Leicht hat sie es wirklich nicht, die Hauptfigur in dem Werk, mit dem Charlotte Brontë vor 200 Jahren der literarische Durchbruch gelang. Die Waise Jane Eyre wird ins Haus einer hartherzigen Tante aufgenommen, wo sie Quälereien und Demütigungen ertragen muss. Fast schlimmer noch ist es dann in einem Internat. Sie wird als Lügnerin verleumdet, und in ihren Armen stirbt die einzige Freundin an Tuberkulose.
Bessere Zeiten scheinen für sie erst anzubrechen, als sie dort selber Lehrerin wird, später als Gouvernante für das Mündel eines gewissen Mr. Rochester eine Anstellung findet. Im ersten Zusammentreffen ist er abweisend und launenhaft. Allmählich aber lernen sich Jane und er kennen – und schätzen. Doch er hütet ein Geheimnis, was ihr und dem Leser lange verborgen bleibt. Mysteriöse Vorkommnisse auf dem Anwesen finden ihre Erklärung am Tage der Hochzeit von Jane und Mr. Rochester. Er ist – wenn auch sehr unglücklich – mit einer Kreolin verheiratet, die von Sinnen ist und ihr Dasein in einem abgelegenen Teil des Hauses fristet.
Dem Flehen von Rochester, doch zusammen fortzugehen, kann Jane nicht nachgeben. Zu fest sind ihre Prinzipien, sie will nicht die Geliebte eines verheirateten Mannes sein. So verlässt sie den Hof und wird von einem Geschwisterpaar aufgenommen, das sich später als ihr Cousin und ihre Cousine herausstellt. Als sie schon dem Werben ihres Cousins, den es als Missionar nach Indien zieht, nachgeben will, ruft die Stimme von Mr. Rochester sie zurück.
Bei der Rückkehr bietet sich ihr ein schreckliches Bild. Bei einem Feuer wurde das Haus zerstört und die Ehefrau getötet. Bei seinem Rettungsversuch verlor Mr. Rochester das Augenlicht und muss in einer bescheidenen Hütte leben. Nun endlich sind die Standesunterschiede zwischen den beiden Liebenden angeglichen, sie heiraten. Jane Eyre hat nicht nur einen Mann und eine Familie gefunden, sie ist auch dank eines Vermächtnisses eines Onkels finanziell abgesichert.
Charlotte Brontë entwirft mit Jane Eyre das Bild einer Frau, die gleichsam duldet wie kämpft. Ihre Aufrichtigkeit und Willensstärke lassen sie Krisen und Rückschläge verkraften und daran reifen. Es ist ihr Mut, den Jane Eyre zur Identifikationsfigur für die Frauen einer ganzen Generation machte. Als dieser Vertreter des viktorianischen Gouvernantenromans 1847 veröffentlicht wurde, avancierte er umgehend zum Bestseller.
Dabei wusste kaum jemand, dass dieses moderne Märchen von einer Frau geschrieben worden war. Charlotte Brontë, die in „Jane Eyre“ nachweislich eigene Erlebnisse verarbeitete, hatte das Werk unter dem männlichen Pseudonym Currer Bell veröffentlicht. Dafür hatte sie gute Gründe. Ihrer Protagonistin warfen Kritiker vor, der Entschluss selbstbestimmt zu handeln sei ungehörig, unchristlich und unweiblich. Den Lesern – und besonders Leserinnen – war das egal. Hohe Verkaufszahlen bescherten sie diesem Roman innerhalb kürzester Zeit, der bis heute zu den Klassikern der Weltliteratur gehört.