Fast wären sie mit ihrem Verbrechen davongekommen, der Schlosskastellan Valentin Runck und der Hofschlosser Daniel Stieff. Als oberster Verwaltungsbeamter des Berliner Stadtschlosses hatte Valentin Runck bemerkt, dass es kinderleicht war, hier und dort ein paar königliche Preziosen mitgehen zu lassen. Hier ein paar Handschuhe, dort ein wertvolles Döschen, nicht zu vergessen ein paar Ellen unbenutzten Damast: Der Kastellan besserte sein Gehalt schon seit Monaten mit Hilfe seiner langen Finger auf.
Artikeltext:
Ein Diebstahl in der königlichen Münzsammlung
Und da stand nun die in Schränken verstaute Münzsammlung des Soldatenkönigs Friedrich Wilhelms I. Der interessierte sich kaum dafür. Ein verantwortlicher Numismatiker? Fehlanzeige! Dem bereits von seinem Vater ernannten Maturin Veyssière de La Croze strich Friedrich Wilhelm die Mittel, so dass dieser kaum in der Lage war, die königliche Bibliothek adäquat zu führen, geschweige denn, sich anständig um die Münzsammlung zu kümmern. Und so überzeugte Runck seinen Freund, den Hofschlosser Daniel Stieff, die Schlösser der Münzschränke möglichst unauffällig zu knacken.
Der Diebstahl wäre unbemerkt geblieben, hätte der Hofschlosser nicht versucht, eine Goldmünze bei einem Goldschmied zu Geld zu machen. Der wunderte sich über das seltene Stück, kontaktierte de La Croze, und der sorgte dafür, dass Stieff sofort gefangen genommen wurde. Wie damals üblich, folterte man den Verdächtigen, um ihn zu einem Geständnis zu zwingen. Doch Stieff blieb bei seiner Behauptung, die Münze gefunden zu haben.
An diesem Punkt verlor sein Komplize die Nerven. Er behauptete schriftlich, es habe einen Raubzug im königlichen Münzkabinett gegeben. Stieff habe lediglich eine der dabei fallengelassenen Münzen aufgehoben. Das fand man merkwürdig. Nun nahm man Runck gefangen, und der zeigte sich unter der Folter geständig.
Die Strafe
Unter Anteilnahme der gesamten Berliner Bevölkerung erfolgte die Bestrafung der Diebe. Zitieren wir aus der 1843 veröffentlichten Chronik von Berlin, Potsdam und Charlottenburg: „Beide wurden verurteilt, auf allen Kreuzwegen bis zum Richtplatz mit glühenden Zangen gekniffen und dann lebendig gerädert zu werden. Diese Exekution wurde ... am 8. Juni 1718 vollzogen. Der Kastellan, welcher der eigentliche Anstifter der Tat gewesen war, ward auf einem Schinderkarren durch die Straßen gefahren und mit glühenden Zangen gekniffen, während der Schlosser zu Fuß vorausging. Die beiden Frauen der Delinquenten folgten hinter dem Wagen, und mussten der Exekution ihrer beider Gatten mit beiwohnen. Zuerst erlitt der Schlosser die betreffende Strafe, dann wurde dieselbe an dem Kastellan vollzogen; die beiden Frauen erhielten nachher den Staubbesen und wurden in das Zuchthaus nach Spandau, die Kinder aber in das hallische Waisenhaus gebracht, und aus dem ansehnlichen Vermögen beider nur eine Summe von 3000 Taler für dieselben deponiert.“
Warum diese unmenschliche Strafe für gerecht gehalten wurde
Wir wollen es uns gar nicht so genau vorstellen, welche Schmerzen mit dieser Strafe verbunden waren. Doch es bleibt die Frage, ob die Zuschauer, die in Massen der Hinrichtung beiwohnten, kein Mitleid mit den Gequälten kannten! Anscheinend nicht, denn der König beschönigte sein Urteil nicht, sondern machte es durch die uns vorliegende Publikation im ganzen Königreich bekannt.
Dahinter stand die seit dem Mittelalter gültige Vorstellung, dass jedes Verbrechen die göttliche Weltordnung in Frage stelle. Je größer das Verbrechen, umso schwerer der Schaden an eben dieser Weltordnung. Gott war der Hüter der Ordnung. Um seinen Zorn nicht auf die Gemeinschaft herabzuziehen, musste eine gerechte Obrigkeit die Unruhestifter finden und bestrafen. Die Strafe musste dabei der Größe der Schuld angemessen sein.
Nun hatten die überführten Diebe nicht einfach nur ein paar wertvolle Dinge geklaut, sondern den sakrosankten Stellvertreter Gottes auf Erden selbst zu ihrem Opfer gemacht. Das war das schlimmste aller Verbrechen, das ein Untertan begehen konnte. Schlimmer als Raub (an gewöhnlichen Menschen natürlich), schlimmer als Mord, schlimmer sogar als Landesverrat.
Das musste öffentlich gesühnt werden. Die Zeitgenossen Runcks und Stieffs hielten diese Strafe, so grausam und brutal sie uns erscheinen mag, für gerecht und der Schwere der Schuld angemessen.
Und wie sah das der königliche Philosoph?
Ob der damals gerade sechsjährige Friedrich II. bei der Hinrichtung anwesend war? Wir dürfen davon ausgehen. Der Thronfolger hatte bei solchen Anlässen zusammen mit seinem Vater die Obrigkeit zu repräsentieren. Zu gerne möchte man glauben, dass Friedrich, der sich immerhin selbst zum „roi philosophe“ stilisierte, von diesem Urteil so geschockt war, dass er sich nach seiner Thronbesteigung vehement gegen die Todesstrafe aussprach.
Doch das Gegenteil war der Fall: Friedrich schaffte die lebenslange Festungshaft zu Gunsten der Todesstrafe ab. Die Folter ersetzte er durch die richterliche Macht, einen Angeklagten auch ohne Geständnis zu verurteilen, sollte er schuldig erscheinen.
Rädern, stäupen und vierteilen, solche Todesstrafen wurden erst abgeschafft, als man sich einen Staat ohne Gott vorzustellen begann. La Grande Terreur, wie man die Schreckensherrschaft des Robespierre bezeichnete, in deren Verlauf zwischen 25.000 und 40.000 Opfer durch die Guillotine hingerichtet wurden, war unglaublich modern: Ihre Opfer wurden nicht wegen der göttlichen Gerechtigkeit hingerichtet, sondern weil man Feinde der Regierung beseitigen wollte.
Wenn Sie den ganzen Bericht durchlesen wollen, finden Sie hier ein Digisat der Ausgabe, die sich heute in der Bayerischen Staatsbibliothek befindet.
Dass Friedrich II. unsere Ansichten von staatlicher Gerechtigkeit nicht teilte, das rekonstruiert ein Artikel von Hans Paul Prümm an konkreten Beispielen.
Wenn Sie die Thematik interessiert, empfehlen wir Ihnen ein Buch des genialen Historikers Richard van Dülmen. Unter dem Titel „Theater des Schreckens. Gerichtspraxis und Strafrituale in der frühen Neuzeit“ veröffentlichte er eine lesenswerte Studie.
Gekauft haben wir dieses Buch im Münchner Antiquariat von Thomas Rezek.