Um die Entstehung von Mary Shelleys „Frankenstein“ rankt sich eine ebenso bekannte wie sagenumwobene Geschichte. Geboren wird Mary Godwin Wollstonecraft 1797 in London. Als Tochter zweier Schriftsteller und zukünftige Ehefrau des berühmten englischen Romantikers Percy B. Shelley liegt ihr das Schreiben nahe. Im Sommer des Jahres 1816 verbringt die junge Mary Godwin einige Zeit mit Shelley, Lord Byron und dessen Leibarzt John Polidori in einer Villa am Genfer See. Weil das Wetter in jenem Sommer ungewöhnlich schlecht ist, vergnügt sich die Runde am Kaminfeuer mit deutschen Gespenstergeschichten.
Dabei entsteht die Idee, jeder der Anwesenden solle selbst eine Schauergeschichte schreiben. Im Vorwort einer späteren Ausgabe schreibt Shelley sie habe ihre Geschichte einem Albtraum zu verdanken, der sie in einer düsteren Nacht heimsucht. Nachdem die grausige Vision eines zum Leben erweckten Menschen sie aus dem Schlaf reißt, will die gerade mal 18-jährige Autorin eine Geschichte ersinnen, „die das tiefste Entsetzen im Leser hervorrufen, das Blut stocken und das Herz heftiger klopfen lassen soll.“
Shelleys Briefroman erzählt die Geschichte des Schweizer Naturwissenschaftlers Viktor Frankenstein, der angeregt durch sein Studium der Alchemie und Medizin von der Idee besessen wird, einen menschlichen Leichnam zum Leben zu erwecken. Als das Experiment schließlich gelingt, muss er mit Entsetzen feststellen, dass er ein Monster geschaffen hat. Er verstößt die unglückselige Kreatur – eine Entscheidung, die ihn und andere Menschen im Verlaufe des Romans das Leben kosten wird.
Thematik und Ausgestaltung des Romans erklären sich aus dem Kontext ihrer Zeit, der Wissenschaft einerseits und der Literatur andererseits. Wir befinden uns zu Beginn des 19. Jh. im Zeitalter der Elektrizität, der Erfindung der Voltaschen Säule und den Experimenten der Galvanisten. Die Versuche, bei denen durch Elektrizität Muskelkontraktionen an menschlichen Leichen ausgelöst werden, üben eine ungeheure Anziehungskraft auf die Menschen aus, da sie die Illusion erwecken, den Verstorbenen würde neues Leben eingehaucht. Teilweise bedingt durch den Rationalismus des 18. Jh. entsteht aber auch die romantische Literatur, die sich dem Irrationalen, Übernatürlichen und Fantastischen widmet.
Als Warnung vor menschlicher Hybris, vor der Gefahr Gott spielen zu wollen, hat der Roman bis heute kaum an Relevanz eingebüßt; Gentechnik und Stammzellenforschung bewegen sich in genau dem Spannungsfeld zwischen Wissenschaft und Ethik, das „Frankenstein“ eröffnet.
Der Roman wird 1818 erstmals veröffentlicht und erscheint auf Grund großer Beliebtheit bald in zweiter und dritter Auflage. Eine umfangreiche Anerkennung der Kritiker erlangt die Autorin jedoch erst im späteren 20. Jh. Zu Lebzeiten bleibt ihr diese Anerkennung oft auf Grund der mit ihr in Verbindung stehenden Männer verwehrt: entweder ihr Roman erhält schlechte Kritiken, weil man sie mit den linksradikalen Ideen ihres politisch umstrittenes Vaters in Verbindung bringt oder man behauptet ihr Mann Percy Shelley habe das Werk maßgeblich geschrieben. Mary Shelleys Privatleben verläuft fast ebenso tragisch wie das des von ihr geschaffenen Viktor Frankenstein: Von vier Kindern überlebt nur eines, ihren Mann verliert sie bereits in jungen Jahren durch ein Seeunglück.