Wenige Menschen haben unser Bild der französischen Vergangenheit stärker geprägt als Prosper Mérimée. Nein, nicht durch seine Schriften. Da war Victor Hugo mit seinem Glöckner von Notre-Dame weitaus erfolgreicher. Aber Prosper Mérimée diente Jahrzehntelang als Chef der ersten französischen Denkmalschutzbehörde. Auf ihn geht die Restaurierung ikonischer Gebäudekomplexe zurück. Man denke nur an die malerische Altstadt von Carcasson oder das Kloster von Fontevrault, wo Richard Löwenherz seine letzte Ruhestätte gefunden hat. Als Prosper Mérimée auf seinen Inspektionsreisen durch Frankreich zog, fand er von all diesen Bauten gerade noch die Ruinen vor, Mauerreste, großenteils ohne Dach, die er von seinem Freund Eugène Viollet-le-Duc zu den Attraktionen auf- und umbauen ließ, die wir heute als Weltkulturerbe bewundern.
Dass überhaupt so etwas wie eine Denkmalschutzbehörde eingerichtet wurde, war eine moderne Erscheinung, und Mérimée war daran mit seinen Schriften nicht unwesentlich beteiligt. Seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts verschwand nämlich das mittelalterliche Frankreich zusehends. Gerade in Paris konnte man auf seinem täglichen Spaziergang beobachten, wie moderne Zweckbauten die alten Gemäuer verdrängten. Niemand außer einigen wenigen Intellektuellen schien sich für die ehrwürdigen Zeugnisse französischer Geschichte noch zu interessieren.
Was lag näher für eben diese Intellektuellen, als sich für deren Erhalt mit der Feder einzusetzen? Es galt, die Vergangenheit im Roman zum Leben zu erwecken, um aus ihren wertlosen Überbleibseln kostbare Reliquien zu formen. Victor Hugo veröffentlichte 1829 seinen Glöckner. Und Mérimée publizierte im gleichen Jahr die Bartholomäusnacht.
Der Roman handelt von den schrecklichsten Ereignissen der französischen Geschichte, von dem großen Bruderkrieg, den die Reformation mit sich brachte. Im Mittelpunkt stehen die Brüder Bernard und George de Mergy, der eine ein Hugenotte, der andere aus Karrieregründen zum Katholizismus konvertiert. Sie erleben – auf unterschiedlichen Seiten stehend – die Höhepunkte des mörderischen Kampfes, das brutale Massaker der Bartholomäusnacht und die Belagerung der Festung von La Rochelle. Es ist erzählerisch nur konsequent, dass der katholische George zuletzt stirbt, weil sein hugenottischer Bruder auf ihn schießen lassen muss.
Nicht konsequent und vor allem im historischen Kontext unglaubwürdig ist das glühende Plädoyer für den Atheismus, mit dem der Roman endet. Der sterbende George weigert sich, wie damals üblich zu beichten. Für einen Prosper Mérimée war dies die einzig mögliche Schlussfolgerung, die ein denkender Mensch aus den historischen Ereignissen ziehen konnte. Wie kann man, so die Botschaft des Buches, einem Gott vertrauen, der zulässt, dass solches in seinem Namen geschieht? Hier spiegelt sich die Meinung des Autors, nicht historisches Denken. Prosper Mérimée war bekennender Atheist, der als Sohn eines Vaters, der Voltaire verehrte, keinen der üblichen Heiligennamen trug, sondern nach dem Zauberer von Shakespeares Sturm benannt war.
Auch wenn heute die meisten Leser Prosper Mérimée gerade noch als Autor der Geschichte von Bizets Carmen kennen, hat er in seiner Bartholomäusnacht den Urtyp des Mantel- und Degen-Filmhelden geschaffen, dem Dumas ein gutes Jahrzehnt später mit seinen Musketieren zur Unsterblichkeit verhelfen sollte.