Spätestens seit dem Welterfolg von J. R. R. Tolkiens Romantrilogie "Der Herr der Ringe" ist Fantasy-Literatur vor allem für junge Leser ein Grund, sich stundenlang mit einem Buch zurückzuziehen und sich in ferne, zauberhafte Welten tragen zu lassen. Man folgt den Protagonisten in halsbrecherische Abenteuer mit Riesen und Ungeheuern, vielleicht sogar ins Totenreich oder bis ans Ende der Welt. Dabei ist der Reiz an solchen Geschichten von Göttern und Helden bei weitem keine neue Erfindung - "Die Edda" sind der lebende Beweis.
Als "Die Edda" bezeichnet man heute eine Sammlung von Götter- und Heldenliedern der Germanen in altisländischer Sprache. Es ist nicht mehr möglich, zu rekonstruieren, wann welche Teile davon entstanden sind. Obgleich der Großteil davon spätestens im 13. Jahrhundert niedergeschrieben wurde, wird vermutet, dass einige der überlieferten Sagen darin wesentlich älter sind. Es kommen zum einen Geschichten mit historischem Kontext aus der Völkerwanderungszeit vor, aber auch Mythen von der Entstehung der Welt und den Göttern, sowie 15 Lieder, die sich um die Nibelungensage drehen.
Einem heutigen Leser bietet das Werk eine unglaubliche Fülle an spannenden Erzählungen. Da gibt es Riesen und Götter, die miteinander verfeindet sind, Zwerge, Walküren und auch Menschen. Eine riesige Seeschlange umschlingt die Welt Midgard, in der unter anderem die Menschen leben. Die Unterwelt wird von der Schwester der Midgardschlange, einer Göttin namens Hel bewacht; und der Bruder der beiden ist wiederrum ein riesiger Wolf, von dem sich sogar die Götter bedroht fühlen. Eines Tages, so heißt es, wird es zu einer großen Schlacht zwischen Riesen und Göttern kommen und der Wolf Fenrir wird sich befreien und den höchsten aller Götter verschlingen.
Dies ist jedoch nur ein winziger Bruchteil dessen, was in "Die Edda" zu finden ist. Vieles davon erinnert stark an die griechischen und römischen Mythen, die vielen Lesern vertrauter sein werden. So gibt es auch hier einen Kriegsgott wie Ares, nur dass er hier Tyr heißt und gegen den Fenriswolf kämpfen muss. Es gibt auch eine Venus-ähnliche Liebesgöttin namens Freya und einen Göttervater wie Zeus/Jupiter, der bei den Germanen Odin heißt. Abgesehen von den Göttern werden zahlreiche packende Geschichten von Helden und Heldinnen erzählt. Es geht um Rache, um Ehre, Mord und Mut.
Immer wieder wurden die Geschichten der "Edda" auch in modernen Werken der Literatur verarbeitet. Vor allem "Herr der Ringe"-Autor Tolkien bezog sich sehr stark darauf und entlehnte auch viele Namen von den germanischen Mythen. Der Name für die Welt 'Mittelerde' kommt beispielsweise vom altnordischen 'Midgard'. Sein gesamtes literarisches Werk baut eindeutig auf die "Edda" auf. Und Tolkien ist nur einer von unzähligen Autoren, die germanischen Götter- und Heldenlieder in ihren Werken benutzt haben.
Trotzdem - oder gerade deshalb - ist es für Leser jeden Alters eine spannende Aufgabe, sich "Die Edda" vorzunehmen. Das Werk führt uns zurück an die ersten Anfänge unserer eigenen Kultur. Zurück zur Basis, gewissermaßen. Darin wird unsere eigene Welt mythologisch aufgeladen und der Ort, an dem wir heute leben, mit ehemaligen Helden und Göttern gefüllt. Was könnte aufregender sein, als sich auf so eine fantastische Welt einzulassen, in der es in Nord- und Mitteleuropa noch von Riesen, Zwergen und anderen Gestalten wimmelte?