Sonntäglich gekleidete Menschen, die zwischen Statuen flanieren, die Damen mit ausladenden Röcken und Fächern, die Herren tief den Hut ziehend, wenn ihnen ein Bekannter über den Weg läuft, ein eleganter Tee-Salon, erfüllt von geistreicher Konversation im Stile von Jane Austen, das sind die Assoziationen, die uns durch den Kopf schießen, wenn wir uns die erste Weltausstellung in London vorzustellen versuchen.
Prince Albert, Gemahl von Königin Victoria, übernahm die Schutzherrschaft über diese für damalige Verhältnisse revolutionäre Veranstaltung. Es war unglaublich, dass die würdigen Mitglieder der Royal Society for the Encouragement of Arts, Manufactures & Commerce konkurrierende Handeltreibenden und Fabrikanten aus der ganzen(!) Welt einluden, ihre Waren zu präsentieren, und nicht nur die altbekannten Geschäftsfreunde aus Großbritannien und seinen Kolonien.
Alles an dieser Weltausstellung war unerhört! Angefangen vom Glaspalast, den ein Architekt für Gewächshäuser entworfen hatte, bis hin zu den unglaublichen 17.062 Ausstellern aus 28 Ländern, die anwesend waren, als die Veranstaltung am 1. Mai des Jahres 1851 von Königin Victoria höchstpersönlich eröffnet wurde.
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Just for fun? - oder warum die Weltausstellung tatsächlich durchgeführt wurde
Aus der ganzen Welt kamen sechs Millionen Besucher, um die „Great Exhibition“ zu sehen. Doch die bunte Szenerie der zeitgenössischen Stiche darf uns nicht in die Irre führen. Die Veranstaltung diente nicht ausschließlich dem Vergnügen oder dem Gewinn. Ihre Initiatoren hatten eine politische Agenda. Die erste Weltausstellung war eine gelungene PR Aktion für den weltweiten Freihandel, den britische Politiker und Ökonomen forderten.
Großbritannien war zu diesem Zeitpunkt bereits weit fortgeschritten in der Industrialisierung, und zwar so weit, dass es für seine in Rekordzeit produzierten Waren neue Absatzmärkte suchte. Doch die meisten Länder des Kontinents schützten ihre heimische Industrie durch hohe Schutzzölle. Die waren den britischen Unternehmern ein Dorn im Auge. Doch wie konnte man die Regierungen Europas von einem Paradigmenwechsel hinsichtlich der Zollpolitik überzeugen?
Die Briten setzten auf den Unternehmergeist ihrer Konkurrenz. Wer bei einem Wegfall aller Zollschranken die Hoffnung hegt, daraus einen Gewinn zu ziehen, wird eher bereit sein, für die Abschaffung von Schutzzöllen einzutreten. Es galt also, gerade den nicht-britischen Kollegen zu zeigen, dass sie Chancen hatten, auf einem internationalen Markt nicht nur zu bestehen, sondern auch zu florieren. Deshalb war es ein wichtiges Anliegen der Great Exhibition, potentiellen Handelspartnern ein Podium zu bieten.
Schweizer Teilnehmer
Natürlich nahm auch die Schweiz an der ersten Weltausstellung teil. Eine Kommission der verschiedenen Stände betreute die 273 Aussteller. Es ist interessant, welche Waren die Schweiz damals exportierte. Das waren allem voran natürlich Uhren und delikate Juwelierarbeiten, aber auch Stickereien, wie sie in St. Gallen angefertigt wurden, Seidenbänder sowie gefärbte Baumwollstoffe aus Basel. Hier hat übrigens die Basler Chemie ihren Ursprung: zum Färben benutzte man die chemisch hergestellten, wesentlich kostengünstigeren Farben.
Die Stände der Schweizer Aussteller waren zusammen größer als die aller Aussteller von Spanien, Portugal und deren Kolonien gemeinsam. Dies kann durchaus als ein Zeichen dafür gesehen werden, dass die spanische Welt den Anschluss an die Industrialisierung verloren hatte, während die Schweiz Mitte des 19. Jahrhunderts zu den wichtigen Industrienationen gezählt wurde.
Deutschland im Jahr 1851
Deutschland schickte insgesamt 1.720 Aussteller ins Rennen. Wobei, Deutschland gab es damals ja noch gar nicht. Der Versuch, ein vereinigtes deutsches Reich zu gründen, hatte nur zwei Jahre zuvor ein blutiges Ende gefunden. 1851 saßen die fortschrittlichen Intellektuellen im Gefängnis, lebten im Exil oder hielten den Mund. Wir müssen uns die damalige Politik der deutschen Klein- und Großstaaten ungefähr so vorstellen, wie sie heute in China üblich ist: Keinerlei Zugeständnisse hinsichtlich Meinungsfreiheit und politischer Mitwirkung, dafür aber volle Unterstützung für die skrupellose Bereicherung unternehmungslustiger Individuen.
