In Europa las man mit Begeisterung Bücher über die Ferne. Neue Reiseberichte über fremde Teile der Welt, am besten noch mit Karten und schönen Kupferstichen – damit konnten Verleger nichts verkehrt machen. Und besonders gern las man über China. Das exotische „Reich der Mitte“ faszinierte die Europäer, die es zu einem irdischen Paradies verklärt hatten. Im europäischen Adel herrschte über 100 Jahre lang China-Mode: Erzeugnisse aus China wie Tee und Porzellan waren im 18. Jahrhundert begehrte Statussymbole. Es entstanden chinesisch ausgestattete Kabinette in den Schlössern und chinesische Gärten mit Pagoden und Teehäuschen.
Da China den Zugang für Europäer extrem einschränkte, war über das Land um 1800 noch vergleichsweise wenig bekannt. Als 1795 eine britische Gesandtschaft aus dem inneren Chinas zurückkehrte und kurz darauf einen Reisebericht veröffentlichte, entwickelte sich dieser daher schnell zu einem Beststeller, der in diverse Sprachen übersetzt und bald europaweit verlegt wurde. Davon zeugt unser Buch. Des Grafen Macartney Gesandschaftsreise nach China von 1798 ist eine von einer ganzen Reihe deutschsprachiger Versionen des Berichts. Im Gegensatz zu anderen Editionen wurde diese zweibändige Ausgabe mit den originalen Kupferstichen ausgeschmückt, die auf der Grundlage der Zeichnungen des Expeditionsmaler William Alexander entstanden. Eine ausklappbare Karte Chinas wurde ebenfalls hinzugefügt – beste Voraussetzungen für einen Bestseller. Im Buch wird die Reiseroute der Expedition durch das Land auf dem Weg zum kaiserlichen Sommerpalast beschrieben. Wir lesen über Städte entlang der Strecke, über Menschen und Bräuche, über Technik und Botanik – und über das Zusammentreffen mit dem Kaiser, denn das war das Ziel der Reise.
Für den heutigen Betrachter wird der Bericht dadurch spannend, dass er ein Ereignis dokumentiert, das als Wendepunkt in der Beziehung zwischen China und Europa angesehen wird. Denn natürlich geschah diese Reise nicht, um am Ende einen Bericht über Land und Leute abliefern zu können.
Artikeltext:
Im Auftrag des Königs
Es war das erste Mal, dass Großbritannien eine offizielle Gesandtschaft in das Kaiserreich schickte. An der Spitze der Delegation stand ein Lord: der Earl Macartney, ein erfahrener Diplomat und Kolonialgouverneur. Schon daran sieht man: Diese Reise war für die Briten kein Freundschaftsbesuch. Es ging um höchste britische Interessen.
Großbritanniens enorme Nachfrage nach Tee aus China war kaum noch zu befriedigen. Seit dem 16. Jahrhundert war der Handel der Europäer mit China starken Regularien unterworfen, die 1760 noch einmal schärfer geworden waren. Nur im Hafen von Kanton durften die Europäer Geschäfte tätigen, dazu unter Restriktionen und zu festgesetzten Preisen. Die Briten fanden diese Situation nicht tragbar. Sie hatten sich zur unangefochtenen Handels- und Seemacht aufgeschwungen, ihr Reich erstreckte sich über den Globus – und doch wurden sie in China als Bittsteller behandelt.
Macartneys Expedition wurden daher klare Zielsetzungen mit auf den Weg gegeben. Sie sollte eine Öffnung der chinesischen Häfen für den britischen Handel erreichen. Zudem wollte die Regierung in London einen selbstverwalteten britischen Handelsposten an Chinas Küste und einen Botschafter am Kaiserhof. Die Flotte setzte also Segel nach China. Mit an Bord waren 600 Kisten mit Geschenken für den Kaiser. Die Auswahl war mit Hintergedanken ausgesucht worden: Naturwissenschaftliche Geräte sollten Europas Fortschritt demonstrieren; Waren und Rohstoffe der unterschiedlichsten Art wurden in der Hoffnung mitgeführt, etwas zu finden, was die Chinesen interessieren würde, um so den Handel für jene motivierend und für die Briten profitabel zu machen.
