Ist der real existierende Sozialismus in der Lage, die Gier des Menschen nach Geld zu besiegen? Wenn man das Buch „Das Goldene Kalb“ der beiden sowjetischen Schriftsteller und Journalisten Ilja Ilf und Jewgenij Petrow liest, dann muss man die Frage eindeutig mit „nein“ beantworten. Kommunismus hin oder her, Geld behält seinen Reiz, und das sogar wenn man mit diesem Geld nichts mehr kaufen kann.
Im Zentrum der Geschichte steht der Kleinkriminelle Ostap Bender. Der möchte – oh Überraschung – ans große Geld. Er hört von Alexandr Koreiko, einem heimlichen Millionär. Der hat dank seiner guten Verbindungen zu den sowjetischen Machthabern ein Vermögen gemacht. Und damit wartet er nun auf bessere Zeiten, sprich auf das Ende der Sowjetunion. In der Zwischenzeit schleppt er sein Geld in einem Koffer mit sich herum. Bender möchte einen Anteil an den heimlichen Millionen haben. Dafür erpresst er ihren Besitzer. Tatsächlich gelingt es ihm, sich diese Million zu erschleichen, und nun kann das Dolce Vita beginnen!
Zu dumm, dass im sowjetischen Russland all die Dinge nicht für Geld zu kaufen sind, die es für ein süßes Leben braucht! Keine Villa, kein großes Auto, keine schicken Anzüge! Was macht man mit einer Million, mit der man nichts kaufen kann? In seiner Verzweiflung überlegt der desillusionierte Erpresser sogar, die Million dem Finanzministerium zu schenken. Das geht ihm aber denn doch zu weit. So kauft er Gold und Juwelen – im Staat der Arbeiter und Bauern mindestens genauso unnütz wie Geld – und versucht, die Grenze zu Rumänien zu überqueren. Doch auch das scheitert. Der Räuber wird seinerseits beraubt und steht am Ende ohne jeden Reichtum da. „Nun werde ich mich zum Hausmeister umqualifizieren.“ Der letzte Satz Benders und des ganzen Buches ist in Russland ein geflügeltes Wort. Es bringt zum Ausdruck, dass all die schönen Träume geplatzt sind.
Das Goldene Kalb ist eine wunderbare Satire, die mit ihrem Titel eine alttestamentarische Geschichte aufgreift: Während Moses einsam auf dem Berg Sinai sitzt und dort auf die Gebote Gottes wartet, fallen die Israelis von Jahwe ab und umtanzen das Goldene Kalb. Nicht anders Bender als Vertreter des neuen kommunistischen Menschen. Während die Großen im Kreml ein Paradies auf Erden schaffen wollen – bekanntlich blieb es beim Willen, aber das war damals noch nicht abzusehen –, ist dem durchschnittlichen Sowjetbürger das alte Geld näher als der neue Gemeinschaftsbesitz.
Das Goldene Kalb erschien 1931. Das Buch wurde praktisch über Nacht berühmt. Es prägte die russische Sprache und bereicherte sie um unzählige Redensarten. Kein Zensor verhinderte dessen Erscheinen, eine Tatsache, die man in Deutschland nach 1933 nicht mehr glauben wollte. Als einer der Autoren 1937 an Tuberkulose starb, behauptete eine nationalsozialistische Zeitung, die sowjetische Regierung habe ihn wegen seiner Kritik am sowjetischen Regime ermordet.
Tatsächlich lag Ilf und Petrow nichts ferner als Kritik am System. Ihr Roman ist beste Unterhaltung; er zeigt den Menschen mit all seinen Sehnsüchten, Schwächen und Träumen, der an den Umständen scheitert. Nur weil nun der Kommunismus herrscht, ist der Traum vom persönlichen Reichtum eben nicht gestorben. Doch dass Reichtum im neuen Russland nichts mehr nutzt, ist eine sehr sowjetische Botschaft. Geld funktioniert eben nur in Gesellschaften, in denen man sich davon auch etwas kaufen kann.