Teil des Programms zur Förderung der deutschen Wirtschaft war der deutsche Zollverein, der 1834 unter Führung Preußens gegründet worden war und Mitte des 19. Jahrhunderts blühte und gedieh. Durch ihn wurden die unzähligen kleinen Zollschranken abgeschafft, was den Handel innerhalb Deutschlands wesentlich erleichterte. Nicht alle Staaten gehörten dem Zollverein an. Vor allem die Hansestädte und das durch Personalunion mit Großbritannien verbundene Hannover zögerten noch lange, ehe sie sich ihm anschlossen.
Nichtsdestotrotz war der Zollverein eine politische und vor allem wirtschaftliche Größe. In ihm fanden viele Anhänger des fortschrittlichen Bürgertums eine Institution, für die sie sich engagieren konnten.
Ein Bericht von 2.522 Seiten
Im Zollverein sammelten sich viele Männer - Frauen hielt man im 19. Jahrhundert für ungeeignet, die wirtschaftliche Entwicklung zu befördern -, denen der Fortschritt und ihr Gewinn am Herzen lag. Die vielen Handelsvereine, deren machtvolle Gebäude heute noch unsere Innenstädte prägen, gehen auf diese Zeit zurück. In ihnen wurde über Mittel und Wege beraten, die Wirtschaft zu fördern, und dazu gehörte eben auch die Teilnahme an der ersten Weltausstellung in London.
Alle Handelsvereine des Deutschen Zollvereins gründeten gemeinsam eine überstaatliche Kommission, die den gemeinsamen Auftritt der deutschen Unternehmer organisierte, die Ausstellungsflächen anmietete und Hilfestellung bei der Teilnahme gab. Darüber hinaus hatte diese Kommission noch eine zweite Aufgabe: Sie erstattete allen Regierungsmitgliedern und Handelsvereinen detailliert Bericht darüber, was auf der Ausstellung zu sehen gewesen war. Dies tat übrigens nicht nur die deutsche Kommission, auch die Franzosen publizierten eine vergleichbare Zusammenfassung.
Der deutsche Bericht füllt insgesamt drei Bände mit exakt 2.522 Seiten. Dem MoneyMuseum ist es gelungen, den ersten der drei Bände beim Antiquariat Klaus Breinlich zu erwerben. In ihm werden die Abteilungen Rohstoffe und Maschinen einer kritischen Sichtung unterzogen. Band 2 ist ausschließlich textilen Erzeugnissen vorbehalten, während Band 3 Waren aus Metall, Glas, Ton, Holz und Stein sowie Kunstobjekte bewertet.
Verantwortlich zeichneten dreiunddreißig führende Fachleute der jeweiligen Branchen, die als offizielle Berichterstatter des deutschen Zollvereins nach Großbritannien gesandt worden waren. Sie sammelten zu jedem einzelnen Ausstellungsobjekt Informationen und beurteilten kritisch, in wie weit es besser oder schlechter war als deutsche Konkurrenzprodukte.
Nur eins von vielen Hundert Beispielen
Sehen wir uns stellvertretend nur eine einzige Gruppe von Erzeugnissen an, die unser Bericht listet. In der Zweiten Gruppe „Maschinenwesen“ wurden in der Klasse „VI Fabrikmaschinen und Werkzeuge zur Herstellung derselben“ unter „D Werkzeugmaschinen zur Metallbearbeitung“ als letzte Abteilung „§154 Münzmaschinen“ beschrieben, also viele verschiedene Maschinen, die in der Münzprägung eingesetzt wurden.
Ihnen sind bescheidene 1 1/4 Seiten gewidmet, aber trotzdem erfahren wir
- dass acht Firmen insgesamt zehn Maschinen ausstellten
- wofür diese Maschinen jeweils zum Einsatz kamen
- was diese Maschinen leisteten
- wo sie bereits im Einsatz waren
- was sie kosteten
- und ob sie neue, bisher unbekannte Techniken verwendeten.
Die Beschreibungen sind so genau, dass eine Fachperson noch heute versteht, um welche Maschinen es in diesem Text geht, und das obwohl keine einzige Abbildung beigegeben ist.
Und solche Beschreibungen existierten allein in diesem ersten Band von Hunderten von Bereichen!
Auch wenn sich heutige Bücher und Lexikonartikel gerne auf die malerischen Details der Great Exhibition von 1851 konzentrieren, war in ihrem innersten Kern eine reine Industrie- und Handelsausstellung, auf der Unternehmer neue Kontakte knüpften. Die hübschen Ladies mit ihren ausladenden Röcken sollten uns nicht darüber hinwegtäuschen, dass es bei der Great Exhibition um nichts anderes als Big Business ging.
Was Sie sonst noch interessieren könnte:
Sie können sich alle drei Bände im Internet ansehen.
Erworben wurde das Buch im Antiquariat Klaus Breinlich.
Das Konzept der internationalen Handelsmesse wurde selbst bald erfolgreich exportiert, zum Beispiel nach Chicago, wo 1893 eine Weltausstellung stattfand.