Es ist eine etwas komplizierte Geschichte, in der eines der ersten Automobile, ein Rennpferd, eine Sardine und drei völlig unterschiedliche Männer die Hauptrollen spielen. The Reivers - zu Deutsch "Die Spitzbuben" - wurde von Nobelpreisträger William Faulkner als sein "Golden Book" verfasst, also als das Buch, mit dem er sein Lebenswerk krönen wollte. Das gelang ihm in den Augen seiner Zeitgenossen. Er erhielt dafür den Pulitzerpreis für Literatur. Heute ist diese Geschichte dagegen in Vergessenheit geraten. Vielleicht weil sie auf den ersten Blick ein bisschen an ein Kinderbuch à la Tom Sawyer und Huckleberry Finn erinnert, was die Fans des Nobelpreisträgers zu trivial fanden. Und tatsächlich ist der Held der Geschichte ein 11-jähriger Junge mit Namen Lucius Priest. Er klaut, angestiftet vom etwas unterbelichteten Chauffeur Boon, das Auto seines Großvaters, in dem Pferdetrainer Ned gerade ein Schläfchen hält. Nun muss der mit auf die Spritztour nach Memphis. Doch die Sache gerät außer Kontrolle. Um seinem Neffen zu helfen, tauscht Ned das Auto gegen ein gestohlenes Rennpferd ein. Daher hat das Buch seinen Namen "The Reivers", korrekt übersetzt „die Viehdiebe“. Um das Auto zurückzugewinnen und sich daheim wieder sehen lassen zu können, muss das gestohlene Pferd unbedingt in einem Wettrennen gewinnen.
Soweit der eigentliche Plot. Und natürlich ist alles noch viel komplizierter. Faulkner hat mit "The Reivers" einen typischen Coming-of-Age-Roman geschaffen, wie es Literaturwissenschaftler nennen, wenn ein unschuldiges Kind durch die Begegnung mit der realen Welt seine Illusionen verliert. Und das Geld spielt dabei eine entscheidende Rolle, oder vielmehr das, was Menschen bereit sind zu tun, um ans große Geld zu kommen.
Dabei weiß der kleine Lucius Priest von Anfang an, was Geld wert ist. Er arbeitet nämlich schon im Betrieb seines Großvaters mit und verdient so ein paar Cent die Woche. Am Ende des Jahres verdoppelt der Großvater regelmäßig die Summe, die Lucius davon gespart hat. Und er spart fleißig, denn das große Ziel seines Kinderlebens ist es, zwei Jagdhunde anzuschaffen. 12 Dollar müsste er dafür ausgeben, bei acht Dollars in der Sparbüchse ein erreichbares Ziel.
Lucius weiß also um den Wert des Geldes und angesichts seines mühsam ersparten Schatzes liest sich die kleine Schikane doppelt schlimm, die unsere drei Helden bewältigen müssen, ehe die große Fahrt beginnt. Wie gesagt, die Hauptrolle spielt eines der ersten Automobile der USA. Und das besitzt nicht die notwendige Motorstärke, um eine besonders schlammige Stelle zu überwinden, die es zu bewältigen gilt, ehe die gute Straße bis Memphis beginnt.
Allerdings ist dieser kleine Sumpf nicht gottgegeben, sondern menschengemacht. Ein Bauer hat ein Geschäftsmodell daraus entwickelt, mit seinem Maultiergespann zu warten, bis ein Auto in seiner schlammigen Falle steckenbleibt, um dann gegen Lohn den Karren aus dem Dreck zu ziehen. Chauffeur Boon weiß das und hat vorgesorgt. Er hat Stricke mitgebracht, mit deren Hilfe er zusammen mit Ned versucht, das Auto durch den Sumpf zu ziehen. Keine Chance. Der Bauer hat zu viel Schlamm aufgewühlt. Und so muss der nur warten, bis Boon endlich einsieht, dass ihm keine Alternative bleibt. Nur die Maultiere sind in der Lage, das Hindernis zu überwinden. Und der Bauer nutzt die Notlage. Der reiche und mächtige Großvater musste zwei Dollar zahlen. Die drei Habenichtse dagegen sechs. So etwas nennt man ein Monopol. Und gegen das können gerade die Ärmsten der Armen nichts machen.
