Betrachten wir Europas Geschichte, dann müssen wir erkennen: Frieden war eher die Ausnahme, die Regel waren kriegerische Auseinandersetzungen. Die Menschen litten regelmäßig darunter, dass ihre adeligen Herren sich mit anderen Aristokraten über Lehen und Gebiete stritten, dass ihre eigene Heimat von marodierenden Heeren gebrandschatzt wurde. Heute beugen wir vor allem mit diplomatischen Mitteln vor, damals hieß es: In guten Zeiten vorsorgen, am besten mit möglichst modernen Befestigungsanlagen. Doch das war gar nicht so leicht. Was man alles beachten sollte, stellte der italienische Militärarchitekt Francesco Tesini 1624 in einem Handbuch zusammen. Dieses Buch beeindruckte mit so viel Fachwissen und so modernen Illustrationen, dass es noch über Jahrzehnte nachgedruckt und noch Jahrhunderte später zitiert wurde.
Artikeltext:
Tesini: ein Leben im Feld
Wenn wir uns fragen, in welcher Zeit ein solches Buch entstand, dann brauchen wir nur die Einleitung seines Autors zu lesen. Francesco Tesini erklärt in einer rhetorischen Bescheidenheitsfloskel, dass er ausführlich seine eigenen Meriten auf dem Gebiet der Militärarchitektur aufzählen könnte, das aber nicht tue. Und tatsächlich hat er es nicht nötig, denn alleine der kurze Abriss seiner Karriere, den er danach gibt, zeigt dem Leser, woraus sein bisheriges Leben bestand: aus Krieg.
Geboren wurde Tesini in Italien wohl um 1580, doch schon im Alter von 17 Jahren nahm er teil an Kriegen in weiter Ferne, nämlich in Flandern. Dort tobte der Achtzigjährige Krieg, in dem sich der junge Tesini offenbar verdingte, bald darauf führten ihn Einsätze ins Elsass und nach Böhmen, nach Salzburg, Schwaben und Piemont. Dabei erlebte er 18 Belagerungen, wurde selbst viermal belagert und kämpfte in zahlreichen Scharmützeln und Schlachten, wie sie im Dreißigjährigen Krieg ständig vorkamen. Tesini listet diese Erfahrungen nicht ohne Grund auf.
Denn der Soldat Tesini erlebte am eigenen Leib, wie entscheidend im Krieg die Qualität einer Befestigungsanlage sein konnte. Damit hatte er vielen Schriftstellern etwas voraus, die vermutlich nach einer akademischen Ausbildung geschliffene Bücher über Militärarchitektur veröffentlichten, jedoch „ohne Erfahrung in der Militärarchitektur, ohne Kenntnisse in der Kriegführung“, wie er gleich im ersten Satz seiner Einleitung betont. Gemeint ist jeweils: ohne die praktische Erfahrung, die er, Tesini, besaß, während er eine Universität vermutlich nie von innen gesehen hatte.
Und seine umfassenden und erprobten Kenntnisse belegt Tesini noch mit einem Abriss seiner Positionen: Ingenieur des Königs von Spanien, Kapitän der Wallonen, Generalleutnant der Artillerie Kaiser Rudolfs II., fünf Jahre Dienst beim Herzog von Bayern und schließlich für die Serenissima. Dort, in Venedig, modernisierte er die Festungsanlagen, die die Lagunenstadt vor Angriffen zu Wasser und zu Lande schützen sollten.
Vom Schwert zur Feder
Es ist wohl nicht nur Rhetorik, wenn Tesini gesteht, er habe keine Erfahrung im Schreiben und sei bislang ein Mann des Schwertes gewesen, nicht der Feder. Seine Leser mussten auf literarische Qualitäten verzichten, bekamen aber dafür Best-Practice-Ratschläge. Tesini war ein Glücksfall für Festungsarchitekten, denn er war ein Mann mit immenser praktischer Erfahrung und er wusste, wovon er schrieb.
In klarem, militärischem Duktus behandelt Tesini systematisch die Punkte, die ein Architekt beim Befestigen von Städten oder militärischen Stützpunkten zu berücksichtigen hatte: die Lage und welche Baustoffe wofür geeignet sind. Aber er geht auch weit über den eigentlichen Bau hinaus. Im zweiten Buch etwa erläutert Tesini, was einen guten Kommandanten auszeichnet, wie dieser die Wachen einteilen soll und was als Erstes zu tun ist, wenn er von einer bevorstehenden Belagerung erfährt. Tesini führt uns also mitten ins kriegerische Leben seiner Zeit. Damit sich die Leser auch punktuell einarbeiten können, bietet er sogar einen alphabetischen Sachindex.
Doch neben diesem überbordenden Fachwissen begeisterte Tesinis Werk die Leser mit seinen Illustrationen. Der Bologneser Künstler Odoardo Fialetti schuf Stiche von eindrucksvoller Präzision und überwältigender Schönheit. Aus der Vogelperspektive schauen wir auf Bastionen in moderner Sternform, die das vor ihnen liegende Land mit Kanonensalven bestreichen, vor den Augen der Betrachter erstrecken sich ländliche Gegenden, die durchzogen sind von Mauerzügen mit kleinen Garnisonen, Gräben und sternförmigen Batterien. In dramatischen Kampfszenen veranschaulichen der Autor und sein Grafiker, wie die Belagerten die Vorzüge ihrer Festungsarchitektur nutzen. Da stürmen Truppen durch eine Bresche in der äußeren Mauer und sehen sich doch von einem zweiten inneren Wall zurückgeworfen, Kriegsschiffe kreuzen in der Bucht und stehen unter heftigem Beschuss durch Batterien auf künstlichen Anlagen im Meer. Diese Bilder ziehen uns förmlich hinein in das Kampfgeschehen des 17. Jahrhunderts, dass wir das Kampfgebrüll hören, das Donnern der Kanonen und das Klirren der Schwerter. Damit legte das Werk eine Messlatte, an der sich spätere Autoren orientierten. Zunehmend waren Bücher nicht nur Schriftwerke mit dem einen oder anderen Bildchen als nette Beigabe. Die Illustrationen hatten mittlerweile eine Qualität erreicht, dass ihre Schöpfer diese Stiche selbstbewusst als gleichwertige Ergänzung neben den Text stellten.
Doch noch etwas anderes besticht in Fialettis Darstellungen. Bei aller Brutalität und Dramatik hat der Künstler immer wieder geradezu bukolisch anmutende Szenen mit einfachen Leuten an den Rand gefügt. Es ist, als wollte er mit Tesini darauf hinweisen, worin in ihren Augen der Sinn des martialischen Geschäfts eines Militärarchitekten bestand: Die Menschen und ihre Welt zu sichern, Bollwerke gegen die fanatische Zerstörungswut des Kriegs zu schaffen, die zu einer friedlicheren Welt beitragen sollten. Dazu passt Tesinis Abschiedsgruß in seinem an die Leser gerichteten Vorwort: „Vivi felice“, also „Lebe glücklich“.
Was Sie sonst noch interessieren könnte:
Sie können das ganze Buch als PDF bei der ETH Zürich herunterladen.
Ein paar Jahre vor Tesini brachte der Elsässer Daniel Specklin sein Handbuch zum Festungswesen heraus.