Er kommt geheimnisvoll daher, dieser Tractatus mago-cabbalistico-chymicus et theosophicus, den ein „Liebhaber der Ewigen Wahrheit“ verfasste. Er handelt von dem Ursprung, der Natur und den Eigenschaften des Salzes. Doch das ist nicht alles. Der Tractatus weist weit über sein Thema hinaus. Er berichtet „von dem Ursprung aller Wesen“, „von dem Ort des Paradieses“, „von der Schöpfung und Erhaltung der sichtbaren Welt“ und last but not least „von der zukünftigen Verwandlung zur ewigen Vereinigung mit Gott“ also kurz gesagt von dem, was die Welt im Innersten zusammenhält. So jedenfalls beschrieb es Goethe, der diesen Tractatus für seinen Faust aufmerksam studierte.
Stellt man sich den Autor dieses Buches nun als verkrüppeltes Männlein vor, das da in seiner Hexenküche über brodelnden Töpfen sitzt, um den Stein der Weisen, das Elixier des ewigen Lebens oder noch besser Gold zu finden, dann hätte man sich gründlich getäuscht. Georg von Welling (1655-1727) verdiente sein Gehalt als Montaningenieur. Spätestens seit 1705 arbeitete er als Bergbaudirektor im silberreichen Hasserode. 1717 übernahm er die Leitung aller Bergwerke des Herzogtums Württemberg.
Welling stand also mit beiden Beinen im Leben. Und doch machte er sich seine Gedanken darüber, wer die Wunder, die er unter Tage sah, geschaffen habe. Die Deutungen, die eine aufgeklärte Wissenschaft ihm bot, genügten ihm nicht. (Uns würden die damaligen Theorien übrigens auch nicht überzeugen.) Welling interpretierte die Natur als einen Abglanz der göttlichen Schöpfung. Dies formulierte er, wahrscheinlich eher für sich selbst, in seinem Tractatus über das Salz auf Basis des überlieferten Wissens der Alchemie. Er war ein glänzender Autor. Seine Überlegungen waren in sich schlüssig und befeuerten eine Bewegung, die dem Rationalismus der Aufklärung ein mystisches Weltbild entgegensetzte: Die Theosophie.
Einer ihrer glühendsten Vertreter war der religiöse Schwarmgeist Samuel Richter. Irgendwie lernte er Georg Welling kennen, bekam das Manuskript in die Finger und veröffentlichte es im Jahre 1719 gegen den Willen des Autors. Es wurde ein riesiger Erfolg! Allerdings nicht für Welling.
Das Buch traf den Zeitgeist. Es ermöglichte einem frommen Menschen, das, was ihm die modernen Wissenschaften über die Natur verrieten, mit der göttlichen Schöpfung in Verbindung zu bringen. Das Buch illustrierte die Möglichkeit einer mystischen Vereinigung mit Gott über die Wahrnehmung der Natur. Auch wenn einige Aufklärer Wellings Buch als Ansammlung absurder Phantastereien abwerteten, wurde er von vielen anderen mit Begeisterung gelesen. 1729 gab es eine zweite Auflage von seinem Tractatus, das Buch, das uns hier vorliegt.
Ob man Welling nach dem Bekanntwerden seines Buchs in Württemberg nahe legte, seine Arbeitsstelle aufzugeben? Wir wissen es nicht. Was wir wissen ist, dass Welling 1720 nach Pforzheim ging, wo seine Söhne einen Kontakt mit dem Markgrafen von Baden herstellten. Der interessierte sich für die Alchemie. 1721 erhielt Welling eine Stelle, aber schon ein Jahr später wechselte er nach Ansbach, wo er ebenfalls nicht allzu lange blieb.
Mit fast 70 Jahren zog Georg von Welling nach Bockenheim, wo er seine alchemistischen Studien fortgesetzt haben soll. Vielleicht wäre es ihm lieber gewesen, in diesem Alter als gut bezahlter Montaningenieur ein regelmäßiges Gehalt zu beziehen. Aber diese Karriere hatte ihm sein publizistischer Erfolg anscheinend verwehrt.
Deshalb dürfte es ihm ziemlich gleichgültig gewesen sein, dass die Bewegung der Gold- und Rosenkreuzer sein Buch noch lange nach seinem Tod im Jahre 1727 als wichtiges Lehrbuch benutzte.
Wenn Sie sich selbst ein Bild darüber machen wollen, was Georg Welling geschrieben hat, schauen Sie sich das gesamte Manuskript auf der Seite der Bayerischen Staatsbibliothek digital an.
Exakt ein Jahrhundert nach dem Tractatus erschien E. T. A. Hoffmanns Bergwerk zu Falun, das die Welt unter Tage ebenfalls nicht naturwissenschaftlich, sondern romantisch deutet. Die Novelle ist immer noch lesenswert.
Wenn Sie wissen wollen, wie zur Zeit Wellings das Silber abgebaut wurde, dann schauen Sie sich das Video „Bergbaugepräge“ an, das mit Hilfe von zeitgenössischen Münz- und Medaillenbilder einen Einblick in dieses Handwerk gibt.