio (Romano), Nautica Mediterranea: nella quale si mostra la fabrica delle galee…si manifesta l’error delle charte mediterranee…s’insegna l’arte del navigar …Et un Portolano di tutti i porti da stantiar vascelli co i loghi pericolosi di tutto il Mare Mediterraneo.

Zweite Auflage, herausgegeben in Rom bei Bartolomeo Bonfadino, 1607

Seit dem 2. Jahrtausend v. Chr. trieben mutige Seefahrer Handel mit den Anwohnern der Mittelmeerküste. Als Kontaktzone dreier Kontinente ist „il mare nostro“ bis heute ein Knotenpunkt für den Warenaustausch. Jahrhundertelang profitierte Italien von seiner geographischen Lage im Zentrum des Mittelmeers und wurde dabei reich. Im 17. Jahrhundert veränderte sich dies. Protestantische Handelsschiffe der Engländer und der Niederländer machten den italienischen Kaufleuten ihre Monopole streitig. Dazu eroberten die Osmanen ein wichtiges Handelszentrum nach dem anderen. Natürlich war Italien nicht bereit, auf sein profitables Geschäft zu verzichten. Der Papst wurde als der wichtigste weltliche Herrscher Italiens zu einem Propagandisten des Kampfes gegen die Osmanen. Die Türkenkriege hatten also nicht nur religiöse, sondern auch wirtschaftliche – und natürlich machtpolitische – Gründe.

Das hier vorliegende Buch führt uns mitten hinein in diese kriegerische Auseinandersetzung. Es summiert alles, was es um 1600 über die Seefahrt auf dem Mittelmeer zu wissen gab: Schiffbau und Wetterverhältnisse, Navigation, die wichtigsten Häfen und natürlich die Gefahren, die von Seiten der „Ungläubigen“ drohten.

Die Nautica Mediterranea erschien erstmals 1602, auf dem Höhepunkt des so genannten „Langen Türkenkrieges“. Ihr Verfasser, Bartolomeo Crescenzio Romano, war als Kommandant der päpstlichen Flotte ein ausgewiesener Experte der Mittelmeer-Schifffahrt. Er widmet sein Buch dem Kardinal Pietro Aldobrandini. Aldobrandini war der Neffe von Papst Clemens VIII. Er amtierte nicht nur als päpstlicher Kammerherr, sondern auch als Großprior der römischen Filiale des Malteserordens. Dieser hatte sich 1530 auf der Insel Malta niedergelassen und bekämpfte das Piratenunwesen und türkische Kaperschiffe. Dafür brauchte es finanzielle Unterstützung, und damit sind wir beim eigentlichen Sinn dieses Buches.

Es handelt sich nicht um ein Handbuch für Kapitäne. Die lernten ihr Handwerk von der Pike auf und brauchten keine Bücher, die ihnen das Navigieren erklärten. Das Buch richtete sich an die politische Oberschicht des Heiligen Römischen Reichs, die auf dem Reichstag die Möglichkeit hatte, Steuern zu genehmigen oder zu versagen. Indem Romano so detailliert die Schifffahrt auf dem Mittelmeer schilderte, begeisterte er seine Leser für dieses Thema. Die italienische Sprache war dabei kein Hindernis, im Gegenteil. Durch die Grand Tour war das Italienische unter den weltlichen Fürsten und ihren Beamten weit verbreitet. Bei diesem Buch handelt es sich also nur auf den ersten Blick um ein Fachbuch. Daneben diente es als intelligente Propaganda, den Türkenkrieg finanziell zu unterstützen. Dass wir daneben noch zahlreiche Informationen über die Seefahrt erhalten, ist auch heute eine schöne Zugabe.

Im ersten Buch widmet sich der Autor dem Schiffbau. Während auf anderen, stürmischeren Meeren geräumige Segelschiffe wie Koggen, Galeonen und Fleuten den Handel dominierten, wurde auf dem Mittelmeer immer noch die seit der Antike benutzte Galeere bzw. ihre moderne Weiterentwicklung, die Galeasse eingesetzt. Dies lag daran, dass auf dem Mittelmeer häufig Windstille jedes Fortkommen unmöglich machte.

