Ist ein Maler Handwerker oder Künstler? Natürlich ein Handwerker, hätte es um 1500 geheißen. Damals entstanden Gemälde in einer Werkstatt. Lehrlinge und Gesellen produzierten unter der Aufsicht ihres Meisters, was der Auftraggeber wünschte. Sie hielten sich dabei an einen Vertrag, der festlegte, was und wie es darzustellen sei. Der Malermeister verdiente gut daran, die Glorie der Reichen und Schönen mit seinen Farben zu verewigen.
Heute sehen wir das anders. Der Künstler gilt uns als Genie, das häufig von seiner Zeit verachtet Dinge schafft, die so schön sind, dass sie ihre Epoche überleben und noch in der fernsten Zukunft vom Ruhme ihres Schöpfers künden. Wenn wir fragen, wann der Maler vom Handwerker zum Künstler wurde, dann steht Albrecht Dürer im Mittelpunkt.
1471 als Sohn eines angesehenen Goldschmids geboren, lernte Dürer sein Handwerk, ehe er die reiche Agnes Frey heiratete. Sie brachte ihm 200 Gulden mit in die Ehe, für die damalige Zeit eine beträchtliche Summe, die es ihm ermöglichte, nach Italien zu reisen.
Dort war es einzelnen gelungen, sich als Intellektuelle und Künstler zu etablieren. Das gefiel dem jungen Mann. Auch er wollte am Tisch der Fürsten speisen und mit den bedeutendsten Denkern diskutieren. Was lockte, war nicht nur die Anerkennung, sondern handfeste Vorteile. Die Zahlung einer Rente aus dem Geldbeutel eines Mäzens mochte einen Maler davon entbinden, ungeliebte Aufträge aus finanziellen Erwägungen auszuführen. Dürer gelang der Karrieresprung. Kaiser Maximilian I. setzte ihm eine Leibrente von 100 Gulden aus.
Solch große Anerkennung war Dürer nicht wegen seiner die Natur perfekt imitierenden Gemälde zuteil geworden. Er hatte studiert, las und verfasste eigenhändig bemerkenswerte Studien. Dürer war ein Spezialist der Messkunst, der Konstruktion und der Mathematik. Er ließ sein Wissen in seine Bilder einfließen, was er seinen Kunden wortreich erklärt haben mag.
Eine dieser Studien sind die vier Bücher von menschlicher Proportion, von denen uns hier eine Übersetzung ins Italienische aus dem Jahr 1591 vorliegt. Sie erschien erst 1528, kurz nach Dürers Tod, im Druck. Bereits vier Jahre später gab es eine lateinische Version für den internationalen Markt. Und dass dieser Dürers Schrift für wichtig hielt, zeigt unsere italienische Übersetzung.
Dürer will mit seinem Buch nicht den menschlichen Körper als Maß aller Dinge etablieren. Vielmehr dienen ihm seine Berechnungen zur Konstruktion eines überidealen Menschen, wie er heute dank Bildbearbeitung mittels Photoshop die Massenmedien dominiert.
Durch seine theoretischen Schriften stieg der Handwerker Dürer zum Humanisten und Künstler auf. Seine zahlreichen Selbstporträts sagen uns, dass der Mann, mit dem ein Erasmus von Rotterdam gerne diskutierte, sich seiner herausgehobenen Stellung durchaus bewusst war. Der Handwerker hatte dank Schriften wie dieser den Aufstieg zum Künstler bewältigt.