Als Adam Smith im Jahr 1723 im schottischen Kirkcaldy geboren wurde, war Großbritannien ein Land, das sich ganz anders entwickelt hatte, als die Monarchien des Kontinents. Schließlich hatten die britischen Politiker zu diesem Zeitpunkt bereits zweimal einen ausländischen Monarchen ins Land geholt, der ihnen - im Austausch für die Herrschaft - vertraglich zugesichert hatte, alle Privilegien und Bräuche der britischen Oberschicht zu achten. So war ein Kompromiss zwischen König und Parlament entstanden, der die wichtigsten Entscheidungen nicht in den Händen des Monarchen beließ, sondern in die der Politiker legte. Und die rekrutierten sich nur zum Teil aus dem alten Erbadel. Im House of Commons saßen die erfolgreichen Unternehmer. Denn natürlich gab es damals auch in Großbritannien kein allgemeines Wahlrecht. Die Möglichkeit, seinen Abgeordneten zu bestimmen, war an den Besitz gebunden, so dass der Kreis der Wähler relativ klein und berechenbar blieb. In diesen Kreis konnte aber jeder freie Engländer, Schotte, Ire oder Walliser aufsteigen, wenn er mit Fleiß, Wagemut, Ideen und Unternehmungsgeist ein Vermögen erworben hatte.
Diese Zusammensetzung der staatlichen Entscheidungsträger brachte ein ganz anderes Verständnis mit sich, was denn nun eine Nation sei. Während in Frankreich ein Herrscher von sich behaupten konnte, dass er identisch sei mit dem Staat, verstand die britische Oberschicht ihre Nation als eine Vereinigung der Leistungsträger, die von denen geleitet wurde, die eben diese Nation vorangebracht hatten. So konnte das Gewinnstreben zum entscheidenden Maßstab der britischen Politik werden. Es war der Philosoph Adam Smith, der für diesen neuen "Way of Life" die moralische Rechtfertigung formulierte.
Uns gilt sein am 9. März 1776 veröffentlichtes Werk "An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations" - zu Deutsch "Eine Untersuchung über die Natur und die Ursachen des Reichtums einer Nation" - als Beginn der Wirtschaftswissenschaften. Wir feiern Adam Smith als den ersten klassischen Nationalökonomen und Begründer des Wirtschaftsliberalismus. Er wurde so oft zitiert, dass er nach Karl Marx der am häufigsten erwähnte Ökonom der Epoche vor 1950 wurde, aber vielleicht haben wir durch den unglaublichen Widerhall, den sein Werk fand, dessen Einfluss etwas überschätzt. Vielleicht war es gar nicht so, dass Adam Smiths Theorien die Welt veränderten, sondern vielleicht wurden seine Theorien nur deshalb so häufig rezipiert, weil sich die Welt verändert hatte.
Artikeltext:
Ein Moralphilosoph namens Adam Smith
Aber zurück zu Adam Smith. Er stammte zwar aus gutem, aber nicht aus wohlhabendem Hause, so dass er es durchaus nötig hatte, seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Deshalb besuchte er die Universität in Glasgow und Oxford, um die Kenntnisse zu erwerben, die für eine führende Position in der Verwaltung oder der Privatwirtschaft als unerlässlich galten. Es war für ihn eine mittlere Katastrophe, dass er 1746, nach seiner Rückkehr ins heimatliche Schottland keine Anstellung fand. Dank der Verbindungen seiner Familie erhielt er wenigstens die Chance, öffentliche Vorlesungen in Edinburgh zu halten. Das Ziel war, sein Publikum mit diesen Vorträgen derart zu faszinieren, dass man ihm eine Professur geradezu anbieten musste. Glücklicherweise war Smith ein hervorragender Redner und hatte ein Gefühl für die Fragen der Zeit. So berief ihn die Universität von Glasgow 1751 zum Professor für Logik, 1752 für Moralphilosophie. Darunter verstand man damals ein Fach, in dem man über alle Fragen des Lebens nachdenken konnte, von der Theologie, über das rechte Verhalten des einzelnen, bis hin zu wirtschaftlichen Zusammenhängen.
