Diesem Manesse Band der Weltliteratur liegen Jean-Jacques Rousseaus „Confessions“ zu Grunde, autobiographische Aufzeichnungen des gebürtigen Genfers, welche die ersten 53 Jahre seines Lebens umspannen. Diese „Bekenntnisse“, häufig als erste moderne Autobiographie gehandelt, werden erstmals 1782 und 1789 in mehreren Bänden herausgegeben. Ergänzt werden sie in dieser Ausgabe von einigen anderen autobiographischen Schriftstücken, von denen einer Sammlung loser Manuskripte, die Rousseau „Mein Bildnis“ genannt hat, besondere Beachtung geschenkt werden soll.
Der Originaltitel der „Confessions“ bezieht sich offensichtlich auf die damals bekannteste Autobiographie, die „Confessiones“ des Augustinus. Während Augustinus‘ Schrift jedoch eine religiöse ist, die sowohl im Sinne des Schuldbekenntnisses, als auch des christlichen Glaubensbekenntnisses verstanden werden kann, nimmt sich Rousseau erstmalig der persönlichen und vor allem weltlichen Erfahrungen des Autors, seiner Kindheit und seinem Dasein als sozialer Mensch in der Gesellschaft an.
In den Bekenntnissen lernt der Leser in über 60 kurzen Berichten also allerhand über den Menschen Rousseau, seine Kindheit, seine erste Liebschaft, Reisen, Vorlieben und Abneigungen, seine Vaterlandsliebe zur Schweiz. Das Buch muss mitnichten von der ersten bis zur letzten Seite gelesen werden, diese Fundgrube kluger Gedanken und Anekdoten bietet sich wunderbar zum Blättern an. In „Anlagen und Neigungen“ etwa erfahren wir einiges über Rousseaus Verhältnis zum Geld. Als Sohn einer kleinbürgerlichen Familie mit 14 Geschwistern besitzt er davon eher zu wenig als zu viel, was sich sein Lebtag nicht wesentlich ändern wird. Geld ist für ihn vor allem eins: lästig. Hat er keins, muss er sich Sorgen machen, wie er es beschaffen könnte. Hat er welches, mag er es nicht ausgeben, aus Angst, dass es ihm wieder ausgeht. Vor allem aber ist es ihm ein Verdruss, dass Geld an sich keine Freude bereitet, sondern lediglich das, was man damit kaufen kann. Und um diese Freuden – gutes Essen oder erlesenen Wein – zu erwerben, muss er sich in die Öffentlichkeit begeben, feilschen, überteuerte Preise zahlen und am Ende auch noch minderwertige Waren erhalten – alles Dinge, gegen die er eine tiefe Abneigung empfindet.
Bescheidenheit ist wohl nicht das erste Wort, das einem in den Sinn kommt, will man Rousseau beschreiben. Er eröffnet die Bekenntnisse mit der Ankündigung, sein Werk sei in der Geschichte einmalig und er selbst einzigartig. Aber es wäre zu leicht, diese vielschichtige und komplizierte Persönlichkeit auf ihre durchaus selbstbewussten Töne zu reduzieren. In anderen Berichten ist der Autor entwaffnend ehrlich und nahbar, weist sich als Neurotiker und Sozialphobiker aus, dem selbst das Summen einer Fliege Angst macht und der in Gesellschaft vor Nervosität keinen geraden Satz herausbringt. Hier kommt die Idee des titelgebenden „Selbstbildnis“ ins Spiel. Der Autor weist in „Mein Bildnis“ auf die Schwierigkeit, ja die Unmöglichkeit, hin, sich selbst ganz und gar wahrhaftig darzustellen, ohne sich dabei auch nur ein bisschen zu verstellen. So kann man die Episoden seines Lebens vielleicht als Bruchteile eines in tausend Stücke zersprungenen Spiegels begreifen, durch die wir den Menschen nie auf einmal und nie ganz sehen, wohl aber einzelne Facetten, die sich nach und nach zu einem immer noch widersprüchlichen, aber sich langsam verdichtenden, Ganzen zusammensetzen. Rousseau schreibt, dass er die Welt in ihrer Fülle oft intuitiv begreift, lange bevor er sie in Worte fassen kann: „Ich fühle alles und sehe nichts.“ Vielleicht gilt das auch für den Leser.