„Eine der merkwürdigsten Staatsbegebenheiten, die das sechzehnte Jahrhundert zum glänzendsten der Welt gemacht haben, dünkt mir die Gründung der niederländischen Freiheit. Wenn die schimmernden Taten der Ruhmsucht und einer verderblichen Herrschbegierde auf unsere Bewunderung Anspruch machen, wie viel mehr eine Begebenheit, wo die bedrängte Menschheit um ihre edelsten Rechte ringt.“ So beginnt Friedrich Schiller seine „Geschichte des Abfalls der Vereinigten Niederlande von der Spanischen Regierung.“ Phrasen wie „Gründung der niederländischen Freiheit“ oder „wo die bedrängte Menschheit um die edelsten Rechte ringt“, das ist zweifelsohne große Literatur. Mit Geschichtsschreibung hat es allerdings nichts zu tun.
Denn auch Friedrich Schiller machte den Fehler vieler Historiker und übernahm die Aussagen der niederländischen Quellen, ohne sie zu hinterfragen. Doch viele Streitschriften und Bücher waren dezidiert dazu gedacht, den spanischen Gegner systematisch zu diskreditieren. Juristisch gesehen befanden sich nämlich die aufständischen Niederlande im Unrecht. Deshalb war es umso wichtiger, dem vertriebenen Herrscher ein moralisches Versagen anzulasten. Die niederländische Publizistik war dabei sehr gründlich. Wenn wir heute von den Schrecken der spanischen Inquisition wissen, während wir die Ketzerverbrennungen calvinistischer Städte vergessen haben, wenn uns die Behandlung der Indios Südamerikas Tränen in die Augen treibt, während wir noch nie von den unmenschlichen Foltern gehört haben, mit denen die niederländischen Faktoren die Einheimischen auf den Gewürzinseln traktierten, dann sind wir nach fast einem halben Jahrtausend immer noch ein Opfer der Legenda negra, der schwarzen Legende. Mit diesem Begriff bezeichneten erstmals spanische Historiker des 19. Jahrhunderts das einseitige Geschichtsbild, das Protestanten in ganz Europa über ihre militärischen und weltanschaulichen Gegner verbreiteten: über die Spanier.
Artikeltext:
Von der Spanier Tyrannei und Listen
Dem MoneyMuseum ist es gelungen, eine der vielen kleinen Schriften zu erwerben, deren Inhalt sich gegen die Spanier richtet. Das Pamphlet ist ein gutes Beispiel dafür, wie die schwarze Legende systematisch eingesetzt wurde, um die politischen Anliegen der Protestanten zu fördern. Unsere in die deutscher Sprache übersetzte Schrift richtet sich an die deutsche Öffentlichkeit und erschien im Jahr 1599. Ihr langer Titel lautet - übersetzt ins heutige Deutsch - Eine sehr wichtige, ehrliche und gut gemeinte Warnung und ermahnende Schrift, in der die Tyrannei, List, Anschläge und Hinterlistigkeiten der Spanier gegen die Christen enthüllt [werden] und wie möglichst schnell ihre Gewalt zu brechen sei, [beschrieben wird].
Der Titel wie auch der Inhalt ist nicht neu. Er erschien erstmals in einem im Jahr 1585 publizierten Pamphlet. Doch der Anlass, aus dem man die alten Vorurteile wieder aufwärmte, war brandaktuell und extrem politisch. Denn was kann politischer sein als die Frage, wer wie viel Steuern zu zahlen hat?
Der Reichstag, der Kaiser und der Türkenkrieg
Machen wir einen kleinen Exkurs. Werfen wir einen Blick auf die Steuerverhältnisse in der frühen Neuzeit. Der Kaiser hatte als Herrscher des Heiligen Reichs Deutscher Nation das Recht, Steuern zu erheben. Allerdings nur unter ganz bestimmten Umständen und wenn der Reichstag zustimmte. Als Grund galt zum Beispiel die Abwehr eines gemeinsamen Feindes, der auf Reichsgebiet eingedrungen war und vertrieben werden sollte. Nun befinden wir uns im Jahr 1599, als unsere Broschüre gedruckt wurde, also mitten im „Langen Türkenkrieg“. Dem Kaiser war es ein Jahr zuvor während seines Reichstags von 1597/8 gelungen, die Reichsstände zu einer sehr hohen Steuer zu bewegen. Damit sollte die Abwehr der Türken finanziert werden.
Während die geistlichen Stände, die von der Steuer übrigens kaum betroffen waren, einstimmig zugestimmt hatten, gab es vor allem unter den protestantischen Fürsten viele, die sich an diese Abmachung nicht halten wollten. Es wurde diskutiert, ob eine Mehrheit das Recht habe, die Minderheit auf die Beschlüsse der Mehrheit zu verpflichten. Und einige der protestantischen Fürsten versuchten, die hohen Steuern nach unten zu korrigieren, wofür sie Scharmützel nutzten, die sie gegen die Spanier ausgefochten hatten.