Adam Smith war ein pädagogisch begabter und deshalb äußerst beliebter Professor. Das verschaffte ihm die Chance seines Lebens: Der schottische Politiker Charles Townshand bot ihm an, sein gerade 18jähriges Mündel Henry Scott, seines Zeichens 3. Duke of Buccleugh, 5. Duke of Queensberry und einer der reichsten Landbesitzer Englands, als Tutor auf seine Grand Tour zu begleiten. Dafür sollte er nach seiner Rückkehr eine jährliche Rente in Höhe von 300 Pfund einstreichen, eine Summe, von der eine Familie auskömmlich leben konnte. Smith sagte zu und reiste mit im Gefolge des schottischen Hochadligen.
Er mag sich davon geistige Anregung versprochen haben. Doch 1764 blieb die Reisegesellschaft ein ganzes Jahr in Toulouse. Adam Smith sprach damals erst gebrochen Französisch, so dass er kaum Kontakt zu den gebildeten Salons fand. Er langweilte sich und widmete seine überflüssige Zeit einer lange gehegten Idee: Alle damals kursierenden Theorien der modernen Ökonomie in einem Buch zusammenzufassen.
Sein Stoff waren also erst einmal bereits publizierte Abhandlungen. Sobald er Französisch gelernt hatte, kam das hinzu, was er in den Gesprächen mit den bedeutendsten Aufklärern des Landes hörte. Denn dem Tutor eines schottischen Hochadligen standen alle Türen offen. Er verkehrte mit Philosophen wie Voltaire, Diderot und d'Alembert und Politikern wie Benjamin Franklin. Wichtiger für sein Werk dürften allerdings die Gespräche mit Anne Robert Jacques Turgot gewesen sein. Der war damals der innovativste Ökonom Frankreichs und wurde 1774 zum Wirtschaftsminister Ludwigs XVI. berufen. Noch heute liest man gelegentlich, er hätte die Französische Revolution verhindern können, wäre er nicht schon 1776 wieder abgesetzt worden. Sein Nachfolger im Amt wurde der Genfer Bankier Jacques Necker, ebenfalls ein bevorzugter Gesprächspartner von Adam Smith. Und zuletzt sei noch François Quesnay genannt, der seine große Theorie des Mehrwerts sicher auch mit Adam Smith diskutierte.
Sie alle kämpften damals gegen den Merkantilismus, resp. wie er in Deutschland genannt wurde, den Kameralismus, dessen einziges Ziel es war, die Staatskasse zu vergrößern. Absolute Monarchen wie Ludwig XIV. von Frankreich hatten es nämlich verstanden, dass ihnen ihre Wirtschaftspolitik das notwendige Einkommen verschaffen konnte, um ihre Machtpolitik zu finanzieren. Grundpfeiler des merkantilistischen Denkens war es, den Export einer Nation zu steigern, um den Import zu verhindern. Und das brachte für den privaten Bürger zahlreiche Nachteile mit sich. So wurden die in einem Land hergestellten Produkte durch die hohen Zölle der Nachbarländer dort praktisch unverkäuflich. Die heimischen Absatzmärkte waren häufig zu klein, um eine Massenproduktion rentabel zu machen. Und das bedeutete unnötig hohe Preise für den Privatkunden, um die Machtpolitik seines Staates zu finanzieren.
Genau dagegen richtete sich Adam Smiths Werk. Es war eine Absage an die Staatskasse, eine Verteidigung des privaten Gewinnstrebens und genau das, was damals jeder gebildete Mensch dachte. Adam Smith fasste die kursierenden Thesen zusammen, systematisierte sie und stellte den Politikern damit eine Bibel der Wirtschaftswissenschaft zur Verfügung, die sie zitieren konnten, um einen ihrer Vorschläge wissenschaftlich zu begründen. Deshalb wurde Smiths Werk so häufig verkauft, und das obwohl es den damals enormen Preis in Höhe von einem Pfund 16 Schillingen kostete!
