„Cäsar schlug die Gallier. Hatte er nicht wenigstens einen Koch dabei?“ so wagte Bertold Brecht in seinem Gedicht „Fragen eines lesenden Arbeiters“ nachzuhaken. Eine gute Frage, denn häufig scheint Geschichte ganz oben stattzufinden. Herrscher geben die Befehle. Und damit ist es getan. Als bräuchte es keine Soldaten, um die befohlenen Schlachten zu schlagen.
Ulrich Bräkers „Der arme Mann im Tockenburg“ ist berühmt, weil dieser Autor zu den wenigen gehört, die eine Antwort auf Brechts Frage bieten. Natürlich nicht für die Zeit Caesars, sondern für die Epoche des Siebenjährigen Krieg (1756-1763).
Manche sehen in diesem Kampf den ersten Weltkrieg der Geschichte. Friedrich der Große wurde durch ihn zur Legende. Ein wichtiges Ereignis also. Für Ulrich Bräker dagegen bedeutete er lediglich ein prekäres Arbeitsverhältnis. Sein Dienst als preußischer Soldat brachte Bräker nicht genug Sold, um davon leben, geschweige denn etwas für die Familie oder eine Altenvorsorge zurücklegen zu können. Bräker selbst schildert das so: „Hierauf ging ich in die Schenke und liess mir ein Mittagessen zusammen mit einem Krug Bier geben. Dafür musste ich 2 Groschen zahlen. Nun blieben mir von den sechsen noch vier übrig; mit denen sollte ich vier Tage lang auskommen – und sie reichten doch bloss für zwei. Beim Rechnen jammerte ich laut vor meinen Kameraden. Allein Cran, einer von ihnen, sagte lachend: ,Das wird dich lehren. Macht nichts. Du hast ja noch allerlei zu verkaufen. ... Und wegen des Haushalts, sieh genau zu, wie es die anderen machen. Da kaufen drei, vier, fünf miteinander Dinkel, Erbsen, Kartoffeln und dergleichen und kochen selbst. Am Morgen für einen Dreier Fusel und ein Stück Brot, mittags um einen Dreier Suppe aus der Schenke und ein Stück Brot, Abends um zwei Pfennig Dünnbier und ein Stück Brot. ... Ein Soldat braucht noch andere Dinge: Kreide, Puder, Schuhe, Öl, Seife und noch mehr.‘ Ich: ,Und das muss einer alles aus den 6 Groschen bezahlen?‘ Er: ,Ja! Und noch viel mehr, wie z. B. den Lohn für das Waschen, für das Gewehrputzen und vieles mehr, wenn er es nicht selbst kann.‘“
All diese Aussagen stimmen bis ins letzte Detail, denn Ulrich Bräker (1735-1798) spricht aus Erfahrung. Er erzählt seine eigene Lebensgeschichte, ungewöhnlich für den Sohn eines einfachen Bauern. Aber Bräker war ganz schön herumgekommen. Er hatte sich mit 21 Jahren von einem preußischen Werbeoffizier dazu verleiten lassen, in den Militärdienst einzutreten. Für den Werbeoffizier ein gutes Geschäft, denn er erhielt für jeden geworbenen Mann ein Kopfgeld. Für Bräker eine schlechte Entscheidung, die er so bald wie möglich revidierte. Er desertierte und kehrte nach Hause zurück.
Doch auch daheim ist das Leben hart, wenn man eine neunköpfige Familie ernähren muss. Bräker ist Kleinbauer. Da reicht das Einkommen hinten und vorne nicht. Deshalb verdient er sich wie all die anderen etwas dazu. Er arbeitet in der St. Galler Tuchindustrie. Die Stoffe werden in Heimarbeit produziert, weil auf dem Land die Löhne wesentlich niedriger sind. Bräker ist ein Verbindungsmann der St. Galler Tuchherren. Er bringt das Rohmaterial zu den Heimwerkern, kontrolliert ihre Arbeit, bezahlt und liefert die fertige Arbeit in die Stadt.
Bräkers Autobiographie ist eine Fundgrube für jeden, der sich mit Alltagsgeschichte beschäftigt. Denn dieser Autor erzählt Geschichte von unten, Geschichte aus der Perspektive all derer, die sie erleiden mussten. Er gibt den Sprachlosen eine Stimme und erinnert daran, dass einst auch Schweizer ins Ausland gehen mussten, weil es daheim nicht genug Arbeit und Einkommen gab.