Von wegen Märchenprinzen und Traumhochzeiten! Man muss kein großer Geschichtsexperte sein um zu wissen, dass dynastischen Ehen im Hochadel nicht aus Liebe geschlossen wurden. Ein guter Stammbaum, die politischen Interessen der Eltern oder der Ruf, aus einer sehr fruchtbaren Familie zu kommen – das waren die Faktoren, nach denen man Ehen schloss. Man konnte von Glück sprechen, wenn sich die Brautleute halbwegs sympathisch fanden und im Rahmen ihrer zweckdienlichen lebenslangen Verbindung irgendwann aneinander gewöhnten. Heute geht es um ein Pärchen namens Georg und Caroline, bei denen das leider ganz und gar nicht so war.
Artikeltext:
Ein Trauerspiel
Drei Tage vor ihrer Hochzeit 1795 trafen die beiden Brauleute erstmals aufeinander – er, der in die Jahre gekommene Kronprinz, der sehnsüchtig darauf wartete, als Georg IV. irgendwann endlich englischer König zu werden, und sie, Caroline von Braunschweig-Wolfenbüttel, seine Cousine. Schon die Schilderungen ihres Kennenlernens und ihrer Hochzeit lesen sich tragikomisch. Sie waren sich sofort herzlich unsympathisch. Er ließ sie nach einigen ausgetauschten Sätzen kommentarlos stehen, weil sie so gestunken haben soll; Sie tat kund, dass ihr Zukünftiger deutlich fetter sei als auf den Portraits, die man ihr gezeigt hatte. Den Hochzeitstag war der Bräutigam sturzbetrunken und verbrachte die Hochzeitnacht im Kamin statt bei seiner Frau. Eine Traum-Ehe würde das nicht werden, das war schnell klar. Doch der dynastischen Pflicht musste genüge getan werden. Nach einem Jahr Ehe und angeblich nur einem einzigen „Vollzug“ war das der Fall: eine Tochter war geboren. Da diese Erwartung nun erfüllt war, lebte das Paar die nächsten 25 Jahre endlich glücklich und zufrieden – nämlich getrennt voneinander.
Endlich König… und Königin?
1820 war die lange Zeit des Wartens für Georg endlich vorbei. Sein lange geistig umnachteter Vater Georg III. starb, Kronprinz Georg wurde mit 58 Jahren König Georg IV. Es gab für ihn nur ein Problem: diese lästige Dame von vor 25 Jahren, die die letzten Jahre im Ausland zugebracht hatte und nun zurückkam, um an seiner Seite Königin zu werden. Georg wollte dies unbedingt verhindern. Nun war 1820 nicht mehr 1536, eine Enthauptung unter fadenscheinigen Vorwürfen wie zur Zeit Heinrich VIII. war nicht mehr möglich. Ein triftiger Scheidungsgrund musste her – Ehebruch nämlich. Jahrelang hatte der Kronprinz seine durch Europa reisende „Frau“ von Spionen verfolgen lassen, um dafür Beweise zu finden. Allerdings kam eine herkömmliche Scheidungsklage nicht in Frage, denn wie allgemein bekannt war, war der Kronprinz selbst enorm umtriebig. Das offizielle Bekanntwerden seiner heimlichen, verfassungswidrigen Ehe aus Jugendtagen mit einer Katholikin (!), mit der er immer noch zusammenlebte (!), hätte den König bei so einem Prozess gar den Thron kosten können. Daher wandten Georg und seine Parteigänger einen Trick an: Die Scheidungsklage wurde in Form einer Gesetzesvorlage im Oberhaus eingereicht. Dort wurde bald lang und aufsehenerregend diskutiert, ob die Caroline sich des Ehebruchs schuldig gemacht habe. Juristisch hatte der König dabei nichts zu befürchten. Er war sich sicher, dass seine Parteigänger im Oberhaus in seinem Sinne entscheiden würden. Für Caroline muss es sich wie ein demütigender Schauprozess angefühlt haben, bei dem sie keine gerechte Verhandlung zu erwarten hatte.
