Es ist der 8. Februar des Jahres 1837. Über dem Schwarzen Fluss geht die Sonne auf. An seinem Ufer steht der 37jährige Puschkin dem Mann gegenüber, der seine Frau seit Wochen mit seinen Nachstellungen verfolgt. Die russische Gesellschaft zerreißt sich das Maul, nicht über den Stalker, sondern über den bekannten Dichter, der bisher nichts unternommen hat, um die Ehre der Gemahlin zu schützen. Doch jetzt stehen sich die beiden Männer gegenüber, jeder eine Pistole in der rechten Hand. Der erste Schuss fällt. Puschkin ist in den Unterleib getroffen. Das Genie stirbt zwei Tage später an den Folgen des Duells.
Wer Puschkin gelesen hat, weiß, dass der Dichter ein unabhängiger Denker war. Wieso riskierte dieser intelligente Mann sein Leben, statt nach einem anderen Ausweg aus dem Konflikt zu suchen?
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Schlagende Verbindungen
Das Duell war im 19. Jahrhundert nichts Neues. Adlige hatten seit Ende des 15. Jahrhunderts ihre Ehre mit dem Säbel verteidigt. Offiziere und Studenten besaßen genau wie Adlige das Recht, Waffen zu tragen, und waren damit das, was man satisfaktionsfähig nannte. Während die Fechtkunst zur regulären Ausbildung von Offizieren und Adligen gehörte, mussten Studenten sehen, wo sie sie erlernten. Deshalb boten viele studentische Corps so genannte „Paukböden“ an, Hallen, in denen junge Männer die Grundzüge des Umgangs mit Säbel und Degen lernen konnten.
Alkohol, scharfe Waffen und ein Überfluss an Testosteron, kein Wunder, dass es zu „Unfällen“ kam. Um wenigstens Außenstehende vor den akademischen Rowdies zu schützen, wurde 1790 im Reich Studenten das Tragen von Waffen in der Öffentlichkeit verboten. Und als nach den Befreiungskriegen die ersten deutschen Burschenschaften entstanden, griffen diese die alte Tradition des studentischen Fechtkampfs wieder auf, aber in einer ritualisierten Form, die ihren Platz in der akademischen Freizeitgestaltung hatte.
Dummer Bub und Hundsfott
Damit ein Student sich mit einem anderen duellieren konnte, brauchte es noch bis Mitte des 19. Jahrhunderts eine „Beleidigung“. Keine richtige natürlich. Das Wort „dummer Bub“ genügte, und schon war unter Studenten ein Duell verabredet. Um solche Verabredungen zwischen den Angehörigen der verschiedenen Corps zu treffen, gab es spezielle Kneipen, die so genannten Kontrahier-Kneipen.
Was dort geschah, schildert Adolf Kussmaul, der bedeutende Arzt und Erfinder der Magenpumpe, der selbst als Student 1841 dem Corps Suevia in Heidelberg beigetreten war, in seinen Lebenserinnerungen: „Abends zur festgesetzten Stunde zogen sämtliche Corps in hellen Haufen von ihren Kneipen in die Arena zu fröhlichem Tuschieren (= durch eine Beleidigung einen Gegner finden), jedes besetzte den Tisch, den seine Füchse im voraus belegt hatten. ... Ein Bursche erhob sich und schleuderte einem ebenbürtigen Kämpen an einem der feindlichen Tische höhnenden Schlachtruf zu. Besaß der Gegner Witz, so erwiderte der mit Gegenhohn; wenn nicht, was die Regel war, sofort mit einem Tusch (= einer Forderung). Nach dieser ersten „Contrahage“ ging das Kampfgeschrei an allen Tischen los. Die Luft schwirrte von „dummen Jungen“, dazwischen sausten einzelne schwere „Hundsfotte“ nieder. Die Helden der Ilias hätten ihre helle Freude an dem Treiben gehabt.“
Das danach ausgefochtene Duell lief nach festen Regeln ab. Gekämpft wurde bis zum ersten „Anschiss“, einer blutenden Wunde, die mindestens einen Zoll lang sein und durch alle drei Hautschichten gehen musste.
Dass es nicht immer dabei blieb, kann man sich vorstellen.
Der Münchner Zwischenfall
Ständig berichteten die Zeitungen über die jungen Opfer dieser studentischen Sitte. Besonders heiß diskutiert wurde ein Zwischenfall, der sich im Winter 1828 zutrug. Ein Journal fasst das Geschehen folgendermaßen zusammen: „Es war am 26. Jänner im Hause eines Bierbrauers bei einem Duell zwischen zwei Studenten der 21jährige Rentamtmannssohn M. Zettelmaist aus Burghausen erstochen worden. - Der Täter, welcher einer allgemein geachteten und angesehenen Familie angehört, ist von seinem eigenen Vater dem Gerichte überliefert, und außerdem sind noch mehrere Studierende gefänglich eingezogen worden. Die Mutter des Ermordeten soll bei der Nachricht in Wahnsinn verfallen seyn.“
Ein bayerischer Kreisschulrat
Vielleicht war es dieser Zwischenfall, der den ehemaligen Bayerischen Kirchen- und Kreisschulrat Heinrich Stephani dazu bewegte, seine Streitschrift „Wie die Duelle, diese Schande unsers Zeitalters, auf unsern Universitäten so leicht wieder abgeschafft werden könnten“ zu schreiben, die wir für die Bibliothek des MoneyMuseums Zürich im Januar 2020 auf der Antiquariatsmesse in Stuttgart kaufen konnten.
