Schöne Menschen haben es leichter im Leben. Das weiß sogar die Wissenschaft. Wer einen schönen Menschen sieht, hält ihn für erfolgreicher, intelligenter und selbstsicherer als sich dieser selbst einstufen würde. Kein Wunder, dass schon die Griechen von der „Kalokagathia“ sprachen, von dem Guten und Schönen, das beim Menschen immer gemeinsam auftreten würde.
Was aber ist schön und damit gut? Darüber kann man trefflich streiten. Oder ein ausführliches Werk schreiben, wie es Johann Caspar Lavater (1741-1801) tat. Er versuchte, in den vier Bänden seines zwischen 1775 und 1778 publizierten Werks „Physiognomische Fragmente“ das menschliche Aussehen mit dafür typischen Charakterzügen zu kombinieren.
Mit unendlich vielen Bildern schien Lavater in seinem Buch alle seine Thesen eindrücklich zu beweisen. Heutige Forscher würden seine Methode natürlich bestenfalls als pseudowissenschaftlich bezeichnen - übrigens sorgte Lavaters Physiognomie auch zu seiner Zeit für lebhafte Diskussionen über die Methodik. Doch was nutzte die trockene Wissenschaft, wenn Lavater dem Zeitgeist entsprach? Er erklärte den menschlichen Körper, vor allem Gesicht und Kopfform, zur Universalsprache der Natur. Wer immer diese Sprache zu deuten gelernt hätte, der wäre - so Lavater - in der Lage, des Menschen Charakter auf den ersten Blick zu erkennen. Das gefiel seinen Zeitgenossen. Und wegen der vielen Bilder konnte jeder Lavater verstehen. Sein Buch wurde zu einem Bestseller in den Salons der Aufklärung. Böse Zungen behaupten, das sei nur deshalb geschehen, weil er die vier Bände so aufwändig illustriert hatte. Und weil schon damals die Menschen lieber Bilder guckten als komplizierte Texte lasen.
So wie sich heute Menschen zum Spaß mit ihren Sternzeichen beschäftigen - und ein bisschen daran glauben, ein bisschen nicht -, so zeichnete die feine Gesellschaft des 18. Jahrhunderts zu ihrer Zerstreuung die Schattenrisse der Anwesenden auf und versuchte sie anhand von Lavaters Buch zu deuten. Interessant war nämlich vor allem die Form des Kopfes. Aus ihr konnte Genie oder Wahnsinn sprechen.
Wir toleranten Menschen der Moderne sind natürlich weit darüber erhaben, einen Menschen allein wegen seiner Physiognomie als dumm und böse abzustempeln. So könnten wir uns brüsten. Wären da nicht die Erkenntnisse der Psychologie, die uns leider immer wieder mitteilen, dass das Äußere eines Menschen zwar nicht seinen Charakter bestimmt, aber die Einschätzung der Außenwelt.
Den kompletten Physiognomischen Fragmente können Sie im Internet durchblättern. Eingescannt wurden die Bände der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel.
Mehr zum Leben des Autoren bietet das Historische Lexikon der Schweiz.