Im Jahr 1647 erschien die erste Übersetzung des Korans in eine moderne westliche Umgangssprache. Verantwortlich dafür zeichnete nicht einer der zahlreichen Gelehrten, die sich schon seit Jahrzehnten in ihren Briefen darüber austauscht hatten, dass der Koran endlich übersetzt werden müsse, sondern ein Mitglied des niederen französischen Provinzadels. André Du Ryer war Herr von La Garde-Malezair, einem kleinen Landsitz mitten in Burgund. Das damit verbundene Einkommen reichte wahrscheinlich nicht aus, um eine adlige Familie auch nur halbwegs herrschaftlich zu ernähren.
Deshalb ging der sprachbegabte junge Mann in die Türkei, um sein Glück zu machen. Er reiste nach Konstantinopel, damals eine boomende Handelsstadt. Hier suchte man fleißige und findige Männer, vor allem wenn sie wie Du Ryer mehrsprachig waren. André Du Ryer war ein Sprachtalent. Er beherrschte neben seiner Muttersprache, dem Französischen, und der Gelehrtensprache Latein das Türkische, das Arabische und das Persische. Das war selbst in Konstantinopel nicht an der Tagesordnung. So engagierte der französische Botschafter den jungen André Du Ryer als Dolmetscher.
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Das enge Bündnis zwischen Frankreich und dem Osmanischen Reich
Es mag verwundern, dass sich die Franzosen bereits vor dem Ende der großen Türkenkriege einen ständigen Botschafter an der Hohen Pforte leisteten. Aber wenn es um Politik, Macht und Einfluss ging, dann interessierte der Glauben des Vertragspartners nur wenig.
Das gute Verhältnis zwischen Franzosen und Osmanen datiert zurück in Zeit der Kriege um Italien. Im Jahr 1525 verlor König Franz I. die Schlacht von Pavia. Schlimmer noch: Er geriet persönlich in die Gefangenschaft des Habsburgers Karls V. Die französische Königsmutter suchte händeringend nach Verbündeten und wandte sich in diesem Zusammenhang auch an den osmanischen Sultan. Der hätte sein Reich nur zu gerne weiter in Richtung Westen ausgedehnt. Damit war er ein natürlicher Konkurrent der Habsburger, die ihrerseits nach Osten expandierten.
Wir wissen nicht, ob es tatsächlich der Hilferuf der französischen Queen Mom war, der Süleyman den Prächtigen zur Belagerung der Stadt Wien im Jahr 1529 veranlasste. Immerhin wurde der Frieden von Cambrai zwischen Karl V. und Franz I. am 5. August 1529 geschlossen, knapp sechs Wochen bevor die Osmanen den Belagerungsring um Wien schlossen.
Seitdem hatten Franzosen und Osmanen immer wieder paktiert, um die Habsburger in Schach zu halten, und zwar ganz gemäß der Devise: Der Feind meines Feindes ist mein Freund.
Auch wenn Mitte des 17. Jahrhunderts ein brüchiger Friede zwischen Habsburgern und Osmanen herrschte, war doch abzusehen, dass dieser Zustand jederzeit enden konnte. Die französische Diplomatie zog ihren Nutzen daraus – und hatte großen Bedarf an intelligenten Dolmetschern, die in der Lage waren zu verstehen, was die Vertragspartner sagten.
Der Aufstieg des André Du Ryer
Im Jahr 1630 veröffentlichte André Du Ryer als Frucht seiner Studien die erste türkische Grammatik, die in Europa gedruckt wurde. Sie war in der lateinischen Sprache verfasst und erleichterte das Erlernen des Türkischen enorm. Im gleichen Jahr ernannte König Ludwig XIII. du Ryer zum königlichen Sekretär und Dolmetscher für orientalische Sprachen. Damit war ein festes Gehalt, aber keine festen Arbeitszeiten und Aufgaben verbunden. Du Ryer wurde bei Bedarf eingesetzt. So schickte ihn König Ludwig XIII. im Jahr 1632 auf eine diplomatische Mission an den Hof von Sultan Murat IV.
Seine Position sicherte du Ryer den Lebensunterhalt und gab ihm gleichzeitig die Zeit, seine Sprachstudien fortzusetzen. 1634 publizierte er eine französische Übersetzung des „Rosengartens“ des in Persien hoch verehrten Dichters Saadi. Man erinnert sich noch heute im Iran verehrungsvoll dieser kulturellen Leistung. Dies ist unter anderem daran zu sehen, dass der persische Eintrag zu du Ryer der längste in der vielsprachigen Wikipedia ist.
Du Ryer machte Karriere im diplomatischen Dienst. Er hatte es bis zum französischen Konsul im ägyptischen Alexandrien gebracht, als er im Jahr 1647 seine Koranübersetzung vorlegte. Eben jene Koranübersetzung, die das MoneyMuseum in einer Ausgabe aus dem Jahr 1685 erwerben konnte.
