Deutschland im Zweiten Weltkrieg. Die Schweizer stehen auf dem Prüfstand. Entscheiden sie sich, gegen Deutschland Position zu beziehen? Oder siegen die Kräfte, die sich am liebsten dem starken faschistischen Deutschland anschließen wollen? Wer oder was ist eigentlich Schweizerisch? Wofür steht die Schweiz?
Walther Meier (1898-1982), damals Verlagsleiter von Conzett & Huber in Zürich, beantwortete diese Frage 1944 mit der Gründung einer Publikationsreihe, die bis heute Erfolge feiert. Er initiierte die Manesse Bibliothek der Weltliteratur. Damit sagte er allen nationalen Bewegungen den Kampf an. Die Menschheit und mit ihr die Kunst, so die immanente Botschaft, sind international. Gut und Böse sind nicht an eine Nation gebunden!
Walther Meier bekämpfte mit seiner Bibliothek der Weltliteratur die begrenzte Weltsicht der Frontisten oder Fröntler, wie man die Schweizer Faschisten damals nannte. Ja, auch in Zürich gab es sie. Bereits 1925 wurde die nationalkonservative und antisemitische Heimatwehr gegründet. Ihre Gesinnungsgenossen protestierten gegen das Kabarett Pfeffermühle und das Schauspielhaus Zürich, wo damals viele aus Deutschland geflohene Schauspieler Arbeit gefunden hatten. Unrühmlicher Höhepunkt der Bewegung war die Eingabe der Zweihundert, die nicht nur die Ausweisung des Völkerbunds aus der Schweiz forderte, sondern auch zahlreiche Chefredakteure mundtot machen wollte. Dies war der Weckruf für die liberale Schweiz. Sie machte Front gegen die Fröntler. 1940 verbot der Bundesrat die Nationale Bewegung der Schweiz; 1943 verschwand die letzte Frontenorganisation aus der Öffentlichkeit.
In diesem historischen Klima entstand die Manesse Bibliothek der Weltliteratur. Kein Wunder, dass ihre ersten drei Bände eine Botschaft vermittelten. Demonstrativ stammen sie von Autoren der drei kriegsführenden Blöcke. Tolstoi steht für Russland. Für das intellektuelle, menschliche Russland, das weder der Absolutismus des zaristischen Regimes noch die Kommunisten für sich vereinnahmen konnten. Als Stellvertreter der westlichen Welt wählte Meier Herman Melville mit seinem unvergleichlichen Moby Dick.
Band 1 der Reihe aber war – und dies ist als Signal zu verstehen – das andere Deutschland. Das Deutschland der Dichter und Denker. Das Deutschland, das der große Dichterfürst der Weimarer Klassik verkörperte, Johann Wolfgang von Goethe.
Er ist ein Gegenentwurf zum faschistischen Deutschland des 20. Jahrhunderts. Goethe tritt im Band „Im Gespräch“ entspannt vor die lesende Menschheit, ganz privat, vertraulich, menschlich, im Gespräch eben. Er erzählt aus seinem Leben. Und der damalige Literaturpapst der Schweiz, Eduard Korrodi, Feuilletonchef der Neuen Zürcher Zeitung von 1914 bis 1950, wählte die Texte der Anthologie passend zur Absicht des Verlegers aus.
Deshalb ist der erste Band der Manesse Bibliothek der Weltliteratur viel mehr als ein Text aus der Feder eines berühmten Autors. Er ist ein flammendes Manifest für den freien Geist, für den unbeschränkten Austausch unter den Völkern. Er schildert angesichts der Perversionen des Nazi-Regimes ein gebildetes, schöngeistiges, humanistisches Deutschland. Und er ist ein glühendes Bekenntnis zu einer Schweiz, die weltoffen ist. Die an das Gute im Menschen glaubt. Auch wenn es manchmal schwerfallen mag, ja gelegentlich unmöglich scheint.