Die erste Auflage war innert sechs Monaten restlos ausverkauft. Der Verleger musste nachdrucken, allein bis zum Tod von Adam Smith noch fünf Mal. Insgesamt 5.000 Exemplare seines Werks waren beim Tod von Adam Smith verkauft. Dazu erschienen die beiden Bände 1776 resp. 1778 in deutscher, 1778 und 1779 in französischer, 1779 und 1780 in dänischer Sprache. Es folgten Übersetzungen ins Holländische, Italienische, Spanische und Russische. Mit anderen Worten, Adam Smiths Thesen gehörten bald in ganz Europa zum wirtschaftlichen Allgemeingut.
Was waren nun aber seine Thesen? Das werden wir uns jetzt genauer ansehen.
Das Prinzip Massenproduktion
Adam Smith beginnt sein Werk mit dem Kapital "Of the Causes of Improvement in the productive Powers of Labour" (= Über die Ursachen der Verbesserung hinsichtlich der produktiven Kräfte der Arbeit). Er behandelt darin ein damals höchst modernes Phänomen, nämlich die Massenproduktion. Als Beispiel nutzt er Informationen aus der französischen Encyclopédie zur Herstellung von Nähnadeln. Er führt aus, dass eine einzelne, nicht geschulte Person an einem Tag höchstens einige wenige Nadeln herstellen könne, während eine spezialisierte Manufaktur mit zehn Arbeitern 48.000 Nadeln pro Tag produziere, also 4.800 Nadeln pro Person. Durch die Arbeitsteilung könne jeder Bürger eines Landes Nähnadeln wesentlich günstiger kaufen, als wenn er sie selbst herstellen müsste, ein entscheidender Vorteil für den Käufer. Aber auch der Produzent gewinnt, denn er verdient an der Manufaktur und kann so Kapital erwerben, das er in neue Unternehmungen stecken wird. Aber dazu später mehr.
Der Mensch als Händler
Adam Smith postuliert, dass die Wirtschaft auf einer urmenschlichen Eigenschaft beruhe, nämlich auf dem menschlichen Drang, Handel zu treiben. Dafür habe der Mensch sogar ein eigenes Medium erfunden, das Geld. Es erleichtere den Handelsaustausch, sofern die Regierung es nicht - was möglichst zu vermeiden sei - für ihre eigenen Manipulationen zu Gunsten der Staatskasse benutze. Zwar lagen die Währungsmanipulationen eines John Law bereits mehrere Jahrzehnte zurück, aber sein Papiergeld wurde in Frankreich immer noch als abschreckendes Beispiel zitiert.
Smith sieht den Menschen als gewinnorientiert. Der Umfang seines Handels werde einzig durch die Größe seines Marktes eingeschränkt. Deshalb seien die Regionen, die über die besten Transportwege verfügten, am weitesten entwickelt und hätten bereits die Arbeitsteilung eingeführt. Abgelegene Gegenden würden dagegen noch nach veralteten Methoden produzieren und so immer weiter ins wirtschaftliche Abseits geraten.
Heute sehen wir sofort, wo das Problem bei Adam Smith liegt: Er deutet die Werte der damals in Großbritannien herrschenden Schicht als grundlegendes Charakteristikum des Menschen. Unsere Welt hat sich gewandelt und die Ideale der Autarkie und Selbstgenügsamkeit neu entdeckt. Smiths Postulat vom menschlichen Bedürfnis der Gewinnoptimierung hat uns an die Grenzen des Wachstums geführt.
Der Lohn als Basis der Kalkulation
Natürlich waren auch in Großbritannien zur Zeit von Adam Smith nicht alle Einwohner Unternehmer. Wie sollte er nun die mittel- und besitzlose Unterschicht in sein System integrieren? Smith macht ihre Arbeitskraft zu einem Gut, das jeder Mensch in den großen Tauschhandel einbringt: Der Arbeiter tauscht diese Arbeitskraft gegen Geld und ist damit genauso der Konkurrenz unterworfen wie alle Produzenten. Der freie Markt, also Angebot und Nachfrage, bestimmen seinen Lohn.