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Auch wenn bei der Mittelmeerseefahrt nicht so große Distanzen ohne Landkontakt überwunden werden mussten wie auf dem Atlantik, war es wichtig, anhand der Sterne oder der Sonne Richtungen und Positionen bestimmen zu können.

Das fünfte Buch beschäftigt sich damit, wie man gegen die Korsaren vorgehen und die Streitmacht des Türken besiegen kann. Damit reklamierte der Papst die Rolle eines Vorkämpfers gegen die Ungläubigen und verurteilte implizit die protestantischen Engländer und Holländer, die mit ihnen Handel trieben.

Wir dürfen dabei nicht übersehen, dass Piraten tatsächlich Schiffe kaperten und sogar an der italienischen und südfranzösischen Küste Dörfer überfielen, wobei sie Besatzungen und Einwohner versklavten. Kaufmannsschiffe schützten sich in großen bewaffneten Konvois, während Städte Verteidigungsanlagen errichteten. Wir sehen auf diesem Plan den stark befestigten Hafen von Civita vecchia. Er wurde von Trajan neu angelegt und diente noch während der Türkenkriege der päpstlichen Marine als Stützpunkt.

Amerikanische Schiffe vor Tripolis am 3. August 1804, Gemälde von Michele Felice Cornè

Wie wichtig das Mittelmeer und seine Handelsschifffahrt noch im 19. Jahrhundert war, zeigt ein hübsches Detail: Die gerade erst unabhängig gewordenen USA führten 1801 ihren ersten Krieg auf dem Mittelmeer, und zwar gegen die Korsaren. Zuvor hatten die USA ihnen 15 Jahre lang bis zu 20% (!) der jährlichen Regierungseinnahmen als Schutzgeld gezahlt.

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Ordonnancie ende instructie voor de wisselaers.
Gedruckt bei Hieronymus Verdussen in Antwerpen, 1633.
Einleitung zum gründlichen Verstand der Wechsel-Handlung: worinnen nicht allein vom Ursprung derselben, Erfindung der Wechsel-Briefe (…)
Johann Caspar Herbach
Herausgegeben in Nürnberg im Eigenverlag des Autoren, 1716. Erstauflage.

Station 5 – Geld und Wechsel

Station 5 widmet sich der Frage, wie der frühneuzeitliche Kaufmann seine Geschäfte finanzierte. Denn im Finanzsektor setzten sich während des Barocks Errungenschaften durch, die wir bis heute kennen: Aktiengesellschaften und Börsen, Papiergeld, bargeldloser Zahlungsverkehr und vieles mehr. Wir beschäftigen uns mit einem winzigen Ausschnitt aus den sich rasant verändernden monetären Verhältnissen. Zunächst veranschaulicht ein Wechsler-Buch aus Antwerpen die Komplexität des Bargeldverkehres auf den Märkten. Anschließend führt uns Johann Caspar Herbachs Einleitung zur Benutzung von Wechseln in die Feinheiten eines bargeldlosen Zahlungs- und Kreditsystems ein.

Marinus van Reymerswaele: Die Geldwechsler

5.1 Taler, Taler, du musst wandern

Ordonnancie ende instructie voor de wisselaers.
Gedruckt bei Hieronymus Verdussen in Antwerpen, 1633.

Auf den großen Handelsplätzen Europas kamen Kaufleute der gesamten damals bekannten Welt zusammen. Und natürlich brachten sie alle ihre eigenen Münzen mit. Damit sind keine nationalen Zahlungsmittel wie vor dem Euro gemeint. Im Europa des 17. Jahrhunderts gab es mehr als 400 Währungen mit zahlreichen Nominalen. Zwar versuchten Münzvereine, das Chaos zu organisieren. Doch das gelang ihnen immer nur kurzfristig und in relativ überschaubaren Gebieten. Schließlich war die Münzprägung ein zu einträgliches Geschäft, als dass jemand freiwillig darauf verzichtete. Und so prägte jeder, der über ein Münzprivileg verfügte, eigene Münzen, die noch dazu häufig ihre Darstellungen änderten.

Während die Landesherren genau vorschrieben, welches Kleingeld auf ihren Märkten benutzt werden durfte, waren Goldmünzen wie der Dukat und Großsilbermünzen wie der Taler überall als Zahlungsmittel akzeptiert.