Der Spanische Winter 1598/9
Das spanische Heer, das eigentlich dazu eingesetzt werden sollte, die Niederlande zur Raison zu bringen, hatte sich nämlich im Winter 1598/9 jenseits des Rheins, also im Norden des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation, ins Winterquartier begeben. Die betroffenen Gebiete warfen den Spaniern vor, dabei so brutal gehaust zu haben, als wären sie nicht auf neutralem Land im Winterlager gewesen, sondern in Feindesland eingefallen.
Wir dürfen davon ausgehen, dass die Spanier sich tatsächlich mit Gewalt nahmen, was sie brauchten, denn der spanische König war notorisch knapp bei Kasse und hatte seinen Feldherrn nicht mit ausreichenden Mitteln ausgestattet. Wir sollten aber auch daran denken, dass das nicht unbedingt nur die spanischen Truppen so taten.
Außerdem war die entscheidende Frage eine ganz andere. Die protestantischen Fürsten hatten im Rahmen eines lokalen Kreistages bereits im September 1598 - als noch niemand wissen konnte, dass die Spanier sich feindlich verhalten würden - dafür stark gemacht, ein Reichsheer gegen sie aufzustellen. Die Kosten dafür sollten mittels Steuern auf das ganze Reich umgelegt werden. Dazu war es nicht gekommen: Es fehlte die nötige Mehrheit. Deshalb stellten einige protestantische Fürsten ein eigenes Heer auf, das sie gegen die Spanier führen wollten.
Es kam zu keiner großen Schlacht, da die Spanier - sobald das Wetter besser wurde und sie ihr Winterlager verlassen konnten - den Rhein erneut überquerten, also das Reichsgebiet verließen, um ihren Krieg in den Niederlanden fortzusetzen.
Der publizistische Kampf um die Türkensteuer
Und nun begann die Diskussion darüber, ob die Kosten für dieses Heer gegen die Spanier von den Kosten abgezogen werden durfte, die der Kaiser für die Türkensteuer forderte. Rechtlich eine klare Sache. Nicht umsonst entschied das Reichsgericht immer wieder gegen die protestantischen Fürsten. Und gerade weil die Rechtslage klar war, musste auf Propaganda zurückgegriffen werden: Das Winterlager der Spanier wurde zu einem schrecklichen Ereignis hochstilisiert, wie es in dieser Brutalität noch nie stattgefunden hatte. Vielleicht war das tatsächlich so. Wir wissen es nicht. Allerdings muss man sich fragen, ob man die Schilderungen, die eindeutig einen bestimmten Zweck verfolgten, für bare Münze nehmen kann.
Unser kleines Pamphlet zum Beispiel wiederholt noch einmal all die existierenden Vorurteile der schwarzen Legende: Die Spanier hätten „Occidentalis Indiam (= Amerika) mit erschrecklicher unmenschlicher Grausamkeit verderbet und bezwungen“ und „die Inquisition zum ersten den Neapolitanern darnach den Mailändern und letztlich den Sizilianern und anderen Völkern aufgezwungen unter dem Schein, die katholische Religion zu beschützen“. Sie hätten die Niederlande unterdrückt und die Feinde der Königin von England unterstützt. Es sei Gottes Hand gewesen, die den Prinzen von Oranien befähigte, mit seinen wenigen Soldaten die gewaltige Übermacht der Spanier zunichte zu machen. Alle rechtgläubigen (gemeint ist natürlich protestantischen) Fürsten müssten sich wehren, damit nicht die gesamte Christenheit im Heiligen Reich Deutscher Nation von den spanischen Truppen überschwemmt werde.
Um es ganz klar zu sagen: Das hatten die Spanier nie vor. Sie wollten lediglich die Provinzen, die sie von ihren Vorfahren ererbt hatten, unter ihre Herrschaft zurückbringen. Andere Herrscher taten ständig das gleiche - mit nicht mehr und nicht weniger Gewalt.
Aber die Spanier mussten die schlimmsten Menschen auf Erden sein, denn ihre moralische Verworfenheit ließ die Schwäche der juristischen Position der Reichsfürsten, die ihre Steuer reduzieren wollten, vergessen.
Spannend ist, dass wir diese Propaganda heute noch ohne nachzudenken glauben. Es ist ein gutes Beispiel, dass das alte Sprichwort recht hat: Wer schreibt, der bleibt.
Was Sie sonst noch interessieren könnte:
Wir haben dieses Werk beim Grazer Buch- und Kunstantiquariat Wolfgang Friebes erworben.
Wenn Sie wissen möchten, wie es tatsächlich in den Kerkern der Inquisition ausgesehen hat, dann lesen Sie diesen Beitrag aus unserer Partner-Publikation MünzenWoche.
Einen fundierten Artikel zur Leyenda negra finden Sie hier.