Die erste Hürde war genommen, als man in das Land gelassen wurde, indem die Gesandtschaft angab, Geschenke anlässlich des 80. Geburtstag des Kaisers Qianlong überbringen zu wollen. Zu Land und zu Wasser durchquerte die Expedition über Wochen China, machte an vielen Orten halt und gelangte schließlich über die Große Mauer zum Sommerpalast des Kaisers in Jehol.
Wenn Welten zusammenstoßen
Die Erfolgsaussicht der Expedition waren von vornherein gering. Als man auf den Kaiser traf, verspielte man jede Chance auf ein Abkommen. Denn Macartney als britischer Lord und direkter Repräsentant des Königs verweigerte den Kotau – das Niederwerfen vor dem Kaiser, bei dem die Stirn den Boden berührt. Eine so demütigende Geste, erklärte Macartney, käme für ihn nur dann in Frage, wenn gleichzeitig ein ähnlich ranghoher Chinese vor einem Gemälde Georgs III. den Kotau machen würde. Das war für die Chinesen unvorstellbar, also einigte man sich für beide Seiten unzufriedenstellend auf einen Kniefall, wie Macartney ihn auch vor Georg III. ausgeführt hätte. Dieser Szene verdeutlich, wie wenig man sich verstand. Macartney war der Ansicht, als Repräsentant der mächtigsten Nation der Welt zu agieren. Die Chinesen hingegen nahmen anderen Staaten als tributpflichtig und tiefergestellt wahr, war der Kaiser als Sohn des Himmels doch nach ihrer Vorstellung Herr der Welt. Die Gesandtschaft reiste schließlich ab, ohne einen einzigen der britischen Wünsche durchgesetzt zu haben.
Umdenken
Die Macartney-Mission war im Gegensatz zum Reisebericht ein Fehlschlag, wohlgemerkt ein teurer. Das machtbewusste Großbritannien tat sich schwer damit, so deutlich abgewiesen zu werden. In der Folgezeit lässt sich ein Umdenken über China feststellen, mitausgelöst durch diese Unzufriedenheit und Aussagen der Expeditionsteilnehmer. Denn viel schien sich in dort nicht getan zu haben, seit der epochemachende, überall bekannte Reisebericht des Niederländer Nieuhoff erschienen war – und das war damals inzwischen 130 Jahre her. Man begann, China nicht länger als ein überlegenes Reich zu betrachten, sondern kritisierte nun Stillstand und Inflexibilität. Das Land wurde zunehmend negativ gesehen.
Der Koloss auf tönernen Füssen
Einige Jahre später fanden die Briten die lang gesuchte Ware, die sich gut in China verkaufen ließ, wenn auch nicht offiziell: Opium. Die Briten bauten es in Indien an und vertrieben es über Schmuggler mit großem Gewinn in China. Die daraus resultierenden Spannungen führten 40 Jahre nach der Macartney-Mission zu den Opium-Kriegen, in denen Großbritannien seine Handelsinteressen mit Gewalt durchsetzen konnte und faktisch die Kontrolle über Chinas Handel übernahm. China hatte sich in den Augen vieler als Koloss auf tönernen Füssen herausgestellt. Die Faszination für China ebbte erkennbar ab. Heute sieht der Westen China wieder mit zunehmender Faszination – aber das ist ein anderes Thema.
Was Sie sonst noch interessieren könnte:
Nicht diese, aber eine im selben Jahr in Berlin herausgegebene Fassung des Reiseberichtes, können Sie auf der Seite des Münchner Digitalisierungszentrums lesen.
Über Europas Faszination über China ging es auch in unserer Ausstellung Wir und Fremde: Wie wir die Welt kennenlernten.
Im Nachgang der Expedition schreib der Kaiser von China wohl das erste Mal überhaupt einen Brief an einen europäischen Monarchen. Der Brief an Georg III. wurde als unglaublich arrogant empfunden und brüskierte die Briten zutiefst. Lesen können Sie ihn hier.