Um diese Münzen richtig zu bewerten, zogen Kaufleute und Geldwechsler in Zweifelsfall eine Art Lexikon der umlaufenden Münzen heran. Lehrlinge, die sich so ein Buch nicht leisten konnten, zeichneten von eigener Hand die Münzen ab, die sie zu sehen bekamen. Unser Buch ist ein gedrucktes Kompendium mit dem Titel Ordonnancie ende instructie voor de wisselaers. Es wurde 1633 in Antwerpen herausgegeben. Das spanische Wappen auf der Titelseite verrät, dass Antwerpen zu den spanischen Niederlanden gehörte.

Das Wechselbuch beinhaltet ausschließlich die international kursierenden Gold- und Großsilbermünzen. Es umfasst etwa 1700 Typen mit Vorder- und Rückseite. Die Abbildungen sind in Originalgröße, dazu gibt es Anmerkungen, wie die Nominale heißen, wer sie herausgab und wie sie bewertet werden müssen.

Das war für den Händler eine unschätzbare Hilfe, um Fälschungen herauszufiltern und Preise umzurechnen. Dazu passt übrigens auch das ungewöhnliche Format des Buches: Es ist das damals typische Format eines Kassenbuchs, dass der Kaufmann in der Manteltasche mit sich führen konnte.

Auf diesen Seiten sehen wir Goldmünzen: Dukaten und Doppeldukaten aus Kaufbeuren, Lübeck, Riga, Bern, des savoyischen Herrscher des italienischen Saluzzo und aus Mantua. Während Goldmünzen im alltäglichen Zahlverkehr wegen ihres hohen Werts keine Rolle spielten, waren sie besonders für die im Fernhandel tätigen Kaufleute allgegenwärtig.

Besonders beliebte Münzen, die sich durch ein über die Jahrzehnte gleichbleibendes Gewicht und Feingehalt auszeichneten, wurden besonders gerne akzeptiert. Zum Zeitpunkt des Drucks dieses Buchs waren das zum Beispiel die niederländischen Dukaten mit dem stehenden Ritter.

Die auf diesen Seiten abgebildeten Münzen zeigen u. a. Münzen von den Kaisern Maximilian und Karl V. Maximilian war 1519, Karl 1558 gestorben. Dass diese Münzen noch in einem 1633 publizierten Buch abgebildet werden, zeigt uns, dass sie immer noch kursierten.


Natürlich liefen auch Schweizer Münzen in den Niederlanden um. Auf der rechten Seite sehen wir die Testone (= 1/3 Taler) von Schaffhausen, Bern, Luzern und St. Gallen. Das Buch teilt mit, dass sie genauso bewertet werden müssen wie die Testone von Hagenau, Pfalz und Bayern.

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5.2 Der Wechsel: Ersatz für Bargeld

Johann Caspar Herbach: Einleitung zum gründlichen Verstand der Wechsel-Handlung: worinnen nicht allein vom Ursprung derselben, Erfindung der Wechsel-Briefe (…) wie auch von denen vornehmsten Banchi zu Europa (…) dann von denen berühmtesten Messen (…) ausführlich gehandelt, sondern auch eine General-Wechsel-Reduction, wie die vornehmsten Europäischen Plätze gegeneinander wechseln.

Herausgegeben in Nürnberg im Eigenverlag des Autoren, 1716. Erstauflage.

Hof der Börse von Amsterdam, Gemälde von Emanuel de Witte

Schon im Hochmittelalter hatten findige Kaufleute festgestellt, dass Bargeld alleine nicht ausreichte, um große Geschäfte zu machen. Deshalb entwickelte sich seit dem ausgehenden 12. Jahrhundert eine Alternative zum Bargeld, der Wechsel. Er stellte auf der einen Seite ein sinnvolles Mittel für den bargeldlosen Zahlungsverkehr dar und ermöglichte es gleichzeitig, Kredite zu vergeben, ohne das kirchliche Zinsverbot zu verletzen. Indem ein Wechsel immer zwischen den verschiedenen, zu wechselnden Währungen der verschiedenen Handelsplätze ausgestellt wurde – daher auch sein Name -, bestand theoretisch für den Aussteller ein gewisses Kursrisiko, was die kirchliche Billigung des Wechsels mit sich brachte.

