Er war schlichtweg genial, nein, gemeint ist nicht der Autor Arnold Bennett, sondern die Hauptgestalt seines Romans „Buried Alive“, zu Deutsch „Lebendig begraben“. Der Protagonist heißt Priam Farll und ist kein Schriftsteller, sondern ein Maler; ein Maler, der die Päpste der modernen Kunst zu Lobenshymnen veranlasst, der selbst ernannte Kunstkenner in Verzückung versetzt, und von dem sogar das breite Publikum weiß, dass es ihn toll finden muss. Priam Farll kann also für seine Gemälde verlangen, was immer er will, was seine Kunsthändler gerne für ihn erledigen; schließlich stecken sie einen (sehr) großen Teil des damit verbundenen Profits in die eigene Tasche. Damit bezahlt Priam Farll das Privileg, sich vor der neugierigen Welt verbergen zu können. Denn der Gute ist schüchtern und möchte eigentlich nichts anderes, als in Ruhe zu malen.
Ein Kammerdiener hält Priam Farll die Welt weitgehend vom Leibe. Natürlich nicht aus echter Zuneigung, sondern weil er dabei hervorragend verdient. Sein Herr ist viel zu schüchtern, um seinen Angestellten zu kontrollieren. So weiß der echte Priam Farll auch nicht, dass der Diener sein, also Farlls Foto benutzt, um auf Heiratsanzeigen zu antworten. Und so kommt es zu einer großartigen Verwechslungskomödie, als der Diener überraschend stirbt, und sein Herr im abgenutzten, stets nur heimlich getragenen Schlafrock vom herbeigerufenen Arzt für den Diener gehalten wird. Der Totenschein lautet auf Priam Farll, und der ist natürlich viel zu schüchtern, um den Irrtum aufzuklären. So wird der falsche Priam Farll unter größter Anteilnahme der Presse, der Kunstprominenz und aller, die sich als kunstsinnig gebärden wollen, in Westminster Abbey begraben.
Doch noch bevor das Begräbnis stattfindet, wirft der Erbe Priam Farlls, ein Verwandter, der ihn zum letzten Mal im Alter von neun Jahren gesehen hat, aus dem Haus. Das einzig Gute daran ist, dass Farlls Diener noch vor dessen Tode ein Treffen mit einer heiratswilligen Witwe vereinbart hat. Zufällig kommt es zu diesem Treffen, Priam Farll gefällt der Witwe, und die heiratet ihn.
Die Hochzeit ist für Priam Farll der Eintritt ins Paradies, denn seine Frau sorgt für ihn mit all der Tüchtigkeit, die man im England der Jahrhundertwende einer erfahrenen Witwe zuschrieb. Der erfolgsgewohnte Maler, dem einst die teuersten Schneider des Kontinents schicke, aber reichlich unbequeme Maßanzüge auf den Leib passten, lernt die Behaglichkeit eines ausgeleierten Hosenbunds zu lieben. Er wird runder und runder, weil ihm von hochnäsigen Kellern nicht mehr die exquisitesten (und teuersten) Leckerbissen des Hauses aufgeschwatzt werden, sondern seine Frau seine Lieblingsgerichte kocht. Sie kauft ihm sogar die kostspieligen Farben, damit er in der kleinen, aber gut geheizten Dachkammer Bilder fabrizieren kann. Was sie dann aber völlig verblüfft, ist die Tatsache, dass der lokale Lebensmittelhändler die Schmierereien ihres Mannes für unglaubliche 10 Pfund das Stück verkauft.
Diese Gemälde führen dann auch zur Wiederauferstehung des Malers, allerdings gegen dessen Willen. Es stellt sich nämlich heraus, dass sein ehemaliger Agent seine neu gemalten Bilder von einem Zwischenhändler für 50 Pfund das Stück erwirbt, um sie für mehrere tausend Pfund an einen amerikanischen Sammler weiterzuverkaufen. Der entdeckt eines Tages, dass eines der Bilder sicher nach Farlls Tod entstanden sein muss. Eine Fälschung?! Sind gar alle postum gekauften Bilder Fälschungen?! Der Sammler glaubt es und bringt den Kunstagenten vors Gericht. Der sucht die Hilfe Farlls zu gewinnen, macht aber den strategischen Fehler, ihm dafür nur die Hälfte seines Gewinns von 72.000 Pfund anzubieten. Farll ist empört. Er überlässt den gierigen Kunsthändler seinem Schicksal.
Doch der schlägt zurück. Er lässt Farll wider dessen Willen als Zeugen im aufsehenerregenden Prozess zwischen Kunstagent und Sammler vorladen. Damit ist das ruhige Leben vorbei. Die Öffentlichkeit will ihr Recht. Und als der Streit um die Identität des schüchternen Malers sich auf den Beweis zu reduzieren scheint, seine zwei Muttermale am Hals zu enthüllen, weigert sich Farll standhaft, den Kragen abzunehmen. Erst als der Kunstagent eine ehemalige (genauso schüchterne) Geliebte Farlls dem Hohn der Gesellschaft auszusetzen droht, zeigt Farll aus Mitgefühl mit der Leidensgenossin seine Muttermale und flieht mit seiner Gattin in fremde Länder, wo er (hoffentlich) seine Ruhe haben wird.
Arnold Bennett hat mit seiner witzigen Satire auf den Kunstmarkt eine Parabel geschaffen, die heute aktueller ist denn je: Welchen Anspruch hat ein Publikum darauf, am Leben des Künstlers teilzunehmen? Muss eine Berühmtheit, nur weil sie berühmt ist, auf alle Behaglichkeit eines Privatlebens verzichten?
Wir sollten uns daran erinnern, dass das Wort Fan nichts anderes ist als eine Abkürzung für das englische fanatic. Damit wurden in England seit dem 16. Jahrhundert Gläubige bezeichnet, deren religiöser Wahn jedes menschliche Maß überschritt. Wie aber geht eine moderne Fangemeinde mit ihrem unfreiwilligen Gott um, wenn der sich weigert, ihnen als Objekt der Verehrung zu dienen?