Smith unterscheidet grundsätzlich zwei soziale Schichten: Diejenigen, die Arbeitskraft kaufen können, und diejenigen, die ihre Arbeitskraft zu Markte tragen müssen. Diese beiden Schichten haben entgegengesetzte Interessen. Der Arbeiter möchte einen möglichst hohen Lohn für seine Arbeit. Der Gewinn des Produzenten hängt aber von möglichst niedrigen Produktionskosten ab: je niedriger der Lohn, umso niedriger die Produktionskosten und umso höher der Profit.
Nun bestimmt aber die Höhe des Profits, wohin das freie Kapital fließt. Hohe Profite veranlassen viele Kapitalisten - damals noch alles andere als ein Schimpfwort -, ihre Gelder in einer bestimmten Region anzulegen. Dies führt zu niedrigen Zinsen, die ihrerseits mehr Unternehmer veranlassen, dort große Investitionen zu tätigen.
Deshalb ist es für Smith so entscheidend, dass eine Regierung sich nicht in Lohnverhandlungen einmischt. Eine Intervention zu Gunsten der Arbeiter könnte den Kapitalzufluss behindern. Noch schlimmer seien Monopole und privilegierte Handelsgesellschaften, weil die damit verbundenen Preisabsprachen den freien Markt und den Profit beschränken. Mindestens genauso schädlich seien Absprachen unter Arbeitern. Und die müsse die Regierung deshalb strengsten unterbinden. Und hier lässt der Manchesterkapitalismus grüßen.
Natürlicher Preis, Marktpreis und Rendite: Ein Regelkreis
Wenn aber niemand sich einmischt, dann wird der Markt auf wundersame Weise alles selbst regeln. Das erklärt Adam Smith im zweiten Kapitel seines Buchs. Es trägt den Titel "Of the Nature, Accumulation, and Employment of Stock", zu Deutsch also "Über die Natur, Anhäufung und den Einsatz von Kapital.
Definieren wir zunächst, was Kapital für Smith überhaupt bedeutet. Er beschreibt es als den Teil eines Vermögens, der über das hinausgeht, was ein Mann für den Erhalt seiner Familie und seiner eigenen Arbeitskraft einsetzen muss. Diesen Teil kann er nutzen, um sich durch kluge Investition ein zusätzliches Einkommen zu verschaffen. Dazu stellt er das "überflüssige" Geld einem Unternehmer zur Verfügung, der damit Investitionen tätigt, die einen regelmäßigen Gewinn erwirtschaften.
Die Rendite des investierten Kapitals ist also Teil dessen, was Adam Smith als den "natürlichen" Preis eines Produkts beschreibt. Zu Rohstoffen, Herstellungs- und Arbeitskosten kommt die Rendite auf das in einen Betrieb investierte Kapital.
Nun steht aber dem "natürlichen" Preis der Marktpreis gegenüber, also der Preis, den ein Produkt auf dem Markt erzielt. Und hier setzt der Regelkreis des freien Marktes an: Liegt der Marktpreis eines bestimmten Produktes weit über dem "natürlichen" Preis, entstehen hohe Profite. Sie locken viele Unternehmer in diese Branche. Sie erhalten günstige Kredite von Investoren, die hohe Profite erwarten. So vermehren sich die Produzenten und damit das Angebot, während die Nachfrage gleichbleibt. Die Folge: der Marktpreis sinkt.
Umgekehrt ziehen sich bei einem Marktpreis, der unter oder nur gerade eben knapp über dem "natürlichen" Preis liegt, Produzenten und Investoren aus einer Branche zurück. Das Angebot geht zurück, während die Nachfrage gleichbleibt. Die Folge: der Marktpreis steigt.
So balanciert sich der Markt ständig selbst aus, um die Nachfrage optimal zu befriedigen.
Der Denkfehler im Regelkreis
Was Adam Smith noch nicht kannte, war der Effekt, den Werbung erzielt. Er konnte sich nnicht vorstellen, dass Menschen alles, was sie brauchen, bereits besitzen und deshalb mittels Werbung veranlasst werden müssen, über ihren eigenen Bedarf hinaus zu kaufen. In einer Welt, in der das Selbstverständnis ganzer Konsumentengenerationen vom Besitz eines Markenprodukts abhängt, funktioniert der Regelkreis von Adam Smith nicht. Wie sollte er auch? Er wurde für eine Gesellschaft entworfen, in der viele Menschen nicht einmal ihre Grundbedürfnisse befriedigen konnten.