Während des 16. Jahrhunderts verbreitete sich der Wechsel in Europa. Voraussetzung dafür war die Einführung von Wechselbanken, an denen jeder Wechsel mit einem gewissen Kursverlust eingereicht und in Bargeld umgewandelt werden konnte. Die Kurse, mit denen die von den verschiedenen Bank- und Handelshäusern ausgegebenen Wechsel eingelöst wurden, hingen direkt mit der Reputation der ausstellenden Institution zusammen. Amsterdam entwickelte sich mit seiner Wisselbank zum Zentrum des europäischen Wechselhandels. Aber auch in Provinzstädten wussten Bankiers, was sie für einen Wechsel zahlen konnten, weil die großen Geldmärkte regelmäßig Aufstellungen publizierten, was sie für die wichtigsten Wechsel zahlten.

Schon seine Zeitgenossen fanden das System des Wechsels kompliziert. Sie nahmen das Lehrbuch des Nürnberger Gewürzgroßhändlers Johann Caspar Herbach, das er im Jahr 1716 mit dem Titel Einleitung zum gründlichen Verstand der Wechsel-Handlung publizierte, dankend auf. Das MoneyMuseum konnte davon im Antiquariat Hohmann nicht nur die seltene Erst-, sondern auch die wesentlich vermehrte zweite Ausgabe kaufen. Sie wurde ein voller Erfolg, was man an der großen Zahl der weiteren Auflagen sehen kann.

Der Titelkupfer zeigt das gekrönte Wechselwesen auf einer Art Himmelsthron. Die Personifikationen zur Rechten halten Stundenglas und Zirkel in der Hand, um zu symbolisieren, dass der Wechsel mit Zeit und Entfernung eng zusammenhängt. Reich gekleidete Bürger und ein Adliger mit Allongeperücke bieten dem Wechselwesen ihr Bargeld an. Im Hintergrund sieht man einen Hafen mit Schiffen und Karren, die Waren für den Handel herbeibringen und fortführen.

Wie aber funktionierte nun die Sache mit den Wechseln? Das erklärt Herbachs Buch.

Grundlage war der Wechselbrief. Er war eine Bestätigung dafür, dass ein Kaufmann an einem Ort a eine Summe b zahlte, um an einem Ort x eine Summe y zur Verfügung zu haben, die er entweder in bar abheben oder in Waren verrechnen lassen konnte. Wer noch Reiseschecks kennt, kann sich das Verfahren ganz ähnlich vorstellen.

Der Wechselbrief musste die wichtigsten Details exakt festhalten. Damit der Wechselaussteller keine Fehler machte, erklärte ihm Herbachs Werk genau, wie ein Wechselbrief formuliert werden sollte, und welche Angaben er enthalten musste.

International agierende Bankiers akzeptierten die Wechsel der ihnen persönlich bekannten Kaufleute zu den Kursen, die von den überregionalen Messeplätzen regelmäßig kommuniziert wurden. Mit welchem Gewinn oder Verlust zu rechnen war, illustriert Herbach mittels zeitgenössischer Kurszettel aus Leipzig vom 22. Januar 1715 und Wien vom 16. März 1715. Auf diesen Kurszetteln wurden erst die wichtigsten Messen genannt, auf deren Zeitpunkt Wechsel ausgestellt sein konnten. Es folgen zentrale Handelsplätze, wobei die Wechsel einmal 14, einmal 15 Tage Laufzeit haben.

Nicht jeder Bankier akzeptierte jeden Wechsel, denn letztendlich mussten alle Wechselbriefe irgendwann dort vorgelegt werden, wo sie wieder eingelöst werden konnten. Wie man das in den verschiedenen Städten tat, darüber informiert Herbach genau. Denn immer wieder kam es vor, dass ein Wechsel in Protest ging, weil der Aussteller sich weigerte, ihn einzulösen.


Spätestens dann musste der Geschädigte genau die Rechtslage kennen. Um seine Leser zu unterstützen, publizierte Herbach nicht nur die Gesetze der bedeutenden Finanzplätze Venedig, Amsterdam, Hamburg und Nürnberg, sondern übersetzte den italienischen und den niederländischen Text für seine Leser in die deutsche Sprache.