Viel mehr als eine einfache Übersetzung
André du Ryer verfasste viel mehr als eine einfache Übersetzung, wie es sie durchaus vom Koran bereits gegeben hatte, allerdings nur in den Gelehrtensprachen Latein und Griechisch. Du Ryer leistete echte Grundlagenarbeit, indem er seine Übersetzung von der arabischen Seite her dachte. Er nutzte dafür nämlich nicht seine lateinischen und griechischen Vorgänger aus dem Mittelalter, sondern erarbeitete sich sein Textverständnis, indem er die arabischen Kommentare zum Koran las. So bemühte er sich, den Text aus seinem kulturellen Zusammenhang heraus zu verstehen und übersetzte ihn direkt aus dem Arabischen ins Französische.
Dazu lieferte du Ryer einen kleinen, aber sehr gut beobachteten Überblick zur religiösen Praxis der Türken. Er erwähnt das Fasten im Monat Ramadan, die Beschneidung, die Bedeutung der Pilgerzentren Mekka und Medina, sowie die in Konstantinopel damals heimischen Sufi-Brüderschaften, die als „tanzende Derwische“ die Phantasie seiner Landsleute noch lange anregen sollten.
Außerdem erklärte du Ryer seinen Landsleuten, dass auch die Muslime Jesus anerkennen, zwar nicht als Sohn Gottes, aber doch immerhin als Propheten. Damit bekamen das Christentum und der Islam eine gemeinsame Basis, von der aus man weiterdenken konnte.
Auch wenn die Einleitung ein paar frömmelnde Passagen enthält, die es wohl brauchte, um die Druckgenehmigung zu erhalten, ist du Ryers Sprache frei von Polemik. Damit bot sein Buch einen frischen Blick auf den Islam.
Warum Du Ryers Koran beinahe nicht gedruckt worden wäre
Für uns ist es heute eine Sache der Selbstverständlichkeit, dass jedes Buch erscheinen darf. Im 17. Jahrhundert brauchte es dafür noch eine Erlaubnis von der königlichen Zensur, denn der König beanspruchte für sich das Recht, jedes Buch daraufhin zu überprüfen, ob seine Botschaft nicht staatsgefährdend sei.
Sobald es um religiöse Bücher ging, befragte der Oberzensor den Conseil des Conscience (= Gewissensrat), ein Gremium, das Kardinal Richelieu ins Leben gerufen hatte. Schließlich beanspruchte der König die letzte Entscheidung hinsichtlich aller kirchlichen Belange. Um sich der Unterstützung der Geistlichkeit sicher zu sein, gab er einigen ihrer führenden (und sorgfältig ausgewählten) Vertretern die Möglichkeit allfällige Einwände unverbindlich im Conseil des Conscience zu äußern.
Nun saß im Jahr 1647 der 66-jährige Vincent von Paul in diesem Gremium. Er war nicht nur ein bekannter Ordensgründer, sondern auch eng verbunden mit dem französischen Königshof. Schließlich vertraute ihm die Königinmutter Anna von Österreich als ihrem geistigen Führer. Vincent von Paul erzählte von sich selbst – die heutige Forschung ist nicht sicher, ob diese Geschichte wirklich stimmt -, dass er in seiner Jugend von muslimischen Korsaren gefangen genommen und in die Sklaverei verkauft worden sei. Ein Geschehen, das sein Denken und Fühlen geprägt habe. Vincent von Paul war deshalb entsetzt, dass eine Übersetzung des Koran mit königlicher Erlaubnis erscheinen sollte. Er widersetzte sich diesem Vorschlag mit all seiner Autorität. Der religiöse Beirat sprach sich also dezidiert gegen die Veröffentlichung von Du Ryers Übersetzung aus.
Trotzdem entschied die königliche Zensur, Druck und Vertrieb zu erlauben. Dies ist bemerkenswert, vor allem wenn man daran denkt, wie viele christliche Werke gleichzeitig wegen ihrer unorthodoxen Thesen verboten wurden.
Der Koran: Ein Bestseller der Frühaufklärung
Mindestens genauso bemerkenswert ist es, welch unglaublicher Erfolg du Ryers Übersetzung beschieden war. Bereits zwei Jahre später wurde sie neu aufgelegt. Im gleichen Jahr erschien eine englische Übersetzung. Es folgten Übersetzungen ins Niederländische, ins Deutsche und sogar ins Russische. Zwischen 1647 und 1685, also dem Jahr unserer Ausgabe, wurden 24 verschiedene Ausgaben publiziert. Ein unglaublicher Erfolg für ein religiöses Buch, das eine andere, nicht christliche Wahrheit verkündete!
Was Sie sonst noch interessieren könnte:
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Gekauft haben wir dieses Buch im Antiquariat Canicio in Heidelberg.