Wie man den allgemeinen Wohlstand befördern kann
Vor allem in Schottland gab es zu seiner Zeit noch viele ärmliche und zurückgebliebene Regionen. England mit seinen Fabriken und Handelszentren erlebte Adam Smith dagegen als fortgeschritten. Er erklärt diesen Unterschied mit der Dominanz der Landwirtschaft in Schottland, die sich in seinen Augen nicht für eine arbeitsteilige Produktion eigne. Smith identifiziert aber noch weitere Gründe, die ein ökonomisches Wachstum behindern. Er erläutert sie in seinem dritten Kapitel mit dem Titel "Of the different Progress of Opulence in different Nations" (= Über den abweichenden Fortschritt hinsichtlich des Wohlstands in unterschiedlichen Nationen).
Für ihn ist die Aufhebung der Grenzen das Geheimnis des Wohlstands. Um seine These zu untermauern, greift er auf die Geschichte zurück. Es sei den Bürgern unter den Römern viel besser gegangen als im Frühmittelalter, und zwar weil während des römischen Reichs der Warenaustausch zwischen Stadt und Land funktioniert habe. Die egoistische Abgrenzung einzelner Bauerngehöfte im Frühmittelalter habe dagegen zu einem Rückgang des Wohlstands geführt.
Diese Argumentation ist ein Seitenhieb auf die Forderungen merkantilistischer Theoretiker. Mit dem historischen Beispiel versucht Smith, die hohen Zollschranken ad absurdum zu führen, die merkantilistische Ökonomen damals für alternativlos hielten.
Was kann ein Staat tun, um den Wohlstand zu fördern
Deshalb plädiert Adam Smith in seinem Kapitel "Of Systems of political Economy" (= Über Systeme einer politischen Ökonomie) für den freien Handel. Er fordert nicht nur eine Abschaffung der Grenzzölle, sondern hält jegliche Einmischung eines Staates für schädlich. Dies ist sein entscheidender Paradigmenwechsel. In ihm wurzelt unsere Vorstellung von der "unsichtbaren Hand" des Marktes, dessen Mechanismen zum Besten aller zusammenwirken.
Smith selbst hat diesen Begriff übrigens in einem völlig anderen Zusammenhang benutzt. Das Zitat lautet im ursprünglichen Kontext: "Er wird in diesem wie auch in vielen anderen Fällen von einer unsichtbaren Hand geleitet, um einen Zweck zu fördern, den zu erfüllen er in keiner Weise beabsichtigt hat." Damit bezieht sich Smith auf den Unternehmer, dessen Eigeninteresse mit dem allgemeinen Wohl zusammenfällt.
Weil nun Eigeninteresse und öffentliche Wohlfahrt sowieso zusammenfallen, hält Smith jegliches Eingreifen des Staates nicht nur für unnötig, sondern für schädlich. Ineffizienz und damit verbunden höhere Preise sind seiner Meinung nach die Folge von staatlichen Interventionen. Ein Staat solle sich stattdessen lieber darauf konzentrieren, Frieden und Rechtssicherheit zu gewährleisten. Und er möge mittels eines effizienten Erziehungssystems dafür sorgen, dass der Industrie genügend gut gebildete Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Exporte könne man ja fördern, aber lediglich durch steuerliche Erleichterungen und Prämien. So steigere man die eigene Warenproduktion und verhindere den Kapitalabfluss ins Ausland.
Hier wird noch einmal der von Smith vollzogene Paradigmenwechsel augenfällig: Während der merkantilistische Staat eine Wirtschaftspolitik betrieb, die ihm die Mittel verschaffte, Einfluss und Staatsgebiet zu vergrößern, forderte Smith vom Staat, sich gefälligst zurückzuhalten, um seine Bürger nicht daran zu hindern, reich zu werden.