Auch damals beinhaltete die Sprache der Banker schon eine Fülle an Kauderwelsch, das der Erklärung bedurfte. So gibt Herbach seinem Leser einen umfangreichen Schatz an Definitionen und Worterklärungen an die Hand.

Offiziell schaffte die katholische Kirche ihr Zinsverbot erst im Jahr 1917 ab. Selbst Herbach fühlte sich als ein aufgeklärter Autor eines modernen Geldsystems verpflichtet, zu rechtfertigen, dass dieser Handel mit Geld nicht des Teufels sein könne. Er tut dies, indem er nachweist, dass es schon in der Bibel Zins und Geld gegeben habe.

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Zwantzig Thewrungs vnd Wucher Predigen.
Georg Zeaemann
Gedruckt in Kempten 1632 von Christoph Krause
Die menschliche Sterblichkeit unter dem Titel Todten-Tanz in LXI Original-Kupfer
Rudolf und Conrad Meyer
Erstmals gedruckt in Zürich 1650, neu herausgegeben in Hamburg und Leipzig 1759.

Station 6 – Die moralische Seite des Handels: Wie viel Profit ist gesellschaftsverträglich?

Es sind uralte Fragen: Ist es erlaubt, dass ein Mensch Geld verdient, ohne dies im Schweiße seines Angesichts zu tun? Darf er an einer Ware verdienen, die ein anderer mit seiner Hände Arbeit hergestellt hat? Und ist es moralisch vertretbar, dass mit dem damit verdienten Geld über Generationen hinweg weiteres Geld verdient wird?

Diese Fragen wurden nicht zum ersten Mal, aber wohl am folgenreichsten während des Hochmittelalters von der katholischen Kirche verneint. Geistliche wehrten sich dagegen, dass das Kapital die ihnen als Gott gefällig erscheinende Rangordnung durcheinander wirbelte.

Auch wenn der Handel und die damit erzielten Profite seitdem ständig zugenommen haben, auch wenn die Kirche der größte Nutznießer der Kapitalisierung wurde, propagier(t)en Geistliche und ihre weltlichen Nachfahren seit Jahrhunderten, dass Gewinn per se anrüchig ist. Jeder Kaufmann, jeder Unternehmer, der mit Gewinn agiert, ist moralisch verdächtig.

Die beiden Bücher, die wir in dieser Station vorstellen, spiegeln das Nachdenken einer Gesellschaft, in welchem Umfang Profite eines Händlers gottgefällig – heute würden wir sagen gesellschaftsverträglich – sind.

6.1 Sündenbock Kaufmann

Georg Zeaemann, Zwantzig Thewrungs vnd Wucher Predigen.
Gedruckt in Kempten 1632 von Christoph Krause

Jeder Endpreis setzt sich aus verschiedenen Komponenten zusammen: Gestehungskosten, Transportkosten und Handelsspanne. Bevor ein Produkt beim Endkunden landet, haben sowohl der Produzent als auch der Spediteur und mindestens ein Zwischenhändler daran verdient.

Während die Kosten von Produzent und Spediteur leicht nachvollziehbar sind, ist die Handelsspanne etwas Undefiniertes, Ungreifbares. Vor allem wenn die Preise so hoch steigen, dass sich ein durchschnittlicher Konsument die Endprodukte nicht mehr leisten kann, gerät schnell der Händler in Verdacht, seine Handelsspanne unverhältnismäßig hoch angesetzt zu haben.

Der Wucherer ist ein billiger Sündenbock, wenn Otto Normalverbraucher die komplexen politischen und wirtschaftlichen Zusammenhänge einer Teuerung nicht verstehen will. Unser Bild stammt aus dem Jahr der Hyperinflation von 1923. Doch es waren weniger die Wucherer, die die Preise in die Höhe trieben, sondern der verlorene Krieg, die Finanzierung des Ruhrkampfes, das billig zu produzierende Papiergeld und last but not least die deutschen Bürger selbst, die begeistert festverzinsliche Kriegsanleihen gekauft und damit den Ersten Weltkrieg wirtschaftlich überhaupt möglich gemacht hatten. Doch all das war zu komplex, als dass ein normaler Bürger sich damit hätte auseinandersetzen wollen. Da war es einfacher, einem fetten Wucherer die Schuld zuzuschieben.

