Sie ist ein Mädchen aus gutem Haus, siebzehn Jahre alt, jung und verspielt. Er ist achtunddreißig, Baron, ernsthaft und viel unterwegs. Es ist also kein Wunder, dass sich Effi Briest in ihrer arrangierten Ehe mit Baron von Instetten nicht sonderlich wohl fühlt. Ihr ist langweilig, das Haus ist groß und leer und sie ist einsam. Als dann der charmante Major von Crampas nach Kessin kommt und sich sofort gut mit Effi versteht, sind die Probleme bereits vorprogrammiert. Die beiden beginnen eine Affäre und obwohl sie es schaffen, diese auch wieder zu beenden, entdeckt Instetten Jahre später die Briefe der beiden und sieht sich zum Handeln gezwungen.
Theodor Fontane (1819-1898), der ursprünglich als Apotheker gearbeitet hatte, nutze die letzten Jahre seines Lebens, um die Gesellschaft im Deutschen Kaiserreich in seinen Romanen festzuhalten. Seine Werke, die als poetischer Realismus bezeichnet werden, schaffen durch ihre vielseitigen Erzählweisen ein einfühlsames aber nicht wertendes Bild des rigiden preußischen Moralkodex. So schildert Fontane in „Effi Briest“ die vertrackte Situation von Effi, Instetten und Crampas, ohne sich dabei auf eine Seite zu schlagen.
Dies bleibt ganz allein dem Leser überlassen. Seit der ersten Publikation von „Effi Briest“ ab dem Jahr 1894, ist vor allem in der Literaturwissenschaft immer wieder über das Werk diskutiert worden. Motiven wie der Schaukel, dem Chinesen oder dem Rondell, aber auch den wechselnden Erzählperspektiven sind große Bedeutung beigemessen worden. Einen starken Einfluss hatte das Werk auch auf Thomas Mann, dessen Familienroman Buddenbrooks maßgeblich von Fontane inspiriert wurde.
Doch es sind nicht nur Kunst und Wissenschaft, die bis heute von Effis Schicksal fasziniert sind. Der Roman wird seit Jahrzehnten als Schullektüre verwendet, sowohl um den Schülern das späte 19. Jahrhundert näher zu bringen als auch um anhand des Romans diverse literarische Verfahren zu demonstrieren. Und obgleich Generationen von Schülern sich angeblich durch das Werk "quälen" mussten, so ist es doch immer wieder bezeichnend, wie sich auch Teenager von dem tragischen Schicksal Effis mitreißen lassen und in Klassenzimmern hitzige Diskussionen entstehen, wer denn nun im Recht sei. Denn genau das ist das Spannende an Fontanes Roman: Er entwirft ein Szenario in dem die Handlungen des Einzelnen zwar stets nachvollziehbar sind, aber trotzdem als moralisch falsch abgetan werden müssen, weil sie in einem zu engen System von Normen und Regeln nicht vorgesehen sind.
„Effi Briest“ bringt seine Leser nach wie vor dazu, sich ernsthafte Gedanken über die Rigidität der Gesellschaft zu machen. Der Roman funktioniert deshalb bis heute, weil sich an den festgelegten Beziehungsmustern im Wesentlichen nichts geändert hat. Die Frage, ob eine Affäre durch die ständige Vernachlässigung des Partners gerechtfertigt werden kann und wie damit umzugehen ist, könnte sich beispielsweise heute genauso stellen wie bei Instetten und Effi. Und so konfrontiert uns dieser Klassiker der Literatur auch über hundert Jahre später noch mit der Frage: Sind die Kategorien und Moralkodizes, die wir festgelegt haben, in einem postmodernen Zeitalter noch angemessen oder ist es Zeit, umzudenken?