„Stolz und Vorurteil“ ist, wie einige Kritiker sagen, wenn auch nicht Jane Austens bester, so doch ihr mit Abstand populärster Roman. Schon zu Lebzeiten wird er äußerst positiv aufgenommen. Der berühmte schottische Schriftsteller von historischen Romanen wie „Ivanhoe“ oder „Rob Roy“, Sir Walter Scott, schreibt in sein Tagebuch: „Abermals und mindestens zum drittenmal Miss Austens sehr schön geschriebenen Roman ‚Stolz und Vorurteil‘ gelesen. Diese junge Dame hat eine Begabung, die Verwicklungen, Gefühle und Gestalten des Alltagslebens zu schildern, wie ich sie wunderbarer noch nie kennengelernt habe. Die heroische Ader habe ich selbst so gut wie irgendein anderer; aber dieser zarte Pinselstrich, der gewöhnliche, alltägliche Dinge und Menschen durch die Wahrhaftigkeit von Schilderung und Gefühl interessant macht, ist mir versagt.“
Dass sich der Roman auch dem Innenleben seiner Figuren zuwendet, ihren Gefühlen und geheimen Leidenschaften, ist eine Erfindung des 18. Jh. Jane Austens Romane fallen in eine Zeit, die sowohl vom Sittenroman, als auch von der Idee der Empfindsamkeit geprägt ist, doch darf man sie keineswegs als „sentimental“ im Sinne von gefühlsduselig und tränenreich missverstehen. Anders als der damals noch sehr verbreitete Briefroman, in dem die Figuren einander ihr Herz unvermittelt ausschütten können, lässt Austen einen allwissenden Erzähler auftreten. Der kann mit Abstand auf die Figuren schauen, ihr Verhalten ironisch kommentieren und den Leser auf Schwächen wie Eitelkeit, Dummheit oder Gier hinweisen. Interessanterweise war vielen Viktorianern der Roman sogar nicht weiblich genug, man fand Austen würde sich zu viel kühler Ironie bedienen.
Dass erklärt vielleicht, warum es sich hier also gar nicht unbedingt um einen „Frauenroman“ handelt, auch wenn das ein im 21. Jh. häufig angetroffenes Vorurteil ist. Der Roman, der heutzutage als „Mutter der Chick Lit“ (umgangssprachliche Bezeichnung für anspruchslose Frauenliteratur, meist Liebesgeschichten) gilt, wird über die Jahre von erstaunlich vielen bedeutenden Männern gelesen. Darunter Literaten wie R.L. Stevenson, Alfred Tennyson, W.H. Auden oder Vladimir Nabokov, aber auch Politiker. Churchill hat angeblich zu „Stolz und Vorurteil“ gegriffen, wann immer er sich von all dem Stress des zweiten Weltkriegs erholen wollte.
Von der über Jahrhunderte ungebrochenen Beliebtheit des Romans zeugen zahllose Prequels und Sequels, also Vorläufer bzw. Fortsetzungsgeschichten, Adaptionen in Bild und Ton, Jane Austen Societys auf der ganzen Welt, Mottopartys mit entsprechenden Kostümen, ebenso wie allerlei mit Zitaten geschmückte Tassen, T-Shirts und Kissenbezüge. Die BBC Mini Series von 1995 etwa ist das erfolgreichste Historiendrama, das die BBC je gemacht hat. Neuerzählungen schildern die Geschichte häufig aus einer anderen Perspektive, z.B. aus der der Bediensteten („Longbourn“). Sogar der Jane Austen Krimi darf nicht fehlen, siehe Bücher wie „The Phantom of Pemberley“ oder „Murder at Longbourn“. Doch am spektakulärsten sind waghalsige literarische Experimente wie „Pride and Prejudice and Zombies“, indem die Liebesgeschichte eine parodistische Liaison mit dem Horror-Genre eingeht. Das Buch war so erfolgreich, dass es inzwischen nicht nur eine Verfilmung, sondern sogar ein Prequel zum Film gibt. Ein Roman von 1813 also, dessen Stoff parodistisch mit Zombies gekreuzt wird, was wiederum verfilmt wird, was wiederum so erfolgreich ist, dass es einen neuen Film zum Film gibt. Der über 200 Jahre alte Stoff von „Stolz und Vorurteil“ scheint eine schier unendliche Goldgrube zu gleichen – und das nicht nur in Hollywood: Eine Erstausgabe des Romans wurde kürzlich für £ 140.000 bei einer Auktion versteigert.