Auch wenn hierzulande kaum jemand den Namen Kálmán Mikszáth mehr kennt, gehörte er im 19. Jahrhundert zu den international bekanntesten Schriftstellern Ungarns. Sein beliebtestes Werk „St. Peters Regenschirm“ wurde nicht nur in zahlreiche Sprachen übersetzt, sondern noch in der Stummfilmära verfilmt. Theodore Roosevelt, Namensgeber des Teddys und amerikanischer Präsident in den Jahren zwischen 1901 und 1909, zählte Mikszáth unter seine Lieblingsautoren.
Er gehörte damit zu den vielen Lesern, die es schätzten, dass Mikszáth seine Geschichten nicht als Anklagen gegen den immer brutaleren Kapitalismus formulierte, sondern stattdessen liebevoll und ironisch Geschichten gestaltete, in denen die Guten belohnt und die Bösen betraft werden. Dabei blendete der Autor keineswegs die dunklen Seiten seiner Epoche aus. Er stammte aus dem kleinen Adel, war auf dem Land aufgewachsen und hatte beobachtet, dass gerade die liebenswertesten Menschen sich nicht an den neuen Egoismus gewöhnen konnten, den ihnen die Geldwirtschaft aufzwang. Ihr ökonomisches Scheitern verkleidete Mikszáth als zauberhafte Märchen, deren wunderbares Ende das ökonomische Scheitern als Sieg der Menschlichkeit glorifizierte.
Dies sei anhand zweier Beispiele illustriert. Sie stammen aus der Sammlung von Kurzgeschichten, die 1968 in der Manesse Bibliothek der Weltliteratur erschienen. Die beiden Geschichten – die erste und die letzte der Sammlung – behandeln letztendlich das gleiche Thema, nämlich die Frage, in wie weit der Umgang mit und das Verhältnis zum Geld den familiären Zusammenhalt beeinflusst.
Da ist zunächst in der titelgebenden Geschichte „Der schwarze Hahn“ dieser liebenswerte Großvater, ein kleiner Adliger, der an der Schwindsucht zu leiden scheint. Das war damals eine Modediagnose, mit der auch all diejenigen bedacht wurden, die etwas zu dünn, etwas zu passiv und viel zu blass waren. Der verzärtelte Großvater leidet unter diesen Symptomen, und so rät ihm sein Hausarzt, eine lange, teure Kur zu machen. Diese Kur, so erklärt der Arzt, sei seine einzige Chance zu überleben. Die ganze Familie wirft also ihr Geld zusammen, um sie zu finanzieren. Man rechnet hin, man rechnet her, doch es reicht einfach nicht. Da bleibt nur eins: Auf die nächste Ernte zu hoffen. Der gesamte Gewinn, so beschließt man, solle für die rettende Kur verwendet werden. Alle arbeiten wie verrückt, damit es eine reiche Ernte gibt. Ja, noch mehr, heimlich kauft so mancher von seinem eigenen Geld einen Sack Korn dazu, leert ihn zur Ernte, damit ja genug erwirtschaftet wird, um die Kur zu finanzieren.
Endlich ist der entscheidende Tag da. Das Korn ist verladen. Der Großvater fährt als Haushaltsvorstand in die Stadt, um sein Korn dort zu Bargeld zu machen. Man hätte einen anderen schicken sollen! Denn als der gute Großvater am Wegrand ein krankes Mädchen findet, ist alles wirtschaftliche Denken vergessen. Als guter Samariter hält er an, bereitet ihr auf seinem Wagen ein Bett, zahlt für sie Unterkunft und Pflege, den Arzt, die teuren Medikamente und übernimmt, als sie trotzdem stirbt, sogar die Begräbniskosten. Das Korn? Das verkauft er zu einem Schleuderpreis, weil er schnell, schnell Bargeld braucht, um die Pflege des Mädchens zu zahlen.
Nach der Beerdigung kommt der große Katzenjammer. Der Großvater schämt sich dafür, dass er das Geld, das die anderen doch für seine eigene Heilung erwirtschaftet haben, für dieses wildfremde Mädchen verschwendet hat.
Ganz anders der Geldverleiher aus der Erzählung „Prakovsky, der taube Schmied“. Nie würde ihm so etwas passieren! Ihn hat nicht nur der Geiz, sondern auch der Neid am Wickel. Niemandem gönnt er etwas Gutes. Aus allem und jedem macht er ein Geschäft. Wer seine Hilfe braucht, findet in ihm einen harten Verhandlungspartner, der selbst engsten Freunden nur gegen hohe Wucherzinsen Geld zur Verfügung stellt. Seine größte Freude ist dabei, sie zu betrügen und für sich jeden noch so kleinen Vorteil herauszuwirtschaften, weil sein Gegenüber gezwungen ist, seine Bedingungen anzunehmen. Nur so fühlt er sich überlegen, kann so etwas ähnliches wie kurzfristige Zufriedenheit empfinden. Deshalb zerreißt es ihn fast vor Missgunst, als er feststellen muss, dass sich unter den nutzlosen Äckern, die er einem Deutschen zum Wucherpreis angedreht hat, ein reiches Kohlevorkommen befindet. Da hilft nur noch eines: Seine Tochter muss den Mann heiraten, damit er so über den Brautpreis einen Teil des Reichtums für sich abzweigen kann. Ja, der Geldverleiher träumt schon davon, dass zuerst der Deutsche und dann seine Tochter stirbt, was das schöne Kohlevorkommen und seine Einkünfte wieder in seinen Besitz bringen würde. Welche Rolle spielt es da, dass seine Tochter einen anderen liebt und von ihm geliebt wird? Mit dem Ochsenzimmer schlägt er sie blutig, damit sie dem Geliebten den Abschiedsbrief schreibt.
Mikszáth präsentiert in diesen beiden Geschichten zwei Extreme der bäuerlichen Welt: Den ökonomisch höchst erfolgreichen Geldverleiher, der alle Tricks und Schliche kennt und anwendet, und den hilflosen Großvater, der nach dem biblischen Gebot alles daran setzt, um seinem Nächsten zu helfen. Welcher von beiden hätte wohl in der Realität mehr Chancen auf Erfolg? Ein bedrückender Gedanke, den zu lesen, Mikszáth dem Leser mit einem zauberhaften Ende erspart.
Denn der Einsatz für dieses hilflose Mädchen reißt den Großvater aus seiner Lethargie. Er setzt alles daran, um den finanziellen Schaden auszubügeln. Die harte Arbeit an der frischen Luft sind für ihn besser als jede teure Kur. Und Mikszáth lässt noch den Geist des toten Mädchens den geliebten Enkel des Alten retten. Ein echtes Happy End also, das den barmherzigen Samariter belohnt.
Der herzlose Geldverleiher dagegen verliert die Liebe seiner Tochter und seiner Frau. Ihm bleibt nur sein Geld, und das macht ihn kein bisschen glücklicher.
Welch wohltuendes Ende! Es überdeckt, dass in der Wirklichkeit auch im 19. Jahrhundert die herzlosen Geldverleiher erfolgreicher waren als die barmherzigen Samariter.
Da tröstet es doch, dass man sich vorstellen kann, dass der Geiz zwar reich, aber nicht glücklich macht.