Die soziale Frage
Wir wissen heute, zu welcher Ausbeutung es führen kann, wenn der Staat sich völlig aus der Steuerung des Marktes zurückzieht. Wieder einmal sollten wir nicht vergessen, dass Smith nicht den Manchesterkapitalismus vor Augen hatte, als er sein Werk schrieb, sondern den nach merkantilistischen Grundsätzen organisierten französischen Staat, der auf seinen wirtschaftlichen Ruin und die soziale Revolte zusteuerte.
Smith glaubte an das Gute im Menschen. Er glaubte an eine Gesellschaft, die durch ihre moralischen Standards das Verhalten des einzelnen beeinflussen könne und müsse. Immerhin verdankte er seinen ersten Erfolg einem Buch über die Theorie der ethischen Gefühle. In "Wealth of Nations" forderte er ausdrücklich, dass der Lohn eines Arbeiters ausreichen müsse, um ihn und seine Familie zu ernähren. Und er widmete ausführliche Überlegungen der Frage, wie man die Armut in Schottland bekämpfen könne. Smith wäre wahrscheinlich selbst entsetzt, wenn er wüsste, dass mit seiner Theorie vom freien Markt soziale Rücksichtslosigkeit und Gefühlskälte begründet wurde und wird.
Steuern, Abgaben und die Staatskasse
Kommen wir zurück auf die Rolle des Staates, mit der sich Smith natürlich auch beschäftigt. Wie soll der an die für seinen Unterhalt notwendigen Mittel kommen? Diese Frage wird im fünften und letzten Kapitel beantwortet. Es trägt den Titel "Of the Revenue of the Sovereign or Commonwealth" (= Über das Einkommen eines Herrschers oder des Gemeinwesens).
Darin stellt Adam Smith vier Richtlinien für eine gerechte Besteuerung auf, die heute noch jeder Bürger unterschreiben würde: Besteuerung müsse proportional, transparent, bequem und effizient sein. Ob Smith die Idee einer progressiven Besteuerung vertrat? Einige seiner Anhänger wollen es aus seinen Worten schließen.
Staatsschulden lehnt Smith grundsätzlich ab. Er kennt das Problem, dass insbesondere Demokratien dazu tendieren, ihre Schulden nie zurückzuzahlen. So schieben sie immer größere Schuldenberge vor sich her, deren Zinsen einen immer größeren Teil der Steuermittel auffressen. Politiker, so erklärt er, nutzen Gelder lieber dafür, sich die Gunst der Wähler zu sichern als zur Schuldenrückzahlung.
Ein idealer Staat, so Smith, erfülle die Rolle eines Schiedsrichters. Er hält alle Eigeninteressen im Staatsgebilde zusammen. Dabei übersah Smith allerdings ein grundsätzliches Problem: In einem Staat wie Großbritannien, in dem damals die Politik von denen bestimmt wurde, die das größte Interesse an einer Förderung des Unternehmers und einer Unterdrückung des Arbeiters hatten, wurde der Unternehmer gefördert und der Arbeiter unterdrückt.
Schottische Aufklärung
Adam Smith musste nicht mehr erleben, welche Schattenseiten der Wirtschaftsliberalismus in Verbindung mit der Industrialisierung für seine benachteiligten Mitbürger mit sich brachte. Er freute sich an den Fortschritten, die es seiner Heimat Schottland ermöglichten, mit dem benachbarten England gleichzuziehen. Denn dank unternehmerischer Landbesitzer und Adliger, die in eine aufkommende Industrie investierten, wuchs der Wohlstand in Schottland exponentiell. Zum Zentrum des Fortschritts entwickelte sich die Royal Society of Edinburgh, wo Mitbegründer Adam Smith mit dem Philosophen David Hume, mit Adam Ferguson, Vater der Soziologie, dem etwas jüngere James Watt, Erfinder der Dampfmaschine, oder mit James Hutton, Begründer der modernen Geologie, diskutierte.
Adam Smith starb am 17. Juli 1790 in Edinburgh. Sein Buch wurde unsterblich.