Alles über den Prozess
Nun kommt unser Buch ins Spiel. „The Trial at large of Her Majesty, Caroline Amelia Elizabeth, Queen of Great Britain in the House of Lords, on charges of adulterous intercourse“ ist ein detaillierter Bericht über die gesamte Verhandlung – basierend, so wird versichert, auf den echten Prozessakten des Oberhauses. Das im Jahr nach der Verhandlung erschienene zweibändige Buch enthält die wortwörtlichen Zeugenaussagen, die vorgelegten Dokumente, Plädoyers, Beweisführungen und vieles mehr. Der Prozess, von dem wir hier lesen, war kein schöner. Peinlich genau wurde über die intimsten Privatangelegenheiten von Caroline berichtet. Aussagen von Dienern über eine Affäre zwischen ihr und ihrem italienischen Kammerherren waren schlimm genug; dass viele der Zeugen bestochen worden waren, machte die Sache kaum besser. Die Würdelosigkeit des Verfahrens galt als beispiellos.
Das Buch verfügt über zahlreiche schöne Illustrationen von Beweismitteln, Zeugen und Mitgliedern des Oberhauses, die am Prozess beteiligt waren. Hier zeigt sich, dass dieses Buch nicht für Juristen gedacht war, sondern für den am Fall interessierten Bürger, denn von denen gab es viele. Die britische Öffentlichkeit verfolgte den Fall genauestens mit.
Krise
Ursache dafür war nicht (nur), dass man sich hier über einen intimen Skandal in den höchsten Kreisen und einen ebenso skandalösen Prozess ergötzte oder echauffierte. Reformer kritisierten schon länger Korruption, Amoralität und Verschwendungssucht an der Staatsspitze und forderten Reformen des Parlaments. Der ungerechte Prozess Georgs gegen Caroline schien alles zu bestätigen, was sie kritisierten. Die Doppelmoral war offensichtlich, waren Georgs sexuelle Eroberungen doch allgemein bekannt. Die britische Öffentlichkeit war entrüstet und sympathisierte klar mit der als gedemütigt und ins Unglück gestürzt wahrgenommenen Caroline. Bei jeder Tagung versammelte sich eine riesige und lautstarke Menschenmenge vor dem Parlament. Eine Flut von Karikaturen erschien. Kundgebungen und Demonstrationen fanden in London statt, wie sie nur wenige Jahre zuvor in Manchester noch blutig niedergeschlagen worden waren. Zudem erfasste die Unruhe auch Armee und Marine. Der Fall erwuchs zu einer der größten politischen Krisen der Briten im 19. Jahrhundert. Die zunächst vorhandene Mehrheit im Oberhaus für eine Verurteilung schrumpfte zusammen. Der öffentliche Druck wurde schließlich zu groß – es wurde deutlich, dass man das „Gesetz“ nicht durch das Unterhaus bekommen würde, das ihm ebenfalls hätte zustimmen müssen. Es blieb keine andere Wahl, als den Prozess fallenzulassen.
Happy End?
Wenn der Herausgeber dieses Werkes also im Vorwort festhält, dass es „den Bemühungen einer unabhängigen Presse und dem Gerechtigkeitsgefühl einer aufgeklärten Nation“ zu verdanken sei, dass der Fall gescheitert sei, hat er durchaus Recht. Caroline hatte nicht viel von diesem Triumph. Sie starb im folgenden Jahr, im wohl irrigen Glauben, vergiftet worden zu sein. Drei Wochen zuvor hatte sie noch eine Demütigung hinnehmen müssen: bei der festlichen Krönung des Königs am 19. Juli 1821 wurde ihr schlicht der Zugang zur Westminster Abbey verweigert. Georg IV. kam nicht zu ihrer Beerdigung. Auch er konnte seine Zeit als König kaum genießen: Sein extravaganter Lebensstil mit viel zu viel Alkohol, Opium und Essen hatte schwere Spuren hinterlassen, seine Gesundheit verschlechterte sich rapide, bis er 1830 starb. „Und sie lebten glücklich und zufrieden bis ans Ende ihrer Tage“ gibt es unter gekrönten Häuptern nun mal meist nur im Märchen.
Was Sie sonst noch interessieren könnte:
Sollte der Fall sie interessieren, können sie auf der Seite des britischen Parlaments mehrere umfangreiche Artikel zu der Verhandlung lesen (in englischer Sprache).
Noch eine kleine Aussicht auf die weitere Thronfolge: Da die Tochter von Caroline und George bereits einige Jahre vor der Gerichtsverhandlung verstorben war, wurde Georgs IV. jüngerer Bruder als Wilhelm IV. der nächste König. Ihm folgte dann 1837 die berühmte Victoria.
Und sollten Sie sich wundern, was ein „Megxit“ sein soll – die Antwort kennt Wikipedia.