Wuchermedaille aus dem Jahr 1923. Künker eLive (2021), 8355

Ähnliches erlebten die Zeitgenossen des evangelischen Theologen Georg Zeaemann, der im Jahr 1632 seine Sammlung von Predigten auf dem Höhepunkt des 30jährigen Krieges herausgab. Solche Predigtsammlungen waren ein gutes Geschäft. Sie wurden von Geistlichen gekauft, die sich damit die eigene Arbeit beim Entwurf der Sonntagspredigt erleichterten. Attraktive Themen waren ein Verkaufsargument, und wie die heutigen Boulevardzeitungen wussten schon die Theologen des 17. Jahrhunderts, dass sich ihre Zuhörer am liebsten über die Sünden der anderen aufregten.

Tatsächlich waren die Preise während des 30jährigen Krieges enorm gestiegen. Verantwortlich dafür waren die hohen Kriegskosten, die von den Reichsfürsten mittels einer drastischen Geldentwertung aufgebracht worden waren. Verantwortlich machte die Öffentlichkeit den Münzwucherer, den wir auf diesem zeitgenössischen Druck sehen. Er prunkt mit seinen dick gefüllten Geldbeuteln.

Doch die Geldverschlechterung war nicht das einzige Problem: Das Heilige Römische Reich hatte mit Krieg und seinen Folgen für die Landwirtschaft zu kämpfen. Die bebaute Fläche war drastisch geschrumpft, während das Risiko beim Warentransport wegen der marodierenden Truppen rasant in die Höhe stieg. Der 1630 in Deutschland eingefallene schwedische König Gustav Adolf verschlimmerte die Lage enorm. Doch einen Vorkämpfer des protestantischen Glaubens anzuklagen, kam natürlich nicht in Frage! Da suchte man andere Schuldige.

Georg Zeaemann wusste, was seine Schäfchen hören wollten: Wie schlimm die Teuerung sei und welche schrecklichen Folgen sie habe. Er identifiziert den Wucherer als alleinigen Grund des Übels resp. Strafe Gottes und mündet in seiner Schlussfolgerung, dass man nur gottgefällig leben müsse, um die Teuerung zu beenden.
Über dieses Thema variiert Zeaemann seine Texte. Er schildert immer wieder das böse Wirtschaften der Wucherer oder Kornmauscher – wir kennen heute noch das Wort „mauscheln“. Er allein ist schuld daran, dass der Roggen nun statt 6, 7 oder 8 Gulden 60 Gulden kostet.

Einen bis heute nachwirkenden antisemitischen Unterton spüren wir bei der Gleichsetzung von Wucherer und Jude, eine Assoziation, die vielen Zeitgenossen Zeaemanns spontan in den Sinn kam. Die Wurzel dieses ungerechtfertigten Vorwurfes ist die Tatsache, dass jüdische Bankiers dem christlichen Zinsverbot nicht unterworfen waren. Deshalb zogen sie Fürsten systematisch an ihren Hof, und vertrauten ihnen gerne ihre Geldgeschäfte an. Der „Hofjude“ wurde so zum leicht entbehrlichen Sündenbock, mit dessen Hinrichtung ein Fürst den Volkszorn beschwichtigte.

Wer ist nun schuld an allen Übeln der Teuerung: der Käufer oder der Verkäufer? Zeaemann stellt sich wie alle erfolgreichen Verbrauchermagazine auf die Seite der Mehrheit, der Kunden. Er formuliert eine Position, wie sie heute so oder so ähnlich in jeder Boulevardzeitung stehen oder auf jeder Demo gerufen werden könnte: Ein anderer, der seinen Nächsten übers Ohr haut, sagt oder denkt bei sich: Was soll das? Er hat’s so gewollt. Warum ist er so dumm und so blöd gewesen? … Denn wenn’s ums Geld geht, geschieht viel Unrecht. Und wer reich werden will, schaut nicht hin.

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6.2 Guter Kleinhändler, böser Großhändler, böser, böser Bankier!