Also zahlt Boon. Er hat nämlich einen guten Grund, um nach Memphis zu fahren. Dort arbeitet die Frau, die er liebt, in einem Bordell. Mit seiner Corrie zusammen zu sein, ist für ihn ein seltenes Vergnügen. Bei seinem Gehalt muss er monatelang sparen, um sich das leisten zu können. Die kleine Gesellschaft kommt also in Memphis an, und Lucius Priest merkt schnell, wie der Hase läuft. Corries Verwandter, ein unangenehmer Bub namens Otis klärt ihn höchstpersönlich darüber auf, auch weil er sich so mit seiner Geschäftstüchtigkeit brüsten kann: Sein erstes Geld hat Otis nämlich damit verdient, ein Loch in Corries Schlafzimmerwand zu bohren und den Platz davor für 10 Cent zu vermieten. Lucius Priest ist empört. Der Leser ist es auch. Er kann Corrie verstehen. Sie glaubte, keine andere Wahl als die Prostitution zu haben. Aber ohne eigene Anstrengung Profit aus ihrer Notlage zu ziehen, das scheint uns ein übles Geschäftsmodell. Lucius kann nicht anders, er prügelt auf Otis ein und wird verletzt, als der sich gegen die Fäuste des 11-jährigen mit einem Taschenmesser zur Wehr setzt. Als Corrie hört, warum sie der 11-jährige verteidigt, wird ihr etwas klar, nämlich dass sie nicht mehr möchte, dass andere an ihr verdienen. Sie gibt auf der Stelle die Prostitution auf, sehr zum Ärger von Boon, der nun plötzlich nicht mehr das von ihr bekommt, was er doch schon bezahlt zu haben glaubt.
Wie wütend ist er, als sie dann das, was sie ihm vorenthält, gratis einem anderen Mann gibt, und zwar einem Hilfspolizisten der übelsten Sorte. Was Boon nicht weiß: Der Polizist erpresst Corrie. Er hat nämlich das Rennpferd beschlagnahmt und droht ihn, Boon, ins Gefängnis zu stecken, wenn sie ihm zu Willen ist. Wir beobachten eine andere schmutzige Seite des Wirtschaftslebens: Korruption, Erpressung und Amtsmissbrauch. Corrie spielt mit und wird von Boon zusammengeschlagen. Und irgendwie kann der Leser nicht nur Corrie, sondern auch Boon verstehen, der in seiner Verzweiflung einen Schuldigen braucht, an dem er seinen Zorn auslassen kann.
Ach, und da ist natürlich noch die Geschichte mit dem Goldzahn, jenem Schatz einer Kollegin von Corrie, die Jahrelang darauf gespart hat, sich dieses goldene Schmuckstück leisten zu können. Wenn sie isst, legt sie ihren Zahn auf einen kleinen Teller. Sie will ihn ja schließlich nicht beschmutzen. Und von dort stiehlt ihn Otis, um ihn zum Goldwert zu verkaufen. Das könnte ja so lustig sein, würden vor unserem geistigen Auge nicht all die unbedarften Menschen auftauchen, die so hart sparen und dann zur leichten Beute für Betrüger werden.
Natürlich gibt es ein Happy End. Mit exakt 495.75 Dollar bringt der Großvater alles in Ordnung. Er bekommt sein Auto zurück und der Rennpferdbesitzer sein Rennpferd. Otis muss den goldenen Zahn hergeben und Boon heiratet seine Corrie.
Der Einzige, der nicht zufrieden damit ist, ist Lucius. Er ist noch ein unschuldiges Kind, fühlt sich schlecht, weil er Unrecht begangen hat. Er bettelt geradezu um Prügel, doch die gibt ihm der Großvater nicht. Stattdessen lernt Lucius vom weisen Alten etwas fürs Leben: Manchmal tut man Dinge, die sind nicht richtig. Und mit ihnen muss man für den Rest des Lebens klarkommen. Das ist Strafe genug.
Aber um das noch als Strafe empfinden zu können, dafür muss man wohl ein intaktes Gewissen und einen klaren moralischen Kompass besitzen, der so vielen im Laufe ihres Lebens verloren geht. Oder wie heißt es im Neuen Testament: Wenn ihr nicht umkehrt und wie die Kinder werdet, könnt ihr nicht in das Himmelreich kommen.