Kaum ein kriminalistischer Blockbuster kommt heute ohne Profiler aus. Jene Fallanalytiker, die sozio-ökonomische Merkmale einer Tat auswerten, um so auf den dahinter stehenden Menschen zu schließen. Dass man nach dem Handeln einer Person auf sein Inneres rückschließen kann, erscheint uns heute selbstverständlich.
Das war es aber nicht immer. Seit der Antike beschäftigte Mediziner wie Philosophen die Frage, ob und welche Gesetzmäßigkeiten dem Menschen zugrunde liegen. Einer von denen, die eine Antwort (ver)suchten, war Johann Caspar Lavater. In seinem Hauptwerk „Physiognomische Fragmente zur Beförderung der Menschenkenntnis und Menschenliebe“ erklärte er, die äußere Form eines Menschen sei direkter Ausdruck seines Charakters. Der Theologe, Philosoph und Pädagoge verstand die Gesichtsbildungen als „Buchstaben des göttlichen Alphabets“, die man nur vermessen und entziffern müsse.
Lavater entwickelt hier eine Idee weiter, die schon die alten Griechen kannten. Als Ideal galt ihnen die „Kalokagathia“, der Ausdruck höchster sittlicher Werte in einem makellosen Körper. Ungeachtet dieser prominenten Vordenker ist der Zürcher Gelehrte Lavater mit seinen Thesen in die Kritik geraten. Nach anfänglicher Sympathie wandte sich Goethe von ihm ab, und der Göttinger Professor Georg Christoph Lichtenberg griff ihn in satirischen Gegenschriften sogar öffentlich an.
Beim breiten Publikum aber trat Lavater einen Trend los. Ganze Abendgesellschaften diskutierten plötzlich über die Züge berühmter Persönlichkeiten. Als Anschauungsmaterial dienten Schattenrisse, die man als neues Sammelgebiet entdeckte.
Ob auch Charles Darwin Freude an Schattenrissen hatte, wissen wir nicht genau. Sicher ist aber, dass er die Gedanken von Johan Caspar Lavater aufnahm. Auch ihn interessierte das Konzept des Menschen als belebte Maschine. So untersuchte er, wie und warum sich Emotionen im Körper, vor allem im Gesicht, ausdrücken.
Auch die Anthropologie und die Biometrie des 19. Jahrhunderts griffen Lavaters Theorien auf. Auf der Basis unzähliger Vermessungen besonders von Schädeln entstanden umfangreiche Statistiken. Im Zuge der Rassentheorien dienten sie dazu, die vermeintliche Schönheit und Überlegenheit einzelner Arten oder Gruppen zu belegen. Einen traurigen Höhepunkt fand dies in der wahnhaften Nazi-Ideologie im Dritten Reich.
In der Wissenschaft spielt die Physiognomie, wie sie Lavater meinte, heute kaum noch eine Rolle. Zu wenig objektivierbar scheinen die Kriterien, zu groß der Spielraum für Interpretationen.