Rudolf und Conrad Meyer (Kupferstiche), Die menschliche Sterblichkeit unter dem Titel Todten-Tanz in LXI Original-Kupfer.
Erstmals gedruckt in Zürich 1650, neu herausgegeben in Hamburg und Leipzig 1759.

Während sich Journalisten heute als Hüter der öffentlichen Moral gerieren, fiel diese Aufgabe in der frühen Neuzeit hauptsächlich der Religion zu. Ein besonders beliebtes Medium für jede Form der Gesellschaftskritik war der Totentanz. Er beinhaltete die Mahnung an alle Lebenden, dass jedes Leben mit dem Tod endet und danach das Jüngste Gericht droht. Hatten Totentänze im Mittelalter vor allem die Wände der Kirchhöfe geschmückt, entwickelten sie sich in der frühen Neuzeit zu einer Literaturgattung. Ihre Faszination beruhte darauf, dass sie die verschiedenen Stände in ihren typischen Sünden charakterisierten, und dass sich der Höchste genauso ihrer Kritik unterwerfen musste wie der Niedrigste. Totentänze bestanden aus sich gegenseitig ergänzenden Bildern und Texten. Sie gehören zu den Ahnen des modernen Comics.

Unser Beispiel entstand in Zürich nach dem 30jährigen Krieg. Conrad Meyer (1618-1689), der zusammen mit seinem Bruder Rudolf für die Kupferstiche des Totentanzes verantwortlich zeichnete, hatte seine Ausbildung beim heute noch bekanntesten Kupferstecher der Epoche erhalten: Matthäus Merian gehörte mit seinen systematisch gesammelten und herausgegebenen Städteansichten zu den erfolgreichsten Herausgebern seiner Zeit.
Auch der Totentanz, den Conrad und Rudolf Meyer schufen, war nicht in erster Linie als Kunstwerk, sondern als leicht verkäufliches Produkt gedacht. Er sprach ein wohlhabendes Laienpublikum an, das sich in den dunklen Zeiten des ausgehenden 30jährigen Krieges in biblische Botschaften vertiefte, um das eigene Seelenheil zu gewinnen. Wie beliebt diese Literaturgattung war, zeigt die Tatsache, dass unser Totentanz mit den Originalbildern mehr als ein Jahrhundert später noch einmal aufgelegt wurde.
Nun waren auch die Menschen der frühen Neuzeit keine Masochisten, denen es Spaß machte, sich vor ihrem schrecklichen Ende zu gruseln. Im Gegenteil, der Totentanz gab ihnen das angenehme Gefühl, dass sie als die rechtschaffenen Bürger ins Paradies eingehen würden, während all die bösen Mitbürger in der Hölle enden würden.

Wie der typische Großkaufmann im Barock gesehen wurde, zeigt uns diese Tafel des Totentanzes. Selbstverständlich beruht der Reichtum des Kaufmanns auf „Trug und List“, selbst wenn nicht einmal das Gedicht umhin kann zu erwähnen, dass zu seinem Erwerb Geisteskraft genauso notwendig war wie ständige Arbeit.

Der Hausierer dagegen, der auf seinem Rücken die Waren zu den Bauernhöfen trug, ist im Totentanz geradezu ein Inbegriff der Ehrlichkeit. Für wird der Tod zur Erlösung. Man ist versucht zu fragen, ob es im Barock keine unredlichen Hausierer gegeben hat, und warum ein besonderer Verbraucherschutz bei Haustürgeschäften gilt, wenn nur redliche Menschen an den Türen ihre Waren verkaufen.

Auch den Bankier kennt der Totentanz nur in der Version des Wucherers. Er ist der Schlimmste der Schlimmen, der sein Geld nur aus reiner Gier verleiht. Die Leihnehmer dagegen sind samt und sonders bedrängt und unschuldig. Dass ohne den Financier die technischen Entwicklungen der Moderne nicht möglich gewesen wären, bleibt unerwähnt.

Wir hoffen, dass wir mit dieser Ausstellung dazu beigetragen haben, ein etwas realistischeres Bild von den Leistungen des Kaufmanns in der frühen Neuzeit zu vermitteln. Ohne ihn wäre die moderne Wirtschaftswelt, wie wir sie heute kennen, nicht möglich gewesen.

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