Der promovierte Theologe Stephani war ein Rationalist, ein begeisterter Anhänger des Verstands und der Aufklärung. Er war persönlich mit vielen Geistesgrößen seiner Zeit bekannt, mit Schiller, Goethe, Fichte und Kant, mit Pestalozzi und Lavater, um nur einige zu nennen. Während der Ära Montgelas reformierte er als bayerischer Kirchen- und Kreisschulrat in Augsburg, Eichstätt und Ansbach die höheren Schulen nach neuesten pädagogischen Vorstellungen. Doch im Januar 1817 stürzte Montgelas. Und im gleichen Jahr setzten pietistische Kirchenvertreter durch, dass Stephani seines Amts enthoben wurde - vorgeblich wegen Bestechlichkeit.
Nichtsdestotrotz wurde er nur zwei Jahre später zum Abgeordneten in die Bayerische Ständekammer gewählt, ein Amt, das er acht Jahre lang versah. Wir müssen uns also im Klaren sein, dass sein Buch wider das Duell keine theoretische Empfehlung eines weltfremden Pfarrers ist, sondern die klare Handlungsempfehlung eines pragmatischen Ex-Politikers und Verwaltungsspezialisten.
Der Streit um das Duell
Das Buch Stephanis wurde auf breiter Ebene in ganz Deutschland diskutiert. Und es hatte Auswirkungen. 1836 wurde die erste Studentenverbindung gegründet, die ganz konsequent auf Mensur und Duell verzichtete: Die Erlanger Uttenruthia. Damit boten christliche Studenten eine Alternative zu den national gesinnten, meist schlagenden Studentenverbindungen. Bald gab es viele Corps, die zwar das Fechten auf dem Paukboden betrieben, aber das Duell grundsätzlich ablehnten.
Das Duell als bürgerliche Institution
Und während man unter Studenten Alternativen zum Duell suchte und fand, wurde der blutige Ehrenhandel zum Statussymbol des aufstrebenden Bürgertums. Schließlich waren nicht alle Bürger satisfaktionsfähig, sondern nur die, die zur „besseren Gesellschaft“ gehörten. Wer aber war diese „bessere Gesellschaft“. Auf jeden Fall das akademische Bildungsbürgertum, das einstmals als Student auf dem Paukboden das Fechten gelernt hatte. Sicher auch die Reserveoffiziere. Und sonst? Wie hoch musste das Vermögen sein, damit ein unstudierter Zivilist das Privileg besaß, sich im Duell nach allen Regeln der Kunst abmurksen zu lassen?
Satisfaktionsfähigkeit wurde zum begehrten Statussymbol, das Duell zu einer Frage des Selbstverständnisses. Auch wer in der Theorie gegen diesen Unsinn war, dem blieb nichts anderes übrig, als eine Beleidigung mit einer Herausforderung und eine Herausforderung mit der Teilnahme an einem Duell zu beantworten. Und so duellierte man sich eben, selbst wenn man Heinrich Heine, Karl Marx, Friedrich Engels, Ferdinand Lassalle, Max Weber, Otto von Bismarck oder Werner von Siemens hieß.
Auch Puschkin hatte sich übrigens in seinem Werk wiederholt gegen das Duell ausgesprochen, nichtsdestotrotz sah er keine Möglichkeit, sich einer Forderung zu entziehen.
Das Duell in der Literatur
Das Duell war also eine schreckliche Realität, die immer mehr bedeutende Autoren zu einem zentralen Thema ihrer Romane und Dramen machten, um die Menschen zum Nachdenken zu bringen. Ein Theodor Fontane wollte mit seiner Effi Briest dem gehobenen Bürgertum einen Spiegel vorhalten, wenn er das Duell zwischen Effis Mann Innstetten und ihrem einstigen Liebhaber Major von Crampas zum Kulminationspunkt des Romans macht. Alle Protagonisten des Romans verlieren durch dieses sinnlose Duell: Crampas das Leben, Innstetten 10 Jahre seines Lebens und die geliebte Frau, Effi ihre Familie. Und obwohl Innstetten sich dessen schon vor dem Duell bewusst ist, kann er aus Gründen der Ehre nicht darauf verzichten.
Oder das tragische Schauspiel „Liebelei“ von Arthur Schnitzler, in dem sich ein junger Mann in ein süßes Mädel verliebt, das ihn auch liebt und dennoch erleben muss, dass sich ihr „Fritz“ für eine andere Frau erschießen lässt.
Wäre es nach den Dichtern gegangen, wäre das Duell schon viel früher abgeschafft worden. Doch die Literatur scheiterte an diesem Vorhaben. Es waren die gesellschaftlichen Veränderungen nach dem Ersten Weltkrieg, die durch die Entmilitarisierung und Verbürgerlichung der Gesellschaft das Duell obsolet machten.
Gekauft haben wir das Buch auf der Antiquariatsmesse in Stuttgart 2020 vom Antiquariat Rainer Schlicht, Berlin und Bayreuth.
Sie können sich selbst ein Bild von den Maßnahmen machen, die Heinrich Stephani vorschlug, um das Duell an den Universitäten abzuschaffen.